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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Mlbrandt

geben der "Osterinsel" einen Hauch von frischer Lebendigkeit, so einsam
auch der Held unter seinen Mitbürgern dasteht. Aber die Wurzeln seiner
Besonderheit reichen in das gährende Gedankenleben, in einen weit gefühlten,
leidenschaftlichen Drang unsrer Tage hinab, der isolirte Mann mit seinem
Einzelschicksal wird zum Typus des modernen revolutionären Größenwahns.
In Zeiten, wo banausische Genußsucht, die allgemeinste Gleichgiltigkeit gegen
ein Hohes und Heiliges, die fabrikmäßig produzirte Halbintelligenz die Mensch¬
heit mit seelischem Niedergang (mit "allgemeiner Verpöbelung," sagt Doktor
Helmuth Adler, der Held der "Osterinsel") bedrohen, sind Menschen von starkem
Herzen, großem Sinn und ungewöhnlichem Geist in doppelter Art gefährdet.
Sie finden für das Ideale, das ihnen Lebensnotwendigkeit ist, kein Verständnis,
sie werden von der Masse mit spöttisch-feindseligen Blicken betrachtet, sie atmen
mit dem Bewußtsein, daß ihnen die Luft abgeschnitten werden soll. Und doch
ist ihre Jsolirung die kleinere Gefahr. Die größere liegt in der unbewußten
Übersteigerung ihres Selbstgefühls, in der zornigen Überhebung ihrer edeln
Natur. In dem Bewußtsein, daß sie das Göttliche nicht schnöde wie die
Masse verleugnen, fühlen sie sich allzu leicht als Halbgötter und Propheten,
und die Sehnsucht, dem allgemeinen Verfall zu entrinnen, bereitet ihnen einen
besondern Verfall. Sie vergessen, daß der "Vollmensch," der reine und innerlich
hohe Mensch, ebenso wenig in den Abgründen des Größenwahns, der geistigen
Umnachtung, wie in dem Sumpfe der Alltäglichkeit gedeiht. ,

Das ist das Geschick des Doktor Adler, mit dessen Nachtwache am Sarge
eines geliebten Weibes der Roman erschütternd und in tragischer Grundstim-
mung beginnt. Fieberhaft regt sich in Adler die Sehnsucht, sich durch einen
gewaltigen Aufschwung das Weiterleben zu sichern, seinem Schmerz das Höchste
abzugewinnen. "Wohin will diese trostlose, greisenhafte Zeit?" fragt er sich.
"Wer kaun uns erlösen? Ich kanns, ich, der Phönix, kanns. Seht sie doch
an, die Menschheit, wie sie ist, als einen Übergang. Verjüngt euch wie der
Phönix. Werdet euer Traum. Überwindet deu Menschen, wie er den Affen
überwand, steigt empor auf der Erde Gipfel!" Mit feinster Kunst läßt der
Dichter schon aus dieser Zuversicht Adlers den Wahnsinn keimen, nicht in der
berechtigten sittlichen Forderung des neuen Propheten, sondern in der Phan¬
tasie auf dem Südseeeiland die edler empfindenden, nach Läuterung verlangenden
Naturen von der übrigen Menschheit abzugrenzen und abzuschließen. Als der
"Phönix" wirft Adler seine Gedanken hinaus, aber es ergeht ihm, wie so vielen
andern Propheten dieser Tage, seiner erbarmungslosen Kritik der bestehenden
Gesellschaft folgt jauchzender Beifall, aber mit der Fahrt nach der Oster-
wsel machen wenige Ernst, und die zur Gründung der neuen Welt notwendigen
Millionen will keiner hergeben. In der Uberhitzung seines Prophetentnms ver¬
liert Adler nicht nnr das Urteil über seine nächste Umgebung, stößt den besten
Anhänger, den jungen Arzt Karl Schweitzer, von sich, sondern setzt auch, indem


Adolf Mlbrandt

geben der „Osterinsel" einen Hauch von frischer Lebendigkeit, so einsam
auch der Held unter seinen Mitbürgern dasteht. Aber die Wurzeln seiner
Besonderheit reichen in das gährende Gedankenleben, in einen weit gefühlten,
leidenschaftlichen Drang unsrer Tage hinab, der isolirte Mann mit seinem
Einzelschicksal wird zum Typus des modernen revolutionären Größenwahns.
In Zeiten, wo banausische Genußsucht, die allgemeinste Gleichgiltigkeit gegen
ein Hohes und Heiliges, die fabrikmäßig produzirte Halbintelligenz die Mensch¬
heit mit seelischem Niedergang (mit „allgemeiner Verpöbelung," sagt Doktor
Helmuth Adler, der Held der „Osterinsel") bedrohen, sind Menschen von starkem
Herzen, großem Sinn und ungewöhnlichem Geist in doppelter Art gefährdet.
Sie finden für das Ideale, das ihnen Lebensnotwendigkeit ist, kein Verständnis,
sie werden von der Masse mit spöttisch-feindseligen Blicken betrachtet, sie atmen
mit dem Bewußtsein, daß ihnen die Luft abgeschnitten werden soll. Und doch
ist ihre Jsolirung die kleinere Gefahr. Die größere liegt in der unbewußten
Übersteigerung ihres Selbstgefühls, in der zornigen Überhebung ihrer edeln
Natur. In dem Bewußtsein, daß sie das Göttliche nicht schnöde wie die
Masse verleugnen, fühlen sie sich allzu leicht als Halbgötter und Propheten,
und die Sehnsucht, dem allgemeinen Verfall zu entrinnen, bereitet ihnen einen
besondern Verfall. Sie vergessen, daß der „Vollmensch," der reine und innerlich
hohe Mensch, ebenso wenig in den Abgründen des Größenwahns, der geistigen
Umnachtung, wie in dem Sumpfe der Alltäglichkeit gedeiht. ,

Das ist das Geschick des Doktor Adler, mit dessen Nachtwache am Sarge
eines geliebten Weibes der Roman erschütternd und in tragischer Grundstim-
mung beginnt. Fieberhaft regt sich in Adler die Sehnsucht, sich durch einen
gewaltigen Aufschwung das Weiterleben zu sichern, seinem Schmerz das Höchste
abzugewinnen. „Wohin will diese trostlose, greisenhafte Zeit?" fragt er sich.
»Wer kaun uns erlösen? Ich kanns, ich, der Phönix, kanns. Seht sie doch
an, die Menschheit, wie sie ist, als einen Übergang. Verjüngt euch wie der
Phönix. Werdet euer Traum. Überwindet deu Menschen, wie er den Affen
überwand, steigt empor auf der Erde Gipfel!" Mit feinster Kunst läßt der
Dichter schon aus dieser Zuversicht Adlers den Wahnsinn keimen, nicht in der
berechtigten sittlichen Forderung des neuen Propheten, sondern in der Phan¬
tasie auf dem Südseeeiland die edler empfindenden, nach Läuterung verlangenden
Naturen von der übrigen Menschheit abzugrenzen und abzuschließen. Als der
»Phönix" wirft Adler seine Gedanken hinaus, aber es ergeht ihm, wie so vielen
andern Propheten dieser Tage, seiner erbarmungslosen Kritik der bestehenden
Gesellschaft folgt jauchzender Beifall, aber mit der Fahrt nach der Oster-
wsel machen wenige Ernst, und die zur Gründung der neuen Welt notwendigen
Millionen will keiner hergeben. In der Uberhitzung seines Prophetentnms ver¬
liert Adler nicht nnr das Urteil über seine nächste Umgebung, stößt den besten
Anhänger, den jungen Arzt Karl Schweitzer, von sich, sondern setzt auch, indem


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[0147] Adolf Mlbrandt geben der „Osterinsel" einen Hauch von frischer Lebendigkeit, so einsam auch der Held unter seinen Mitbürgern dasteht. Aber die Wurzeln seiner Besonderheit reichen in das gährende Gedankenleben, in einen weit gefühlten, leidenschaftlichen Drang unsrer Tage hinab, der isolirte Mann mit seinem Einzelschicksal wird zum Typus des modernen revolutionären Größenwahns. In Zeiten, wo banausische Genußsucht, die allgemeinste Gleichgiltigkeit gegen ein Hohes und Heiliges, die fabrikmäßig produzirte Halbintelligenz die Mensch¬ heit mit seelischem Niedergang (mit „allgemeiner Verpöbelung," sagt Doktor Helmuth Adler, der Held der „Osterinsel") bedrohen, sind Menschen von starkem Herzen, großem Sinn und ungewöhnlichem Geist in doppelter Art gefährdet. Sie finden für das Ideale, das ihnen Lebensnotwendigkeit ist, kein Verständnis, sie werden von der Masse mit spöttisch-feindseligen Blicken betrachtet, sie atmen mit dem Bewußtsein, daß ihnen die Luft abgeschnitten werden soll. Und doch ist ihre Jsolirung die kleinere Gefahr. Die größere liegt in der unbewußten Übersteigerung ihres Selbstgefühls, in der zornigen Überhebung ihrer edeln Natur. In dem Bewußtsein, daß sie das Göttliche nicht schnöde wie die Masse verleugnen, fühlen sie sich allzu leicht als Halbgötter und Propheten, und die Sehnsucht, dem allgemeinen Verfall zu entrinnen, bereitet ihnen einen besondern Verfall. Sie vergessen, daß der „Vollmensch," der reine und innerlich hohe Mensch, ebenso wenig in den Abgründen des Größenwahns, der geistigen Umnachtung, wie in dem Sumpfe der Alltäglichkeit gedeiht. , Das ist das Geschick des Doktor Adler, mit dessen Nachtwache am Sarge eines geliebten Weibes der Roman erschütternd und in tragischer Grundstim- mung beginnt. Fieberhaft regt sich in Adler die Sehnsucht, sich durch einen gewaltigen Aufschwung das Weiterleben zu sichern, seinem Schmerz das Höchste abzugewinnen. „Wohin will diese trostlose, greisenhafte Zeit?" fragt er sich. »Wer kaun uns erlösen? Ich kanns, ich, der Phönix, kanns. Seht sie doch an, die Menschheit, wie sie ist, als einen Übergang. Verjüngt euch wie der Phönix. Werdet euer Traum. Überwindet deu Menschen, wie er den Affen überwand, steigt empor auf der Erde Gipfel!" Mit feinster Kunst läßt der Dichter schon aus dieser Zuversicht Adlers den Wahnsinn keimen, nicht in der berechtigten sittlichen Forderung des neuen Propheten, sondern in der Phan¬ tasie auf dem Südseeeiland die edler empfindenden, nach Läuterung verlangenden Naturen von der übrigen Menschheit abzugrenzen und abzuschließen. Als der »Phönix" wirft Adler seine Gedanken hinaus, aber es ergeht ihm, wie so vielen andern Propheten dieser Tage, seiner erbarmungslosen Kritik der bestehenden Gesellschaft folgt jauchzender Beifall, aber mit der Fahrt nach der Oster- wsel machen wenige Ernst, und die zur Gründung der neuen Welt notwendigen Millionen will keiner hergeben. In der Uberhitzung seines Prophetentnms ver¬ liert Adler nicht nnr das Urteil über seine nächste Umgebung, stößt den besten Anhänger, den jungen Arzt Karl Schweitzer, von sich, sondern setzt auch, indem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/147>, abgerufen am 23.05.2024.