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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Wilbrcmdt

Es ist eine symbolische, keine realistische Dichtung, ein Drama, das die Schranken
der Handlnngs- und Zeiteinheit um des höhern Zweckes willen kühn über¬
springt. Aber so mächtig und eigentümlich sich die Erfindung zeigt, die das
Hereinragen einer höhern, außerirdischen Welt in die unsre verkörpert, so fein
ist sie auf Hintergrund und Umgebung gestimmt, so lebensvoll, menschlich und
natürlich sind die einzelnen Handlungen des Gedichts, die nur durch die
poetische Idee und den hindurchgehenden Helden, Apelles, den Meister von
Palmhra, zur Einheit werden, verkörpert; der energischste Realist könnte Welt
und Zustände nicht schärfer und deutlicher wiedergeben, als es in diesen dra¬
matischen Bildern geschieht, von denen jedes einen Akt füllt. Die erhabne
Symbolik des Gedichts steigt aus einem Boden empor, der recht für so wunder¬
same Träume, so gewaltige Visionen geschaffen ist. Die Palmenstadt in der
syrischen Wüste in der Zeit des Niedergangs der alten Welt, in den Tagen
des Ringens zwischen Heidentum und Christentum ist der Schauplatz des
"Meisters von Palmyra." Der Held, der Baumeister Apelles, ist ein Bürger
der Stadt. Sein erster Aufschwung fällt in die Tage des christcnverfvlgenden
Kaisers Diokletian. In heißer Liebe zu seiner Vaterstadt hat der kräftige,
stattliche Mann die künstlerische mit,der politisch-kriegerischen Thätigkeit ver¬
tauscht, ist er der Führer und Abgott seiner Mitbürger geworden, die sich gegen
die Perser selbst helfen, da ihnen das Reich nicht mehr helfen kann. Bei der
Rückkehr von einer Siegesschlacht kommt Apelles zu einer Felsenhöhle in der
Wüste, in der nach der Sage der Geist des Lebens und der Herr des Todes
Hausen, bekennt dem begleitenden Freunde, daß er sich sehne, in Arbeit und
Genuß ewig zu leben:


Ewig -- wenn
Des Geistes Kraft, das Mark des Arms mir bliebe,
Des Daseins Wert zu fühlen und zu halten.

Umsonst warnt ihn dann der Geist des Lebens, daß Leben ohne Ende Neue
ohne Ende werden würde, er entgegnet, daß sich ein hohes Gut nicht zum
Übel wandeln könne, er fordert und empfängt von den Allwaltenden. Unsicht¬
baren nur die Verheißung, daß ihm, wenn er ewig lebe, Geist und Leib
niemals ermatten sollen. Kurz vor dieser Szene ist an der geheimnisvollen
Höhle eine junge Christin, Zoe, entschlummert, die uach Palmyra ziehen
und dort ihren Glauben verkündigen will und vor der Möglichkeit, ja Gewi߬
heit des Märtyrertodes nicht zurückschreckt. Sie ist nach höchstem Ratschluß
bestimmt, den Tod in der Palmenstadt zu finden, dann aber von Form zu
Form zu wandern, als Abbild ewig neu geformten Lebens "den zu führen, zu
belehren, der in sich verharren will." Mit der triumphirenden Rückkehr des
Apelles in sein Haus zu Palmyra und der Ermordung der jungen Christin
durch den heidnischen Pöbel vor diesem Hause beginnt die Reihe der Wechsel-
vollen Erlebnisse des Meisters. Nach einander tritt das wunderbare Geschöpf,


Adolf Wilbrcmdt

Es ist eine symbolische, keine realistische Dichtung, ein Drama, das die Schranken
der Handlnngs- und Zeiteinheit um des höhern Zweckes willen kühn über¬
springt. Aber so mächtig und eigentümlich sich die Erfindung zeigt, die das
Hereinragen einer höhern, außerirdischen Welt in die unsre verkörpert, so fein
ist sie auf Hintergrund und Umgebung gestimmt, so lebensvoll, menschlich und
natürlich sind die einzelnen Handlungen des Gedichts, die nur durch die
poetische Idee und den hindurchgehenden Helden, Apelles, den Meister von
Palmhra, zur Einheit werden, verkörpert; der energischste Realist könnte Welt
und Zustände nicht schärfer und deutlicher wiedergeben, als es in diesen dra¬
matischen Bildern geschieht, von denen jedes einen Akt füllt. Die erhabne
Symbolik des Gedichts steigt aus einem Boden empor, der recht für so wunder¬
same Träume, so gewaltige Visionen geschaffen ist. Die Palmenstadt in der
syrischen Wüste in der Zeit des Niedergangs der alten Welt, in den Tagen
des Ringens zwischen Heidentum und Christentum ist der Schauplatz des
„Meisters von Palmyra." Der Held, der Baumeister Apelles, ist ein Bürger
der Stadt. Sein erster Aufschwung fällt in die Tage des christcnverfvlgenden
Kaisers Diokletian. In heißer Liebe zu seiner Vaterstadt hat der kräftige,
stattliche Mann die künstlerische mit,der politisch-kriegerischen Thätigkeit ver¬
tauscht, ist er der Führer und Abgott seiner Mitbürger geworden, die sich gegen
die Perser selbst helfen, da ihnen das Reich nicht mehr helfen kann. Bei der
Rückkehr von einer Siegesschlacht kommt Apelles zu einer Felsenhöhle in der
Wüste, in der nach der Sage der Geist des Lebens und der Herr des Todes
Hausen, bekennt dem begleitenden Freunde, daß er sich sehne, in Arbeit und
Genuß ewig zu leben:


Ewig — wenn
Des Geistes Kraft, das Mark des Arms mir bliebe,
Des Daseins Wert zu fühlen und zu halten.

Umsonst warnt ihn dann der Geist des Lebens, daß Leben ohne Ende Neue
ohne Ende werden würde, er entgegnet, daß sich ein hohes Gut nicht zum
Übel wandeln könne, er fordert und empfängt von den Allwaltenden. Unsicht¬
baren nur die Verheißung, daß ihm, wenn er ewig lebe, Geist und Leib
niemals ermatten sollen. Kurz vor dieser Szene ist an der geheimnisvollen
Höhle eine junge Christin, Zoe, entschlummert, die uach Palmyra ziehen
und dort ihren Glauben verkündigen will und vor der Möglichkeit, ja Gewi߬
heit des Märtyrertodes nicht zurückschreckt. Sie ist nach höchstem Ratschluß
bestimmt, den Tod in der Palmenstadt zu finden, dann aber von Form zu
Form zu wandern, als Abbild ewig neu geformten Lebens „den zu führen, zu
belehren, der in sich verharren will." Mit der triumphirenden Rückkehr des
Apelles in sein Haus zu Palmyra und der Ermordung der jungen Christin
durch den heidnischen Pöbel vor diesem Hause beginnt die Reihe der Wechsel-
vollen Erlebnisse des Meisters. Nach einander tritt das wunderbare Geschöpf,


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[0144] Adolf Wilbrcmdt Es ist eine symbolische, keine realistische Dichtung, ein Drama, das die Schranken der Handlnngs- und Zeiteinheit um des höhern Zweckes willen kühn über¬ springt. Aber so mächtig und eigentümlich sich die Erfindung zeigt, die das Hereinragen einer höhern, außerirdischen Welt in die unsre verkörpert, so fein ist sie auf Hintergrund und Umgebung gestimmt, so lebensvoll, menschlich und natürlich sind die einzelnen Handlungen des Gedichts, die nur durch die poetische Idee und den hindurchgehenden Helden, Apelles, den Meister von Palmhra, zur Einheit werden, verkörpert; der energischste Realist könnte Welt und Zustände nicht schärfer und deutlicher wiedergeben, als es in diesen dra¬ matischen Bildern geschieht, von denen jedes einen Akt füllt. Die erhabne Symbolik des Gedichts steigt aus einem Boden empor, der recht für so wunder¬ same Träume, so gewaltige Visionen geschaffen ist. Die Palmenstadt in der syrischen Wüste in der Zeit des Niedergangs der alten Welt, in den Tagen des Ringens zwischen Heidentum und Christentum ist der Schauplatz des „Meisters von Palmyra." Der Held, der Baumeister Apelles, ist ein Bürger der Stadt. Sein erster Aufschwung fällt in die Tage des christcnverfvlgenden Kaisers Diokletian. In heißer Liebe zu seiner Vaterstadt hat der kräftige, stattliche Mann die künstlerische mit,der politisch-kriegerischen Thätigkeit ver¬ tauscht, ist er der Führer und Abgott seiner Mitbürger geworden, die sich gegen die Perser selbst helfen, da ihnen das Reich nicht mehr helfen kann. Bei der Rückkehr von einer Siegesschlacht kommt Apelles zu einer Felsenhöhle in der Wüste, in der nach der Sage der Geist des Lebens und der Herr des Todes Hausen, bekennt dem begleitenden Freunde, daß er sich sehne, in Arbeit und Genuß ewig zu leben: Ewig — wenn Des Geistes Kraft, das Mark des Arms mir bliebe, Des Daseins Wert zu fühlen und zu halten. Umsonst warnt ihn dann der Geist des Lebens, daß Leben ohne Ende Neue ohne Ende werden würde, er entgegnet, daß sich ein hohes Gut nicht zum Übel wandeln könne, er fordert und empfängt von den Allwaltenden. Unsicht¬ baren nur die Verheißung, daß ihm, wenn er ewig lebe, Geist und Leib niemals ermatten sollen. Kurz vor dieser Szene ist an der geheimnisvollen Höhle eine junge Christin, Zoe, entschlummert, die uach Palmyra ziehen und dort ihren Glauben verkündigen will und vor der Möglichkeit, ja Gewi߬ heit des Märtyrertodes nicht zurückschreckt. Sie ist nach höchstem Ratschluß bestimmt, den Tod in der Palmenstadt zu finden, dann aber von Form zu Form zu wandern, als Abbild ewig neu geformten Lebens „den zu führen, zu belehren, der in sich verharren will." Mit der triumphirenden Rückkehr des Apelles in sein Haus zu Palmyra und der Ermordung der jungen Christin durch den heidnischen Pöbel vor diesem Hause beginnt die Reihe der Wechsel- vollen Erlebnisse des Meisters. Nach einander tritt das wunderbare Geschöpf,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/144>, abgerufen am 23.05.2024.