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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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und es gelang, eine Einigung herbeizuführen und einen Frieden zu schließen,
der den Arbeitern einige Vorteile brachte, andrerseits aber anch eine Frucht
zeitigte, an die man nicht gedacht hatte. Auch die Fabrikanten, denen die
ihnen zugedachte Operation keine Freude bereitete, beschlossen, sich zu orga-
nisiren und gründeten den Verein zur Wahrung der gemeinsamen Interessen
der Tuchfabrikanten. Die 55 Betriebe der Vereinsmitglieder, die sich durch
Festsetzung von Konventionalstrafen noch fester zusammengeschlossen hatten, als
sie schon durch ihre gemeinsamen Interessen verbunden waren, ließen sich durch
eine Kommission von 13 Mitgliedern vertreten, von denen eins ein Jurist sein
sollte, und gaben dieser Kommission die Befugnis, im Namen der übrigen ver¬
bindliche Beschlüsse zu fassen und unter anderm im Falle der Boykottirung
einer der Ringfirmen die Kündigung sämtlicher Arbeiter der 55 Betriebe aus¬
zusprechen. Eine wichtige und zugleich erfreuliche Bestimmung der Vereins¬
satzungen war die, daß zur Annahme von arbeiterfreundlichen Anträgen schon
fünf Stimmen genügen, dagegen neun Stimmen erforderlich sein sollten, um
Anträge zum Beschluß zu erheben, die sich gegen die Arbeiter richteten. Es
ist klar, daß man mit dieser Bestimmung selbstsüchtige" Regungen begegnen
wollte, die ja nnter dem Schutze des starken Verbandes ins Kraut schießen
konnten.

So war denn auf beiden Seiten gerüstet worden, um stark in den bevor¬
stehenden Kampf zu gehen. Aber alles blieb ruhig bis zum Jahre 1895. In
diesem Jahre machte eine große Fabrik den Versuch, zweiunddreißig Jacquard-
sttthle in raschem Gang zu bringen, deren Brauchbarkeit in Frage gestellt
worden war, weil sie zu teuer arbeiteten, und teilte, als der Versuch gelang,
den Webern vor Beginn der Saison mit, daß sie sich eine Lohnverminderung
von fünf Prozent gefallen lassen müßten. Da die Mehrleistung der Webstuhle
aber bei ihrem neuen Gang sieben Prozent betrug, so bedeutete diese Verminde¬
rung für die Arbeiter keinen Lohnausfall, sondern eine kleine Vermehrung
ihres Einkommens, wogegen sie nur etwas mehr Aufmerksamkeit auf ihre
Arbeit zu verwenden hatten. Sie erklärten sich einverstanden, legten aber doch
nach einem Vierteljahr die Arbeit nieder und beachteten auch nicht die Mah¬
nung, doch von dem vertragsmäßigen Kündigungsrechte Gebrauch zu machen,
wenn sie sür den verabredeten Lohn nicht weiterarbeiten wollten. Ihre Ab¬
ordnungen wurden nun des Kontraktbruchs wegen von dem Fabrikanten nicht
empfangen, was auch die übrigen Weber, etwa 160 Personen, veranlaßte, die
Sache der 32 Ausständigen zu der ihrigen zu machen und ihre Webstuhle zu
verlassen. Dann wurde die Fabrik durch Arbeiterposten gesperrt. Jetzt trat
die Kommission aus ihrer Verborgenheit hervor und drohte, die allgemeine
Kündigung auszusprechen, wenn die Boykottirung der Fabrik, worin die Ar-
beits- und Lohnverhältnisse übrigens sehr günstig waren, nicht innerhalb einer
Woche aufgehoben würde. Das Vorgehen der Vereinigung wurde in der


Grenzbowl II 1896 33

und es gelang, eine Einigung herbeizuführen und einen Frieden zu schließen,
der den Arbeitern einige Vorteile brachte, andrerseits aber anch eine Frucht
zeitigte, an die man nicht gedacht hatte. Auch die Fabrikanten, denen die
ihnen zugedachte Operation keine Freude bereitete, beschlossen, sich zu orga-
nisiren und gründeten den Verein zur Wahrung der gemeinsamen Interessen
der Tuchfabrikanten. Die 55 Betriebe der Vereinsmitglieder, die sich durch
Festsetzung von Konventionalstrafen noch fester zusammengeschlossen hatten, als
sie schon durch ihre gemeinsamen Interessen verbunden waren, ließen sich durch
eine Kommission von 13 Mitgliedern vertreten, von denen eins ein Jurist sein
sollte, und gaben dieser Kommission die Befugnis, im Namen der übrigen ver¬
bindliche Beschlüsse zu fassen und unter anderm im Falle der Boykottirung
einer der Ringfirmen die Kündigung sämtlicher Arbeiter der 55 Betriebe aus¬
zusprechen. Eine wichtige und zugleich erfreuliche Bestimmung der Vereins¬
satzungen war die, daß zur Annahme von arbeiterfreundlichen Anträgen schon
fünf Stimmen genügen, dagegen neun Stimmen erforderlich sein sollten, um
Anträge zum Beschluß zu erheben, die sich gegen die Arbeiter richteten. Es
ist klar, daß man mit dieser Bestimmung selbstsüchtige» Regungen begegnen
wollte, die ja nnter dem Schutze des starken Verbandes ins Kraut schießen
konnten.

So war denn auf beiden Seiten gerüstet worden, um stark in den bevor¬
stehenden Kampf zu gehen. Aber alles blieb ruhig bis zum Jahre 1895. In
diesem Jahre machte eine große Fabrik den Versuch, zweiunddreißig Jacquard-
sttthle in raschem Gang zu bringen, deren Brauchbarkeit in Frage gestellt
worden war, weil sie zu teuer arbeiteten, und teilte, als der Versuch gelang,
den Webern vor Beginn der Saison mit, daß sie sich eine Lohnverminderung
von fünf Prozent gefallen lassen müßten. Da die Mehrleistung der Webstuhle
aber bei ihrem neuen Gang sieben Prozent betrug, so bedeutete diese Verminde¬
rung für die Arbeiter keinen Lohnausfall, sondern eine kleine Vermehrung
ihres Einkommens, wogegen sie nur etwas mehr Aufmerksamkeit auf ihre
Arbeit zu verwenden hatten. Sie erklärten sich einverstanden, legten aber doch
nach einem Vierteljahr die Arbeit nieder und beachteten auch nicht die Mah¬
nung, doch von dem vertragsmäßigen Kündigungsrechte Gebrauch zu machen,
wenn sie sür den verabredeten Lohn nicht weiterarbeiten wollten. Ihre Ab¬
ordnungen wurden nun des Kontraktbruchs wegen von dem Fabrikanten nicht
empfangen, was auch die übrigen Weber, etwa 160 Personen, veranlaßte, die
Sache der 32 Ausständigen zu der ihrigen zu machen und ihre Webstuhle zu
verlassen. Dann wurde die Fabrik durch Arbeiterposten gesperrt. Jetzt trat
die Kommission aus ihrer Verborgenheit hervor und drohte, die allgemeine
Kündigung auszusprechen, wenn die Boykottirung der Fabrik, worin die Ar-
beits- und Lohnverhältnisse übrigens sehr günstig waren, nicht innerhalb einer
Woche aufgehoben würde. Das Vorgehen der Vereinigung wurde in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/257>, abgerufen am 17.06.2024.