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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der achte deutsche Handwerkertag

Vermittlung war mit einem Schlage zu Grunde gerichtet, als die Eisenbahnen
gebaut wurden und den Verkehr an sich rissen. Heute ist die ganze Handels¬
straße verödet. Mag uns auch das Herz dabei bluten, es ist nicht zu ändern,
daß bei solchen Umwälzungen ganze Gruppen von Existenzen geradezu ver¬
nichtet werden oder doch in der alten Weise nicht fortbestehen können.

Bei dem Handwerk steht die Sache so: Wir sind in einer Übergangs¬
periode, in der das Handwerk noch nicht geschlagen ist, und der Großbetrieb
noch nicht überall gesiegt hat. Welche Handwerkszweige ihm wahrscheinlich
zum Opfer fallen werden, läßt sich auch heute noch nicht sagen, daher hat der
Handwerkertag ganz Unrecht, wenn er sich heftig dagegen erklärte, daß die
Negierung mit Erhebungen über die Loge des Handwerks die Zeit vertrödle.
Diese Erhebungen sind notwendig, um ein klares Bild dieser Lage zu er¬
halten,") und sie bieten des Interessanten und Wissenswerten genug. Der
Verfasser dieses Aufsatzes hat bei der Untersuchung mitgewirkt, die der "Verein
für Sozialpolitik" über diese Dinge angestellt hat, und er muß sagen, daß sie
nicht überflüssig gewesen ist, sondern über eine ganze Anzahl wichtiger Fragen,
auch über die nach der Stellung des Großbetriebs zum Handwerk erst Klar¬
heit geschafft hat. Etwas andres ist es, wenn das Handwerk verlangt, daß
nicht alle Bemühungen zu seinen Gunsten aufgegeben werden. Da eben noch
nicht ausgemacht ist, wie weit das Handwerk vom Großbetriebe geschlagen
wird, so hat die Regierung die Pflicht, dn einzugreifen, wo bewiesen ist. daß
ein Notstand vorliegt, dem ans gesetzlichem Wege sofort abgeholfen werden
kann.- Es ist und bleibt unverständlich, warum gegen den ungeheuerliche" Bau¬
schwindel, gegen die Schäden der Konknrsordnung, gegen die Wanderlager,
gegen den unlautern Wettbewerb, gegen das Submissiousweseu nicht schon
längst eingeschritten worden ist, und warum man nicht schon längst einen
ernsten Versuch gemacht hat, dem Handwerker die Kreditbeschaffung zu er¬
leichtert!. 5)ier liegt überall das Übel offen zu Tage, und die Mittel find
da, ihm abzuhelfen, aber es hat sich bisher keine Hand gerührt. Was das
Submissiousweseu anlangt, so ist mir erst in diesen Tagen ein krasses Beispiel
davon mitgeteilt worden. In Mitteldeutschland sind die Lose ein Bahnbaues
vergeben worden. Für eines von ihnen war ein höchstes Gebot von andert¬
halb Millionen Mark und ein niedrigstes von 692000 Mark abgegeben worden!
Man denke, welch kolossaler Unterschied! Von Sachverständigen ist mir ver¬
sichert worden, daß die Arbeit für etwa 900000 Mark übernommen werden
könne. Ist der Unternehmer, der das niedrigste Gebot abgegeben hat, kautions-



*) Ein solches ist nur durch eine längere Reihe solcher Erhebungen zu erlangen, die in
regelmäßigen Zwischenräumen veranstaltet werden müssen, und vor allen Dingen durch ein¬
gehende gcwerbegeschichtliche Forschungen, namentlich auf Grund städtischer Jnimngsakten.
Dnzn gehö D. R, rt aber Zeit.
Der achte deutsche Handwerkertag

Vermittlung war mit einem Schlage zu Grunde gerichtet, als die Eisenbahnen
gebaut wurden und den Verkehr an sich rissen. Heute ist die ganze Handels¬
straße verödet. Mag uns auch das Herz dabei bluten, es ist nicht zu ändern,
daß bei solchen Umwälzungen ganze Gruppen von Existenzen geradezu ver¬
nichtet werden oder doch in der alten Weise nicht fortbestehen können.

Bei dem Handwerk steht die Sache so: Wir sind in einer Übergangs¬
periode, in der das Handwerk noch nicht geschlagen ist, und der Großbetrieb
noch nicht überall gesiegt hat. Welche Handwerkszweige ihm wahrscheinlich
zum Opfer fallen werden, läßt sich auch heute noch nicht sagen, daher hat der
Handwerkertag ganz Unrecht, wenn er sich heftig dagegen erklärte, daß die
Negierung mit Erhebungen über die Loge des Handwerks die Zeit vertrödle.
Diese Erhebungen sind notwendig, um ein klares Bild dieser Lage zu er¬
halten,") und sie bieten des Interessanten und Wissenswerten genug. Der
Verfasser dieses Aufsatzes hat bei der Untersuchung mitgewirkt, die der „Verein
für Sozialpolitik" über diese Dinge angestellt hat, und er muß sagen, daß sie
nicht überflüssig gewesen ist, sondern über eine ganze Anzahl wichtiger Fragen,
auch über die nach der Stellung des Großbetriebs zum Handwerk erst Klar¬
heit geschafft hat. Etwas andres ist es, wenn das Handwerk verlangt, daß
nicht alle Bemühungen zu seinen Gunsten aufgegeben werden. Da eben noch
nicht ausgemacht ist, wie weit das Handwerk vom Großbetriebe geschlagen
wird, so hat die Regierung die Pflicht, dn einzugreifen, wo bewiesen ist. daß
ein Notstand vorliegt, dem ans gesetzlichem Wege sofort abgeholfen werden
kann.- Es ist und bleibt unverständlich, warum gegen den ungeheuerliche» Bau¬
schwindel, gegen die Schäden der Konknrsordnung, gegen die Wanderlager,
gegen den unlautern Wettbewerb, gegen das Submissiousweseu nicht schon
längst eingeschritten worden ist, und warum man nicht schon längst einen
ernsten Versuch gemacht hat, dem Handwerker die Kreditbeschaffung zu er¬
leichtert!. 5)ier liegt überall das Übel offen zu Tage, und die Mittel find
da, ihm abzuhelfen, aber es hat sich bisher keine Hand gerührt. Was das
Submissiousweseu anlangt, so ist mir erst in diesen Tagen ein krasses Beispiel
davon mitgeteilt worden. In Mitteldeutschland sind die Lose ein Bahnbaues
vergeben worden. Für eines von ihnen war ein höchstes Gebot von andert¬
halb Millionen Mark und ein niedrigstes von 692000 Mark abgegeben worden!
Man denke, welch kolossaler Unterschied! Von Sachverständigen ist mir ver¬
sichert worden, daß die Arbeit für etwa 900000 Mark übernommen werden
könne. Ist der Unternehmer, der das niedrigste Gebot abgegeben hat, kautions-



*) Ein solches ist nur durch eine längere Reihe solcher Erhebungen zu erlangen, die in
regelmäßigen Zwischenräumen veranstaltet werden müssen, und vor allen Dingen durch ein¬
gehende gcwerbegeschichtliche Forschungen, namentlich auf Grund städtischer Jnimngsakten.
Dnzn gehö D. R, rt aber Zeit.
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[0067] Der achte deutsche Handwerkertag Vermittlung war mit einem Schlage zu Grunde gerichtet, als die Eisenbahnen gebaut wurden und den Verkehr an sich rissen. Heute ist die ganze Handels¬ straße verödet. Mag uns auch das Herz dabei bluten, es ist nicht zu ändern, daß bei solchen Umwälzungen ganze Gruppen von Existenzen geradezu ver¬ nichtet werden oder doch in der alten Weise nicht fortbestehen können. Bei dem Handwerk steht die Sache so: Wir sind in einer Übergangs¬ periode, in der das Handwerk noch nicht geschlagen ist, und der Großbetrieb noch nicht überall gesiegt hat. Welche Handwerkszweige ihm wahrscheinlich zum Opfer fallen werden, läßt sich auch heute noch nicht sagen, daher hat der Handwerkertag ganz Unrecht, wenn er sich heftig dagegen erklärte, daß die Negierung mit Erhebungen über die Loge des Handwerks die Zeit vertrödle. Diese Erhebungen sind notwendig, um ein klares Bild dieser Lage zu er¬ halten,") und sie bieten des Interessanten und Wissenswerten genug. Der Verfasser dieses Aufsatzes hat bei der Untersuchung mitgewirkt, die der „Verein für Sozialpolitik" über diese Dinge angestellt hat, und er muß sagen, daß sie nicht überflüssig gewesen ist, sondern über eine ganze Anzahl wichtiger Fragen, auch über die nach der Stellung des Großbetriebs zum Handwerk erst Klar¬ heit geschafft hat. Etwas andres ist es, wenn das Handwerk verlangt, daß nicht alle Bemühungen zu seinen Gunsten aufgegeben werden. Da eben noch nicht ausgemacht ist, wie weit das Handwerk vom Großbetriebe geschlagen wird, so hat die Regierung die Pflicht, dn einzugreifen, wo bewiesen ist. daß ein Notstand vorliegt, dem ans gesetzlichem Wege sofort abgeholfen werden kann.- Es ist und bleibt unverständlich, warum gegen den ungeheuerliche» Bau¬ schwindel, gegen die Schäden der Konknrsordnung, gegen die Wanderlager, gegen den unlautern Wettbewerb, gegen das Submissiousweseu nicht schon längst eingeschritten worden ist, und warum man nicht schon längst einen ernsten Versuch gemacht hat, dem Handwerker die Kreditbeschaffung zu er¬ leichtert!. 5)ier liegt überall das Übel offen zu Tage, und die Mittel find da, ihm abzuhelfen, aber es hat sich bisher keine Hand gerührt. Was das Submissiousweseu anlangt, so ist mir erst in diesen Tagen ein krasses Beispiel davon mitgeteilt worden. In Mitteldeutschland sind die Lose ein Bahnbaues vergeben worden. Für eines von ihnen war ein höchstes Gebot von andert¬ halb Millionen Mark und ein niedrigstes von 692000 Mark abgegeben worden! Man denke, welch kolossaler Unterschied! Von Sachverständigen ist mir ver¬ sichert worden, daß die Arbeit für etwa 900000 Mark übernommen werden könne. Ist der Unternehmer, der das niedrigste Gebot abgegeben hat, kautions- *) Ein solches ist nur durch eine längere Reihe solcher Erhebungen zu erlangen, die in regelmäßigen Zwischenräumen veranstaltet werden müssen, und vor allen Dingen durch ein¬ gehende gcwerbegeschichtliche Forschungen, namentlich auf Grund städtischer Jnimngsakten. Dnzn gehö D. R, rt aber Zeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/67>, abgerufen am 06.06.2024.