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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

hören. Es gebrauchten dort nicht wenig Geistliche die Kur. Da waren etliche
Baiern: wandelnde Viertonnen, die mich, als ich sie anredete, anglotzten ohne
zu antworten, sodaß ich mir im Innern sagte: Lutz, du hast gesiegt! Alle
Zairischen Geistlichen sind ja natürlich nicht so -- die waren aus der Gegeud
von Kulmbach, die wohl fürs Geistige und Geistliche die gefährlichste sein mag.
Dann waren da Böhmen, Österreicher, Galizier: schlichte, bescheidne Leute,
aber bigott und beschränkt; darunter ein drolliger alter Herr, der die wunder¬
barsten Geschichten in einem köstlichen Kauderwelsch erzählte und den einen
Tag klagte: Halte hab ik wieder der Hexeschnß, aber nicht der Hexeschuß in
die Grcnz, sondern der Hexeschuß in die Göpp! Dann einige Pröpste aus
dem Posenschen, von der brutalen Despotenart, wie ich sie früher schon kennen
gelernt hatte. Endlich aber ein Wiener Konsistorialrat, der als Würdenträger
des Barnabitcnordens den Titel Dom führte und dem Kardinal Rauscher be¬
freundet war, ein sehr unterrichteter und geistig angeregter Mann. Der sprach
mit keinem der österreichischen Geistlichen ein Wort, suchte mich dagegen täg¬
lich beim Brunnentrinken auf und besprach sich ein Stündchen lang sehr leb¬
haft mit mir über die brennenden Fragen. Er verwarf die ultramontanen
Bestrebungen aufs entschiedenste, sprach seine Mißbilligung über den Charakter
und die Wirksamkeit des Bischofs Rudigier von Linz aus und erzählte von
den Jesuiten die gräßlichsten Räubergeschichte", die ich ihm aber nicht geglaubt,
sondern auf die Feindschaft der beiden Orden zurückgeführt habe. Jedenfalls
brachte ich aus Franzensbad die Überzeugung heim, daß alles, was auf Be¬
deutung Anspruch machen könne im katholischen Klerus, auf der liberalen
Seite stehe.

Bei den Liegnitzer Amtsbrüderu freilich fand ich damit keinen Anklang.
Der neue Pfarrer, übrigens ein vortrefflicher Mann, war bigott, mein Mit-
kaplan, ein guter Kerl, fühlte sich nicht berufen, in die Weltgeschichte ein¬
zugreifen, und der Schulrat A., mit dem ich innig befreundet war, ein auch
wissenschaftlich sehr tüchtiger Mann, aber durch und durch Realpolitiker, ant¬
wortete mir einmal in einer Disputation auf die Frage, ob er denn den
Syllabus schon gelesen habe: Ich werde mich hüten, solches Zeug zu lesen
und mich dadurch irre machen zu lassen -- eine vollkommen richtige Regel
für alle, die sich nicht in Zweifel und Gefahr des Unglaubens stürzen wollen,
nicht bloß im religiösen, sondern anch im politischen Leben! Der katholische
Inüvx librorunr xrokioitorum ist eine sehr nützliche Einrichtung, und auch
Luther war der Ansicht, man thue gut, die Bücher der Gegner nicht zu lesen,
sondern sie lieber -- ja so, das läßt sich heute nicht sagen. Daß man sogar
die Schriften der Autoritäten der eignen Partei nicht lesen soll, wenn sie ge¬
eignet sind, einen irre zu macheu, geht zwar über den luäex noch hinaus,
fließt aber ganz folgerichtig aus demselben Grundsätze. Haben es doch auch
Politische Parteiführer manchmal nicht gern, wenn ihre alten Reden ohne Aus-


Grenzboten III 1895 54
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

hören. Es gebrauchten dort nicht wenig Geistliche die Kur. Da waren etliche
Baiern: wandelnde Viertonnen, die mich, als ich sie anredete, anglotzten ohne
zu antworten, sodaß ich mir im Innern sagte: Lutz, du hast gesiegt! Alle
Zairischen Geistlichen sind ja natürlich nicht so — die waren aus der Gegeud
von Kulmbach, die wohl fürs Geistige und Geistliche die gefährlichste sein mag.
Dann waren da Böhmen, Österreicher, Galizier: schlichte, bescheidne Leute,
aber bigott und beschränkt; darunter ein drolliger alter Herr, der die wunder¬
barsten Geschichten in einem köstlichen Kauderwelsch erzählte und den einen
Tag klagte: Halte hab ik wieder der Hexeschnß, aber nicht der Hexeschuß in
die Grcnz, sondern der Hexeschuß in die Göpp! Dann einige Pröpste aus
dem Posenschen, von der brutalen Despotenart, wie ich sie früher schon kennen
gelernt hatte. Endlich aber ein Wiener Konsistorialrat, der als Würdenträger
des Barnabitcnordens den Titel Dom führte und dem Kardinal Rauscher be¬
freundet war, ein sehr unterrichteter und geistig angeregter Mann. Der sprach
mit keinem der österreichischen Geistlichen ein Wort, suchte mich dagegen täg¬
lich beim Brunnentrinken auf und besprach sich ein Stündchen lang sehr leb¬
haft mit mir über die brennenden Fragen. Er verwarf die ultramontanen
Bestrebungen aufs entschiedenste, sprach seine Mißbilligung über den Charakter
und die Wirksamkeit des Bischofs Rudigier von Linz aus und erzählte von
den Jesuiten die gräßlichsten Räubergeschichte», die ich ihm aber nicht geglaubt,
sondern auf die Feindschaft der beiden Orden zurückgeführt habe. Jedenfalls
brachte ich aus Franzensbad die Überzeugung heim, daß alles, was auf Be¬
deutung Anspruch machen könne im katholischen Klerus, auf der liberalen
Seite stehe.

Bei den Liegnitzer Amtsbrüderu freilich fand ich damit keinen Anklang.
Der neue Pfarrer, übrigens ein vortrefflicher Mann, war bigott, mein Mit-
kaplan, ein guter Kerl, fühlte sich nicht berufen, in die Weltgeschichte ein¬
zugreifen, und der Schulrat A., mit dem ich innig befreundet war, ein auch
wissenschaftlich sehr tüchtiger Mann, aber durch und durch Realpolitiker, ant¬
wortete mir einmal in einer Disputation auf die Frage, ob er denn den
Syllabus schon gelesen habe: Ich werde mich hüten, solches Zeug zu lesen
und mich dadurch irre machen zu lassen — eine vollkommen richtige Regel
für alle, die sich nicht in Zweifel und Gefahr des Unglaubens stürzen wollen,
nicht bloß im religiösen, sondern anch im politischen Leben! Der katholische
Inüvx librorunr xrokioitorum ist eine sehr nützliche Einrichtung, und auch
Luther war der Ansicht, man thue gut, die Bücher der Gegner nicht zu lesen,
sondern sie lieber — ja so, das läßt sich heute nicht sagen. Daß man sogar
die Schriften der Autoritäten der eignen Partei nicht lesen soll, wenn sie ge¬
eignet sind, einen irre zu macheu, geht zwar über den luäex noch hinaus,
fließt aber ganz folgerichtig aus demselben Grundsätze. Haben es doch auch
Politische Parteiführer manchmal nicht gern, wenn ihre alten Reden ohne Aus-


Grenzboten III 1895 54
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[0433] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome hören. Es gebrauchten dort nicht wenig Geistliche die Kur. Da waren etliche Baiern: wandelnde Viertonnen, die mich, als ich sie anredete, anglotzten ohne zu antworten, sodaß ich mir im Innern sagte: Lutz, du hast gesiegt! Alle Zairischen Geistlichen sind ja natürlich nicht so — die waren aus der Gegeud von Kulmbach, die wohl fürs Geistige und Geistliche die gefährlichste sein mag. Dann waren da Böhmen, Österreicher, Galizier: schlichte, bescheidne Leute, aber bigott und beschränkt; darunter ein drolliger alter Herr, der die wunder¬ barsten Geschichten in einem köstlichen Kauderwelsch erzählte und den einen Tag klagte: Halte hab ik wieder der Hexeschnß, aber nicht der Hexeschuß in die Grcnz, sondern der Hexeschuß in die Göpp! Dann einige Pröpste aus dem Posenschen, von der brutalen Despotenart, wie ich sie früher schon kennen gelernt hatte. Endlich aber ein Wiener Konsistorialrat, der als Würdenträger des Barnabitcnordens den Titel Dom führte und dem Kardinal Rauscher be¬ freundet war, ein sehr unterrichteter und geistig angeregter Mann. Der sprach mit keinem der österreichischen Geistlichen ein Wort, suchte mich dagegen täg¬ lich beim Brunnentrinken auf und besprach sich ein Stündchen lang sehr leb¬ haft mit mir über die brennenden Fragen. Er verwarf die ultramontanen Bestrebungen aufs entschiedenste, sprach seine Mißbilligung über den Charakter und die Wirksamkeit des Bischofs Rudigier von Linz aus und erzählte von den Jesuiten die gräßlichsten Räubergeschichte», die ich ihm aber nicht geglaubt, sondern auf die Feindschaft der beiden Orden zurückgeführt habe. Jedenfalls brachte ich aus Franzensbad die Überzeugung heim, daß alles, was auf Be¬ deutung Anspruch machen könne im katholischen Klerus, auf der liberalen Seite stehe. Bei den Liegnitzer Amtsbrüderu freilich fand ich damit keinen Anklang. Der neue Pfarrer, übrigens ein vortrefflicher Mann, war bigott, mein Mit- kaplan, ein guter Kerl, fühlte sich nicht berufen, in die Weltgeschichte ein¬ zugreifen, und der Schulrat A., mit dem ich innig befreundet war, ein auch wissenschaftlich sehr tüchtiger Mann, aber durch und durch Realpolitiker, ant¬ wortete mir einmal in einer Disputation auf die Frage, ob er denn den Syllabus schon gelesen habe: Ich werde mich hüten, solches Zeug zu lesen und mich dadurch irre machen zu lassen — eine vollkommen richtige Regel für alle, die sich nicht in Zweifel und Gefahr des Unglaubens stürzen wollen, nicht bloß im religiösen, sondern anch im politischen Leben! Der katholische Inüvx librorunr xrokioitorum ist eine sehr nützliche Einrichtung, und auch Luther war der Ansicht, man thue gut, die Bücher der Gegner nicht zu lesen, sondern sie lieber — ja so, das läßt sich heute nicht sagen. Daß man sogar die Schriften der Autoritäten der eignen Partei nicht lesen soll, wenn sie ge¬ eignet sind, einen irre zu macheu, geht zwar über den luäex noch hinaus, fließt aber ganz folgerichtig aus demselben Grundsätze. Haben es doch auch Politische Parteiführer manchmal nicht gern, wenn ihre alten Reden ohne Aus- Grenzboten III 1895 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/433>, abgerufen am 16.06.2024.