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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die große Berliner Annstausstellung

Kultur mit sich gebracht habe", sind die großen Kunstausstellungen der Hauptort,
auf dem man den Stoff sammeln kann. Man darf sie also nicht vornehm
ignoriren, sondern muß sie nehmen, wie sie sind. Auch ist es nicht der Kunst¬
kritiker allein, der auf sie zur Bereicherung seines Wissens und zur Kontrolle
seines Urteils angewiesen ist. Immer häufiger finden wir in den biographischen
Nachrichten über junge Künstler, die durch eine schnelle That oder durch
lange Arbeit bekannt geworden sind, die Notiz, daß sich dieser oder jener nach
Absolvirung der Klassen einer Akademie durch das Studium der großen Kunst¬
ausstellungen in München, Berlin, Paris weitergebildet habe. Mehr hat er
dann nicht gebraucht; denn ein scharfes Auge und ein sindiger Kopf haben
dort alles, was sie wünschen. So sind denn diese Kunstausstellungen zu mäch¬
tigen Triebfedern der künstlerischen Bildung geworden, und die Folge davon
ist, daß die Künstler, die auf diesen großen Tummelplätzen von Gut und Böse
gelernt haben, selbst so schnell wie möglich auf denselben Kampfplatz treten
wollen. Es ist schließlich der einzige Ort, wo man entweder berühmt werden
oder wenigstens ein Bild oder eine Skulptur verkaufen kann. Der Staat, die
Kunsthändler, das Publikum -- alle finden sich hier zusammen, und dazu
winken noch Medaillen, und wo diese abgeschafft sind, sorgt ein Teil der
Presse dafür, daß kein Licht unter den Scheffel gerät.

Wenn man dann noch den volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Ausstellungen
in Anschlag bringt, wird selbst der strengste Cello seinen Widerspruch fallen
lassen und, wenn er mithelfen und nicht grollend beiseite stehen will, wenigstens
versuchen müssen, Methode in den Unsinn zu bringen. Auch grinst ihm -- we¬
nigstens in Berlin -- der Götze des Erfolgs ins Gesicht. Woher ist mit
einemmale nach sieben magern Jahren das Geld in die Welt gekommen?
Noch niemals sind auf einer Berliner Kunstausstellung so viel Kunstwerke ver¬
kauft worden wie in diesem Jahre. Selbst die mit einem außergewöhnlichen
Aufwand in Szene gesetzten Münchner Kunstausstellungen haben, auch wenn
die Bayreuther Festspiele oder die Oberammergauer Passionsspiele den sommer¬
lichen Fremdenstrom verdoppelten und verdreifachten, niemals einen materiellen
Erfolg erzielt, wie die diesjährige Ausstellung in Berlin. Trotzdem daß
München für den Reiseverkehr des Hochsommers ein Knotenpunkt ist, der nur
auf Umwegen vermieden werden kann, gehen die Ertrüge der dortigen Kunst¬
ausstellungen von Jahr zu Jahr zurück. Es liegt gewiß zum großen Teil
an der Beschaffenheit der beiden Kunstausstellungsgebäude, die den Besucher,
der seine Wanderung durch die Säle beendigt hat, nicht mehr zu fesseln ver¬
mögen. Darum hält sich auch die eingeborne Bevölkerung, d. h. der Mittel¬
stand, der die Kassen füllt, von den Kunstausstellungen fern, während dieselbe
Bevölkernngsklasse in Berlin nachmittags und abends den Hauptbestandteil
der Besucher bildet. Es ist eben ein altes Gesetz der Mechanik des mensch¬
lichen Geistes, daß jeder Anstrengung die Abspannung, jedem Aufwand von


Die große Berliner Annstausstellung

Kultur mit sich gebracht habe», sind die großen Kunstausstellungen der Hauptort,
auf dem man den Stoff sammeln kann. Man darf sie also nicht vornehm
ignoriren, sondern muß sie nehmen, wie sie sind. Auch ist es nicht der Kunst¬
kritiker allein, der auf sie zur Bereicherung seines Wissens und zur Kontrolle
seines Urteils angewiesen ist. Immer häufiger finden wir in den biographischen
Nachrichten über junge Künstler, die durch eine schnelle That oder durch
lange Arbeit bekannt geworden sind, die Notiz, daß sich dieser oder jener nach
Absolvirung der Klassen einer Akademie durch das Studium der großen Kunst¬
ausstellungen in München, Berlin, Paris weitergebildet habe. Mehr hat er
dann nicht gebraucht; denn ein scharfes Auge und ein sindiger Kopf haben
dort alles, was sie wünschen. So sind denn diese Kunstausstellungen zu mäch¬
tigen Triebfedern der künstlerischen Bildung geworden, und die Folge davon
ist, daß die Künstler, die auf diesen großen Tummelplätzen von Gut und Böse
gelernt haben, selbst so schnell wie möglich auf denselben Kampfplatz treten
wollen. Es ist schließlich der einzige Ort, wo man entweder berühmt werden
oder wenigstens ein Bild oder eine Skulptur verkaufen kann. Der Staat, die
Kunsthändler, das Publikum — alle finden sich hier zusammen, und dazu
winken noch Medaillen, und wo diese abgeschafft sind, sorgt ein Teil der
Presse dafür, daß kein Licht unter den Scheffel gerät.

Wenn man dann noch den volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Ausstellungen
in Anschlag bringt, wird selbst der strengste Cello seinen Widerspruch fallen
lassen und, wenn er mithelfen und nicht grollend beiseite stehen will, wenigstens
versuchen müssen, Methode in den Unsinn zu bringen. Auch grinst ihm — we¬
nigstens in Berlin — der Götze des Erfolgs ins Gesicht. Woher ist mit
einemmale nach sieben magern Jahren das Geld in die Welt gekommen?
Noch niemals sind auf einer Berliner Kunstausstellung so viel Kunstwerke ver¬
kauft worden wie in diesem Jahre. Selbst die mit einem außergewöhnlichen
Aufwand in Szene gesetzten Münchner Kunstausstellungen haben, auch wenn
die Bayreuther Festspiele oder die Oberammergauer Passionsspiele den sommer¬
lichen Fremdenstrom verdoppelten und verdreifachten, niemals einen materiellen
Erfolg erzielt, wie die diesjährige Ausstellung in Berlin. Trotzdem daß
München für den Reiseverkehr des Hochsommers ein Knotenpunkt ist, der nur
auf Umwegen vermieden werden kann, gehen die Ertrüge der dortigen Kunst¬
ausstellungen von Jahr zu Jahr zurück. Es liegt gewiß zum großen Teil
an der Beschaffenheit der beiden Kunstausstellungsgebäude, die den Besucher,
der seine Wanderung durch die Säle beendigt hat, nicht mehr zu fesseln ver¬
mögen. Darum hält sich auch die eingeborne Bevölkerung, d. h. der Mittel¬
stand, der die Kassen füllt, von den Kunstausstellungen fern, während dieselbe
Bevölkernngsklasse in Berlin nachmittags und abends den Hauptbestandteil
der Besucher bildet. Es ist eben ein altes Gesetz der Mechanik des mensch¬
lichen Geistes, daß jeder Anstrengung die Abspannung, jedem Aufwand von


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[0442] Die große Berliner Annstausstellung Kultur mit sich gebracht habe», sind die großen Kunstausstellungen der Hauptort, auf dem man den Stoff sammeln kann. Man darf sie also nicht vornehm ignoriren, sondern muß sie nehmen, wie sie sind. Auch ist es nicht der Kunst¬ kritiker allein, der auf sie zur Bereicherung seines Wissens und zur Kontrolle seines Urteils angewiesen ist. Immer häufiger finden wir in den biographischen Nachrichten über junge Künstler, die durch eine schnelle That oder durch lange Arbeit bekannt geworden sind, die Notiz, daß sich dieser oder jener nach Absolvirung der Klassen einer Akademie durch das Studium der großen Kunst¬ ausstellungen in München, Berlin, Paris weitergebildet habe. Mehr hat er dann nicht gebraucht; denn ein scharfes Auge und ein sindiger Kopf haben dort alles, was sie wünschen. So sind denn diese Kunstausstellungen zu mäch¬ tigen Triebfedern der künstlerischen Bildung geworden, und die Folge davon ist, daß die Künstler, die auf diesen großen Tummelplätzen von Gut und Böse gelernt haben, selbst so schnell wie möglich auf denselben Kampfplatz treten wollen. Es ist schließlich der einzige Ort, wo man entweder berühmt werden oder wenigstens ein Bild oder eine Skulptur verkaufen kann. Der Staat, die Kunsthändler, das Publikum — alle finden sich hier zusammen, und dazu winken noch Medaillen, und wo diese abgeschafft sind, sorgt ein Teil der Presse dafür, daß kein Licht unter den Scheffel gerät. Wenn man dann noch den volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Ausstellungen in Anschlag bringt, wird selbst der strengste Cello seinen Widerspruch fallen lassen und, wenn er mithelfen und nicht grollend beiseite stehen will, wenigstens versuchen müssen, Methode in den Unsinn zu bringen. Auch grinst ihm — we¬ nigstens in Berlin — der Götze des Erfolgs ins Gesicht. Woher ist mit einemmale nach sieben magern Jahren das Geld in die Welt gekommen? Noch niemals sind auf einer Berliner Kunstausstellung so viel Kunstwerke ver¬ kauft worden wie in diesem Jahre. Selbst die mit einem außergewöhnlichen Aufwand in Szene gesetzten Münchner Kunstausstellungen haben, auch wenn die Bayreuther Festspiele oder die Oberammergauer Passionsspiele den sommer¬ lichen Fremdenstrom verdoppelten und verdreifachten, niemals einen materiellen Erfolg erzielt, wie die diesjährige Ausstellung in Berlin. Trotzdem daß München für den Reiseverkehr des Hochsommers ein Knotenpunkt ist, der nur auf Umwegen vermieden werden kann, gehen die Ertrüge der dortigen Kunst¬ ausstellungen von Jahr zu Jahr zurück. Es liegt gewiß zum großen Teil an der Beschaffenheit der beiden Kunstausstellungsgebäude, die den Besucher, der seine Wanderung durch die Säle beendigt hat, nicht mehr zu fesseln ver¬ mögen. Darum hält sich auch die eingeborne Bevölkerung, d. h. der Mittel¬ stand, der die Kassen füllt, von den Kunstausstellungen fern, während dieselbe Bevölkernngsklasse in Berlin nachmittags und abends den Hauptbestandteil der Besucher bildet. Es ist eben ein altes Gesetz der Mechanik des mensch¬ lichen Geistes, daß jeder Anstrengung die Abspannung, jedem Aufwand von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/442>, abgerufen am 16.06.2024.