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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessoreufrage in Preußen

ein den Fall Brausewetter mit Vorliebe anknüpft, braucht den Justizminister
zu einem Eingehen auf die Frage zu veranlassen, ob das Vertrauen zu dem
preußischen Richterstaude abgenommen hat, wohl aber wäre eine Zurück¬
weisung der in den einflußreichsten besitzenden Kreisen sich breitmachenden
Nichtachtung der juristischen Bildung und der juristischen Pflichterfüllung am
Platze und unzweifelhaft von guter Wirkung gewesen. Es ist nicht zu ver¬
gessen, das; die einseitig genährte Borliebe für die sogenannte Selbstverwaltung
bei den besitzenden Klassen nicht minder wie bei den sozialdemvkratisch verbil¬
deten Arbeitern doch eigentlich nichts andres bedeutet, als das Verlangen,
nicht nur die eignen Angelegenheiten selbst, sondern die der Gesamtheit im
eignen Sonderinteresse verwalten zu können, und daß nach der bisher all¬
mächtig gewesenen Staats- und Sozialwissenschaftlichen Doktrin der Erfolg bei
diesem Verlangen allerdings wie etwas ganz natürliches den Besitzenden zu¬
fallen zu müssen scheint. Diesen, leider noch von Gneist in gewissem Sinne
genährten Anschauungen ein Ende zu machen und das Vertrauen zur Un¬
abhängigkeit des Staatsbeamtentums gegenüber den Einflüssen des Besitzes im
Volke wieder herzustellen, das ist die dringendste, aber auch die lohnendste Auf¬
gabe, die die Gegenwart der Staatsgewalt und ganz besonders dem König
von Preußen stellt.

Bedauern muß man auch, daß sich der Justizminister für verpflichtet ge¬
halten hat, das Vorhandensein, ja die Möglichkeit des sogenannten "Strebertums"
im preußischen Jnristenstande fo vollständig zu bestreiten. Es ist in der That
ernstlich darauf Bedacht zu nehmen, namentlich wenn das Ablehnuugsrecht aus¬
giebiger angewendet wird, daß die Augendienerei gegenüber der Person des
Vorgesetzten bei den im Vorbereitnngsdienst beschäftigten jungen Juristen nicht
einen verderblichen Einfluß gewinne. Es ist immer eine große Gefahr damit
verbunden, wenn, wie dies z> B. bei einigen plötzlich zu gewaltigem Umfang
angewachsenen neuen Reichsbehörde" der Fall zu sein scheint, den Beamten
erst nach jahrelanger Verwendung durch die Auswahl der vorgesetzten Be¬
hörde bekannt wird, wer zum Aufrücken auf die höhere Stufe für befähigt ge¬
halten wird. Angstmeierei, schlechte Kollegialität, die bedauerlichste Subalterueu-
gcsinnnng reißt dann nnr zu leicht ein, je mehr, je länger die Ungewißheit
dauert. Es müßten Engel sein, die mit der Zeit dabei nicht mürbe, nicht
Augendiener und rücksichtslose Streber würden. Der bekannte Kampf der
technischen Hilfsarbeiter im kaiserlichen Patentamt entspringt dem gesunden Ge¬
fühl dieser bis jetzt noch nicht ganz snbalternisirten, noch nicht ganz der aus
der gemeinsamen Hochschulbildung herstammende" Kameradschaftlichkeit beraubten
Beamtenklasse, daß sich ihre einzelnen Angehörigen bei den bestehenden Einrich¬
tungen mit der Zeit zum Strebertum und zur Augendienerei iverden bekehren
müssen. Schwer ist es gewiß, Abhilfe zu schaffe", dennoch sollten sich die
veranwortlichen Spitzen gegen die zu Tage liegende Gefahr arger Korruption


Zur Assessoreufrage in Preußen

ein den Fall Brausewetter mit Vorliebe anknüpft, braucht den Justizminister
zu einem Eingehen auf die Frage zu veranlassen, ob das Vertrauen zu dem
preußischen Richterstaude abgenommen hat, wohl aber wäre eine Zurück¬
weisung der in den einflußreichsten besitzenden Kreisen sich breitmachenden
Nichtachtung der juristischen Bildung und der juristischen Pflichterfüllung am
Platze und unzweifelhaft von guter Wirkung gewesen. Es ist nicht zu ver¬
gessen, das; die einseitig genährte Borliebe für die sogenannte Selbstverwaltung
bei den besitzenden Klassen nicht minder wie bei den sozialdemvkratisch verbil¬
deten Arbeitern doch eigentlich nichts andres bedeutet, als das Verlangen,
nicht nur die eignen Angelegenheiten selbst, sondern die der Gesamtheit im
eignen Sonderinteresse verwalten zu können, und daß nach der bisher all¬
mächtig gewesenen Staats- und Sozialwissenschaftlichen Doktrin der Erfolg bei
diesem Verlangen allerdings wie etwas ganz natürliches den Besitzenden zu¬
fallen zu müssen scheint. Diesen, leider noch von Gneist in gewissem Sinne
genährten Anschauungen ein Ende zu machen und das Vertrauen zur Un¬
abhängigkeit des Staatsbeamtentums gegenüber den Einflüssen des Besitzes im
Volke wieder herzustellen, das ist die dringendste, aber auch die lohnendste Auf¬
gabe, die die Gegenwart der Staatsgewalt und ganz besonders dem König
von Preußen stellt.

Bedauern muß man auch, daß sich der Justizminister für verpflichtet ge¬
halten hat, das Vorhandensein, ja die Möglichkeit des sogenannten „Strebertums"
im preußischen Jnristenstande fo vollständig zu bestreiten. Es ist in der That
ernstlich darauf Bedacht zu nehmen, namentlich wenn das Ablehnuugsrecht aus¬
giebiger angewendet wird, daß die Augendienerei gegenüber der Person des
Vorgesetzten bei den im Vorbereitnngsdienst beschäftigten jungen Juristen nicht
einen verderblichen Einfluß gewinne. Es ist immer eine große Gefahr damit
verbunden, wenn, wie dies z> B. bei einigen plötzlich zu gewaltigem Umfang
angewachsenen neuen Reichsbehörde» der Fall zu sein scheint, den Beamten
erst nach jahrelanger Verwendung durch die Auswahl der vorgesetzten Be¬
hörde bekannt wird, wer zum Aufrücken auf die höhere Stufe für befähigt ge¬
halten wird. Angstmeierei, schlechte Kollegialität, die bedauerlichste Subalterueu-
gcsinnnng reißt dann nnr zu leicht ein, je mehr, je länger die Ungewißheit
dauert. Es müßten Engel sein, die mit der Zeit dabei nicht mürbe, nicht
Augendiener und rücksichtslose Streber würden. Der bekannte Kampf der
technischen Hilfsarbeiter im kaiserlichen Patentamt entspringt dem gesunden Ge¬
fühl dieser bis jetzt noch nicht ganz snbalternisirten, noch nicht ganz der aus
der gemeinsamen Hochschulbildung herstammende» Kameradschaftlichkeit beraubten
Beamtenklasse, daß sich ihre einzelnen Angehörigen bei den bestehenden Einrich¬
tungen mit der Zeit zum Strebertum und zur Augendienerei iverden bekehren
müssen. Schwer ist es gewiß, Abhilfe zu schaffe», dennoch sollten sich die
veranwortlichen Spitzen gegen die zu Tage liegende Gefahr arger Korruption


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/12>, abgerufen am 13.05.2024.