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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die große Berliner Aunstausstellung

mit nackten Leichen bedeckten Schlachtfeld, über das Christus wehklagend
schreitet, von Danger n. s. w. Wencker und Bourgonnier verbinden mit der
Virtuosität der Zeichnung auch noch eine stärkere koloristische Kraft, als sie
Le Quesne hat.

Aber die Zeit ist vorüber, wo diese zeichnerische und malerische Virtuosität
in der Behandlung des nackten Körpers alleiniges Besitztum der Franzosen
war. Alle Welt ist bei ihnen in die Schule gegangen, und am meisten haben
davon die kalt, aber sicher spekulirenden Jankees profitirt, die allmählich in
der französischen Hauptstadt eine Künstlerkolonie gebildet haben, deren Mit¬
glieder ihren Lehrern zum Teil schon weit über den Kopf gewachsen sind.
Auch die Deutschen sind nicht zurückgeblieben. Zuerst haben sich die Bild¬
hauer zu einer vollkommenen Beherrschung des nackten menschlichen Körpers
emporgerungen, und jetzt haben es auch die Maler dazu gebracht. Nur fehlt
ihnen noch der Mut, ihre Kraft, ihre Zeit und ihr Geld an so umfangreiche
Sensationsstücke wie Le Quesnes Wildbach zu wagen. Daß es ihnen weder
an zeichnerischer und malerischer Fertigkeit, noch an der dazu nötigen Er¬
findungsgabe gebricht, beweisen die an Tizian und Palma den Ältern erinnernde,
nur auf einen kühlern Ton gestimmte Frühlingsidhlle mit der auf einer Wiese
lagernden, nur leicht mit einem Schleier verhüllten Mädchengestalt im Vorder¬
grunde von Müller-Schönefeld in Berlin, das Larghetto amorosv (ein verliebter
Satyr bläst zwei Waldnymphen aus seiner Querpfeife ein Liebeslied vor) von
Hans Koberstein, die auf Ruhebetten ausgestreckten üppigen Mädchengestalten
von Max Ring und Bernhard Zickendraht, die auf einem Pantherfell ruhende
Dryade von Emil Glöckner und die am Rande eines Weihers im Baumesschatten
lagernden Frauen von Max Pietschmann in Dresden, das Liebespaar in der
Abenddämmerung einer Uferlandschaft von Karl Wünnenberg in Kassel und
mehrere andre. Man sieht daraus, daß der Unterricht an den deutschen Kunst¬
akademien und Kunstschulen so gründlich umgestaltet worden ist, daß die jungen
Künstler, wenn sie wollen und nicht vor der Zeit ihre Kraft in skizzenhafter
Produktion verzetteln, mit einer vollständigen, jeder ausländischen Konkurrenz
gewachsenen Ausbildung von der Schule ins Leben treten können.

Auch die srnnzösische Historienmalerei großen Stils greift, wie gesagt, gleich
der Darstellung des Nackten, zu den stärksten Mitteln, um sich die Herrschaft
über die Massen zu erhalten. Eine Probe davon ist uns in einer unbeschreib¬
lichen Blut- und Grenelszene von Ferdinand Roybet zu teil geworden, dem
Blutbad zu Nestes durch Karl den Kühnen, der nach der Eroberung der
Stadt in die Kathedrale einritt und die dort geflüchteten Einwohner, Greise,
Frauen und Kinder ohne Unterschied von seiner Soldateska niedermetzeln ließ.
Der Maler hat dem Beschauer nichts erspart; er hat den hohen weiten Raum
mit Blut und Leichen, mit Sterbenden und mit angstvoll einen schrecklichen
Tod erwartenden Frauen und Kindern angefüllt. Selbst von den Emporen


Die große Berliner Aunstausstellung

mit nackten Leichen bedeckten Schlachtfeld, über das Christus wehklagend
schreitet, von Danger n. s. w. Wencker und Bourgonnier verbinden mit der
Virtuosität der Zeichnung auch noch eine stärkere koloristische Kraft, als sie
Le Quesne hat.

Aber die Zeit ist vorüber, wo diese zeichnerische und malerische Virtuosität
in der Behandlung des nackten Körpers alleiniges Besitztum der Franzosen
war. Alle Welt ist bei ihnen in die Schule gegangen, und am meisten haben
davon die kalt, aber sicher spekulirenden Jankees profitirt, die allmählich in
der französischen Hauptstadt eine Künstlerkolonie gebildet haben, deren Mit¬
glieder ihren Lehrern zum Teil schon weit über den Kopf gewachsen sind.
Auch die Deutschen sind nicht zurückgeblieben. Zuerst haben sich die Bild¬
hauer zu einer vollkommenen Beherrschung des nackten menschlichen Körpers
emporgerungen, und jetzt haben es auch die Maler dazu gebracht. Nur fehlt
ihnen noch der Mut, ihre Kraft, ihre Zeit und ihr Geld an so umfangreiche
Sensationsstücke wie Le Quesnes Wildbach zu wagen. Daß es ihnen weder
an zeichnerischer und malerischer Fertigkeit, noch an der dazu nötigen Er¬
findungsgabe gebricht, beweisen die an Tizian und Palma den Ältern erinnernde,
nur auf einen kühlern Ton gestimmte Frühlingsidhlle mit der auf einer Wiese
lagernden, nur leicht mit einem Schleier verhüllten Mädchengestalt im Vorder¬
grunde von Müller-Schönefeld in Berlin, das Larghetto amorosv (ein verliebter
Satyr bläst zwei Waldnymphen aus seiner Querpfeife ein Liebeslied vor) von
Hans Koberstein, die auf Ruhebetten ausgestreckten üppigen Mädchengestalten
von Max Ring und Bernhard Zickendraht, die auf einem Pantherfell ruhende
Dryade von Emil Glöckner und die am Rande eines Weihers im Baumesschatten
lagernden Frauen von Max Pietschmann in Dresden, das Liebespaar in der
Abenddämmerung einer Uferlandschaft von Karl Wünnenberg in Kassel und
mehrere andre. Man sieht daraus, daß der Unterricht an den deutschen Kunst¬
akademien und Kunstschulen so gründlich umgestaltet worden ist, daß die jungen
Künstler, wenn sie wollen und nicht vor der Zeit ihre Kraft in skizzenhafter
Produktion verzetteln, mit einer vollständigen, jeder ausländischen Konkurrenz
gewachsenen Ausbildung von der Schule ins Leben treten können.

Auch die srnnzösische Historienmalerei großen Stils greift, wie gesagt, gleich
der Darstellung des Nackten, zu den stärksten Mitteln, um sich die Herrschaft
über die Massen zu erhalten. Eine Probe davon ist uns in einer unbeschreib¬
lichen Blut- und Grenelszene von Ferdinand Roybet zu teil geworden, dem
Blutbad zu Nestes durch Karl den Kühnen, der nach der Eroberung der
Stadt in die Kathedrale einritt und die dort geflüchteten Einwohner, Greise,
Frauen und Kinder ohne Unterschied von seiner Soldateska niedermetzeln ließ.
Der Maler hat dem Beschauer nichts erspart; er hat den hohen weiten Raum
mit Blut und Leichen, mit Sterbenden und mit angstvoll einen schrecklichen
Tod erwartenden Frauen und Kindern angefüllt. Selbst von den Emporen


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[0438] Die große Berliner Aunstausstellung mit nackten Leichen bedeckten Schlachtfeld, über das Christus wehklagend schreitet, von Danger n. s. w. Wencker und Bourgonnier verbinden mit der Virtuosität der Zeichnung auch noch eine stärkere koloristische Kraft, als sie Le Quesne hat. Aber die Zeit ist vorüber, wo diese zeichnerische und malerische Virtuosität in der Behandlung des nackten Körpers alleiniges Besitztum der Franzosen war. Alle Welt ist bei ihnen in die Schule gegangen, und am meisten haben davon die kalt, aber sicher spekulirenden Jankees profitirt, die allmählich in der französischen Hauptstadt eine Künstlerkolonie gebildet haben, deren Mit¬ glieder ihren Lehrern zum Teil schon weit über den Kopf gewachsen sind. Auch die Deutschen sind nicht zurückgeblieben. Zuerst haben sich die Bild¬ hauer zu einer vollkommenen Beherrschung des nackten menschlichen Körpers emporgerungen, und jetzt haben es auch die Maler dazu gebracht. Nur fehlt ihnen noch der Mut, ihre Kraft, ihre Zeit und ihr Geld an so umfangreiche Sensationsstücke wie Le Quesnes Wildbach zu wagen. Daß es ihnen weder an zeichnerischer und malerischer Fertigkeit, noch an der dazu nötigen Er¬ findungsgabe gebricht, beweisen die an Tizian und Palma den Ältern erinnernde, nur auf einen kühlern Ton gestimmte Frühlingsidhlle mit der auf einer Wiese lagernden, nur leicht mit einem Schleier verhüllten Mädchengestalt im Vorder¬ grunde von Müller-Schönefeld in Berlin, das Larghetto amorosv (ein verliebter Satyr bläst zwei Waldnymphen aus seiner Querpfeife ein Liebeslied vor) von Hans Koberstein, die auf Ruhebetten ausgestreckten üppigen Mädchengestalten von Max Ring und Bernhard Zickendraht, die auf einem Pantherfell ruhende Dryade von Emil Glöckner und die am Rande eines Weihers im Baumesschatten lagernden Frauen von Max Pietschmann in Dresden, das Liebespaar in der Abenddämmerung einer Uferlandschaft von Karl Wünnenberg in Kassel und mehrere andre. Man sieht daraus, daß der Unterricht an den deutschen Kunst¬ akademien und Kunstschulen so gründlich umgestaltet worden ist, daß die jungen Künstler, wenn sie wollen und nicht vor der Zeit ihre Kraft in skizzenhafter Produktion verzetteln, mit einer vollständigen, jeder ausländischen Konkurrenz gewachsenen Ausbildung von der Schule ins Leben treten können. Auch die srnnzösische Historienmalerei großen Stils greift, wie gesagt, gleich der Darstellung des Nackten, zu den stärksten Mitteln, um sich die Herrschaft über die Massen zu erhalten. Eine Probe davon ist uns in einer unbeschreib¬ lichen Blut- und Grenelszene von Ferdinand Roybet zu teil geworden, dem Blutbad zu Nestes durch Karl den Kühnen, der nach der Eroberung der Stadt in die Kathedrale einritt und die dort geflüchteten Einwohner, Greise, Frauen und Kinder ohne Unterschied von seiner Soldateska niedermetzeln ließ. Der Maler hat dem Beschauer nichts erspart; er hat den hohen weiten Raum mit Blut und Leichen, mit Sterbenden und mit angstvoll einen schrecklichen Tod erwartenden Frauen und Kindern angefüllt. Selbst von den Emporen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/438>, abgerufen am 16.06.2024.