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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Sozialrefonn und die Gemeinden

sagte vor Jahren ein Stadtverordneter, der zugleich als Jurist in einem hohen
Staatsamte war. Aber als sie dann wenig lernten und dadurch allerlei Ver¬
führungen, namentlich auch der politischen erlagen, da wußte der Herr Rat
keinen Rat. Aber es ist nicht bloß die Freischule, die den Mangel an rechter
Fürsorge für die Armem zeigt, man sieht es auch daran, wie sich die Ge¬
meinden zur Beschaffung von Lehrmitteln stellen. Gleichviel ob durch Schul¬
gesetze die Gemeinden verpflichtet sind, den Armen Lehrmittel aller Art zu
stellen oder nicht, auf keinen Fall sollte die Gewährung als Armenunter¬
stützung gelten, die den Vätern der unterstützten Schulkinder öffentliche Rechte
verkürzt. Schulgeldbefreinungen, Stundung von Kollegiengeldern und manche
Verleihung von Stipendien und Stiftungserträgniffen, Freitischen u. s. w., wie
sie den bessern Ständen beim Besuch vou Mittel-, Hoch- und Fachschulen zu
teil werden, könnten ebenso gut als Unterstützung angesehen werden. Wo
bleibt das gleiche Recht für alle, wo bleibt der Schutz der Schwachen, wenn
ein Armer wegen der kleinen Leistung der Gemeinde z. B. seines Wahlrechts
verlustig wird?

Man würde mich mit Recht sür voreingenommen, für ungerecht halten,
wenn ich nicht der Gemeinden gedenken wollte, die so mancherlei Veranstal¬
tungen, besonders für die ärmern Klaffen getroffen haben. Gewiß, man hat
hie und da Schulbäder und Volksbadeanstalten, Würmhallen im Winter und
Unterhaltungen aller Art, namentlich für die untern Klaffen eingerichtet. Aber
wie winzig klein sind diese Leistungen und wie oft kommen auch sie keines¬
wegs bloß den Armem zu gute! Auch wenn man die Volksbibliotheken, die Volks-
vorftellungen in den Stadttheatern hinzurechnet und die Erlaubnis zum freien
Besuch von Sammlungen gar als eine Leistung ansieht, es ist alles zusammen
herzlich wenig, was die Gemeinden umsonst darbieten, und was nicht allen Klaffen
zugleich dargeboten würde, sondern nur zur Besserung der Lage der untern Klassen
dient. Selbst die Spielplätze und andre Erholungsorte sind in manchen Städten
nach Ständen getrennt und die Stadtgarten nur den Wohlhabenden gegen Be¬
zahlung zugänglich; man will dort keine Armen sehen. Aber die Sparkassen,
die Arbeitsnachweise, sind sie nicht zum Besten der arbeitenden Klaffen er¬
richtet? Nein, die Sparkassen sind Erwerbsinstitute für die Gemeinden, der
Arme bekommt nicht mehr Zins als der Reiche, wohl aber immer etwas we¬
niger als die Gemeinde Zins einnimmt; denn die Sparkasse soll Überschüsse
liefern. Die Arbeitsnachweise aber, die den Gemeinden so wenig kosten, sind
doch nicht nur für die Arbeiter vorteilhaft, sie sind es doch auch für die Ar¬
beitgeber! Auch die Gewerbegerichte, so sehr sie den Beifall der Sozialreformer
haben, sind so wenig kostspielig für die Gemeinden und so wertvoll für die
Arbeitgeber, daß auch sie nicht als besondre Zeichen einer freudigen Förde¬
rung sozialpolitischer Bestrebungen angesehen werden können.

Kurz: die Regierungen und aus allgemeinen Wahlen hervorgegangne


Die Sozialrefonn und die Gemeinden

sagte vor Jahren ein Stadtverordneter, der zugleich als Jurist in einem hohen
Staatsamte war. Aber als sie dann wenig lernten und dadurch allerlei Ver¬
führungen, namentlich auch der politischen erlagen, da wußte der Herr Rat
keinen Rat. Aber es ist nicht bloß die Freischule, die den Mangel an rechter
Fürsorge für die Armem zeigt, man sieht es auch daran, wie sich die Ge¬
meinden zur Beschaffung von Lehrmitteln stellen. Gleichviel ob durch Schul¬
gesetze die Gemeinden verpflichtet sind, den Armen Lehrmittel aller Art zu
stellen oder nicht, auf keinen Fall sollte die Gewährung als Armenunter¬
stützung gelten, die den Vätern der unterstützten Schulkinder öffentliche Rechte
verkürzt. Schulgeldbefreinungen, Stundung von Kollegiengeldern und manche
Verleihung von Stipendien und Stiftungserträgniffen, Freitischen u. s. w., wie
sie den bessern Ständen beim Besuch vou Mittel-, Hoch- und Fachschulen zu
teil werden, könnten ebenso gut als Unterstützung angesehen werden. Wo
bleibt das gleiche Recht für alle, wo bleibt der Schutz der Schwachen, wenn
ein Armer wegen der kleinen Leistung der Gemeinde z. B. seines Wahlrechts
verlustig wird?

Man würde mich mit Recht sür voreingenommen, für ungerecht halten,
wenn ich nicht der Gemeinden gedenken wollte, die so mancherlei Veranstal¬
tungen, besonders für die ärmern Klaffen getroffen haben. Gewiß, man hat
hie und da Schulbäder und Volksbadeanstalten, Würmhallen im Winter und
Unterhaltungen aller Art, namentlich für die untern Klaffen eingerichtet. Aber
wie winzig klein sind diese Leistungen und wie oft kommen auch sie keines¬
wegs bloß den Armem zu gute! Auch wenn man die Volksbibliotheken, die Volks-
vorftellungen in den Stadttheatern hinzurechnet und die Erlaubnis zum freien
Besuch von Sammlungen gar als eine Leistung ansieht, es ist alles zusammen
herzlich wenig, was die Gemeinden umsonst darbieten, und was nicht allen Klaffen
zugleich dargeboten würde, sondern nur zur Besserung der Lage der untern Klassen
dient. Selbst die Spielplätze und andre Erholungsorte sind in manchen Städten
nach Ständen getrennt und die Stadtgarten nur den Wohlhabenden gegen Be¬
zahlung zugänglich; man will dort keine Armen sehen. Aber die Sparkassen,
die Arbeitsnachweise, sind sie nicht zum Besten der arbeitenden Klaffen er¬
richtet? Nein, die Sparkassen sind Erwerbsinstitute für die Gemeinden, der
Arme bekommt nicht mehr Zins als der Reiche, wohl aber immer etwas we¬
niger als die Gemeinde Zins einnimmt; denn die Sparkasse soll Überschüsse
liefern. Die Arbeitsnachweise aber, die den Gemeinden so wenig kosten, sind
doch nicht nur für die Arbeiter vorteilhaft, sie sind es doch auch für die Ar¬
beitgeber! Auch die Gewerbegerichte, so sehr sie den Beifall der Sozialreformer
haben, sind so wenig kostspielig für die Gemeinden und so wertvoll für die
Arbeitgeber, daß auch sie nicht als besondre Zeichen einer freudigen Förde¬
rung sozialpolitischer Bestrebungen angesehen werden können.

Kurz: die Regierungen und aus allgemeinen Wahlen hervorgegangne


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[0552] Die Sozialrefonn und die Gemeinden sagte vor Jahren ein Stadtverordneter, der zugleich als Jurist in einem hohen Staatsamte war. Aber als sie dann wenig lernten und dadurch allerlei Ver¬ führungen, namentlich auch der politischen erlagen, da wußte der Herr Rat keinen Rat. Aber es ist nicht bloß die Freischule, die den Mangel an rechter Fürsorge für die Armem zeigt, man sieht es auch daran, wie sich die Ge¬ meinden zur Beschaffung von Lehrmitteln stellen. Gleichviel ob durch Schul¬ gesetze die Gemeinden verpflichtet sind, den Armen Lehrmittel aller Art zu stellen oder nicht, auf keinen Fall sollte die Gewährung als Armenunter¬ stützung gelten, die den Vätern der unterstützten Schulkinder öffentliche Rechte verkürzt. Schulgeldbefreinungen, Stundung von Kollegiengeldern und manche Verleihung von Stipendien und Stiftungserträgniffen, Freitischen u. s. w., wie sie den bessern Ständen beim Besuch vou Mittel-, Hoch- und Fachschulen zu teil werden, könnten ebenso gut als Unterstützung angesehen werden. Wo bleibt das gleiche Recht für alle, wo bleibt der Schutz der Schwachen, wenn ein Armer wegen der kleinen Leistung der Gemeinde z. B. seines Wahlrechts verlustig wird? Man würde mich mit Recht sür voreingenommen, für ungerecht halten, wenn ich nicht der Gemeinden gedenken wollte, die so mancherlei Veranstal¬ tungen, besonders für die ärmern Klaffen getroffen haben. Gewiß, man hat hie und da Schulbäder und Volksbadeanstalten, Würmhallen im Winter und Unterhaltungen aller Art, namentlich für die untern Klaffen eingerichtet. Aber wie winzig klein sind diese Leistungen und wie oft kommen auch sie keines¬ wegs bloß den Armem zu gute! Auch wenn man die Volksbibliotheken, die Volks- vorftellungen in den Stadttheatern hinzurechnet und die Erlaubnis zum freien Besuch von Sammlungen gar als eine Leistung ansieht, es ist alles zusammen herzlich wenig, was die Gemeinden umsonst darbieten, und was nicht allen Klaffen zugleich dargeboten würde, sondern nur zur Besserung der Lage der untern Klassen dient. Selbst die Spielplätze und andre Erholungsorte sind in manchen Städten nach Ständen getrennt und die Stadtgarten nur den Wohlhabenden gegen Be¬ zahlung zugänglich; man will dort keine Armen sehen. Aber die Sparkassen, die Arbeitsnachweise, sind sie nicht zum Besten der arbeitenden Klaffen er¬ richtet? Nein, die Sparkassen sind Erwerbsinstitute für die Gemeinden, der Arme bekommt nicht mehr Zins als der Reiche, wohl aber immer etwas we¬ niger als die Gemeinde Zins einnimmt; denn die Sparkasse soll Überschüsse liefern. Die Arbeitsnachweise aber, die den Gemeinden so wenig kosten, sind doch nicht nur für die Arbeiter vorteilhaft, sie sind es doch auch für die Ar¬ beitgeber! Auch die Gewerbegerichte, so sehr sie den Beifall der Sozialreformer haben, sind so wenig kostspielig für die Gemeinden und so wertvoll für die Arbeitgeber, daß auch sie nicht als besondre Zeichen einer freudigen Förde¬ rung sozialpolitischer Bestrebungen angesehen werden können. Kurz: die Regierungen und aus allgemeinen Wahlen hervorgegangne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/552>, abgerufen am 26.05.2024.