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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Ver deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

es statt 25 nur 12 oder 10 Prozent wären, denn auch dann wären es immer
noch reichlich dreitausend Studenten, die jährlich gcschlechtskrank werden; die
Zahl derer, die an der Prostitution überhaupt beteiligt sind, wäre natürlich
noch viel größer." Ziegler sieht hier wohl zu schwarz. Wir glauben nach
allem, was wir gesehen und gehört haben, daß der deutschen Studentenschaft
ein Unrecht zugefügt wird, wenn man die schlimmen Erfahrungen, die man
bei einem vermutlich ack too gegründeten Kassenverein in Berlin gemacht hat,
zu Schlüssen auf die übrigen verwertet. Darin steckt eben der Fehler der
Rechnung, und wenn das in einer Hinsicht tröstlich ist, so möge es auf der
andern Seite doch dazu führen, daß künftighin die Väter dem Verlangen ihrer
Söhne, schon im ersten Semester eine große Universität zu beziehen, etwas
mehr Widerstand leisten.

Eine weitere Vorlesung ist dem Duell und der Mensur gewidmet. Hier
begegnen wir dem jedenfalls überraschenden Vorschlag, man solle ruhig er¬
klären, daß studentische Kampfspiele erlaubt seien und öffentlich, d. h. vor-uri
oorxorc! g-oaclsmieo, abgehalten werden dürften. Daß dadurch unsre Jugend
an solchen blutrünstigen und nicht gerade ästhetischen Spielen übermäßig Ge¬
fallen finden werde, sei schwerlich zu befürchten, vielmehr hätten die Behörden
durch ihre Verbote und Strafen die Sache nur reizvoll gemacht, und diesem
Umstände sei es zuzuschreiben, daß die Studenten diesen Spielen eine gewisse
Wichtigkeit beilegten, die sie in Wirklichkeit gar nicht hätten. "Das Leben bietet
so viele Gelegenheiten, moralischen Mut zu zeigen, daß ich den, der noch als
Philister mit einem Schmiß renommirt, stets in dem Verdacht habe, daß er jene
Gelegenheiten habe ungenützt vorübergehen lassen; der Schmiß heißt dann
nichts andres als: ich armseliger Tropf habe wenigstens einmal in meinem
Leben ein bischen physischen Mut gezeigt!"

Seine Harmlosigkeit verliert natürlich dieser Fechtsport nicht nur, wenn
er sich die Alleinherrschaft über alle andern anmaßen möchte und gewisser¬
maßen zwangsweise geübt werden soll, sondern vor allem auch dann, wenn
statt des wangenritzenden Schlägers eine gefährliche Waffe gewühlt wird, wenn
die Mensur ins Duell ausartet. Dieses erscheint in allen Füllen ohne weiteres
als ein ungeeignetes und verwerfliches Mittel zur Schlichtung studentischer
Streitigkeiten und zur Wiederherstellung gekrünkter Ehre. Bald schlage man
diese Ehre zu hoch an, indem man an ihre kleinste Verletzung das Allerhöchste,
ein hoffnungsvolles Leben, setze, bald zu niedrig, indem man Ehrenfragen auf
dem Wege des Spiels zum Austrag bringen wolle. Und vor allem, ein
moralischer Feigling bleibe erbärmlich, auch wenn er zeige, daß er fechten
könne! Seitdem man weiß, daß aus diesen Kämpfen oft genug das Unrecht
als Sieger hervorgeht, seit kein Mensch mehr an ein Gottesurteil im Zwei¬
kampf glaubt, hat diese Art, für seine gekränkte Ehre einzutreten, keinen Sinn
mehr. Wenn man trotzdem in gewissen Stünden an diesem Vorurteil festhält,


Ver deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

es statt 25 nur 12 oder 10 Prozent wären, denn auch dann wären es immer
noch reichlich dreitausend Studenten, die jährlich gcschlechtskrank werden; die
Zahl derer, die an der Prostitution überhaupt beteiligt sind, wäre natürlich
noch viel größer." Ziegler sieht hier wohl zu schwarz. Wir glauben nach
allem, was wir gesehen und gehört haben, daß der deutschen Studentenschaft
ein Unrecht zugefügt wird, wenn man die schlimmen Erfahrungen, die man
bei einem vermutlich ack too gegründeten Kassenverein in Berlin gemacht hat,
zu Schlüssen auf die übrigen verwertet. Darin steckt eben der Fehler der
Rechnung, und wenn das in einer Hinsicht tröstlich ist, so möge es auf der
andern Seite doch dazu führen, daß künftighin die Väter dem Verlangen ihrer
Söhne, schon im ersten Semester eine große Universität zu beziehen, etwas
mehr Widerstand leisten.

Eine weitere Vorlesung ist dem Duell und der Mensur gewidmet. Hier
begegnen wir dem jedenfalls überraschenden Vorschlag, man solle ruhig er¬
klären, daß studentische Kampfspiele erlaubt seien und öffentlich, d. h. vor-uri
oorxorc! g-oaclsmieo, abgehalten werden dürften. Daß dadurch unsre Jugend
an solchen blutrünstigen und nicht gerade ästhetischen Spielen übermäßig Ge¬
fallen finden werde, sei schwerlich zu befürchten, vielmehr hätten die Behörden
durch ihre Verbote und Strafen die Sache nur reizvoll gemacht, und diesem
Umstände sei es zuzuschreiben, daß die Studenten diesen Spielen eine gewisse
Wichtigkeit beilegten, die sie in Wirklichkeit gar nicht hätten. „Das Leben bietet
so viele Gelegenheiten, moralischen Mut zu zeigen, daß ich den, der noch als
Philister mit einem Schmiß renommirt, stets in dem Verdacht habe, daß er jene
Gelegenheiten habe ungenützt vorübergehen lassen; der Schmiß heißt dann
nichts andres als: ich armseliger Tropf habe wenigstens einmal in meinem
Leben ein bischen physischen Mut gezeigt!"

Seine Harmlosigkeit verliert natürlich dieser Fechtsport nicht nur, wenn
er sich die Alleinherrschaft über alle andern anmaßen möchte und gewisser¬
maßen zwangsweise geübt werden soll, sondern vor allem auch dann, wenn
statt des wangenritzenden Schlägers eine gefährliche Waffe gewühlt wird, wenn
die Mensur ins Duell ausartet. Dieses erscheint in allen Füllen ohne weiteres
als ein ungeeignetes und verwerfliches Mittel zur Schlichtung studentischer
Streitigkeiten und zur Wiederherstellung gekrünkter Ehre. Bald schlage man
diese Ehre zu hoch an, indem man an ihre kleinste Verletzung das Allerhöchste,
ein hoffnungsvolles Leben, setze, bald zu niedrig, indem man Ehrenfragen auf
dem Wege des Spiels zum Austrag bringen wolle. Und vor allem, ein
moralischer Feigling bleibe erbärmlich, auch wenn er zeige, daß er fechten
könne! Seitdem man weiß, daß aus diesen Kämpfen oft genug das Unrecht
als Sieger hervorgeht, seit kein Mensch mehr an ein Gottesurteil im Zwei¬
kampf glaubt, hat diese Art, für seine gekränkte Ehre einzutreten, keinen Sinn
mehr. Wenn man trotzdem in gewissen Stünden an diesem Vorurteil festhält,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/79>, abgerufen am 27.05.2024.