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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

ja das, was das Strafgesetz verbietet, auf Umwegen zur Pflicht macht, so ist
das eine Unwahrheit, die das Rechtsgefühl des Volkes in grober Weise be¬
leidigt und erschüttert.

Auch in den folgenden Vorlesungen, die die studentischen Verbindungen,
das Einjührigfrciwilligenjahr und das Verhältnis des Studenten zu politischen
und sozialen Fragen behandeln, ist manches, was ernste Beachtung verdient.
Wir heben davon nur einige Sätze hervor, die sich auf das Verhalten des
Studenten zu den politischen Parteien beziehe"?. Zum Verständnis dieser Sätze
sei jedoch daran erinnert, daß Ziegler gleich vielen andern an den Bestand der
meisten gegenwärtigen Parteien nicht mehr glaubt und ihnen, wie er selbst sagt,
keine Thräne nachweinen wird, wenn sie eines Tages das Zeitliche segnen.
"Die Partei ist niemals das Ganze, hat also auch niemals ganz Recht, jeder
haftet eine Einseitigkeit, ein Halbes und Endliches an, und daher darf sich der
Student keiner Partei gefangen geben, sondern er soll sie mindestens theoretisch
alle der Reihe nach entweder durchlaufen und durchmachen oder sich skeptisch
zum Parteileben überhaupt stellen. Er soll also nicht konservativ oder frei¬
sinnig oder nationalliberal sein, sondern er soll an jeder dieser Richtungen
neben dem Berechtigten auch das Mangelhafte erkennen. Dann geht er später
als freier Mann in die Partei, die ihm am meisten zusagt, und wird auch in
ihr kein verknöcherter Parteimensch und nicht politisch intolerant und fanatisch
werden. Das alles wird zugleich zur Gesundung unsers öffentlichen Lebens
beitragen: wir brauchen Männer, die über ihren Parteien stehen, um von innen
heraus reinigend und müßigend auf diese zu wirken."

Ähnlich ist die Antwort, die Ziegler auf die in der jüngsten Zeit mehrfach
und leidenschaftlich erörterte Frage giebt, ob und wie weit sich der Student
mit der sogenannten sozialen Frage beschäftigen solle. Ohne die Vorschlüge,
die er bei dieser Gelegenheit macht, im einzelnen zu prüfen, müssen wir doch
sagen, daß er uns hie und da etwas zu weit zu gehen scheint, und daß bei
der Befolgung seiner Ratschläge die Fachstudien zu Gunsten der sozialen Be¬
strebungen etwas zu kurz kommen würden. Unsre Austastung hat natürlich
mit den Erwägungen, die von dem Freiherrn von Stumm gegen die sozialen
Neigungen der studirenden Jugend ins Feld geführt werden, nichts zu schaffen;
aber daß sich aus den Reihen der Universitätslehrer sehr gewichtige und un¬
verdächtige Stimmen erhoben haben, die zur Besonnenheit mahnten, giebt doch
zu denken.

In dem zweiten Abschnitt seines Buches, in den Vorlesungen über das aka¬
demische Studium, macht Ziegler, der in diesem Zusammenhang namentlich die
Ausgabe der Universität, das Verhältnis des Professors zum Studenten, die
Honorarfrage, die Seminarübungen, die Ferien und Examina bespricht, eine
solche Menge trefflicher Bemerkungen und Vorschläge, daß wir uns vorbehalten,
gelegentlich in einem besondern Aufsatze darauf zurückzukommen. Hoffentlich


Der deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

ja das, was das Strafgesetz verbietet, auf Umwegen zur Pflicht macht, so ist
das eine Unwahrheit, die das Rechtsgefühl des Volkes in grober Weise be¬
leidigt und erschüttert.

Auch in den folgenden Vorlesungen, die die studentischen Verbindungen,
das Einjührigfrciwilligenjahr und das Verhältnis des Studenten zu politischen
und sozialen Fragen behandeln, ist manches, was ernste Beachtung verdient.
Wir heben davon nur einige Sätze hervor, die sich auf das Verhalten des
Studenten zu den politischen Parteien beziehe»?. Zum Verständnis dieser Sätze
sei jedoch daran erinnert, daß Ziegler gleich vielen andern an den Bestand der
meisten gegenwärtigen Parteien nicht mehr glaubt und ihnen, wie er selbst sagt,
keine Thräne nachweinen wird, wenn sie eines Tages das Zeitliche segnen.
„Die Partei ist niemals das Ganze, hat also auch niemals ganz Recht, jeder
haftet eine Einseitigkeit, ein Halbes und Endliches an, und daher darf sich der
Student keiner Partei gefangen geben, sondern er soll sie mindestens theoretisch
alle der Reihe nach entweder durchlaufen und durchmachen oder sich skeptisch
zum Parteileben überhaupt stellen. Er soll also nicht konservativ oder frei¬
sinnig oder nationalliberal sein, sondern er soll an jeder dieser Richtungen
neben dem Berechtigten auch das Mangelhafte erkennen. Dann geht er später
als freier Mann in die Partei, die ihm am meisten zusagt, und wird auch in
ihr kein verknöcherter Parteimensch und nicht politisch intolerant und fanatisch
werden. Das alles wird zugleich zur Gesundung unsers öffentlichen Lebens
beitragen: wir brauchen Männer, die über ihren Parteien stehen, um von innen
heraus reinigend und müßigend auf diese zu wirken."

Ähnlich ist die Antwort, die Ziegler auf die in der jüngsten Zeit mehrfach
und leidenschaftlich erörterte Frage giebt, ob und wie weit sich der Student
mit der sogenannten sozialen Frage beschäftigen solle. Ohne die Vorschlüge,
die er bei dieser Gelegenheit macht, im einzelnen zu prüfen, müssen wir doch
sagen, daß er uns hie und da etwas zu weit zu gehen scheint, und daß bei
der Befolgung seiner Ratschläge die Fachstudien zu Gunsten der sozialen Be¬
strebungen etwas zu kurz kommen würden. Unsre Austastung hat natürlich
mit den Erwägungen, die von dem Freiherrn von Stumm gegen die sozialen
Neigungen der studirenden Jugend ins Feld geführt werden, nichts zu schaffen;
aber daß sich aus den Reihen der Universitätslehrer sehr gewichtige und un¬
verdächtige Stimmen erhoben haben, die zur Besonnenheit mahnten, giebt doch
zu denken.

In dem zweiten Abschnitt seines Buches, in den Vorlesungen über das aka¬
demische Studium, macht Ziegler, der in diesem Zusammenhang namentlich die
Ausgabe der Universität, das Verhältnis des Professors zum Studenten, die
Honorarfrage, die Seminarübungen, die Ferien und Examina bespricht, eine
solche Menge trefflicher Bemerkungen und Vorschläge, daß wir uns vorbehalten,
gelegentlich in einem besondern Aufsatze darauf zurückzukommen. Hoffentlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/80>, abgerufen am 13.05.2024.