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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

kracht, daß der Staat verpflichtet wäre, die zu Gerichtsassessoren ernannten
Personen auch zu Richtern zu befördern. In den Motiven ist ihnen "zwar
kein Rechtsanspruch, aber doch eine thatsächliche Anwartschaft auf Anstellung"
zuerkannt. Der Zeitpunkt des großen Examens ist aber sür die Auswahl zu
früh, weil sich die eigentliche Befähigung zur selbständigen Verwaltung eines
Richteramts erst zeigen kann, wenn der Gerichtsassessor ein solches Amt selb¬
ständig verwaltet, diese selbständige Verwaltung aber erst von der Zeit der
Ernennung zum Gerichtsassessor an beginnen kann. Erst nach Ablauf einer
Probezeit, wie sie auch der Philologe durchzumachen hat, läßt sich seine Be¬
fähigung in amtlicher und sittlicher Beziehung erkennen.

Die Auswahl der Richter muß selbstverständlich nach bestimmten allge¬
meinen Grundsätzen erfolgen. Gesetzlich festgelegt, erlangen aber solche Grund¬
sätze eine Starrheit, die dem Bedürfnis und den schwankenden Verhältnissen
nicht entsprechen kann, während auf dem Verwaltungswege überall Abände¬
rungen eintreten können. Durch allgemeine Bekanntmachung solcher Verwal-
tungsgrundsätze würde schon an sich eine Anzahl von Personen, denen die
verlangten Voraussetzungen fehlen, von dem Zudrang zur Justiz abgehalten
werden. Im übrigen könnte dem Referendar schon während der Vorbereitungs¬
zeit, sobald sich erkennen ließe, daß er sich nicht zum Richter eignen wurde,
der Rat erteilt werden, den Versuch aufzugeben, in die Justiz einzutreten, es
könnte seinen Borgesetzten zur Pflicht gemacht werden, über den Referendar,
sobald er eine Station hinter sich hat, auch hinsichtlich seiner sittlichen Be¬
fähigung zum Nichterdienst zu berichten, es könnte auch der Gerichtscissesfor
in dieser Richtung beaufsichtigt werden. Es könnte dem Referendar und dem
Gerichtsassessor, sobald man erkannt hätte, daß er sich nicht zum Richter eignet,
hiervon unter Mitteilung der Gründe von dem Provinzialchef Mitteilung ge¬
macht werden, andrerseits könnte aber auch dem Referendar oder Assessor gegen
eine solche Mitteilung der Rekurs an den Justizminister freigestellt werden,
damit der Minister Veranlassung erhielte, die angeführten Gründe genauer
zu prüfen.

Darf man hiernach die Auswahl der Richter, wenn auch nicht in der
vorgeschlagnen Weise billigen, so kann man doch den Vorschlag des Gesetz¬
entwurfs, die Zeit der Anstellung für die Gehaltsverhältnisse entscheiden zu
lassen, nicht für angemessen halten. Es soll von dem bisherigen Recht ab¬
gewichen werden, wonach das Besoldungsdienstalter der Richter durch das
Dienstalter als Gerichtsassessor bestimmt wird. Durch eine solche Maßregel
würden aber die Assessoren, denen es gelingt, schneller als andre angestellt zu
werden, nicht bloß dadurch, daß sie von der Zeit der Anstellung an die höhere
Einnahme des angestellten Richters bezögen, einen vorübergehenden Borten
erlangen, der ihnen schon nach dem jetzigen Verfahren zu teil wird, sondern
sie würden auch einen dauernd großen Vorteil vor ihren ältern Kollegen haben.


Zur Assessorenfrage in Preußen

kracht, daß der Staat verpflichtet wäre, die zu Gerichtsassessoren ernannten
Personen auch zu Richtern zu befördern. In den Motiven ist ihnen „zwar
kein Rechtsanspruch, aber doch eine thatsächliche Anwartschaft auf Anstellung"
zuerkannt. Der Zeitpunkt des großen Examens ist aber sür die Auswahl zu
früh, weil sich die eigentliche Befähigung zur selbständigen Verwaltung eines
Richteramts erst zeigen kann, wenn der Gerichtsassessor ein solches Amt selb¬
ständig verwaltet, diese selbständige Verwaltung aber erst von der Zeit der
Ernennung zum Gerichtsassessor an beginnen kann. Erst nach Ablauf einer
Probezeit, wie sie auch der Philologe durchzumachen hat, läßt sich seine Be¬
fähigung in amtlicher und sittlicher Beziehung erkennen.

Die Auswahl der Richter muß selbstverständlich nach bestimmten allge¬
meinen Grundsätzen erfolgen. Gesetzlich festgelegt, erlangen aber solche Grund¬
sätze eine Starrheit, die dem Bedürfnis und den schwankenden Verhältnissen
nicht entsprechen kann, während auf dem Verwaltungswege überall Abände¬
rungen eintreten können. Durch allgemeine Bekanntmachung solcher Verwal-
tungsgrundsätze würde schon an sich eine Anzahl von Personen, denen die
verlangten Voraussetzungen fehlen, von dem Zudrang zur Justiz abgehalten
werden. Im übrigen könnte dem Referendar schon während der Vorbereitungs¬
zeit, sobald sich erkennen ließe, daß er sich nicht zum Richter eignen wurde,
der Rat erteilt werden, den Versuch aufzugeben, in die Justiz einzutreten, es
könnte seinen Borgesetzten zur Pflicht gemacht werden, über den Referendar,
sobald er eine Station hinter sich hat, auch hinsichtlich seiner sittlichen Be¬
fähigung zum Nichterdienst zu berichten, es könnte auch der Gerichtscissesfor
in dieser Richtung beaufsichtigt werden. Es könnte dem Referendar und dem
Gerichtsassessor, sobald man erkannt hätte, daß er sich nicht zum Richter eignet,
hiervon unter Mitteilung der Gründe von dem Provinzialchef Mitteilung ge¬
macht werden, andrerseits könnte aber auch dem Referendar oder Assessor gegen
eine solche Mitteilung der Rekurs an den Justizminister freigestellt werden,
damit der Minister Veranlassung erhielte, die angeführten Gründe genauer
zu prüfen.

Darf man hiernach die Auswahl der Richter, wenn auch nicht in der
vorgeschlagnen Weise billigen, so kann man doch den Vorschlag des Gesetz¬
entwurfs, die Zeit der Anstellung für die Gehaltsverhältnisse entscheiden zu
lassen, nicht für angemessen halten. Es soll von dem bisherigen Recht ab¬
gewichen werden, wonach das Besoldungsdienstalter der Richter durch das
Dienstalter als Gerichtsassessor bestimmt wird. Durch eine solche Maßregel
würden aber die Assessoren, denen es gelingt, schneller als andre angestellt zu
werden, nicht bloß dadurch, daß sie von der Zeit der Anstellung an die höhere
Einnahme des angestellten Richters bezögen, einen vorübergehenden Borten
erlangen, der ihnen schon nach dem jetzigen Verfahren zu teil wird, sondern
sie würden auch einen dauernd großen Vorteil vor ihren ältern Kollegen haben.


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[0114] Zur Assessorenfrage in Preußen kracht, daß der Staat verpflichtet wäre, die zu Gerichtsassessoren ernannten Personen auch zu Richtern zu befördern. In den Motiven ist ihnen „zwar kein Rechtsanspruch, aber doch eine thatsächliche Anwartschaft auf Anstellung" zuerkannt. Der Zeitpunkt des großen Examens ist aber sür die Auswahl zu früh, weil sich die eigentliche Befähigung zur selbständigen Verwaltung eines Richteramts erst zeigen kann, wenn der Gerichtsassessor ein solches Amt selb¬ ständig verwaltet, diese selbständige Verwaltung aber erst von der Zeit der Ernennung zum Gerichtsassessor an beginnen kann. Erst nach Ablauf einer Probezeit, wie sie auch der Philologe durchzumachen hat, läßt sich seine Be¬ fähigung in amtlicher und sittlicher Beziehung erkennen. Die Auswahl der Richter muß selbstverständlich nach bestimmten allge¬ meinen Grundsätzen erfolgen. Gesetzlich festgelegt, erlangen aber solche Grund¬ sätze eine Starrheit, die dem Bedürfnis und den schwankenden Verhältnissen nicht entsprechen kann, während auf dem Verwaltungswege überall Abände¬ rungen eintreten können. Durch allgemeine Bekanntmachung solcher Verwal- tungsgrundsätze würde schon an sich eine Anzahl von Personen, denen die verlangten Voraussetzungen fehlen, von dem Zudrang zur Justiz abgehalten werden. Im übrigen könnte dem Referendar schon während der Vorbereitungs¬ zeit, sobald sich erkennen ließe, daß er sich nicht zum Richter eignen wurde, der Rat erteilt werden, den Versuch aufzugeben, in die Justiz einzutreten, es könnte seinen Borgesetzten zur Pflicht gemacht werden, über den Referendar, sobald er eine Station hinter sich hat, auch hinsichtlich seiner sittlichen Be¬ fähigung zum Nichterdienst zu berichten, es könnte auch der Gerichtscissesfor in dieser Richtung beaufsichtigt werden. Es könnte dem Referendar und dem Gerichtsassessor, sobald man erkannt hätte, daß er sich nicht zum Richter eignet, hiervon unter Mitteilung der Gründe von dem Provinzialchef Mitteilung ge¬ macht werden, andrerseits könnte aber auch dem Referendar oder Assessor gegen eine solche Mitteilung der Rekurs an den Justizminister freigestellt werden, damit der Minister Veranlassung erhielte, die angeführten Gründe genauer zu prüfen. Darf man hiernach die Auswahl der Richter, wenn auch nicht in der vorgeschlagnen Weise billigen, so kann man doch den Vorschlag des Gesetz¬ entwurfs, die Zeit der Anstellung für die Gehaltsverhältnisse entscheiden zu lassen, nicht für angemessen halten. Es soll von dem bisherigen Recht ab¬ gewichen werden, wonach das Besoldungsdienstalter der Richter durch das Dienstalter als Gerichtsassessor bestimmt wird. Durch eine solche Maßregel würden aber die Assessoren, denen es gelingt, schneller als andre angestellt zu werden, nicht bloß dadurch, daß sie von der Zeit der Anstellung an die höhere Einnahme des angestellten Richters bezögen, einen vorübergehenden Borten erlangen, der ihnen schon nach dem jetzigen Verfahren zu teil wird, sondern sie würden auch einen dauernd großen Vorteil vor ihren ältern Kollegen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/114>, abgerufen am 26.05.2024.