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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Affessorenfrage in Preußen

viele Richterstellen sogar von Referendaren verwaltet werden mußten. Da
unter diesen Umständen von einer Auswahl keine Rede sein konnte, so waren
die damaligen Verhältnisse sür die Justizverwaltung nicht ungünstiger als der
jetzt verlangte Zustand, wo von dem ausgewählten Personal jeder angestellt
werden würde, im Gegenteil, die damaligen Verhältnisse in Hannover waren
für die Justizverwaltung noch günstiger, weil, wie gesagt, die Assessoren zUr
Anstellung berufen wurden, während jetzt die Anstellung nicht ohne ihren
Willen geschehen kann. Man wird daher zu einer noch größern Ungleichheit
kommen, als sie in Hannover bestand. Eine solche Zurücksetzung der Ältern
und Bevorzugung der Jüngern auch im Gehalt, wie sie in Hannover bestand,
und wie sie nach den gemachten Vorschlägen für ganz Preußen eintreten würde,
ist nicht zu rechtfertigen.

Man kann aber auch nicht verlangen, daß die Justizverwaltung unter den
sich zu einer Stelle meldenden Assessoren stets den ältesten anstelle. Müßte
sie das thun, so würde ihr jeder Einfluß auf eine zweckmäßige Besetzung der
Stellen genommen, so würde sie gezwungen sein, Personen an Stellen zu setzen,
wohin sie wegen ihrer Anlage und ihrer Familienverhältnisse nicht passen. Die
Justizverwaltung muß das Recht haben und ausüben, die Stellen nur mit
den dafür geeigneten Personen zu besetzen. Kann aber die Anziennität für
sie nicht immer maßgebend sein, so muß sie den Jüngern vor dem Ältern
anstellen; der Ältere muß vielleicht längere Zeit warten, bis eine für ihn
geeignete Stelle frei wird. Warum soll man ihn dann aber auch noch
pekuniär zurücksetzen? Warum soll der Jüngere, der sonst keine besondern
Verdienste auszuweisen hat, abgesehen von der frühern Anstellung und somit
von dem frühern Bezug der höhern Einnahme, auch noch durch dauernde Besser¬
stellung im Gehalt vor dem Ältern bevorzugt werden? Zu der frühern An¬
stellung lag ein zwingender Grund vor; die dauernde Besserstellung ist aber
nicht gerechtfertigt.

Man will die Assessoren veranlassen, sich frühzeitig zu den frei gewordnen
Stellen zu melden. Aber ganz abgesehen davon, daß sich dann im Ministerium
in kurzer Zeit die Meldungen häufen würden, muß man dem Assessor, wenn
nicht das Gesetz auf ihn einen Zwang zur Anstellung ausüben will, doch auch
das Recht zugestehen, seine berechtigten Interessen wahrzunehmen, wie sie durch
seine persönlichen Verhältnisse, die Nähe seiner Verwandten usw. begründet
sind. Meidet er sich aus solchen Gründen nicht früh genug, so erleidet er
deu Nachteil, später als ein jüngerer Kollege zu dem Bezug der höhern Ein¬
nahme zu gelangen; ihn aber auch noch dauernd zu strafen, dazu liegt doch
kein Grund vor.

"Die im Entwurf vorgesehene Regelung soll einen gewissen Ausgleich zu
den weniger begehrten östlichen und den bevorzugten westlichen Bezirken inso¬
weit bieten, als die aus einer frühern Anstellung sich ergebenden dauernden


Zur Affessorenfrage in Preußen

viele Richterstellen sogar von Referendaren verwaltet werden mußten. Da
unter diesen Umständen von einer Auswahl keine Rede sein konnte, so waren
die damaligen Verhältnisse sür die Justizverwaltung nicht ungünstiger als der
jetzt verlangte Zustand, wo von dem ausgewählten Personal jeder angestellt
werden würde, im Gegenteil, die damaligen Verhältnisse in Hannover waren
für die Justizverwaltung noch günstiger, weil, wie gesagt, die Assessoren zUr
Anstellung berufen wurden, während jetzt die Anstellung nicht ohne ihren
Willen geschehen kann. Man wird daher zu einer noch größern Ungleichheit
kommen, als sie in Hannover bestand. Eine solche Zurücksetzung der Ältern
und Bevorzugung der Jüngern auch im Gehalt, wie sie in Hannover bestand,
und wie sie nach den gemachten Vorschlägen für ganz Preußen eintreten würde,
ist nicht zu rechtfertigen.

Man kann aber auch nicht verlangen, daß die Justizverwaltung unter den
sich zu einer Stelle meldenden Assessoren stets den ältesten anstelle. Müßte
sie das thun, so würde ihr jeder Einfluß auf eine zweckmäßige Besetzung der
Stellen genommen, so würde sie gezwungen sein, Personen an Stellen zu setzen,
wohin sie wegen ihrer Anlage und ihrer Familienverhältnisse nicht passen. Die
Justizverwaltung muß das Recht haben und ausüben, die Stellen nur mit
den dafür geeigneten Personen zu besetzen. Kann aber die Anziennität für
sie nicht immer maßgebend sein, so muß sie den Jüngern vor dem Ältern
anstellen; der Ältere muß vielleicht längere Zeit warten, bis eine für ihn
geeignete Stelle frei wird. Warum soll man ihn dann aber auch noch
pekuniär zurücksetzen? Warum soll der Jüngere, der sonst keine besondern
Verdienste auszuweisen hat, abgesehen von der frühern Anstellung und somit
von dem frühern Bezug der höhern Einnahme, auch noch durch dauernde Besser¬
stellung im Gehalt vor dem Ältern bevorzugt werden? Zu der frühern An¬
stellung lag ein zwingender Grund vor; die dauernde Besserstellung ist aber
nicht gerechtfertigt.

Man will die Assessoren veranlassen, sich frühzeitig zu den frei gewordnen
Stellen zu melden. Aber ganz abgesehen davon, daß sich dann im Ministerium
in kurzer Zeit die Meldungen häufen würden, muß man dem Assessor, wenn
nicht das Gesetz auf ihn einen Zwang zur Anstellung ausüben will, doch auch
das Recht zugestehen, seine berechtigten Interessen wahrzunehmen, wie sie durch
seine persönlichen Verhältnisse, die Nähe seiner Verwandten usw. begründet
sind. Meidet er sich aus solchen Gründen nicht früh genug, so erleidet er
deu Nachteil, später als ein jüngerer Kollege zu dem Bezug der höhern Ein¬
nahme zu gelangen; ihn aber auch noch dauernd zu strafen, dazu liegt doch
kein Grund vor.

„Die im Entwurf vorgesehene Regelung soll einen gewissen Ausgleich zu
den weniger begehrten östlichen und den bevorzugten westlichen Bezirken inso¬
weit bieten, als die aus einer frühern Anstellung sich ergebenden dauernden


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[0116] Zur Affessorenfrage in Preußen viele Richterstellen sogar von Referendaren verwaltet werden mußten. Da unter diesen Umständen von einer Auswahl keine Rede sein konnte, so waren die damaligen Verhältnisse sür die Justizverwaltung nicht ungünstiger als der jetzt verlangte Zustand, wo von dem ausgewählten Personal jeder angestellt werden würde, im Gegenteil, die damaligen Verhältnisse in Hannover waren für die Justizverwaltung noch günstiger, weil, wie gesagt, die Assessoren zUr Anstellung berufen wurden, während jetzt die Anstellung nicht ohne ihren Willen geschehen kann. Man wird daher zu einer noch größern Ungleichheit kommen, als sie in Hannover bestand. Eine solche Zurücksetzung der Ältern und Bevorzugung der Jüngern auch im Gehalt, wie sie in Hannover bestand, und wie sie nach den gemachten Vorschlägen für ganz Preußen eintreten würde, ist nicht zu rechtfertigen. Man kann aber auch nicht verlangen, daß die Justizverwaltung unter den sich zu einer Stelle meldenden Assessoren stets den ältesten anstelle. Müßte sie das thun, so würde ihr jeder Einfluß auf eine zweckmäßige Besetzung der Stellen genommen, so würde sie gezwungen sein, Personen an Stellen zu setzen, wohin sie wegen ihrer Anlage und ihrer Familienverhältnisse nicht passen. Die Justizverwaltung muß das Recht haben und ausüben, die Stellen nur mit den dafür geeigneten Personen zu besetzen. Kann aber die Anziennität für sie nicht immer maßgebend sein, so muß sie den Jüngern vor dem Ältern anstellen; der Ältere muß vielleicht längere Zeit warten, bis eine für ihn geeignete Stelle frei wird. Warum soll man ihn dann aber auch noch pekuniär zurücksetzen? Warum soll der Jüngere, der sonst keine besondern Verdienste auszuweisen hat, abgesehen von der frühern Anstellung und somit von dem frühern Bezug der höhern Einnahme, auch noch durch dauernde Besser¬ stellung im Gehalt vor dem Ältern bevorzugt werden? Zu der frühern An¬ stellung lag ein zwingender Grund vor; die dauernde Besserstellung ist aber nicht gerechtfertigt. Man will die Assessoren veranlassen, sich frühzeitig zu den frei gewordnen Stellen zu melden. Aber ganz abgesehen davon, daß sich dann im Ministerium in kurzer Zeit die Meldungen häufen würden, muß man dem Assessor, wenn nicht das Gesetz auf ihn einen Zwang zur Anstellung ausüben will, doch auch das Recht zugestehen, seine berechtigten Interessen wahrzunehmen, wie sie durch seine persönlichen Verhältnisse, die Nähe seiner Verwandten usw. begründet sind. Meidet er sich aus solchen Gründen nicht früh genug, so erleidet er deu Nachteil, später als ein jüngerer Kollege zu dem Bezug der höhern Ein¬ nahme zu gelangen; ihn aber auch noch dauernd zu strafen, dazu liegt doch kein Grund vor. „Die im Entwurf vorgesehene Regelung soll einen gewissen Ausgleich zu den weniger begehrten östlichen und den bevorzugten westlichen Bezirken inso¬ weit bieten, als die aus einer frühern Anstellung sich ergebenden dauernden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/116>, abgerufen am 06.06.2024.