Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen aus der Lranzosenzeit

wurde. Bedeutung hatte er jetzt noch weniger als früher, und als er sich
mit 71 Jahren aus dein öffentlichen Leben nach Paris zurückzog, ließ er keine
Lücke zurück. Im Jahre 1837 ist er dann gestorben. Sein alter Freund und
Meister Talleyrand hielt ihm in der Akademie die Gedächtnisrede und unter¬
ließ es trotz aller Lobeserhebungen nicht, bei dieser Gelegenheit ihn möglichst
nachdrücklich hinzustellen als Mann zweiten Ranges, was er ja auch wirklich
war. Denn so wechselvoll und so reich an äußern Thatsachen sein Leben ge¬
wesen ist, eine wesentliche Aufgabe, mit der sein Name für die Nachwelt ver¬
bunden wäre, oder die auch uur ihn selbst innerlich befriedigt Hütte, hat er
nicht zu erfüllen gehabt. Nicht einmal seine persönlichen Verhältnisse liefen
günstig ans. Er heiratete im hohen Alter in zweiter Ehe ein junges Mädchen.
Seine Tochter aus erster Ehe war unglücklich verheiratet; ihre Söhne ver¬
kamen alle auf traurige Weise. Sein eigner Sohn hat nur Töchter hinter¬
lassen. So trägt keiner weiter den Namen dieses Pairs von Frankreich, trotz
des Fideikommisses, das er sich mit einigen Opfern hatte errichten müssen.

Wir Hütten Wohl gewünscht, daß dieser tragische Zug in dem Bilde Rein¬
harts etwas selbständiger in dem schönen Buche Längs aus der Erzählung
der Thatsachen herausgetreten wäre. Denn man meint darin doch etwas von
dem Walten der Nemesis zu spüren. Ein Renegat bleibt Reinhard immerhin,
und trotz Goethes und aller, die für ihn Partei genommen haben, möchte man
lieber Forster unter seine Borfahren zählen als Reinhard.

Mit dem Hauptmann Böse, einem deutschen Zeit- und Menschenbild von
Hermann Allmcrs (Oldenburg, Schulze, 1895), einer für die Bedeutung ihres
Inhalts wohl etwas zu ausführlich geratenen Lebensbeschreibung auf Grund
von Tagebuchmitteilungen, kommen wir nach Bremen. Böse war ein unter¬
nehmender, reicher Kaufmann und Zuckerfabrikant, der 1867 in hohem Alter
gestorben ist. Hauptmann nannte man ihn, weil er in den Befreiungskriegen
achtzig Jäger auf eigue Kosten ausgerüstet, selbst einexerzirt und ins Feld
geführt hatte, aber zu seinem großen Leidwesen nicht ins Feuer, was uicht
seiue Schuld war. Böse war ein sehr energischer Charakter und ein deutscher
Patriot vom Kopfe bis zur Zehe. Aber damit ist auch unser Interesse an
seiner Persönlichkeit erschöpft. Denn als Mann in mittlern Jahren, da es
keinen Reiz mehr für ihn hat, sein Vermögen zu vergrößern, verkauft er sein
Geschäft, kauft ein Gut im Hannöverschen und betreibt Landwirtschaft und
Jagd, daneben ein wenig Politik und entwickelt sich nun persönlich weiter zu
einem nüchternen, derben, einseitigen, echt niederdeutschen Sonderling, bis er
wieder in hohem Alter in die Stadt zurückkehrt und dort stirbt.

Allmers schildert den Mann, mit dem schon sein Vater befreundet war,
mit großer Herzenswärme. Es entgeht ihm nicht, daß der Lebensinhalt seines
Helden kaum sür eine Lebensbeschreibung ausreicht. Er meint dafür einen
Ersatz zu geben, wenn er seine Aufgabe als Kulturbild einer bestimmten Zeit


Erinnerungen aus der Lranzosenzeit

wurde. Bedeutung hatte er jetzt noch weniger als früher, und als er sich
mit 71 Jahren aus dein öffentlichen Leben nach Paris zurückzog, ließ er keine
Lücke zurück. Im Jahre 1837 ist er dann gestorben. Sein alter Freund und
Meister Talleyrand hielt ihm in der Akademie die Gedächtnisrede und unter¬
ließ es trotz aller Lobeserhebungen nicht, bei dieser Gelegenheit ihn möglichst
nachdrücklich hinzustellen als Mann zweiten Ranges, was er ja auch wirklich
war. Denn so wechselvoll und so reich an äußern Thatsachen sein Leben ge¬
wesen ist, eine wesentliche Aufgabe, mit der sein Name für die Nachwelt ver¬
bunden wäre, oder die auch uur ihn selbst innerlich befriedigt Hütte, hat er
nicht zu erfüllen gehabt. Nicht einmal seine persönlichen Verhältnisse liefen
günstig ans. Er heiratete im hohen Alter in zweiter Ehe ein junges Mädchen.
Seine Tochter aus erster Ehe war unglücklich verheiratet; ihre Söhne ver¬
kamen alle auf traurige Weise. Sein eigner Sohn hat nur Töchter hinter¬
lassen. So trägt keiner weiter den Namen dieses Pairs von Frankreich, trotz
des Fideikommisses, das er sich mit einigen Opfern hatte errichten müssen.

Wir Hütten Wohl gewünscht, daß dieser tragische Zug in dem Bilde Rein¬
harts etwas selbständiger in dem schönen Buche Längs aus der Erzählung
der Thatsachen herausgetreten wäre. Denn man meint darin doch etwas von
dem Walten der Nemesis zu spüren. Ein Renegat bleibt Reinhard immerhin,
und trotz Goethes und aller, die für ihn Partei genommen haben, möchte man
lieber Forster unter seine Borfahren zählen als Reinhard.

Mit dem Hauptmann Böse, einem deutschen Zeit- und Menschenbild von
Hermann Allmcrs (Oldenburg, Schulze, 1895), einer für die Bedeutung ihres
Inhalts wohl etwas zu ausführlich geratenen Lebensbeschreibung auf Grund
von Tagebuchmitteilungen, kommen wir nach Bremen. Böse war ein unter¬
nehmender, reicher Kaufmann und Zuckerfabrikant, der 1867 in hohem Alter
gestorben ist. Hauptmann nannte man ihn, weil er in den Befreiungskriegen
achtzig Jäger auf eigue Kosten ausgerüstet, selbst einexerzirt und ins Feld
geführt hatte, aber zu seinem großen Leidwesen nicht ins Feuer, was uicht
seiue Schuld war. Böse war ein sehr energischer Charakter und ein deutscher
Patriot vom Kopfe bis zur Zehe. Aber damit ist auch unser Interesse an
seiner Persönlichkeit erschöpft. Denn als Mann in mittlern Jahren, da es
keinen Reiz mehr für ihn hat, sein Vermögen zu vergrößern, verkauft er sein
Geschäft, kauft ein Gut im Hannöverschen und betreibt Landwirtschaft und
Jagd, daneben ein wenig Politik und entwickelt sich nun persönlich weiter zu
einem nüchternen, derben, einseitigen, echt niederdeutschen Sonderling, bis er
wieder in hohem Alter in die Stadt zurückkehrt und dort stirbt.

Allmers schildert den Mann, mit dem schon sein Vater befreundet war,
mit großer Herzenswärme. Es entgeht ihm nicht, daß der Lebensinhalt seines
Helden kaum sür eine Lebensbeschreibung ausreicht. Er meint dafür einen
Ersatz zu geben, wenn er seine Aufgabe als Kulturbild einer bestimmten Zeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222436"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus der Lranzosenzeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_383" prev="#ID_382"> wurde. Bedeutung hatte er jetzt noch weniger als früher, und als er sich<lb/>
mit 71 Jahren aus dein öffentlichen Leben nach Paris zurückzog, ließ er keine<lb/>
Lücke zurück. Im Jahre 1837 ist er dann gestorben. Sein alter Freund und<lb/>
Meister Talleyrand hielt ihm in der Akademie die Gedächtnisrede und unter¬<lb/>
ließ es trotz aller Lobeserhebungen nicht, bei dieser Gelegenheit ihn möglichst<lb/>
nachdrücklich hinzustellen als Mann zweiten Ranges, was er ja auch wirklich<lb/>
war. Denn so wechselvoll und so reich an äußern Thatsachen sein Leben ge¬<lb/>
wesen ist, eine wesentliche Aufgabe, mit der sein Name für die Nachwelt ver¬<lb/>
bunden wäre, oder die auch uur ihn selbst innerlich befriedigt Hütte, hat er<lb/>
nicht zu erfüllen gehabt. Nicht einmal seine persönlichen Verhältnisse liefen<lb/>
günstig ans. Er heiratete im hohen Alter in zweiter Ehe ein junges Mädchen.<lb/>
Seine Tochter aus erster Ehe war unglücklich verheiratet; ihre Söhne ver¬<lb/>
kamen alle auf traurige Weise. Sein eigner Sohn hat nur Töchter hinter¬<lb/>
lassen. So trägt keiner weiter den Namen dieses Pairs von Frankreich, trotz<lb/>
des Fideikommisses, das er sich mit einigen Opfern hatte errichten müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_384"> Wir Hütten Wohl gewünscht, daß dieser tragische Zug in dem Bilde Rein¬<lb/>
harts etwas selbständiger in dem schönen Buche Längs aus der Erzählung<lb/>
der Thatsachen herausgetreten wäre. Denn man meint darin doch etwas von<lb/>
dem Walten der Nemesis zu spüren. Ein Renegat bleibt Reinhard immerhin,<lb/>
und trotz Goethes und aller, die für ihn Partei genommen haben, möchte man<lb/>
lieber Forster unter seine Borfahren zählen als Reinhard.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_385"> Mit dem Hauptmann Böse, einem deutschen Zeit- und Menschenbild von<lb/>
Hermann Allmcrs (Oldenburg, Schulze, 1895), einer für die Bedeutung ihres<lb/>
Inhalts wohl etwas zu ausführlich geratenen Lebensbeschreibung auf Grund<lb/>
von Tagebuchmitteilungen, kommen wir nach Bremen. Böse war ein unter¬<lb/>
nehmender, reicher Kaufmann und Zuckerfabrikant, der 1867 in hohem Alter<lb/>
gestorben ist. Hauptmann nannte man ihn, weil er in den Befreiungskriegen<lb/>
achtzig Jäger auf eigue Kosten ausgerüstet, selbst einexerzirt und ins Feld<lb/>
geführt hatte, aber zu seinem großen Leidwesen nicht ins Feuer, was uicht<lb/>
seiue Schuld war. Böse war ein sehr energischer Charakter und ein deutscher<lb/>
Patriot vom Kopfe bis zur Zehe. Aber damit ist auch unser Interesse an<lb/>
seiner Persönlichkeit erschöpft. Denn als Mann in mittlern Jahren, da es<lb/>
keinen Reiz mehr für ihn hat, sein Vermögen zu vergrößern, verkauft er sein<lb/>
Geschäft, kauft ein Gut im Hannöverschen und betreibt Landwirtschaft und<lb/>
Jagd, daneben ein wenig Politik und entwickelt sich nun persönlich weiter zu<lb/>
einem nüchternen, derben, einseitigen, echt niederdeutschen Sonderling, bis er<lb/>
wieder in hohem Alter in die Stadt zurückkehrt und dort stirbt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_386" next="#ID_387"> Allmers schildert den Mann, mit dem schon sein Vater befreundet war,<lb/>
mit großer Herzenswärme. Es entgeht ihm nicht, daß der Lebensinhalt seines<lb/>
Helden kaum sür eine Lebensbeschreibung ausreicht. Er meint dafür einen<lb/>
Ersatz zu geben, wenn er seine Aufgabe als Kulturbild einer bestimmten Zeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] Erinnerungen aus der Lranzosenzeit wurde. Bedeutung hatte er jetzt noch weniger als früher, und als er sich mit 71 Jahren aus dein öffentlichen Leben nach Paris zurückzog, ließ er keine Lücke zurück. Im Jahre 1837 ist er dann gestorben. Sein alter Freund und Meister Talleyrand hielt ihm in der Akademie die Gedächtnisrede und unter¬ ließ es trotz aller Lobeserhebungen nicht, bei dieser Gelegenheit ihn möglichst nachdrücklich hinzustellen als Mann zweiten Ranges, was er ja auch wirklich war. Denn so wechselvoll und so reich an äußern Thatsachen sein Leben ge¬ wesen ist, eine wesentliche Aufgabe, mit der sein Name für die Nachwelt ver¬ bunden wäre, oder die auch uur ihn selbst innerlich befriedigt Hütte, hat er nicht zu erfüllen gehabt. Nicht einmal seine persönlichen Verhältnisse liefen günstig ans. Er heiratete im hohen Alter in zweiter Ehe ein junges Mädchen. Seine Tochter aus erster Ehe war unglücklich verheiratet; ihre Söhne ver¬ kamen alle auf traurige Weise. Sein eigner Sohn hat nur Töchter hinter¬ lassen. So trägt keiner weiter den Namen dieses Pairs von Frankreich, trotz des Fideikommisses, das er sich mit einigen Opfern hatte errichten müssen. Wir Hütten Wohl gewünscht, daß dieser tragische Zug in dem Bilde Rein¬ harts etwas selbständiger in dem schönen Buche Längs aus der Erzählung der Thatsachen herausgetreten wäre. Denn man meint darin doch etwas von dem Walten der Nemesis zu spüren. Ein Renegat bleibt Reinhard immerhin, und trotz Goethes und aller, die für ihn Partei genommen haben, möchte man lieber Forster unter seine Borfahren zählen als Reinhard. Mit dem Hauptmann Böse, einem deutschen Zeit- und Menschenbild von Hermann Allmcrs (Oldenburg, Schulze, 1895), einer für die Bedeutung ihres Inhalts wohl etwas zu ausführlich geratenen Lebensbeschreibung auf Grund von Tagebuchmitteilungen, kommen wir nach Bremen. Böse war ein unter¬ nehmender, reicher Kaufmann und Zuckerfabrikant, der 1867 in hohem Alter gestorben ist. Hauptmann nannte man ihn, weil er in den Befreiungskriegen achtzig Jäger auf eigue Kosten ausgerüstet, selbst einexerzirt und ins Feld geführt hatte, aber zu seinem großen Leidwesen nicht ins Feuer, was uicht seiue Schuld war. Böse war ein sehr energischer Charakter und ein deutscher Patriot vom Kopfe bis zur Zehe. Aber damit ist auch unser Interesse an seiner Persönlichkeit erschöpft. Denn als Mann in mittlern Jahren, da es keinen Reiz mehr für ihn hat, sein Vermögen zu vergrößern, verkauft er sein Geschäft, kauft ein Gut im Hannöverschen und betreibt Landwirtschaft und Jagd, daneben ein wenig Politik und entwickelt sich nun persönlich weiter zu einem nüchternen, derben, einseitigen, echt niederdeutschen Sonderling, bis er wieder in hohem Alter in die Stadt zurückkehrt und dort stirbt. Allmers schildert den Mann, mit dem schon sein Vater befreundet war, mit großer Herzenswärme. Es entgeht ihm nicht, daß der Lebensinhalt seines Helden kaum sür eine Lebensbeschreibung ausreicht. Er meint dafür einen Ersatz zu geben, wenn er seine Aufgabe als Kulturbild einer bestimmten Zeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/132>, abgerufen am 26.05.2024.