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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

bestehenden Justizverfassung "der zahlreichste Stand des Volkes keinen Anteil"
habe. Der letzte Rest freien Zutritts zu Staatsümtern solle verschwinden,
während gerade "eine freie Rekrutirung des Richter- und Beamtenstandes auch
aus Arbeiterkreisen erforderlich" sei. Wenn statt dessen sogar eine noch engere
Absperrung erfolge, könne die Folge nur die sein, "daß jene Abhängigkeit von
einer alles beherrschenden Gesellschaftsklasse als das geradezu Natürliche er¬
scheine, während die Abhängigkeit von Volksströmungen, die außerhalb der
guten Gesellschaft stehend gedacht werden, als fremdartig und störend empfunden"
werde. Es sei "das Ideal der salonfähigen Menschen, das dem Urheber des
Gesetzentwurfs als Ideal des Richters vorschwebe," während doch der "offen¬
herzige Plebejer" -- als Beispiel eines solchen wird der bekannte Kommentator
des preußischen Landrechts, Chr. Fr. Koch, ins Treffen geführt --- sittlich
immer höher stehe als der "Parvenü, der sich seines Ursprungs schäme und,
um ihn vergessen zu machen, seinen Redewendungen wie seinem Haupthaar
die gleich sorgfältige Toilette angedeihen läßt." So sicher diese Ausführungen
ihre Wirkung im sozialdemokratischen Sinne nicht verfehlen werden, kann doch
für den, der die eigentümlichen Nekrutiruugsverhältuisse des preußischen Richter¬
standes kennt, kaum etwas geschrieben werden, das von der Wahrheit weiter
entfernt wäre. Wahrhaftig nicht darum handelt es sich in Preußen, die so¬
genannten MupLi'os im Sinne der alten Universitätsgeschichte, die Söhne
von Bauern, Dorfschullehrern, Handwerkern und Arbeitern, im Interesse der
solventes von der Richterlnufbahn fernzuhalten. Der Zudrang kommt aus sehr
solventer Kreisen, ans dem massenhaft angewachsenen, namentlich jüdischen Par-
venütum. Das wird von gebildeten, unbefangen urteilenden Juden in Berlin,
Juristen wie Kaufleuten, eingesehen und zugegeben, wenn auch die taktlosen
Ausschreitungen des Antisemitismus diesen Leuten mehr, als für die Allgemein¬
heit gut ist, eine offne Aussprache erschweren. Der .Kritiker der Sozialen Praxis
hat das augenscheinlich gar nicht gewußt; allerdings hat auch der Justiz-
minister nicht darüber gesprochen. Hoffentlich wird es, wenn auch die Juden-
frage besser ganz aus dem Spiele gelassen werden mag, doch bei den weitern
Verhandlungen an den nötigen Erklärungen der Regierung darüber nicht fehlen,
daß der Ausschluß der panxm-Sö der Tendenz des Königs von Preußen nicht
entspreche und nie entsprechen werde. Die Regierung hat zu berücksichtigen,
daß auch vou der dem Kritiker der Sozialen Praxis gerade entgegengesetzten
Seite in den letzten Jahren alles geschehen ist, um die Achtung vor dein preu¬
ßischen Juristcustande, den Richtern wie den Verwaltungsbeamten, zu erschüt¬
tern. Wenn man die Beschwerden und Wunsche der Herren von der Großindustrie
nud von Großgrundbesitz hört, so ist der preußische Beamtenstand zu einem
Ausbund von Unfähigkeit und Verkehrtheit geworden, und dadurch ist es der
Sozialdemokratie leicht gemacht, die geplanten Reformen als eine Erfüllung
der Wünsche jener "besitzenden" Kritiker darzustellen. Nicht die Kritik, die


Zur Assessorenfrage in Preußen

bestehenden Justizverfassung „der zahlreichste Stand des Volkes keinen Anteil"
habe. Der letzte Rest freien Zutritts zu Staatsümtern solle verschwinden,
während gerade „eine freie Rekrutirung des Richter- und Beamtenstandes auch
aus Arbeiterkreisen erforderlich" sei. Wenn statt dessen sogar eine noch engere
Absperrung erfolge, könne die Folge nur die sein, „daß jene Abhängigkeit von
einer alles beherrschenden Gesellschaftsklasse als das geradezu Natürliche er¬
scheine, während die Abhängigkeit von Volksströmungen, die außerhalb der
guten Gesellschaft stehend gedacht werden, als fremdartig und störend empfunden"
werde. Es sei „das Ideal der salonfähigen Menschen, das dem Urheber des
Gesetzentwurfs als Ideal des Richters vorschwebe," während doch der „offen¬
herzige Plebejer" — als Beispiel eines solchen wird der bekannte Kommentator
des preußischen Landrechts, Chr. Fr. Koch, ins Treffen geführt --- sittlich
immer höher stehe als der „Parvenü, der sich seines Ursprungs schäme und,
um ihn vergessen zu machen, seinen Redewendungen wie seinem Haupthaar
die gleich sorgfältige Toilette angedeihen läßt." So sicher diese Ausführungen
ihre Wirkung im sozialdemokratischen Sinne nicht verfehlen werden, kann doch
für den, der die eigentümlichen Nekrutiruugsverhältuisse des preußischen Richter¬
standes kennt, kaum etwas geschrieben werden, das von der Wahrheit weiter
entfernt wäre. Wahrhaftig nicht darum handelt es sich in Preußen, die so¬
genannten MupLi'os im Sinne der alten Universitätsgeschichte, die Söhne
von Bauern, Dorfschullehrern, Handwerkern und Arbeitern, im Interesse der
solventes von der Richterlnufbahn fernzuhalten. Der Zudrang kommt aus sehr
solventer Kreisen, ans dem massenhaft angewachsenen, namentlich jüdischen Par-
venütum. Das wird von gebildeten, unbefangen urteilenden Juden in Berlin,
Juristen wie Kaufleuten, eingesehen und zugegeben, wenn auch die taktlosen
Ausschreitungen des Antisemitismus diesen Leuten mehr, als für die Allgemein¬
heit gut ist, eine offne Aussprache erschweren. Der .Kritiker der Sozialen Praxis
hat das augenscheinlich gar nicht gewußt; allerdings hat auch der Justiz-
minister nicht darüber gesprochen. Hoffentlich wird es, wenn auch die Juden-
frage besser ganz aus dem Spiele gelassen werden mag, doch bei den weitern
Verhandlungen an den nötigen Erklärungen der Regierung darüber nicht fehlen,
daß der Ausschluß der panxm-Sö der Tendenz des Königs von Preußen nicht
entspreche und nie entsprechen werde. Die Regierung hat zu berücksichtigen,
daß auch vou der dem Kritiker der Sozialen Praxis gerade entgegengesetzten
Seite in den letzten Jahren alles geschehen ist, um die Achtung vor dein preu¬
ßischen Juristcustande, den Richtern wie den Verwaltungsbeamten, zu erschüt¬
tern. Wenn man die Beschwerden und Wunsche der Herren von der Großindustrie
nud von Großgrundbesitz hört, so ist der preußische Beamtenstand zu einem
Ausbund von Unfähigkeit und Verkehrtheit geworden, und dadurch ist es der
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der Wünsche jener „besitzenden" Kritiker darzustellen. Nicht die Kritik, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/11>, abgerufen am 12.05.2024.