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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

stand keinen höhern Wert als 300 Mark hat; für die Revision der Zivil¬
prozeßordnung wird aber eine Erweiterung der Amtsgerichte auch in dieser
Beziehung geplant. Ob es zweckmüßig ist, die Zuständigkeit der Schösfen-
und Amtsgerichte zu erweitern, ist ja sehr fraglich, aber man würde gewiß
nicht an eine Geschäftserweiternng der Einzelrichtcr denken, wenn man glaubte,
daß die Einzelrichter im allgemeinen nicht auf der Höhe ihres Berufs stünden.

Der Schwerpunkt der Justiz ruht, wie bei der Verfassung aller Behörden,
in der untersten Instanz. Das Amtsgericht ist der eine Pfeiler der Justiz,
der andre besteht in den Landgerichten, soweit sie Gerichte erster Instanz sind.
Die Landgerichte sind es aber, deren Thätigkeit häufig Unzufriedenheit und
Unwillen erregt hat, zwar nicht die Thätigkeit der Zivilkammern, über die
nur wenig in die Öffentlichkeit dringt, wohl aber die der Strafkammern. Und
es muß zugegeben werden, daß die Urteile der Strafkammern oft viel zu
wünschen übrig lassen. Man braucht nicht in das Geschrei der Tagesblütter
einzustimmen, die, wie es in Zeiten scharf aufeinanderstoßender politischer und
wirtschaftlicher Gegensätze immer der Fall ist, die Entscheidungen der Gerichte
von dem Standpunkt ihrer Partei betrachten. Aber es ist nicht zu leugnen,
daß die Strafkammern ihrer Aufgabe keineswegs immer gerecht werden. Schon
in den Motiven zu dem Entwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungs¬
gesetzes und der Strafprozeßordnung von 1885 wurde bemerkt: "Die über die
Rechtsprechung der Strafkammern erhobnen Klagen mußten die verbündeten
Regierungen zu einer fernern Prüfung darüber anregen, ob sich diese Klagen
lediglich auf die Struktur des Strafverfahrens beziehen, oder ob und inwie¬
weit sie etwa durch die Art und Weise, wie die Strafkammern ihre Geschäfte
erledigen, hervorgerufen sind. Auch die größten Mängel des Verfahrens können
durch eine sorgsame und gewissenhafte Behandlung der einzelnen Strafsachen
ganz oder zum größten Teil ausgeglichen werden." Der Grund der mangel¬
haften Rechtsprechung liegt in der Zusammensetzung der Strafkammern aus
den meist untergeordneter!: Kräften des Landgerichts. Während sich die
bessern Juristen zu den ihnen mehr zusagenden Zivilprozeßsachen in die Zivil¬
kammern drängen, und die Vorsitzenden der Zivilkammern, zu denen in der
Regel auch der Landgerichtspräsident gehört, ihre Kammern selbstverständlich
mit den besten Richtern besetzt haben wollen, sind die weniger befähigten auf die
Strafkammern angewiesen, deren Beschäftigung man zwar mit Unrecht, aber
thatsächlich fast ausnahmslos für leichter hält als die der Zivilkammern. So
sagen anch die Motive zu dem Entwurf von 1885: "Die Art des Geschäfts¬
betriebs und die Sicherheit der Rechtsfindung in den Strafkammern ist im
wesentlichen von ihrer Zusammensetzung abhängig. Insbesondre in Bezug auf
die Zusammensetzung der Strafkammern sind sowohl in der Litteratur als bei
deu einzelnen Justizverwaltungen die lebhaftesten Klagen lant geworden. Her¬
dorragende Praktiker haben die Geschäftsthätigkeit der Strafkammern einer un-


Zur Assessorenfrage in Preußen

stand keinen höhern Wert als 300 Mark hat; für die Revision der Zivil¬
prozeßordnung wird aber eine Erweiterung der Amtsgerichte auch in dieser
Beziehung geplant. Ob es zweckmüßig ist, die Zuständigkeit der Schösfen-
und Amtsgerichte zu erweitern, ist ja sehr fraglich, aber man würde gewiß
nicht an eine Geschäftserweiternng der Einzelrichtcr denken, wenn man glaubte,
daß die Einzelrichter im allgemeinen nicht auf der Höhe ihres Berufs stünden.

Der Schwerpunkt der Justiz ruht, wie bei der Verfassung aller Behörden,
in der untersten Instanz. Das Amtsgericht ist der eine Pfeiler der Justiz,
der andre besteht in den Landgerichten, soweit sie Gerichte erster Instanz sind.
Die Landgerichte sind es aber, deren Thätigkeit häufig Unzufriedenheit und
Unwillen erregt hat, zwar nicht die Thätigkeit der Zivilkammern, über die
nur wenig in die Öffentlichkeit dringt, wohl aber die der Strafkammern. Und
es muß zugegeben werden, daß die Urteile der Strafkammern oft viel zu
wünschen übrig lassen. Man braucht nicht in das Geschrei der Tagesblütter
einzustimmen, die, wie es in Zeiten scharf aufeinanderstoßender politischer und
wirtschaftlicher Gegensätze immer der Fall ist, die Entscheidungen der Gerichte
von dem Standpunkt ihrer Partei betrachten. Aber es ist nicht zu leugnen,
daß die Strafkammern ihrer Aufgabe keineswegs immer gerecht werden. Schon
in den Motiven zu dem Entwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungs¬
gesetzes und der Strafprozeßordnung von 1885 wurde bemerkt: „Die über die
Rechtsprechung der Strafkammern erhobnen Klagen mußten die verbündeten
Regierungen zu einer fernern Prüfung darüber anregen, ob sich diese Klagen
lediglich auf die Struktur des Strafverfahrens beziehen, oder ob und inwie¬
weit sie etwa durch die Art und Weise, wie die Strafkammern ihre Geschäfte
erledigen, hervorgerufen sind. Auch die größten Mängel des Verfahrens können
durch eine sorgsame und gewissenhafte Behandlung der einzelnen Strafsachen
ganz oder zum größten Teil ausgeglichen werden." Der Grund der mangel¬
haften Rechtsprechung liegt in der Zusammensetzung der Strafkammern aus
den meist untergeordneter!: Kräften des Landgerichts. Während sich die
bessern Juristen zu den ihnen mehr zusagenden Zivilprozeßsachen in die Zivil¬
kammern drängen, und die Vorsitzenden der Zivilkammern, zu denen in der
Regel auch der Landgerichtspräsident gehört, ihre Kammern selbstverständlich
mit den besten Richtern besetzt haben wollen, sind die weniger befähigten auf die
Strafkammern angewiesen, deren Beschäftigung man zwar mit Unrecht, aber
thatsächlich fast ausnahmslos für leichter hält als die der Zivilkammern. So
sagen anch die Motive zu dem Entwurf von 1885: „Die Art des Geschäfts¬
betriebs und die Sicherheit der Rechtsfindung in den Strafkammern ist im
wesentlichen von ihrer Zusammensetzung abhängig. Insbesondre in Bezug auf
die Zusammensetzung der Strafkammern sind sowohl in der Litteratur als bei
deu einzelnen Justizverwaltungen die lebhaftesten Klagen lant geworden. Her¬
dorragende Praktiker haben die Geschäftsthätigkeit der Strafkammern einer un-


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[0107] Zur Assessorenfrage in Preußen stand keinen höhern Wert als 300 Mark hat; für die Revision der Zivil¬ prozeßordnung wird aber eine Erweiterung der Amtsgerichte auch in dieser Beziehung geplant. Ob es zweckmüßig ist, die Zuständigkeit der Schösfen- und Amtsgerichte zu erweitern, ist ja sehr fraglich, aber man würde gewiß nicht an eine Geschäftserweiternng der Einzelrichtcr denken, wenn man glaubte, daß die Einzelrichter im allgemeinen nicht auf der Höhe ihres Berufs stünden. Der Schwerpunkt der Justiz ruht, wie bei der Verfassung aller Behörden, in der untersten Instanz. Das Amtsgericht ist der eine Pfeiler der Justiz, der andre besteht in den Landgerichten, soweit sie Gerichte erster Instanz sind. Die Landgerichte sind es aber, deren Thätigkeit häufig Unzufriedenheit und Unwillen erregt hat, zwar nicht die Thätigkeit der Zivilkammern, über die nur wenig in die Öffentlichkeit dringt, wohl aber die der Strafkammern. Und es muß zugegeben werden, daß die Urteile der Strafkammern oft viel zu wünschen übrig lassen. Man braucht nicht in das Geschrei der Tagesblütter einzustimmen, die, wie es in Zeiten scharf aufeinanderstoßender politischer und wirtschaftlicher Gegensätze immer der Fall ist, die Entscheidungen der Gerichte von dem Standpunkt ihrer Partei betrachten. Aber es ist nicht zu leugnen, daß die Strafkammern ihrer Aufgabe keineswegs immer gerecht werden. Schon in den Motiven zu dem Entwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungs¬ gesetzes und der Strafprozeßordnung von 1885 wurde bemerkt: „Die über die Rechtsprechung der Strafkammern erhobnen Klagen mußten die verbündeten Regierungen zu einer fernern Prüfung darüber anregen, ob sich diese Klagen lediglich auf die Struktur des Strafverfahrens beziehen, oder ob und inwie¬ weit sie etwa durch die Art und Weise, wie die Strafkammern ihre Geschäfte erledigen, hervorgerufen sind. Auch die größten Mängel des Verfahrens können durch eine sorgsame und gewissenhafte Behandlung der einzelnen Strafsachen ganz oder zum größten Teil ausgeglichen werden." Der Grund der mangel¬ haften Rechtsprechung liegt in der Zusammensetzung der Strafkammern aus den meist untergeordneter!: Kräften des Landgerichts. Während sich die bessern Juristen zu den ihnen mehr zusagenden Zivilprozeßsachen in die Zivil¬ kammern drängen, und die Vorsitzenden der Zivilkammern, zu denen in der Regel auch der Landgerichtspräsident gehört, ihre Kammern selbstverständlich mit den besten Richtern besetzt haben wollen, sind die weniger befähigten auf die Strafkammern angewiesen, deren Beschäftigung man zwar mit Unrecht, aber thatsächlich fast ausnahmslos für leichter hält als die der Zivilkammern. So sagen anch die Motive zu dem Entwurf von 1885: „Die Art des Geschäfts¬ betriebs und die Sicherheit der Rechtsfindung in den Strafkammern ist im wesentlichen von ihrer Zusammensetzung abhängig. Insbesondre in Bezug auf die Zusammensetzung der Strafkammern sind sowohl in der Litteratur als bei deu einzelnen Justizverwaltungen die lebhaftesten Klagen lant geworden. Her¬ dorragende Praktiker haben die Geschäftsthätigkeit der Strafkammern einer un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/107>, abgerufen am 06.06.2024.