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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf wilbrcmdt

seine Sophie um sich gezogen haben, wenigstens ein Mensch, dem sie ihr
Schicksal enträtseln, in das Dornröschenschloß hineindringt, in dem sie Hausen.

Die angeführte Stelle aber ist charakteristisch für einen Zug der Dichtung
Wilbrandts, der je länger desto deutlicher hervortritt und immer stärker an¬
wachsend die völlige Selbständigkeit dieses Dichters entscheiden und bewähren
half. Während sich die Mehrzahl der Münchner in ihre fünf Sinne hinein-
resignirte, in der Ahnung des Unendlichen und dem Drange zum Ewigen
Abstraktion witterte und fürchtete, scheute Witbrandt nicht den Blick hinauf
und hinaus. In dem Gedicht "Weltmorgen" heißt es:

Ich horcht' und schaut' nuf Klang und Strahl,
Als sah ich die Welt zum erstenmal;
Als wär sie geschaffen zu dieser Stund,
Als dehnte sich eben das werdende Rund,
Sich nnzufüllen mit Lust und Qunl,
Ich fühle dich, erhabner Geist!
Der in sich atmet, was Werden heißt,
Der dies All erträumt, seines Seins Gedicht,
Und seines Traumes Schale bricht
Und sich hinein ins Leben reißt.
Und so geschmiedet, ein festes Haus,
Erschwingt sich das Leben hinauf und hinaus,
Und über den Jammer der ringenden Pein
Erfliegt er das hohe, das göttliche Sein
Und findet die Zinnen der Ewigen aus.

Es ist leicht, gegenüber solchem Zug und Drang achselzuckend von philosophisch¬
didaktischer Poesie zu reden; in Wahrheit handelt es sich doch um die Frage,
ob der Dichter verpflichtet sei, an den Grenzen der Ahnung, der Hoffnung,
der höchsten Sehnsucht scheu umzukehren. Selbst in Wilbrandts Novellistik
herein spielt das Bewußtsein des Außerirdischen, Unendlichen, unter den No¬
vellen "Aus der Heimat" behandelt die Novelle "Der Gast vom Abendstern"
in leicht ironischer, durchaus anmutiger Weise ein verwandtes Thema. Der
mystische Träumer, der sich halb und halb mit einem von dem Schwester-
Planeten Venus herabgekommnen Jüngling gleichstellt und die Ursache zu
dem frühen Opfertode eines schönen Menschenkindes wird, vermag uns freilich
mehr auf die Erde zurückzuverweisen, als über sie zu erheben. Wir müssen
Herrn von Barrow Recht geben, der nach der Heirat des Professors Hcnncmn-
Hesperus zornig ausruft: "Ich habe hier diesen Mann drei Monate lang ge¬
sehen: er ist wirklich vom Abendstern gekommen; er ist keiner von uns. Sehen
Sie doch nur in seine verschleierten, schwarzen Stern- und Fernguckeraugen.
Stundenlang saß er da auf dem Spill und wirkte in die Ferne, er war gar
nicht mehr in sich, er war mindestens eine gute Million Meilen von hier ent-


Grenzboten II 1896 17
Adolf wilbrcmdt

seine Sophie um sich gezogen haben, wenigstens ein Mensch, dem sie ihr
Schicksal enträtseln, in das Dornröschenschloß hineindringt, in dem sie Hausen.

Die angeführte Stelle aber ist charakteristisch für einen Zug der Dichtung
Wilbrandts, der je länger desto deutlicher hervortritt und immer stärker an¬
wachsend die völlige Selbständigkeit dieses Dichters entscheiden und bewähren
half. Während sich die Mehrzahl der Münchner in ihre fünf Sinne hinein-
resignirte, in der Ahnung des Unendlichen und dem Drange zum Ewigen
Abstraktion witterte und fürchtete, scheute Witbrandt nicht den Blick hinauf
und hinaus. In dem Gedicht „Weltmorgen" heißt es:

Ich horcht' und schaut' nuf Klang und Strahl,
Als sah ich die Welt zum erstenmal;
Als wär sie geschaffen zu dieser Stund,
Als dehnte sich eben das werdende Rund,
Sich nnzufüllen mit Lust und Qunl,
Ich fühle dich, erhabner Geist!
Der in sich atmet, was Werden heißt,
Der dies All erträumt, seines Seins Gedicht,
Und seines Traumes Schale bricht
Und sich hinein ins Leben reißt.
Und so geschmiedet, ein festes Haus,
Erschwingt sich das Leben hinauf und hinaus,
Und über den Jammer der ringenden Pein
Erfliegt er das hohe, das göttliche Sein
Und findet die Zinnen der Ewigen aus.

Es ist leicht, gegenüber solchem Zug und Drang achselzuckend von philosophisch¬
didaktischer Poesie zu reden; in Wahrheit handelt es sich doch um die Frage,
ob der Dichter verpflichtet sei, an den Grenzen der Ahnung, der Hoffnung,
der höchsten Sehnsucht scheu umzukehren. Selbst in Wilbrandts Novellistik
herein spielt das Bewußtsein des Außerirdischen, Unendlichen, unter den No¬
vellen „Aus der Heimat" behandelt die Novelle „Der Gast vom Abendstern"
in leicht ironischer, durchaus anmutiger Weise ein verwandtes Thema. Der
mystische Träumer, der sich halb und halb mit einem von dem Schwester-
Planeten Venus herabgekommnen Jüngling gleichstellt und die Ursache zu
dem frühen Opfertode eines schönen Menschenkindes wird, vermag uns freilich
mehr auf die Erde zurückzuverweisen, als über sie zu erheben. Wir müssen
Herrn von Barrow Recht geben, der nach der Heirat des Professors Hcnncmn-
Hesperus zornig ausruft: „Ich habe hier diesen Mann drei Monate lang ge¬
sehen: er ist wirklich vom Abendstern gekommen; er ist keiner von uns. Sehen
Sie doch nur in seine verschleierten, schwarzen Stern- und Fernguckeraugen.
Stundenlang saß er da auf dem Spill und wirkte in die Ferne, er war gar
nicht mehr in sich, er war mindestens eine gute Million Meilen von hier ent-


Grenzboten II 1896 17
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[0137] Adolf wilbrcmdt seine Sophie um sich gezogen haben, wenigstens ein Mensch, dem sie ihr Schicksal enträtseln, in das Dornröschenschloß hineindringt, in dem sie Hausen. Die angeführte Stelle aber ist charakteristisch für einen Zug der Dichtung Wilbrandts, der je länger desto deutlicher hervortritt und immer stärker an¬ wachsend die völlige Selbständigkeit dieses Dichters entscheiden und bewähren half. Während sich die Mehrzahl der Münchner in ihre fünf Sinne hinein- resignirte, in der Ahnung des Unendlichen und dem Drange zum Ewigen Abstraktion witterte und fürchtete, scheute Witbrandt nicht den Blick hinauf und hinaus. In dem Gedicht „Weltmorgen" heißt es: Ich horcht' und schaut' nuf Klang und Strahl, Als sah ich die Welt zum erstenmal; Als wär sie geschaffen zu dieser Stund, Als dehnte sich eben das werdende Rund, Sich nnzufüllen mit Lust und Qunl, Ich fühle dich, erhabner Geist! Der in sich atmet, was Werden heißt, Der dies All erträumt, seines Seins Gedicht, Und seines Traumes Schale bricht Und sich hinein ins Leben reißt. Und so geschmiedet, ein festes Haus, Erschwingt sich das Leben hinauf und hinaus, Und über den Jammer der ringenden Pein Erfliegt er das hohe, das göttliche Sein Und findet die Zinnen der Ewigen aus. Es ist leicht, gegenüber solchem Zug und Drang achselzuckend von philosophisch¬ didaktischer Poesie zu reden; in Wahrheit handelt es sich doch um die Frage, ob der Dichter verpflichtet sei, an den Grenzen der Ahnung, der Hoffnung, der höchsten Sehnsucht scheu umzukehren. Selbst in Wilbrandts Novellistik herein spielt das Bewußtsein des Außerirdischen, Unendlichen, unter den No¬ vellen „Aus der Heimat" behandelt die Novelle „Der Gast vom Abendstern" in leicht ironischer, durchaus anmutiger Weise ein verwandtes Thema. Der mystische Träumer, der sich halb und halb mit einem von dem Schwester- Planeten Venus herabgekommnen Jüngling gleichstellt und die Ursache zu dem frühen Opfertode eines schönen Menschenkindes wird, vermag uns freilich mehr auf die Erde zurückzuverweisen, als über sie zu erheben. Wir müssen Herrn von Barrow Recht geben, der nach der Heirat des Professors Hcnncmn- Hesperus zornig ausruft: „Ich habe hier diesen Mann drei Monate lang ge¬ sehen: er ist wirklich vom Abendstern gekommen; er ist keiner von uns. Sehen Sie doch nur in seine verschleierten, schwarzen Stern- und Fernguckeraugen. Stundenlang saß er da auf dem Spill und wirkte in die Ferne, er war gar nicht mehr in sich, er war mindestens eine gute Million Meilen von hier ent- Grenzboten II 1896 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/137>, abgerufen am 23.05.2024.