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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf wilbrandt

die Stimmgabel für den Ausklmig des Romans. "Ob er Recht hat mit seinem
Glauben? Wer weiß es? Ich weiß nur, daß es gut ist, so zu leben, als
hatte er Recht: uns so reif zu machen, wie wir irgend können, so menschlich,
so gut zu werden, als in uns gelegt ist." Wittekind und seiner Fran, auch dem
enthusiastischen Berthold, der nach langem Schwanken sich für den Dienst auf der
deutschen Flotte entscheidet, glaubt man gern, daß sie in diesem Sinne leben werden.

Und hier liegt das stärkste Gewicht der neuern Wilbrandtschen Dichtung.
Der Dichter ist mit allem genährt worden, was der modernen Bildung ihr
Wesen giebt. Die neueste Philosophie mit ihrem Pessimismus, die Natur¬
wissenschaften mit der ganzen Macht ihrer rastlosen Bestrebungen sind ihm so
vertraut geworden, wie irgend einem der "Jüngsten." Er rühmt es selbst als
ein Glück, "Darwin und Hunderte von begabten, thätigen Ergründern der
Natur" erlebt zu haben. Dennoch hat keine dieser Gewalten sein männliches
Gefühl, daß das Leben wert sei, gelebt zu werden, je zu erschüttern, sondern
im Gegenteil nur zu steigern vermocht. Kein Gram der Erde ist ihm fremd
geblieben, das erschütterndste Leid hat -- um uur an eins zu erinnern -- der
Freund und Biograph des unglücklichen Johannes Kugler erleben und mit an¬
sehen müssen, dennoch stellt er fort und fort die Forderung an diemenschliche
Natur, sich über den gemeinen Jammer und über den berechtigtsten, tiefsten
Schmerz mit dem Pflichtgefühl, mit der Arbeit, mit der Teilnahme an allem
Menschlichen zu erheben, bewahrt sich den Drang, das Licht neben und über
allem Dunkel zu sehen. Von Selbstbelügung kann bei einem Dichter solches
Gepräges nicht die Rede sein, von optimistischer Phrase oder kindlicher Welt¬
unkenntnis ebenso wenig, es ist also eine seltne Kraft, eine ungemeine Samm¬
lung, Elastizität und Reife des Geistes, aus der sein Lebensgefühl und Lebens¬
vertrauen erwachsen. Er spottet nicht der Schmerzen, in denen ein jüngeres
Geschlecht dahinsieche, aber er überwindet sie und gewinnt jederzeit neuen festen
Boden für seine gesunde, weltgenießende, weltentsagende Anschauung.

Daß es ohne die Entsagung des Einzelnen nicht abgehen kann, daß der
Einzelne, so tapfer er ringen, so entschlossen er leben mag, mit den ewigen
Gesetzen des Menschendaseins nicht in Widerspruch kommen darf, hat der Dichter
früh empfunden, durch seine Dichtungen hindurch festgehalten, aber zur vollen
und reinen poetischen Wirkung erst in dein Meisterwerke gebracht, das unter
allen seinen dramatischen Dichtungen vielleicht im gewöhnlichen Vühnensinne
die am wenigsten dramatische und doch die wertvollste, die wirksamste ist. "Der
Meister von Palmhra" (1889) ist diese lebens- und farbenvolle und zugleich
tiefsinnige Schöpfung, durch die sich wie ein goldner Faden das alte Advnislied
hindurchzieht:


Also wills der ewige Zeus: du mußt nun
Niedersteigen unter die blühnde Erde,
Mußt die dunkle Persephoneia küssen,
Schöner AdoniÄ!

Adolf wilbrandt

die Stimmgabel für den Ausklmig des Romans. „Ob er Recht hat mit seinem
Glauben? Wer weiß es? Ich weiß nur, daß es gut ist, so zu leben, als
hatte er Recht: uns so reif zu machen, wie wir irgend können, so menschlich,
so gut zu werden, als in uns gelegt ist." Wittekind und seiner Fran, auch dem
enthusiastischen Berthold, der nach langem Schwanken sich für den Dienst auf der
deutschen Flotte entscheidet, glaubt man gern, daß sie in diesem Sinne leben werden.

Und hier liegt das stärkste Gewicht der neuern Wilbrandtschen Dichtung.
Der Dichter ist mit allem genährt worden, was der modernen Bildung ihr
Wesen giebt. Die neueste Philosophie mit ihrem Pessimismus, die Natur¬
wissenschaften mit der ganzen Macht ihrer rastlosen Bestrebungen sind ihm so
vertraut geworden, wie irgend einem der „Jüngsten." Er rühmt es selbst als
ein Glück, „Darwin und Hunderte von begabten, thätigen Ergründern der
Natur" erlebt zu haben. Dennoch hat keine dieser Gewalten sein männliches
Gefühl, daß das Leben wert sei, gelebt zu werden, je zu erschüttern, sondern
im Gegenteil nur zu steigern vermocht. Kein Gram der Erde ist ihm fremd
geblieben, das erschütterndste Leid hat — um uur an eins zu erinnern — der
Freund und Biograph des unglücklichen Johannes Kugler erleben und mit an¬
sehen müssen, dennoch stellt er fort und fort die Forderung an diemenschliche
Natur, sich über den gemeinen Jammer und über den berechtigtsten, tiefsten
Schmerz mit dem Pflichtgefühl, mit der Arbeit, mit der Teilnahme an allem
Menschlichen zu erheben, bewahrt sich den Drang, das Licht neben und über
allem Dunkel zu sehen. Von Selbstbelügung kann bei einem Dichter solches
Gepräges nicht die Rede sein, von optimistischer Phrase oder kindlicher Welt¬
unkenntnis ebenso wenig, es ist also eine seltne Kraft, eine ungemeine Samm¬
lung, Elastizität und Reife des Geistes, aus der sein Lebensgefühl und Lebens¬
vertrauen erwachsen. Er spottet nicht der Schmerzen, in denen ein jüngeres
Geschlecht dahinsieche, aber er überwindet sie und gewinnt jederzeit neuen festen
Boden für seine gesunde, weltgenießende, weltentsagende Anschauung.

Daß es ohne die Entsagung des Einzelnen nicht abgehen kann, daß der
Einzelne, so tapfer er ringen, so entschlossen er leben mag, mit den ewigen
Gesetzen des Menschendaseins nicht in Widerspruch kommen darf, hat der Dichter
früh empfunden, durch seine Dichtungen hindurch festgehalten, aber zur vollen
und reinen poetischen Wirkung erst in dein Meisterwerke gebracht, das unter
allen seinen dramatischen Dichtungen vielleicht im gewöhnlichen Vühnensinne
die am wenigsten dramatische und doch die wertvollste, die wirksamste ist. „Der
Meister von Palmhra" (1889) ist diese lebens- und farbenvolle und zugleich
tiefsinnige Schöpfung, durch die sich wie ein goldner Faden das alte Advnislied
hindurchzieht:


Also wills der ewige Zeus: du mußt nun
Niedersteigen unter die blühnde Erde,
Mußt die dunkle Persephoneia küssen,
Schöner AdoniÄ!

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[0143] Adolf wilbrandt die Stimmgabel für den Ausklmig des Romans. „Ob er Recht hat mit seinem Glauben? Wer weiß es? Ich weiß nur, daß es gut ist, so zu leben, als hatte er Recht: uns so reif zu machen, wie wir irgend können, so menschlich, so gut zu werden, als in uns gelegt ist." Wittekind und seiner Fran, auch dem enthusiastischen Berthold, der nach langem Schwanken sich für den Dienst auf der deutschen Flotte entscheidet, glaubt man gern, daß sie in diesem Sinne leben werden. Und hier liegt das stärkste Gewicht der neuern Wilbrandtschen Dichtung. Der Dichter ist mit allem genährt worden, was der modernen Bildung ihr Wesen giebt. Die neueste Philosophie mit ihrem Pessimismus, die Natur¬ wissenschaften mit der ganzen Macht ihrer rastlosen Bestrebungen sind ihm so vertraut geworden, wie irgend einem der „Jüngsten." Er rühmt es selbst als ein Glück, „Darwin und Hunderte von begabten, thätigen Ergründern der Natur" erlebt zu haben. Dennoch hat keine dieser Gewalten sein männliches Gefühl, daß das Leben wert sei, gelebt zu werden, je zu erschüttern, sondern im Gegenteil nur zu steigern vermocht. Kein Gram der Erde ist ihm fremd geblieben, das erschütterndste Leid hat — um uur an eins zu erinnern — der Freund und Biograph des unglücklichen Johannes Kugler erleben und mit an¬ sehen müssen, dennoch stellt er fort und fort die Forderung an diemenschliche Natur, sich über den gemeinen Jammer und über den berechtigtsten, tiefsten Schmerz mit dem Pflichtgefühl, mit der Arbeit, mit der Teilnahme an allem Menschlichen zu erheben, bewahrt sich den Drang, das Licht neben und über allem Dunkel zu sehen. Von Selbstbelügung kann bei einem Dichter solches Gepräges nicht die Rede sein, von optimistischer Phrase oder kindlicher Welt¬ unkenntnis ebenso wenig, es ist also eine seltne Kraft, eine ungemeine Samm¬ lung, Elastizität und Reife des Geistes, aus der sein Lebensgefühl und Lebens¬ vertrauen erwachsen. Er spottet nicht der Schmerzen, in denen ein jüngeres Geschlecht dahinsieche, aber er überwindet sie und gewinnt jederzeit neuen festen Boden für seine gesunde, weltgenießende, weltentsagende Anschauung. Daß es ohne die Entsagung des Einzelnen nicht abgehen kann, daß der Einzelne, so tapfer er ringen, so entschlossen er leben mag, mit den ewigen Gesetzen des Menschendaseins nicht in Widerspruch kommen darf, hat der Dichter früh empfunden, durch seine Dichtungen hindurch festgehalten, aber zur vollen und reinen poetischen Wirkung erst in dein Meisterwerke gebracht, das unter allen seinen dramatischen Dichtungen vielleicht im gewöhnlichen Vühnensinne die am wenigsten dramatische und doch die wertvollste, die wirksamste ist. „Der Meister von Palmhra" (1889) ist diese lebens- und farbenvolle und zugleich tiefsinnige Schöpfung, durch die sich wie ein goldner Faden das alte Advnislied hindurchzieht: Also wills der ewige Zeus: du mußt nun Niedersteigen unter die blühnde Erde, Mußt die dunkle Persephoneia küssen, Schöner AdoniÄ!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/143>, abgerufen am 26.05.2024.