Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Assessorenfrage in Preußen

Zudrang zur Justiz vermindern, sondern auch zur Erhöhung des Ansehens
des Standes beitragen. Und wenn auch durch eine solche Auswahl einzelne,
selbst mit Unrecht, zurückgesetzt würden, so muß doch das Interesse des Einzelnen
dem Interesse der Gesamtheit nachstehen, denn justit-la "zst, kunäg-nrontum
rsAnoruin.

Freilich dürfte man die Anforderungen nicht zu hoch spannen, denn Männer,
die mit einer großen Befähigung auch noch alle die angeführten Eigenschaften
in sich vereinigen, sind doch nicht in genügender Anzahl vorhanden, mit ihnen
die 2690 Amtsrichter- und 951 Landrichterstellen in Preußen zu besetzen. Man
wird immer nur mit einem Mittelmaß von Fähigkeit und Charaktereigenschaften
vorlieb nehmen müssen. Aber dieser Durchschnitt wird jedenfalls durch die
Auswahl der Richter erhöht werden. , ,

Ob dieser erhöhte Durchschnitt das Ansehen der Justiz auch äußerlich
zu dem ihr gebührenden Ansehn heben würde, namentlich im Verhältnis zu den
Verwaltungsbehörden, wie es der Justizminister zu hoffen scheint, dürfte zweifel¬
haft sein. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. März d. I. hat
der Justizminister (nach dem Parlamentsbericht der Berliner Neuesten Nach¬
richten) gesagt: "Die Verwaltungsbehörden suchen sich ans dem reichlich vor-
handnen Material an Gerichtsassessoren die Herren aus, die ihnen dnrch ihre
Tüchtigkeit, ihre soziale Stellung, ihren Familienzusammenhang, ihre äußere
und innere Bildung die besten Garantien geben. Das hat dahin geführt, daß
seit einer Reihe von Jahren von den Herren, die die große Staatsprüfung mit
Auszeichnung oder wenigstens gut bestanden haben, ein verhältnismäßig großer
Teil der Justiz entzogen worden ist, und daß dadurch der Durchschnitt bei dem
Nachwuchs der zur Verfügung stehenden Justizbeamteu uicht aus derselben Höhe
steht, wie der Durchschnitt in den übrigen Verwaltungen. Es soll nicht so
bleiben, wenn der Vorschlag der Regierung durchgeht. Die Justizverwaltung
will in Zukunft selbst die erste Wahl haben." Dann hätten aber die Ver¬
waltungsbehörden die zweite, und sie würden den Durchschnitt ihrer Beamten
in demselben Maße erhöhen, wie es die Justizverwaltung bei ihren Beamten
thut; die Justiz würde die Verwaltung also doch nicht einholen. Will man die
bessern Juristen in der Justiz behalten, so beseitige man die Zurücksetzung der
Justizbeamten vor deu höhern Verwaltungsbeamten. Solange der bejahrte
Amts- oder Landrichter als Rat fünfter Klasse hinter dem dreißigjährigen
Landrat als Rat vierter Klasse zurücktritt, und selbst der alte Amts- oder Land¬
gerichtsrat nur den persönlichen Rang der Rate vierter Klasse mit dem ein¬
zigen Anspruch auf das erhabne Beiwort "Hochwohlgeboren," der junge
Landrat aber alle, auch die pekuniären Vorteile des amtlichen Ranges dieser
Klasse hat, so lauge ist es nicht zu verwundern, wenn die besten Assessoren,
die sich in die für sie neuen Verhältnisse der Verwaltungsbehörde finden zu
können glauben, das Aschenbrödel, die Justiz, die sie ausgebildet hat, mit


Zur Assessorenfrage in Preußen

Zudrang zur Justiz vermindern, sondern auch zur Erhöhung des Ansehens
des Standes beitragen. Und wenn auch durch eine solche Auswahl einzelne,
selbst mit Unrecht, zurückgesetzt würden, so muß doch das Interesse des Einzelnen
dem Interesse der Gesamtheit nachstehen, denn justit-la «zst, kunäg-nrontum
rsAnoruin.

Freilich dürfte man die Anforderungen nicht zu hoch spannen, denn Männer,
die mit einer großen Befähigung auch noch alle die angeführten Eigenschaften
in sich vereinigen, sind doch nicht in genügender Anzahl vorhanden, mit ihnen
die 2690 Amtsrichter- und 951 Landrichterstellen in Preußen zu besetzen. Man
wird immer nur mit einem Mittelmaß von Fähigkeit und Charaktereigenschaften
vorlieb nehmen müssen. Aber dieser Durchschnitt wird jedenfalls durch die
Auswahl der Richter erhöht werden. , ,

Ob dieser erhöhte Durchschnitt das Ansehen der Justiz auch äußerlich
zu dem ihr gebührenden Ansehn heben würde, namentlich im Verhältnis zu den
Verwaltungsbehörden, wie es der Justizminister zu hoffen scheint, dürfte zweifel¬
haft sein. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. März d. I. hat
der Justizminister (nach dem Parlamentsbericht der Berliner Neuesten Nach¬
richten) gesagt: „Die Verwaltungsbehörden suchen sich ans dem reichlich vor-
handnen Material an Gerichtsassessoren die Herren aus, die ihnen dnrch ihre
Tüchtigkeit, ihre soziale Stellung, ihren Familienzusammenhang, ihre äußere
und innere Bildung die besten Garantien geben. Das hat dahin geführt, daß
seit einer Reihe von Jahren von den Herren, die die große Staatsprüfung mit
Auszeichnung oder wenigstens gut bestanden haben, ein verhältnismäßig großer
Teil der Justiz entzogen worden ist, und daß dadurch der Durchschnitt bei dem
Nachwuchs der zur Verfügung stehenden Justizbeamteu uicht aus derselben Höhe
steht, wie der Durchschnitt in den übrigen Verwaltungen. Es soll nicht so
bleiben, wenn der Vorschlag der Regierung durchgeht. Die Justizverwaltung
will in Zukunft selbst die erste Wahl haben." Dann hätten aber die Ver¬
waltungsbehörden die zweite, und sie würden den Durchschnitt ihrer Beamten
in demselben Maße erhöhen, wie es die Justizverwaltung bei ihren Beamten
thut; die Justiz würde die Verwaltung also doch nicht einholen. Will man die
bessern Juristen in der Justiz behalten, so beseitige man die Zurücksetzung der
Justizbeamten vor deu höhern Verwaltungsbeamten. Solange der bejahrte
Amts- oder Landrichter als Rat fünfter Klasse hinter dem dreißigjährigen
Landrat als Rat vierter Klasse zurücktritt, und selbst der alte Amts- oder Land¬
gerichtsrat nur den persönlichen Rang der Rate vierter Klasse mit dem ein¬
zigen Anspruch auf das erhabne Beiwort „Hochwohlgeboren," der junge
Landrat aber alle, auch die pekuniären Vorteile des amtlichen Ranges dieser
Klasse hat, so lauge ist es nicht zu verwundern, wenn die besten Assessoren,
die sich in die für sie neuen Verhältnisse der Verwaltungsbehörde finden zu
können glauben, das Aschenbrödel, die Justiz, die sie ausgebildet hat, mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222414"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Assessorenfrage in Preußen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_332" prev="#ID_331"> Zudrang zur Justiz vermindern, sondern auch zur Erhöhung des Ansehens<lb/>
des Standes beitragen. Und wenn auch durch eine solche Auswahl einzelne,<lb/>
selbst mit Unrecht, zurückgesetzt würden, so muß doch das Interesse des Einzelnen<lb/>
dem Interesse der Gesamtheit nachstehen, denn justit-la «zst, kunäg-nrontum<lb/>
rsAnoruin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_333"> Freilich dürfte man die Anforderungen nicht zu hoch spannen, denn Männer,<lb/>
die mit einer großen Befähigung auch noch alle die angeführten Eigenschaften<lb/>
in sich vereinigen, sind doch nicht in genügender Anzahl vorhanden, mit ihnen<lb/>
die 2690 Amtsrichter- und 951 Landrichterstellen in Preußen zu besetzen. Man<lb/>
wird immer nur mit einem Mittelmaß von Fähigkeit und Charaktereigenschaften<lb/>
vorlieb nehmen müssen. Aber dieser Durchschnitt wird jedenfalls durch die<lb/>
Auswahl der Richter erhöht werden. , ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_334" next="#ID_335"> Ob dieser erhöhte Durchschnitt das Ansehen der Justiz auch äußerlich<lb/>
zu dem ihr gebührenden Ansehn heben würde, namentlich im Verhältnis zu den<lb/>
Verwaltungsbehörden, wie es der Justizminister zu hoffen scheint, dürfte zweifel¬<lb/>
haft sein. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. März d. I. hat<lb/>
der Justizminister (nach dem Parlamentsbericht der Berliner Neuesten Nach¬<lb/>
richten) gesagt: &#x201E;Die Verwaltungsbehörden suchen sich ans dem reichlich vor-<lb/>
handnen Material an Gerichtsassessoren die Herren aus, die ihnen dnrch ihre<lb/>
Tüchtigkeit, ihre soziale Stellung, ihren Familienzusammenhang, ihre äußere<lb/>
und innere Bildung die besten Garantien geben. Das hat dahin geführt, daß<lb/>
seit einer Reihe von Jahren von den Herren, die die große Staatsprüfung mit<lb/>
Auszeichnung oder wenigstens gut bestanden haben, ein verhältnismäßig großer<lb/>
Teil der Justiz entzogen worden ist, und daß dadurch der Durchschnitt bei dem<lb/>
Nachwuchs der zur Verfügung stehenden Justizbeamteu uicht aus derselben Höhe<lb/>
steht, wie der Durchschnitt in den übrigen Verwaltungen. Es soll nicht so<lb/>
bleiben, wenn der Vorschlag der Regierung durchgeht. Die Justizverwaltung<lb/>
will in Zukunft selbst die erste Wahl haben." Dann hätten aber die Ver¬<lb/>
waltungsbehörden die zweite, und sie würden den Durchschnitt ihrer Beamten<lb/>
in demselben Maße erhöhen, wie es die Justizverwaltung bei ihren Beamten<lb/>
thut; die Justiz würde die Verwaltung also doch nicht einholen. Will man die<lb/>
bessern Juristen in der Justiz behalten, so beseitige man die Zurücksetzung der<lb/>
Justizbeamten vor deu höhern Verwaltungsbeamten. Solange der bejahrte<lb/>
Amts- oder Landrichter als Rat fünfter Klasse hinter dem dreißigjährigen<lb/>
Landrat als Rat vierter Klasse zurücktritt, und selbst der alte Amts- oder Land¬<lb/>
gerichtsrat nur den persönlichen Rang der Rate vierter Klasse mit dem ein¬<lb/>
zigen Anspruch auf das erhabne Beiwort &#x201E;Hochwohlgeboren," der junge<lb/>
Landrat aber alle, auch die pekuniären Vorteile des amtlichen Ranges dieser<lb/>
Klasse hat, so lauge ist es nicht zu verwundern, wenn die besten Assessoren,<lb/>
die sich in die für sie neuen Verhältnisse der Verwaltungsbehörde finden zu<lb/>
können glauben, das Aschenbrödel, die Justiz, die sie ausgebildet hat, mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Zur Assessorenfrage in Preußen Zudrang zur Justiz vermindern, sondern auch zur Erhöhung des Ansehens des Standes beitragen. Und wenn auch durch eine solche Auswahl einzelne, selbst mit Unrecht, zurückgesetzt würden, so muß doch das Interesse des Einzelnen dem Interesse der Gesamtheit nachstehen, denn justit-la «zst, kunäg-nrontum rsAnoruin. Freilich dürfte man die Anforderungen nicht zu hoch spannen, denn Männer, die mit einer großen Befähigung auch noch alle die angeführten Eigenschaften in sich vereinigen, sind doch nicht in genügender Anzahl vorhanden, mit ihnen die 2690 Amtsrichter- und 951 Landrichterstellen in Preußen zu besetzen. Man wird immer nur mit einem Mittelmaß von Fähigkeit und Charaktereigenschaften vorlieb nehmen müssen. Aber dieser Durchschnitt wird jedenfalls durch die Auswahl der Richter erhöht werden. , , Ob dieser erhöhte Durchschnitt das Ansehen der Justiz auch äußerlich zu dem ihr gebührenden Ansehn heben würde, namentlich im Verhältnis zu den Verwaltungsbehörden, wie es der Justizminister zu hoffen scheint, dürfte zweifel¬ haft sein. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. März d. I. hat der Justizminister (nach dem Parlamentsbericht der Berliner Neuesten Nach¬ richten) gesagt: „Die Verwaltungsbehörden suchen sich ans dem reichlich vor- handnen Material an Gerichtsassessoren die Herren aus, die ihnen dnrch ihre Tüchtigkeit, ihre soziale Stellung, ihren Familienzusammenhang, ihre äußere und innere Bildung die besten Garantien geben. Das hat dahin geführt, daß seit einer Reihe von Jahren von den Herren, die die große Staatsprüfung mit Auszeichnung oder wenigstens gut bestanden haben, ein verhältnismäßig großer Teil der Justiz entzogen worden ist, und daß dadurch der Durchschnitt bei dem Nachwuchs der zur Verfügung stehenden Justizbeamteu uicht aus derselben Höhe steht, wie der Durchschnitt in den übrigen Verwaltungen. Es soll nicht so bleiben, wenn der Vorschlag der Regierung durchgeht. Die Justizverwaltung will in Zukunft selbst die erste Wahl haben." Dann hätten aber die Ver¬ waltungsbehörden die zweite, und sie würden den Durchschnitt ihrer Beamten in demselben Maße erhöhen, wie es die Justizverwaltung bei ihren Beamten thut; die Justiz würde die Verwaltung also doch nicht einholen. Will man die bessern Juristen in der Justiz behalten, so beseitige man die Zurücksetzung der Justizbeamten vor deu höhern Verwaltungsbeamten. Solange der bejahrte Amts- oder Landrichter als Rat fünfter Klasse hinter dem dreißigjährigen Landrat als Rat vierter Klasse zurücktritt, und selbst der alte Amts- oder Land¬ gerichtsrat nur den persönlichen Rang der Rate vierter Klasse mit dem ein¬ zigen Anspruch auf das erhabne Beiwort „Hochwohlgeboren," der junge Landrat aber alle, auch die pekuniären Vorteile des amtlichen Ranges dieser Klasse hat, so lauge ist es nicht zu verwundern, wenn die besten Assessoren, die sich in die für sie neuen Verhältnisse der Verwaltungsbehörde finden zu können glauben, das Aschenbrödel, die Justiz, die sie ausgebildet hat, mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/110>, abgerufen am 27.05.2024.