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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

gedacht. Sollen die Strafkammern nicht mit unbrauchbaren Richtern besetzt
werden, so versetze man solche überhaupt nicht an das Landgericht, dann würde
man nur noch mit den Schwächen zu kämpfen haben, die zuweilen das Alter
mit sich bringt. In Hannover wurden bis zum 1. Oktober 1879 die be¬
fähigtsten Amtsrichter zu dem dem jetzigen Landgericht entsprechenden Ober¬
gericht berufen, und wenn sie anch nicht zur Übernahme dieses Amtes ge¬
zwungen werden konnten, so lag doch thatsächlich in der Weigerung der Verzicht
auf jede Beförderung, den nur selten jemand auf sich nahm. In Hannover
war die Versetzung des Amtsrichters an das Obergericht eine Beförderung, in
dem preußischen Gesetz vom 12. März 1869 wurden für einen Zeitraum von
zehn Jahren nach der Einführung dieses Gesetzes die Mitglieder des Ober¬
gerichts, die acht Jahre daran als angestellte Richter beschäftigt gewesen waren,
für geeignet erklärt, zu Obertribunnlsrüten ernannt zu werden, was außer
ihnen, abgesehen von den Professoren, nur den Räten der Appellativnsgerichte
und den mindestens gleich stehenden Justizbeamten zugestanden wurde. Jetzt
ist die Versetzung eines Amtsrichters an das Landgericht keine Beförderung,
selbst Assessoren werden, ohne daß sie Amtsrichter gewesen sind, beim Land¬
gericht angestellt. Eine Beförderung besteht erst in der Ernennung zum Ober¬
landesgerichtsrat oder zum Landgerichtsdirektor, diese kann jeder Amtsrichter
erreichen, und thatsächlich wird ein großer Teil der Amtsgerichtsräte zu diesen
Stellungen befördert. Dadurch wird aber ein großer Teil der befühigtern
Richter den Landgerichten uno damit auch den Strafkammern entzogen. Die
Justizverwaltung hat zwar nicht, wie die Verwaltungsbehörde, das Recht der
Versetzung im dienstlichen Interesse, aber sie kann einen Zustand, wie er in
Hannover herrschte, herbeiführen, wenn sie die Beförderung zum Oberlandes¬
gerichtsrat und zum Landgerichtsdirektor von der etatmäßigen Anstellung bei
einem Landgericht abhängig macht und den Grundsatz zur Geltung bringt, daß
niemand befördert werden soll, der nicht mehrere Jahre bei der Strafkammer
beschäftigt gewesen ist.

So viel ist klar, daß die Auswahl der Landrichter aus den Amtsrichtern
und die Beförderung zu Landgerichtsdircktoren, auf die selbstverständlich ebenfalls
kein Richter einen Anspruch hat, mit der Sichtung der Assessoren nur mittelbar
im Zusammenhang steht, und daß, wenn es die Strafkammern sind, über deren
Urteile die Klagen nicht verstummen wollen, der Rückgang der Justiz weniger
durch die Auswahl aus den Referendaren, als durch die Auswahl aus den
Amtsrichtern aufzuhalten ist.

Eine andre Frage ist es, ob die Auswahl der Referendare zu Assessoren
nicht trotzdem zweckmäßig sei und zur Erhöhung des Ansehens der Justiz
wesentlich beitragen würde. Sicherlich würde eine Auswahl der tüchtigsten
Assessoren, die sich durch Ruhe, Besonnenheit, Objektivität, Furchtlosigkeit. Cha¬
rakterfestigkeit und vornehme Gesinnung auszeichnen, nicht nur den bedenklichen


Zur Assessorenfrage in Preußen

gedacht. Sollen die Strafkammern nicht mit unbrauchbaren Richtern besetzt
werden, so versetze man solche überhaupt nicht an das Landgericht, dann würde
man nur noch mit den Schwächen zu kämpfen haben, die zuweilen das Alter
mit sich bringt. In Hannover wurden bis zum 1. Oktober 1879 die be¬
fähigtsten Amtsrichter zu dem dem jetzigen Landgericht entsprechenden Ober¬
gericht berufen, und wenn sie anch nicht zur Übernahme dieses Amtes ge¬
zwungen werden konnten, so lag doch thatsächlich in der Weigerung der Verzicht
auf jede Beförderung, den nur selten jemand auf sich nahm. In Hannover
war die Versetzung des Amtsrichters an das Obergericht eine Beförderung, in
dem preußischen Gesetz vom 12. März 1869 wurden für einen Zeitraum von
zehn Jahren nach der Einführung dieses Gesetzes die Mitglieder des Ober¬
gerichts, die acht Jahre daran als angestellte Richter beschäftigt gewesen waren,
für geeignet erklärt, zu Obertribunnlsrüten ernannt zu werden, was außer
ihnen, abgesehen von den Professoren, nur den Räten der Appellativnsgerichte
und den mindestens gleich stehenden Justizbeamten zugestanden wurde. Jetzt
ist die Versetzung eines Amtsrichters an das Landgericht keine Beförderung,
selbst Assessoren werden, ohne daß sie Amtsrichter gewesen sind, beim Land¬
gericht angestellt. Eine Beförderung besteht erst in der Ernennung zum Ober¬
landesgerichtsrat oder zum Landgerichtsdirektor, diese kann jeder Amtsrichter
erreichen, und thatsächlich wird ein großer Teil der Amtsgerichtsräte zu diesen
Stellungen befördert. Dadurch wird aber ein großer Teil der befühigtern
Richter den Landgerichten uno damit auch den Strafkammern entzogen. Die
Justizverwaltung hat zwar nicht, wie die Verwaltungsbehörde, das Recht der
Versetzung im dienstlichen Interesse, aber sie kann einen Zustand, wie er in
Hannover herrschte, herbeiführen, wenn sie die Beförderung zum Oberlandes¬
gerichtsrat und zum Landgerichtsdirektor von der etatmäßigen Anstellung bei
einem Landgericht abhängig macht und den Grundsatz zur Geltung bringt, daß
niemand befördert werden soll, der nicht mehrere Jahre bei der Strafkammer
beschäftigt gewesen ist.

So viel ist klar, daß die Auswahl der Landrichter aus den Amtsrichtern
und die Beförderung zu Landgerichtsdircktoren, auf die selbstverständlich ebenfalls
kein Richter einen Anspruch hat, mit der Sichtung der Assessoren nur mittelbar
im Zusammenhang steht, und daß, wenn es die Strafkammern sind, über deren
Urteile die Klagen nicht verstummen wollen, der Rückgang der Justiz weniger
durch die Auswahl aus den Referendaren, als durch die Auswahl aus den
Amtsrichtern aufzuhalten ist.

Eine andre Frage ist es, ob die Auswahl der Referendare zu Assessoren
nicht trotzdem zweckmäßig sei und zur Erhöhung des Ansehens der Justiz
wesentlich beitragen würde. Sicherlich würde eine Auswahl der tüchtigsten
Assessoren, die sich durch Ruhe, Besonnenheit, Objektivität, Furchtlosigkeit. Cha¬
rakterfestigkeit und vornehme Gesinnung auszeichnen, nicht nur den bedenklichen


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[0109] Zur Assessorenfrage in Preußen gedacht. Sollen die Strafkammern nicht mit unbrauchbaren Richtern besetzt werden, so versetze man solche überhaupt nicht an das Landgericht, dann würde man nur noch mit den Schwächen zu kämpfen haben, die zuweilen das Alter mit sich bringt. In Hannover wurden bis zum 1. Oktober 1879 die be¬ fähigtsten Amtsrichter zu dem dem jetzigen Landgericht entsprechenden Ober¬ gericht berufen, und wenn sie anch nicht zur Übernahme dieses Amtes ge¬ zwungen werden konnten, so lag doch thatsächlich in der Weigerung der Verzicht auf jede Beförderung, den nur selten jemand auf sich nahm. In Hannover war die Versetzung des Amtsrichters an das Obergericht eine Beförderung, in dem preußischen Gesetz vom 12. März 1869 wurden für einen Zeitraum von zehn Jahren nach der Einführung dieses Gesetzes die Mitglieder des Ober¬ gerichts, die acht Jahre daran als angestellte Richter beschäftigt gewesen waren, für geeignet erklärt, zu Obertribunnlsrüten ernannt zu werden, was außer ihnen, abgesehen von den Professoren, nur den Räten der Appellativnsgerichte und den mindestens gleich stehenden Justizbeamten zugestanden wurde. Jetzt ist die Versetzung eines Amtsrichters an das Landgericht keine Beförderung, selbst Assessoren werden, ohne daß sie Amtsrichter gewesen sind, beim Land¬ gericht angestellt. Eine Beförderung besteht erst in der Ernennung zum Ober¬ landesgerichtsrat oder zum Landgerichtsdirektor, diese kann jeder Amtsrichter erreichen, und thatsächlich wird ein großer Teil der Amtsgerichtsräte zu diesen Stellungen befördert. Dadurch wird aber ein großer Teil der befühigtern Richter den Landgerichten uno damit auch den Strafkammern entzogen. Die Justizverwaltung hat zwar nicht, wie die Verwaltungsbehörde, das Recht der Versetzung im dienstlichen Interesse, aber sie kann einen Zustand, wie er in Hannover herrschte, herbeiführen, wenn sie die Beförderung zum Oberlandes¬ gerichtsrat und zum Landgerichtsdirektor von der etatmäßigen Anstellung bei einem Landgericht abhängig macht und den Grundsatz zur Geltung bringt, daß niemand befördert werden soll, der nicht mehrere Jahre bei der Strafkammer beschäftigt gewesen ist. So viel ist klar, daß die Auswahl der Landrichter aus den Amtsrichtern und die Beförderung zu Landgerichtsdircktoren, auf die selbstverständlich ebenfalls kein Richter einen Anspruch hat, mit der Sichtung der Assessoren nur mittelbar im Zusammenhang steht, und daß, wenn es die Strafkammern sind, über deren Urteile die Klagen nicht verstummen wollen, der Rückgang der Justiz weniger durch die Auswahl aus den Referendaren, als durch die Auswahl aus den Amtsrichtern aufzuhalten ist. Eine andre Frage ist es, ob die Auswahl der Referendare zu Assessoren nicht trotzdem zweckmäßig sei und zur Erhöhung des Ansehens der Justiz wesentlich beitragen würde. Sicherlich würde eine Auswahl der tüchtigsten Assessoren, die sich durch Ruhe, Besonnenheit, Objektivität, Furchtlosigkeit. Cha¬ rakterfestigkeit und vornehme Gesinnung auszeichnen, nicht nur den bedenklichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/109>, abgerufen am 23.05.2024.