Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Assessorenfrage in Preußen

günstigen Kritik unterworfen. Mannichfache Klagen sind in dieser Beziehung
von namhaften und weitverbreiteten Tagesblättern vorgebracht worden. Die
Mitglieder der Präsidien werden regelmäßig der Gefahr ausgesetzt sein, per¬
sönliche Wünsche, die Rücksicht auf ihnen nahestehende Kollegen allzu sehr in
Rechnung zu ziehen; sie sind selbst lebhaft dabei interessirt, als Genossen ihrer
Arbeiten möglichst ihnen sympathische Richter zu erwählen, und können dieses
Interesse um so freier verfolgen, als alle Anordnungen unter dem Namen des
kollegialischer Präsidiums ergehen." In den Motiven zu dem revidirten Ent¬
wurf von 1894 werden diese Ausführungen mit dem Bemerken wiederholt,
daß sie auch noch für die Gegenwart volle Berechtigung hätten; "die Übel¬
stände, denen sie Abhilfe schaffen sollten, haben fortgedauert und sind sogar in
verstärktem Maße wahrgenommen worden." Vergeblich hat es der preußische
Justizminister in der Bekanntmachung vom 12. Oktober 1882 getadelt, daß
man den Strafkammern vielfach die weniger brauchbaren Richter zuweise, und
auf eine andre Besetzung dieser Kammern hinzuwirken gesucht, vergeblich hat
er diese Ermahnung später wiederholt. In dem Entwurf zur Änderung des
Gerichtsverfassungsgesctzes und der Strafprozeßordnung ist vorgeschlagen, die
Geschäftsverteilnng der Justizverwaltung zu überweisen, aber in der Neichs-
tagskommissivn ist dieser Vorschlag ebenso gescheitert, wie der weitere, dem
Präsidenten des Oberlandesgcrichts wenigstens den Einspruch gegen die Ge¬
schäftsverteilung des Landgerichts zu gestatten, über den das Präsidium des
Oberlaudesgerichts entscheiden soll. Die Unabhängigkeit des Landgerichts-
präsidinms betrachtet man als das Palladium, das gegen vermeintliche Partei¬
rücksichten der Justizverwaltung einen starken Schutz gewähren soll.

Wollte man übrigens den Beisitzern der Strafkammer in allen Füllen
allein die Schuld an der Mangelhaftigkeit der Rechtsprechung zuschieben, so
wäre das eine Ungerechtigkeit; auch der Vorsitzende, der Landgerichtsdirektor,
ist es zuweilen, der wegen allzu subjektiver oder mangelhafter Leitung der Ver¬
handlung die Schuld trägt.

Um prüfen zu können, ob der gegenwärtige Gesetzentwurf das richtige
Mittel zur Heilung der anerkannten Schäden sei, haben wir bisher bei der
Beantwortung der Frage verweilt, wo der Niedergang der Justiz zu suchen
sei. Der Gesetzentwurf hat in dieser Beziehung offenbar die Diagnose nicht
richtig gestellt. Ist es die Thätigkeit der Strafkammern, in der ein Rückgang
der Justiz zu finden ist, so muß die Besetzung dieser Kammern geändert werden.
Da die Versuche, die Geschäftsteilung bei den Landgerichten anders zu regeln,
bisher gescheitert sind und bei den gegenwärtigen Parteiverhältnissen kaum
Aussicht auf Erfolg haben werden, so beruht die einzige Hoffnung auf Besse¬
rung in einer andern Auswahl der Landrichter. Diese Auswahl hat lediglich
die Justizverwaltung in der Hand, sie allein entscheidet darüber; daß ein Amts¬
richter ein Recht zur Versetzung an das Landgericht habe, daran hat noch niemand


Zur Assessorenfrage in Preußen

günstigen Kritik unterworfen. Mannichfache Klagen sind in dieser Beziehung
von namhaften und weitverbreiteten Tagesblättern vorgebracht worden. Die
Mitglieder der Präsidien werden regelmäßig der Gefahr ausgesetzt sein, per¬
sönliche Wünsche, die Rücksicht auf ihnen nahestehende Kollegen allzu sehr in
Rechnung zu ziehen; sie sind selbst lebhaft dabei interessirt, als Genossen ihrer
Arbeiten möglichst ihnen sympathische Richter zu erwählen, und können dieses
Interesse um so freier verfolgen, als alle Anordnungen unter dem Namen des
kollegialischer Präsidiums ergehen." In den Motiven zu dem revidirten Ent¬
wurf von 1894 werden diese Ausführungen mit dem Bemerken wiederholt,
daß sie auch noch für die Gegenwart volle Berechtigung hätten; „die Übel¬
stände, denen sie Abhilfe schaffen sollten, haben fortgedauert und sind sogar in
verstärktem Maße wahrgenommen worden." Vergeblich hat es der preußische
Justizminister in der Bekanntmachung vom 12. Oktober 1882 getadelt, daß
man den Strafkammern vielfach die weniger brauchbaren Richter zuweise, und
auf eine andre Besetzung dieser Kammern hinzuwirken gesucht, vergeblich hat
er diese Ermahnung später wiederholt. In dem Entwurf zur Änderung des
Gerichtsverfassungsgesctzes und der Strafprozeßordnung ist vorgeschlagen, die
Geschäftsverteilnng der Justizverwaltung zu überweisen, aber in der Neichs-
tagskommissivn ist dieser Vorschlag ebenso gescheitert, wie der weitere, dem
Präsidenten des Oberlandesgcrichts wenigstens den Einspruch gegen die Ge¬
schäftsverteilung des Landgerichts zu gestatten, über den das Präsidium des
Oberlaudesgerichts entscheiden soll. Die Unabhängigkeit des Landgerichts-
präsidinms betrachtet man als das Palladium, das gegen vermeintliche Partei¬
rücksichten der Justizverwaltung einen starken Schutz gewähren soll.

Wollte man übrigens den Beisitzern der Strafkammer in allen Füllen
allein die Schuld an der Mangelhaftigkeit der Rechtsprechung zuschieben, so
wäre das eine Ungerechtigkeit; auch der Vorsitzende, der Landgerichtsdirektor,
ist es zuweilen, der wegen allzu subjektiver oder mangelhafter Leitung der Ver¬
handlung die Schuld trägt.

Um prüfen zu können, ob der gegenwärtige Gesetzentwurf das richtige
Mittel zur Heilung der anerkannten Schäden sei, haben wir bisher bei der
Beantwortung der Frage verweilt, wo der Niedergang der Justiz zu suchen
sei. Der Gesetzentwurf hat in dieser Beziehung offenbar die Diagnose nicht
richtig gestellt. Ist es die Thätigkeit der Strafkammern, in der ein Rückgang
der Justiz zu finden ist, so muß die Besetzung dieser Kammern geändert werden.
Da die Versuche, die Geschäftsteilung bei den Landgerichten anders zu regeln,
bisher gescheitert sind und bei den gegenwärtigen Parteiverhältnissen kaum
Aussicht auf Erfolg haben werden, so beruht die einzige Hoffnung auf Besse¬
rung in einer andern Auswahl der Landrichter. Diese Auswahl hat lediglich
die Justizverwaltung in der Hand, sie allein entscheidet darüber; daß ein Amts¬
richter ein Recht zur Versetzung an das Landgericht habe, daran hat noch niemand


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222412"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Assessorenfrage in Preußen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> günstigen Kritik unterworfen. Mannichfache Klagen sind in dieser Beziehung<lb/>
von namhaften und weitverbreiteten Tagesblättern vorgebracht worden. Die<lb/>
Mitglieder der Präsidien werden regelmäßig der Gefahr ausgesetzt sein, per¬<lb/>
sönliche Wünsche, die Rücksicht auf ihnen nahestehende Kollegen allzu sehr in<lb/>
Rechnung zu ziehen; sie sind selbst lebhaft dabei interessirt, als Genossen ihrer<lb/>
Arbeiten möglichst ihnen sympathische Richter zu erwählen, und können dieses<lb/>
Interesse um so freier verfolgen, als alle Anordnungen unter dem Namen des<lb/>
kollegialischer Präsidiums ergehen." In den Motiven zu dem revidirten Ent¬<lb/>
wurf von 1894 werden diese Ausführungen mit dem Bemerken wiederholt,<lb/>
daß sie auch noch für die Gegenwart volle Berechtigung hätten; &#x201E;die Übel¬<lb/>
stände, denen sie Abhilfe schaffen sollten, haben fortgedauert und sind sogar in<lb/>
verstärktem Maße wahrgenommen worden." Vergeblich hat es der preußische<lb/>
Justizminister in der Bekanntmachung vom 12. Oktober 1882 getadelt, daß<lb/>
man den Strafkammern vielfach die weniger brauchbaren Richter zuweise, und<lb/>
auf eine andre Besetzung dieser Kammern hinzuwirken gesucht, vergeblich hat<lb/>
er diese Ermahnung später wiederholt. In dem Entwurf zur Änderung des<lb/>
Gerichtsverfassungsgesctzes und der Strafprozeßordnung ist vorgeschlagen, die<lb/>
Geschäftsverteilnng der Justizverwaltung zu überweisen, aber in der Neichs-<lb/>
tagskommissivn ist dieser Vorschlag ebenso gescheitert, wie der weitere, dem<lb/>
Präsidenten des Oberlandesgcrichts wenigstens den Einspruch gegen die Ge¬<lb/>
schäftsverteilung des Landgerichts zu gestatten, über den das Präsidium des<lb/>
Oberlaudesgerichts entscheiden soll. Die Unabhängigkeit des Landgerichts-<lb/>
präsidinms betrachtet man als das Palladium, das gegen vermeintliche Partei¬<lb/>
rücksichten der Justizverwaltung einen starken Schutz gewähren soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_327"> Wollte man übrigens den Beisitzern der Strafkammer in allen Füllen<lb/>
allein die Schuld an der Mangelhaftigkeit der Rechtsprechung zuschieben, so<lb/>
wäre das eine Ungerechtigkeit; auch der Vorsitzende, der Landgerichtsdirektor,<lb/>
ist es zuweilen, der wegen allzu subjektiver oder mangelhafter Leitung der Ver¬<lb/>
handlung die Schuld trägt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_328" next="#ID_329"> Um prüfen zu können, ob der gegenwärtige Gesetzentwurf das richtige<lb/>
Mittel zur Heilung der anerkannten Schäden sei, haben wir bisher bei der<lb/>
Beantwortung der Frage verweilt, wo der Niedergang der Justiz zu suchen<lb/>
sei. Der Gesetzentwurf hat in dieser Beziehung offenbar die Diagnose nicht<lb/>
richtig gestellt. Ist es die Thätigkeit der Strafkammern, in der ein Rückgang<lb/>
der Justiz zu finden ist, so muß die Besetzung dieser Kammern geändert werden.<lb/>
Da die Versuche, die Geschäftsteilung bei den Landgerichten anders zu regeln,<lb/>
bisher gescheitert sind und bei den gegenwärtigen Parteiverhältnissen kaum<lb/>
Aussicht auf Erfolg haben werden, so beruht die einzige Hoffnung auf Besse¬<lb/>
rung in einer andern Auswahl der Landrichter. Diese Auswahl hat lediglich<lb/>
die Justizverwaltung in der Hand, sie allein entscheidet darüber; daß ein Amts¬<lb/>
richter ein Recht zur Versetzung an das Landgericht habe, daran hat noch niemand</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] Zur Assessorenfrage in Preußen günstigen Kritik unterworfen. Mannichfache Klagen sind in dieser Beziehung von namhaften und weitverbreiteten Tagesblättern vorgebracht worden. Die Mitglieder der Präsidien werden regelmäßig der Gefahr ausgesetzt sein, per¬ sönliche Wünsche, die Rücksicht auf ihnen nahestehende Kollegen allzu sehr in Rechnung zu ziehen; sie sind selbst lebhaft dabei interessirt, als Genossen ihrer Arbeiten möglichst ihnen sympathische Richter zu erwählen, und können dieses Interesse um so freier verfolgen, als alle Anordnungen unter dem Namen des kollegialischer Präsidiums ergehen." In den Motiven zu dem revidirten Ent¬ wurf von 1894 werden diese Ausführungen mit dem Bemerken wiederholt, daß sie auch noch für die Gegenwart volle Berechtigung hätten; „die Übel¬ stände, denen sie Abhilfe schaffen sollten, haben fortgedauert und sind sogar in verstärktem Maße wahrgenommen worden." Vergeblich hat es der preußische Justizminister in der Bekanntmachung vom 12. Oktober 1882 getadelt, daß man den Strafkammern vielfach die weniger brauchbaren Richter zuweise, und auf eine andre Besetzung dieser Kammern hinzuwirken gesucht, vergeblich hat er diese Ermahnung später wiederholt. In dem Entwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesctzes und der Strafprozeßordnung ist vorgeschlagen, die Geschäftsverteilnng der Justizverwaltung zu überweisen, aber in der Neichs- tagskommissivn ist dieser Vorschlag ebenso gescheitert, wie der weitere, dem Präsidenten des Oberlandesgcrichts wenigstens den Einspruch gegen die Ge¬ schäftsverteilung des Landgerichts zu gestatten, über den das Präsidium des Oberlaudesgerichts entscheiden soll. Die Unabhängigkeit des Landgerichts- präsidinms betrachtet man als das Palladium, das gegen vermeintliche Partei¬ rücksichten der Justizverwaltung einen starken Schutz gewähren soll. Wollte man übrigens den Beisitzern der Strafkammer in allen Füllen allein die Schuld an der Mangelhaftigkeit der Rechtsprechung zuschieben, so wäre das eine Ungerechtigkeit; auch der Vorsitzende, der Landgerichtsdirektor, ist es zuweilen, der wegen allzu subjektiver oder mangelhafter Leitung der Ver¬ handlung die Schuld trägt. Um prüfen zu können, ob der gegenwärtige Gesetzentwurf das richtige Mittel zur Heilung der anerkannten Schäden sei, haben wir bisher bei der Beantwortung der Frage verweilt, wo der Niedergang der Justiz zu suchen sei. Der Gesetzentwurf hat in dieser Beziehung offenbar die Diagnose nicht richtig gestellt. Ist es die Thätigkeit der Strafkammern, in der ein Rückgang der Justiz zu finden ist, so muß die Besetzung dieser Kammern geändert werden. Da die Versuche, die Geschäftsteilung bei den Landgerichten anders zu regeln, bisher gescheitert sind und bei den gegenwärtigen Parteiverhältnissen kaum Aussicht auf Erfolg haben werden, so beruht die einzige Hoffnung auf Besse¬ rung in einer andern Auswahl der Landrichter. Diese Auswahl hat lediglich die Justizverwaltung in der Hand, sie allein entscheidet darüber; daß ein Amts¬ richter ein Recht zur Versetzung an das Landgericht habe, daran hat noch niemand

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/108>, abgerufen am 26.05.2024.