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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf wilbrandt

er in überschwenglicher Großmut einen Lump hegt, seinen Neffen Emil Wiese,
die Zukunft seiner Familie, der alten Mutter und der Töchter, aufs Spiel.
Zum Glück hat der Arzt schon eine tiefe und warme Neigung für Malwine
Adler, die Tochter des Philosophen, gefaßt, die ihn neben dem unseligen
Manne ausharren läßt. Die Katastrophe kommt mit der Erscheinung des aus
Norwegen heimkehrenden bairischen Bildschnitzers, Vegetarianers und Natur¬
apostels Johannes Westenberger. Wie ein Blitz schlägt es bei Adler ein, daß
dieser Biedre, der in Mönchstracht durchs Leben wallt und in einer Holzhütte
am Walchensee sanft, seine "Osterinsel" schon gefunden hat, auf die Ver¬
wirklichung seiner Trünme nicht zu warten braucht. Wie er ihm aber nach¬
reist, in sein Paradies eintritt, übermannt ihn wilder Ingrimm über Wcsten-
bergers enge Armseligkeit und gebückte Demut. Er wird uur durch einen seiner
Jünger, den Musiker Hans Bergmann, davor bewahrt, den armen Brot- und
Äpfclesfer in seinem Walchensee zu ertränken, kehrt mit zerrütteten Geist in
die Heimat zurück, rafft sich ein letztesmal empor, um dem Buben Emil, der
aus den Phönixschriftcn die allgemeine Gleichheit predigt, in offner Sozial¬
demokratenversammlung niederzuschmettern. Dann legt er sich zum Sterben
und scheidet zu seinem Glück aus der Welt. Denn wie Karl Schweitzer zu
seiner Braut Malwine sagt: "Die Osterinsel würde, wenn er weiter lebte, seine
letzte und größte Enttäuschung werden. Uns bleibt am Ende nichts, als die
innere Osterinsel. Wenig, Fräulein Malwine. Aber was will der Mensch!
Er muß wollen, was er kann. Nun, und dann muß einer den andern suchen,
die Osterinseln müssen sich finden, sie müssen zu größern und immer größern
zusammenwachsen, mitten in der Welt. Anders gehts nicht!"

Karl Schweitzer hat Recht, hat vielleicht mehr Recht, als der Dichter be¬
absichtigt hat. Menschen wie dieser tapfre, junge Arzt -- und auf solche
Menschen ist die bessere Zukunft zunächst unsers Volks und weiter der Welt
angewiesen -- bedürfen nicht eines Propheten wie Helmuth Adler, um von
dem breiten Wege auf den engen, emporführeuden zu gelangen. Unbewußt
-- oder wäre es doch bewußt? -- verkörpert Wilbrandt in seiner Erfindung
den lebendigen Protest aller starken, gesunden Naturen, die zu den Tugenden
des echten Menschen auch das heilige Maß noch rechnen gegen alles maßlose,
größenwahnsinnige, blind lärmende, starr einseitige Aposteltum. Es ist be¬
wunderungswürdig, wie der Dichter in der einfachen Handlung der "Oster¬
insel" alle Eindrücke einer gährenden Periode zusammenfaßt. Darwin und
Schopenhauer, Nietzsche und Tolstoi, die Karikaturen der Mäßigkeitsprediger
und Naturheilkünstler, alle Niederschläge der modernen Hyperkultur, die irre
geworden ist an sich selbst, spielen in den Roman herein. Indem der Dichter
der Tragik in der Empfindung und Entwicklung des Philosophen Adler gerecht
wird, ja eine" Glorienschein über die treibende Kraft und das edle letzte Ziel
seines Helden ergießt, richtet er streng die wilde Überhebung, die nicht im


Adolf wilbrandt

er in überschwenglicher Großmut einen Lump hegt, seinen Neffen Emil Wiese,
die Zukunft seiner Familie, der alten Mutter und der Töchter, aufs Spiel.
Zum Glück hat der Arzt schon eine tiefe und warme Neigung für Malwine
Adler, die Tochter des Philosophen, gefaßt, die ihn neben dem unseligen
Manne ausharren läßt. Die Katastrophe kommt mit der Erscheinung des aus
Norwegen heimkehrenden bairischen Bildschnitzers, Vegetarianers und Natur¬
apostels Johannes Westenberger. Wie ein Blitz schlägt es bei Adler ein, daß
dieser Biedre, der in Mönchstracht durchs Leben wallt und in einer Holzhütte
am Walchensee sanft, seine „Osterinsel" schon gefunden hat, auf die Ver¬
wirklichung seiner Trünme nicht zu warten braucht. Wie er ihm aber nach¬
reist, in sein Paradies eintritt, übermannt ihn wilder Ingrimm über Wcsten-
bergers enge Armseligkeit und gebückte Demut. Er wird uur durch einen seiner
Jünger, den Musiker Hans Bergmann, davor bewahrt, den armen Brot- und
Äpfclesfer in seinem Walchensee zu ertränken, kehrt mit zerrütteten Geist in
die Heimat zurück, rafft sich ein letztesmal empor, um dem Buben Emil, der
aus den Phönixschriftcn die allgemeine Gleichheit predigt, in offner Sozial¬
demokratenversammlung niederzuschmettern. Dann legt er sich zum Sterben
und scheidet zu seinem Glück aus der Welt. Denn wie Karl Schweitzer zu
seiner Braut Malwine sagt: „Die Osterinsel würde, wenn er weiter lebte, seine
letzte und größte Enttäuschung werden. Uns bleibt am Ende nichts, als die
innere Osterinsel. Wenig, Fräulein Malwine. Aber was will der Mensch!
Er muß wollen, was er kann. Nun, und dann muß einer den andern suchen,
die Osterinseln müssen sich finden, sie müssen zu größern und immer größern
zusammenwachsen, mitten in der Welt. Anders gehts nicht!"

Karl Schweitzer hat Recht, hat vielleicht mehr Recht, als der Dichter be¬
absichtigt hat. Menschen wie dieser tapfre, junge Arzt — und auf solche
Menschen ist die bessere Zukunft zunächst unsers Volks und weiter der Welt
angewiesen — bedürfen nicht eines Propheten wie Helmuth Adler, um von
dem breiten Wege auf den engen, emporführeuden zu gelangen. Unbewußt
— oder wäre es doch bewußt? — verkörpert Wilbrandt in seiner Erfindung
den lebendigen Protest aller starken, gesunden Naturen, die zu den Tugenden
des echten Menschen auch das heilige Maß noch rechnen gegen alles maßlose,
größenwahnsinnige, blind lärmende, starr einseitige Aposteltum. Es ist be¬
wunderungswürdig, wie der Dichter in der einfachen Handlung der „Oster¬
insel" alle Eindrücke einer gährenden Periode zusammenfaßt. Darwin und
Schopenhauer, Nietzsche und Tolstoi, die Karikaturen der Mäßigkeitsprediger
und Naturheilkünstler, alle Niederschläge der modernen Hyperkultur, die irre
geworden ist an sich selbst, spielen in den Roman herein. Indem der Dichter
der Tragik in der Empfindung und Entwicklung des Philosophen Adler gerecht
wird, ja eine« Glorienschein über die treibende Kraft und das edle letzte Ziel
seines Helden ergießt, richtet er streng die wilde Überhebung, die nicht im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/148>, abgerufen am 13.05.2024.