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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die große Berliner Kunstausstellung

jeder ähnlichen Körperschaft gemacht werden, erwidern, daß sie auch den
deutschen Künstlervereinigungen, die sich darum beworben haben, eigne Säle
oder eine zusammenhängende Reihe von Kabinetten zur Verfügung gestellt
habe. So haben die Düsseldorfer einen eignen Saal erhalten, worin sie eine
sehr glücklich getroffne Auswahl von Gemälden aus den letzten zwei Jahren
vereinigt haben, und die Münchner Sezessionisten treten ebenfalls als scheinbar
"kompakte Majorität" gegenüber den überall verstreuten Mitglieder der Ge¬
nossenschaft des Glaspalastes auf. Sind aber nicht diese auf Absonderungen
gerichteten Bestrebungen ein beschämendes Zeugnis dafür, daß der alte deutsche
Partikularismus, fünfundzwanzig Jahre nach der Begründung der Bluts¬
brüderschaft, wieder stark ins Kraut geschossen ist? Haben wir wirklich eine
deutsche Kunst und nicht etwa bloß eine Münchner, eine Düsseldorfer, eine
Berliner u. f. w. ? Und wo sind denn die nationalen Verschiedenheiten zu
suchen? Etwa darin, daß die Münchner in blindem Eifer den Franzosen nach¬
laufen, und daß die Berliner, denen man die Franzosenfreundschaft stets am
meisten vorgeworfen hat, in ihrer Kunst jetzt die geringsten ausländischen Ein¬
flüsse erkennen lassen? Ein arger Mißbrauch mit dieser Jsolirung, mit dieser
Ausbeutung von mehr oder weniger erzwnngnem Sonderrecht wird aber ge¬
trieben, wenn die Münchner Sezessionisten unter ihrer Flagge fremdes Gut
einschmuggeln und in ihrem Gefolge Spanier, Italiener, Holländer, Skan¬
dinavier, Schotten, Engländer u. s. w. marschieren lassen. Im großen Publikum,
das mit den Satzungen dieses internationalen Bundes nicht vertraut ist, können
die Münchner Sezessionisten dadurch leicht den Verdacht erregen, als ob sie
sich mit fremden Federn schmücken wollten.

Es ist eine der wichtigsten Lehren der diesjährigen Berliner Ausstellung,
daß die moderne "Kunstpolitik" nur heillose Verwirrungen anrichtet, und daß
sie, selbst bei strenger Sonderung der lokalen Vereinigungen, nur eine jämmer¬
liche Karikatur auf das endlich überwundne Elend der deutschen Kleinstaaterei
und der Politik sein würde. Mögen sich das die Leiter der Ausstellung von
1896, die unter verschiednen Gesichtspunkten sehr wichtig werden kann, gesagt
sein lassen! Man kann vielleicht dagegen einwenden, daß wir auf die großen
Jahresansstelluugen in Berlin und München einen zu hohen Wert legten, daß
sie nur große Jahrmärkte seien, die einmal gute, einmal schlechte Waren bringen
und darnach ihre Geschäfte machen, daß sie aber über die wirklichen Fort¬
schritte der Kunst wenig unterrichteten. Es komme am Ende auf dasselbe
heraus, ob einer jährlich oder aller vier oder fünf Jahre eine große Kunst¬
ausstellung besuche oder studire. Das ist richtig, wenn man die Entwicklung
der modernen Kunst vom Standpunkte des Historikers betrachtet, der sein Welt¬
oder Kulturbild immer nur mit großen, charakteristischen Strichen zeichnet. Aber
für seine Arbeit bedarf er des Sammelfleißes derer, die ihm den Stoff zu¬
sammentragen, und wie es nun einmal die allgemeinen Verhältnisse unsrer


Grenzboten III 139ö SS
Die große Berliner Kunstausstellung

jeder ähnlichen Körperschaft gemacht werden, erwidern, daß sie auch den
deutschen Künstlervereinigungen, die sich darum beworben haben, eigne Säle
oder eine zusammenhängende Reihe von Kabinetten zur Verfügung gestellt
habe. So haben die Düsseldorfer einen eignen Saal erhalten, worin sie eine
sehr glücklich getroffne Auswahl von Gemälden aus den letzten zwei Jahren
vereinigt haben, und die Münchner Sezessionisten treten ebenfalls als scheinbar
„kompakte Majorität" gegenüber den überall verstreuten Mitglieder der Ge¬
nossenschaft des Glaspalastes auf. Sind aber nicht diese auf Absonderungen
gerichteten Bestrebungen ein beschämendes Zeugnis dafür, daß der alte deutsche
Partikularismus, fünfundzwanzig Jahre nach der Begründung der Bluts¬
brüderschaft, wieder stark ins Kraut geschossen ist? Haben wir wirklich eine
deutsche Kunst und nicht etwa bloß eine Münchner, eine Düsseldorfer, eine
Berliner u. f. w. ? Und wo sind denn die nationalen Verschiedenheiten zu
suchen? Etwa darin, daß die Münchner in blindem Eifer den Franzosen nach¬
laufen, und daß die Berliner, denen man die Franzosenfreundschaft stets am
meisten vorgeworfen hat, in ihrer Kunst jetzt die geringsten ausländischen Ein¬
flüsse erkennen lassen? Ein arger Mißbrauch mit dieser Jsolirung, mit dieser
Ausbeutung von mehr oder weniger erzwnngnem Sonderrecht wird aber ge¬
trieben, wenn die Münchner Sezessionisten unter ihrer Flagge fremdes Gut
einschmuggeln und in ihrem Gefolge Spanier, Italiener, Holländer, Skan¬
dinavier, Schotten, Engländer u. s. w. marschieren lassen. Im großen Publikum,
das mit den Satzungen dieses internationalen Bundes nicht vertraut ist, können
die Münchner Sezessionisten dadurch leicht den Verdacht erregen, als ob sie
sich mit fremden Federn schmücken wollten.

Es ist eine der wichtigsten Lehren der diesjährigen Berliner Ausstellung,
daß die moderne „Kunstpolitik" nur heillose Verwirrungen anrichtet, und daß
sie, selbst bei strenger Sonderung der lokalen Vereinigungen, nur eine jämmer¬
liche Karikatur auf das endlich überwundne Elend der deutschen Kleinstaaterei
und der Politik sein würde. Mögen sich das die Leiter der Ausstellung von
1896, die unter verschiednen Gesichtspunkten sehr wichtig werden kann, gesagt
sein lassen! Man kann vielleicht dagegen einwenden, daß wir auf die großen
Jahresansstelluugen in Berlin und München einen zu hohen Wert legten, daß
sie nur große Jahrmärkte seien, die einmal gute, einmal schlechte Waren bringen
und darnach ihre Geschäfte machen, daß sie aber über die wirklichen Fort¬
schritte der Kunst wenig unterrichteten. Es komme am Ende auf dasselbe
heraus, ob einer jährlich oder aller vier oder fünf Jahre eine große Kunst¬
ausstellung besuche oder studire. Das ist richtig, wenn man die Entwicklung
der modernen Kunst vom Standpunkte des Historikers betrachtet, der sein Welt¬
oder Kulturbild immer nur mit großen, charakteristischen Strichen zeichnet. Aber
für seine Arbeit bedarf er des Sammelfleißes derer, die ihm den Stoff zu¬
sammentragen, und wie es nun einmal die allgemeinen Verhältnisse unsrer


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[0441] Die große Berliner Kunstausstellung jeder ähnlichen Körperschaft gemacht werden, erwidern, daß sie auch den deutschen Künstlervereinigungen, die sich darum beworben haben, eigne Säle oder eine zusammenhängende Reihe von Kabinetten zur Verfügung gestellt habe. So haben die Düsseldorfer einen eignen Saal erhalten, worin sie eine sehr glücklich getroffne Auswahl von Gemälden aus den letzten zwei Jahren vereinigt haben, und die Münchner Sezessionisten treten ebenfalls als scheinbar „kompakte Majorität" gegenüber den überall verstreuten Mitglieder der Ge¬ nossenschaft des Glaspalastes auf. Sind aber nicht diese auf Absonderungen gerichteten Bestrebungen ein beschämendes Zeugnis dafür, daß der alte deutsche Partikularismus, fünfundzwanzig Jahre nach der Begründung der Bluts¬ brüderschaft, wieder stark ins Kraut geschossen ist? Haben wir wirklich eine deutsche Kunst und nicht etwa bloß eine Münchner, eine Düsseldorfer, eine Berliner u. f. w. ? Und wo sind denn die nationalen Verschiedenheiten zu suchen? Etwa darin, daß die Münchner in blindem Eifer den Franzosen nach¬ laufen, und daß die Berliner, denen man die Franzosenfreundschaft stets am meisten vorgeworfen hat, in ihrer Kunst jetzt die geringsten ausländischen Ein¬ flüsse erkennen lassen? Ein arger Mißbrauch mit dieser Jsolirung, mit dieser Ausbeutung von mehr oder weniger erzwnngnem Sonderrecht wird aber ge¬ trieben, wenn die Münchner Sezessionisten unter ihrer Flagge fremdes Gut einschmuggeln und in ihrem Gefolge Spanier, Italiener, Holländer, Skan¬ dinavier, Schotten, Engländer u. s. w. marschieren lassen. Im großen Publikum, das mit den Satzungen dieses internationalen Bundes nicht vertraut ist, können die Münchner Sezessionisten dadurch leicht den Verdacht erregen, als ob sie sich mit fremden Federn schmücken wollten. Es ist eine der wichtigsten Lehren der diesjährigen Berliner Ausstellung, daß die moderne „Kunstpolitik" nur heillose Verwirrungen anrichtet, und daß sie, selbst bei strenger Sonderung der lokalen Vereinigungen, nur eine jämmer¬ liche Karikatur auf das endlich überwundne Elend der deutschen Kleinstaaterei und der Politik sein würde. Mögen sich das die Leiter der Ausstellung von 1896, die unter verschiednen Gesichtspunkten sehr wichtig werden kann, gesagt sein lassen! Man kann vielleicht dagegen einwenden, daß wir auf die großen Jahresansstelluugen in Berlin und München einen zu hohen Wert legten, daß sie nur große Jahrmärkte seien, die einmal gute, einmal schlechte Waren bringen und darnach ihre Geschäfte machen, daß sie aber über die wirklichen Fort¬ schritte der Kunst wenig unterrichteten. Es komme am Ende auf dasselbe heraus, ob einer jährlich oder aller vier oder fünf Jahre eine große Kunst¬ ausstellung besuche oder studire. Das ist richtig, wenn man die Entwicklung der modernen Kunst vom Standpunkte des Historikers betrachtet, der sein Welt¬ oder Kulturbild immer nur mit großen, charakteristischen Strichen zeichnet. Aber für seine Arbeit bedarf er des Sammelfleißes derer, die ihm den Stoff zu¬ sammentragen, und wie es nun einmal die allgemeinen Verhältnisse unsrer Grenzboten III 139ö SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/441>, abgerufen am 16.06.2024.