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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die große Berliner Kunstausstellung

der Kirche werden Menschen, tote und lebende, auf die unten zusammen¬
gedrängte Menge herabgestürzt. Aber noch viel schneller als im Leben schwächt
sich im Bilde der Eindruck des Grauens und Entsetzens, des Abscheus und
Ekels ab. Je öfter man das Bild sah, desto mehr wurde man gewahr, daß
es im Grunde nur ein gewaltiger Theateresfekt ohne wirkliche tragische Em¬
pfindung ist. Man konnte an jeder Figur das Modellstudium im einzelnen,
bei den toten oder sterbenden Frauen besonders den kunstvoll gelegten Falten¬
wurf der Prachtgewänder beobachten. Solche glatte, von Neuheit funkelnde
Gewänder nach den Schrecken einer Belagerung, einer Flucht, einer Zeit qual¬
voller Todesangst? Wer Rohbet und seine Werke von früher kannte, wußte
ohnehin, daß es ihm nur auf ein Bravourstück angekommen war, weil er die
Ehrenmedaille des Salons haben wollte, und weil er wußte, daß diese nur
durch ein Niesenbild von betäubender Wirkung zu erringen ist. Er hat seinen
Zweck erreicht, und die französischen .Kritiker, die den Hnmbug schnell durch¬
schauten, haben weidlich über den Mann gespottet, der einmal über seinen
eignen Schatten springen wollte. Bei uns hat das länger gedauert. Denn
Roybets Bild wurde in dem Ehrensaale des Ausstellungsgebäudes so an¬
gebracht, daß es eine ganze Wand einnimmt, und daß jeder, der die Aus¬
stellung betrat, sofort durch das Riesenbild gefesselt und -- wenn er schwache
Nerven hat -- auch niedergeschmettert wurde.

Durch solche und ähnliche grobe Mittel ist der Erfolg der Franzosen in
Berlin, der von diensteifrigen Franzosenanbetern schnell in alle Welt hinaus¬
geschrieen worden ist, zustande gekommen. Die Franzosen haben nach den
mehrjährigen Experimenten in München genau gewußt, was sie den Deutschen
-- auch in Berlin -- bieten mußten und durften, um ihrer gewohnten Siege
sicher zu sein, und darnach haben sie ihre Sendungen wohl berechnet. Der
erste Eindruck ist denn auch überwältigend gewesen. In den ersten drei Wochen
stauten sich die Besucher in den französischen Sälen zu Massen, die jede freie
Bewegung unmöglich machten. Der Boden für die freundliche Aufnahme alles
dessen, was von Frankreich kommt, ist, wie bekannt, nirgends so gut vor¬
bereitet wie in Berlin. Das in der deutschen Reichshauptstadt auf dem Ge¬
biete der Litteratur und Kunst herrschende Judentum ist mit den Franzosen
"uff innigste verwandt. Gallier und Juden beherrschen gleichmäßig der für
die erstem schon von Cäsar bemerkte Trieb nach beständigen Neuerungen,
die Unruhe Ahasvers, das Verlangen nach neuen Erregungen, weil die reg¬
same Natur beider Volksstümme kein Verweilen am Augenblick, keinen ruhigen
Genuß an dem geistig Erworbnen zuläßt. Diese Unruhe hat aber auch in der
Stimmung zu Gunsten der Franzosen eine Wandlung herbeigeführt. Die Be¬
geisterung verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Das Ungewöhnlichste
war zum Alltäglichen geworden, und als die den Ton angehende Gesellschaft
Berlins, die sich in den französischen Sälen jeden Nachmittag zu geräuschvollen


Die große Berliner Kunstausstellung

der Kirche werden Menschen, tote und lebende, auf die unten zusammen¬
gedrängte Menge herabgestürzt. Aber noch viel schneller als im Leben schwächt
sich im Bilde der Eindruck des Grauens und Entsetzens, des Abscheus und
Ekels ab. Je öfter man das Bild sah, desto mehr wurde man gewahr, daß
es im Grunde nur ein gewaltiger Theateresfekt ohne wirkliche tragische Em¬
pfindung ist. Man konnte an jeder Figur das Modellstudium im einzelnen,
bei den toten oder sterbenden Frauen besonders den kunstvoll gelegten Falten¬
wurf der Prachtgewänder beobachten. Solche glatte, von Neuheit funkelnde
Gewänder nach den Schrecken einer Belagerung, einer Flucht, einer Zeit qual¬
voller Todesangst? Wer Rohbet und seine Werke von früher kannte, wußte
ohnehin, daß es ihm nur auf ein Bravourstück angekommen war, weil er die
Ehrenmedaille des Salons haben wollte, und weil er wußte, daß diese nur
durch ein Niesenbild von betäubender Wirkung zu erringen ist. Er hat seinen
Zweck erreicht, und die französischen .Kritiker, die den Hnmbug schnell durch¬
schauten, haben weidlich über den Mann gespottet, der einmal über seinen
eignen Schatten springen wollte. Bei uns hat das länger gedauert. Denn
Roybets Bild wurde in dem Ehrensaale des Ausstellungsgebäudes so an¬
gebracht, daß es eine ganze Wand einnimmt, und daß jeder, der die Aus¬
stellung betrat, sofort durch das Riesenbild gefesselt und — wenn er schwache
Nerven hat — auch niedergeschmettert wurde.

Durch solche und ähnliche grobe Mittel ist der Erfolg der Franzosen in
Berlin, der von diensteifrigen Franzosenanbetern schnell in alle Welt hinaus¬
geschrieen worden ist, zustande gekommen. Die Franzosen haben nach den
mehrjährigen Experimenten in München genau gewußt, was sie den Deutschen
— auch in Berlin — bieten mußten und durften, um ihrer gewohnten Siege
sicher zu sein, und darnach haben sie ihre Sendungen wohl berechnet. Der
erste Eindruck ist denn auch überwältigend gewesen. In den ersten drei Wochen
stauten sich die Besucher in den französischen Sälen zu Massen, die jede freie
Bewegung unmöglich machten. Der Boden für die freundliche Aufnahme alles
dessen, was von Frankreich kommt, ist, wie bekannt, nirgends so gut vor¬
bereitet wie in Berlin. Das in der deutschen Reichshauptstadt auf dem Ge¬
biete der Litteratur und Kunst herrschende Judentum ist mit den Franzosen
"uff innigste verwandt. Gallier und Juden beherrschen gleichmäßig der für
die erstem schon von Cäsar bemerkte Trieb nach beständigen Neuerungen,
die Unruhe Ahasvers, das Verlangen nach neuen Erregungen, weil die reg¬
same Natur beider Volksstümme kein Verweilen am Augenblick, keinen ruhigen
Genuß an dem geistig Erworbnen zuläßt. Diese Unruhe hat aber auch in der
Stimmung zu Gunsten der Franzosen eine Wandlung herbeigeführt. Die Be¬
geisterung verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Das Ungewöhnlichste
war zum Alltäglichen geworden, und als die den Ton angehende Gesellschaft
Berlins, die sich in den französischen Sälen jeden Nachmittag zu geräuschvollen


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[0439] Die große Berliner Kunstausstellung der Kirche werden Menschen, tote und lebende, auf die unten zusammen¬ gedrängte Menge herabgestürzt. Aber noch viel schneller als im Leben schwächt sich im Bilde der Eindruck des Grauens und Entsetzens, des Abscheus und Ekels ab. Je öfter man das Bild sah, desto mehr wurde man gewahr, daß es im Grunde nur ein gewaltiger Theateresfekt ohne wirkliche tragische Em¬ pfindung ist. Man konnte an jeder Figur das Modellstudium im einzelnen, bei den toten oder sterbenden Frauen besonders den kunstvoll gelegten Falten¬ wurf der Prachtgewänder beobachten. Solche glatte, von Neuheit funkelnde Gewänder nach den Schrecken einer Belagerung, einer Flucht, einer Zeit qual¬ voller Todesangst? Wer Rohbet und seine Werke von früher kannte, wußte ohnehin, daß es ihm nur auf ein Bravourstück angekommen war, weil er die Ehrenmedaille des Salons haben wollte, und weil er wußte, daß diese nur durch ein Niesenbild von betäubender Wirkung zu erringen ist. Er hat seinen Zweck erreicht, und die französischen .Kritiker, die den Hnmbug schnell durch¬ schauten, haben weidlich über den Mann gespottet, der einmal über seinen eignen Schatten springen wollte. Bei uns hat das länger gedauert. Denn Roybets Bild wurde in dem Ehrensaale des Ausstellungsgebäudes so an¬ gebracht, daß es eine ganze Wand einnimmt, und daß jeder, der die Aus¬ stellung betrat, sofort durch das Riesenbild gefesselt und — wenn er schwache Nerven hat — auch niedergeschmettert wurde. Durch solche und ähnliche grobe Mittel ist der Erfolg der Franzosen in Berlin, der von diensteifrigen Franzosenanbetern schnell in alle Welt hinaus¬ geschrieen worden ist, zustande gekommen. Die Franzosen haben nach den mehrjährigen Experimenten in München genau gewußt, was sie den Deutschen — auch in Berlin — bieten mußten und durften, um ihrer gewohnten Siege sicher zu sein, und darnach haben sie ihre Sendungen wohl berechnet. Der erste Eindruck ist denn auch überwältigend gewesen. In den ersten drei Wochen stauten sich die Besucher in den französischen Sälen zu Massen, die jede freie Bewegung unmöglich machten. Der Boden für die freundliche Aufnahme alles dessen, was von Frankreich kommt, ist, wie bekannt, nirgends so gut vor¬ bereitet wie in Berlin. Das in der deutschen Reichshauptstadt auf dem Ge¬ biete der Litteratur und Kunst herrschende Judentum ist mit den Franzosen "uff innigste verwandt. Gallier und Juden beherrschen gleichmäßig der für die erstem schon von Cäsar bemerkte Trieb nach beständigen Neuerungen, die Unruhe Ahasvers, das Verlangen nach neuen Erregungen, weil die reg¬ same Natur beider Volksstümme kein Verweilen am Augenblick, keinen ruhigen Genuß an dem geistig Erworbnen zuläßt. Diese Unruhe hat aber auch in der Stimmung zu Gunsten der Franzosen eine Wandlung herbeigeführt. Die Be¬ geisterung verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Das Ungewöhnlichste war zum Alltäglichen geworden, und als die den Ton angehende Gesellschaft Berlins, die sich in den französischen Sälen jeden Nachmittag zu geräuschvollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/439>, abgerufen am 16.06.2024.