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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen ans der Franzosenzeit

und eines bestimmten Ortes auffaßt. Aber nun darf man sich nicht wundern,
wenn die Schilderung für den Ort unvorteilhafter ausfällt, als es in des
Verfassers Wunsch gelegen hat. Denn so sehr er sich auch bemüht hat, die
guten Züge in der Entwicklung des Lebens der Stadt seit dem vorigen Jahr¬
hundert zu sammeln und hervortreten zu lassen, es ist doch hauptsächlich von
Essen und Trinken die Rede, von fetten Schlachtochsen und einer nicht gerade
feinen Geselligkeit, von Einnahme und Ausgabe und dem ganzen materiellen
Leben der Menschen.

Hamburg und Frankfurt hatten vor zweihundert Jahren die einzigen Maler¬
schulen in Deutschland, und Hamburg hat sich auch im vorigen Jahrhundert
große Verdienste um unsre Litteratur und um das Theater erworben. Die
Litteraturgeschichte nenut zwar auch "Bremer Beiträge," und deren Verleger
war mich zufällig ein Bremer, aber mit Bremen haben die Beiträge selbst
gerade soviel zu thun, wie Jean Pauls Grönländische Prozesse mit Grönland.
Bremen hatte und hat dafür seinen Weinkeller, der denn auch in diesem Buche
die ihm angemessene Rolle spielt. Allmers versichert uns, daß Böses Familie
allmählich zu den besten der Stadt gerechnet worden sei, daß sein Haus und
sein Hauswesen typisch für Bremen gewesen sei. Nun kommt aber in dem
ganzen Umkreise dieses Hauses nichts vor, was an Litteratur oder Kunst erinnerte.
Meistens wird dergleichen ausdrücklich vom Hauptmann Böse abgewiesen. Die
einzige geistige Große, die einmal genannt wird, ist der Arzt und Astronom
Olbers. Eine geschlossene Gesellschaft, der Böse angehört, tafelt in einem
Gasthof und läßt sich jedesmal außer andern Speisen ein von dem Wirt
neuerfundnes Gericht aufsetzen, und dieses wird dann -- wenn die Abstimmung
eine Mehrheit ergeben hat -- der Redaktion des Bremer Kochbuchs empfohlen.

Das wäre so etwa das geistige Niveau, auf dem wir uns hier befinden.
Es ist gewiß für viele, die sich das anders gedacht haben werden, sehr wissens¬
wert. Durch das ganze Buch geht ein unglaublich öder, nüchterner Zug.
Der Verfasser mochte ihm durch allerlei kleine Einwirkungen und eigne Ge¬
danken eine andre Richtung geben. Aber vergebens. Die Geschichte fordert
ihr Recht. Das "Zeit- und Menschenbild" ist da, treu, photographisch treu,
aber nicht sehr schmeichelhaft für die Umgebung, in die es gehört. Wir können
dem Geschichtschreiber nur dankbar sein und nehmen mit Vergnügen wahr, wie
unendlich verschieden Städte, Sitten und Menschen in unserm lieben, großen
deutschen Vaterlande sind. Außerdem -- und das ist ein weiteres Verdienst
des Buches -- erhalten wir aus dem Munde eines vortrefflichen und zuver¬
lässigen Mannes eine Anzahl von Zeugnissen über die napoleonische Zeit, die,
ohne neues zu geben, alte geschichtliche Wahrheiten, die uicht vergessen zu
werden verdienen, lebendig wieder vor Angen führen. Dahin gehört, was
Böse über die preußischen Offiziere und Soldaten nach der Okkupation Bremens
von 1801 sagt. Nach vielen lesenswerten Einzelheiten urteilt er: "Wenn ich


Erinnerungen ans der Franzosenzeit

und eines bestimmten Ortes auffaßt. Aber nun darf man sich nicht wundern,
wenn die Schilderung für den Ort unvorteilhafter ausfällt, als es in des
Verfassers Wunsch gelegen hat. Denn so sehr er sich auch bemüht hat, die
guten Züge in der Entwicklung des Lebens der Stadt seit dem vorigen Jahr¬
hundert zu sammeln und hervortreten zu lassen, es ist doch hauptsächlich von
Essen und Trinken die Rede, von fetten Schlachtochsen und einer nicht gerade
feinen Geselligkeit, von Einnahme und Ausgabe und dem ganzen materiellen
Leben der Menschen.

Hamburg und Frankfurt hatten vor zweihundert Jahren die einzigen Maler¬
schulen in Deutschland, und Hamburg hat sich auch im vorigen Jahrhundert
große Verdienste um unsre Litteratur und um das Theater erworben. Die
Litteraturgeschichte nenut zwar auch „Bremer Beiträge," und deren Verleger
war mich zufällig ein Bremer, aber mit Bremen haben die Beiträge selbst
gerade soviel zu thun, wie Jean Pauls Grönländische Prozesse mit Grönland.
Bremen hatte und hat dafür seinen Weinkeller, der denn auch in diesem Buche
die ihm angemessene Rolle spielt. Allmers versichert uns, daß Böses Familie
allmählich zu den besten der Stadt gerechnet worden sei, daß sein Haus und
sein Hauswesen typisch für Bremen gewesen sei. Nun kommt aber in dem
ganzen Umkreise dieses Hauses nichts vor, was an Litteratur oder Kunst erinnerte.
Meistens wird dergleichen ausdrücklich vom Hauptmann Böse abgewiesen. Die
einzige geistige Große, die einmal genannt wird, ist der Arzt und Astronom
Olbers. Eine geschlossene Gesellschaft, der Böse angehört, tafelt in einem
Gasthof und läßt sich jedesmal außer andern Speisen ein von dem Wirt
neuerfundnes Gericht aufsetzen, und dieses wird dann — wenn die Abstimmung
eine Mehrheit ergeben hat — der Redaktion des Bremer Kochbuchs empfohlen.

Das wäre so etwa das geistige Niveau, auf dem wir uns hier befinden.
Es ist gewiß für viele, die sich das anders gedacht haben werden, sehr wissens¬
wert. Durch das ganze Buch geht ein unglaublich öder, nüchterner Zug.
Der Verfasser mochte ihm durch allerlei kleine Einwirkungen und eigne Ge¬
danken eine andre Richtung geben. Aber vergebens. Die Geschichte fordert
ihr Recht. Das „Zeit- und Menschenbild" ist da, treu, photographisch treu,
aber nicht sehr schmeichelhaft für die Umgebung, in die es gehört. Wir können
dem Geschichtschreiber nur dankbar sein und nehmen mit Vergnügen wahr, wie
unendlich verschieden Städte, Sitten und Menschen in unserm lieben, großen
deutschen Vaterlande sind. Außerdem — und das ist ein weiteres Verdienst
des Buches — erhalten wir aus dem Munde eines vortrefflichen und zuver¬
lässigen Mannes eine Anzahl von Zeugnissen über die napoleonische Zeit, die,
ohne neues zu geben, alte geschichtliche Wahrheiten, die uicht vergessen zu
werden verdienen, lebendig wieder vor Angen führen. Dahin gehört, was
Böse über die preußischen Offiziere und Soldaten nach der Okkupation Bremens
von 1801 sagt. Nach vielen lesenswerten Einzelheiten urteilt er: „Wenn ich


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[0133] Erinnerungen ans der Franzosenzeit und eines bestimmten Ortes auffaßt. Aber nun darf man sich nicht wundern, wenn die Schilderung für den Ort unvorteilhafter ausfällt, als es in des Verfassers Wunsch gelegen hat. Denn so sehr er sich auch bemüht hat, die guten Züge in der Entwicklung des Lebens der Stadt seit dem vorigen Jahr¬ hundert zu sammeln und hervortreten zu lassen, es ist doch hauptsächlich von Essen und Trinken die Rede, von fetten Schlachtochsen und einer nicht gerade feinen Geselligkeit, von Einnahme und Ausgabe und dem ganzen materiellen Leben der Menschen. Hamburg und Frankfurt hatten vor zweihundert Jahren die einzigen Maler¬ schulen in Deutschland, und Hamburg hat sich auch im vorigen Jahrhundert große Verdienste um unsre Litteratur und um das Theater erworben. Die Litteraturgeschichte nenut zwar auch „Bremer Beiträge," und deren Verleger war mich zufällig ein Bremer, aber mit Bremen haben die Beiträge selbst gerade soviel zu thun, wie Jean Pauls Grönländische Prozesse mit Grönland. Bremen hatte und hat dafür seinen Weinkeller, der denn auch in diesem Buche die ihm angemessene Rolle spielt. Allmers versichert uns, daß Böses Familie allmählich zu den besten der Stadt gerechnet worden sei, daß sein Haus und sein Hauswesen typisch für Bremen gewesen sei. Nun kommt aber in dem ganzen Umkreise dieses Hauses nichts vor, was an Litteratur oder Kunst erinnerte. Meistens wird dergleichen ausdrücklich vom Hauptmann Böse abgewiesen. Die einzige geistige Große, die einmal genannt wird, ist der Arzt und Astronom Olbers. Eine geschlossene Gesellschaft, der Böse angehört, tafelt in einem Gasthof und läßt sich jedesmal außer andern Speisen ein von dem Wirt neuerfundnes Gericht aufsetzen, und dieses wird dann — wenn die Abstimmung eine Mehrheit ergeben hat — der Redaktion des Bremer Kochbuchs empfohlen. Das wäre so etwa das geistige Niveau, auf dem wir uns hier befinden. Es ist gewiß für viele, die sich das anders gedacht haben werden, sehr wissens¬ wert. Durch das ganze Buch geht ein unglaublich öder, nüchterner Zug. Der Verfasser mochte ihm durch allerlei kleine Einwirkungen und eigne Ge¬ danken eine andre Richtung geben. Aber vergebens. Die Geschichte fordert ihr Recht. Das „Zeit- und Menschenbild" ist da, treu, photographisch treu, aber nicht sehr schmeichelhaft für die Umgebung, in die es gehört. Wir können dem Geschichtschreiber nur dankbar sein und nehmen mit Vergnügen wahr, wie unendlich verschieden Städte, Sitten und Menschen in unserm lieben, großen deutschen Vaterlande sind. Außerdem — und das ist ein weiteres Verdienst des Buches — erhalten wir aus dem Munde eines vortrefflichen und zuver¬ lässigen Mannes eine Anzahl von Zeugnissen über die napoleonische Zeit, die, ohne neues zu geben, alte geschichtliche Wahrheiten, die uicht vergessen zu werden verdienen, lebendig wieder vor Angen führen. Dahin gehört, was Böse über die preußischen Offiziere und Soldaten nach der Okkupation Bremens von 1801 sagt. Nach vielen lesenswerten Einzelheiten urteilt er: „Wenn ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/133>, abgerufen am 06.06.2024.