Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Tuchmacherstreik in Uottbus

Bürgerschaft mit geteilten Empfindungen aufgenommen. Da man die Arbeiter¬
schaft noch nicht in geschlossener Phalanx hatte aufmarschieren sehen, so be¬
klagten es viele, daß durch die Drohung, die so vielen Unschuldigen galt, eine
unnötige Schärfe in den Streit gebracht worden wäre. Der Oberbürgermeister
der Stadt, der die Bürgerschaft vor schwerem Schaden bewahren wollte, suchte
zu vermitteln und bemühte sich, das aufgeregte Meer wieder zu beruhigen,
und die damaligen Vertrauensmänner der Arbeiterschaft betrachteten wohl auch
die Gewitterwolke, die sich so finster über ihnen allen zusammengezogen hatte,
mit banger Scheu. Alles drängte zum Frieden. Die Fabrikanten zeigten sich
entgegenkommend, und damit ein voller, durch keine trübe Erinnerung gestörter
Friede geschlossen werden könnte, gaben sie ihre Absicht auf, den fünf Rädels¬
führern der Bewegung die Wiederaufnahme zu versagen. Eine große Arbeiter¬
versammlung in der städtischen Turnhalle nahm die letzten Berichte der Ver¬
trauensleute entgegen, die das Lob der Fabrikanten wiederholt verkündigten,
und beschloß dann, die Arbeit zu den alten Bedingungen aufzunehmen. Alle
atmeten erleichtert auf, und in der ganzen Stadt, in der man der Entwicklung
der Dinge mit Sorge gefolgt war, begrüßte man die Beilegung des Streits
mit freudiger Teilnahme. So war denn wieder Ruhe in den Fabriken.

Aber bald ahnte man, daß der Friede nur ein Waffenstillstand sein sollte,
und im November 1895 wußte man es mit Bestimmtheit, daß der Frühling
des Jahres 1896 die Erneuerung des Streits bringen würde. Inzwischen
scheint sich nämlich in der Organisation der Arbeiter eine Wandlung vollzogen
zu haben. Wahrend sie vorher dem großen Gewerkschaftskartell angehört hatten,
schlössen sich jetzt viele einer neugebildeten Organisation an, dem Verband der
Textilarbeiter, der natürlich dieselben Ziele verfolgte, nur anscheinend mit größerer
Schärfe und mit weniger Bedenklichkeit. Der bisherige Arbeitervertretcr, der
seine ganze Kraft für den Frieden eingesetzt hatte, trat still beiseite, und er
ist auch während des gegenwärtigen Streiks, an dem er sich nicht beteiligt
haben soll, als ein stiller Mann zu Grabe getragen worden. Die neue Leitung
aber arbeitete mit frischer Kraft und traute sich die Fähigkeit zu, das Heer
der Arbeiter zum Sieg und zum Erfolg zu führen.

Am 1. Januar erhielten die Fabrikanten von dem Vorsitzenden des Textil¬
arbeiterbundes ein Rundschreiben, worin die Forderungen aufgezeichnet waren,
die die Arbeiter an ihre Brotherren zu richten beschlossen hatten. Die Kom¬
mission lehnte es ab, mit dem Unterzeichner des Rundschreibens, der kein Ar¬
beiter, sondern ein Schenkwirt war, zu unterhandeln. Im Februar begann
nun die Streitbewegung. Man ging zunächst gegen einige Betriebe vor, die
dem Ring der Fabrikanten nicht angehörten. Die Forderungen der Arbeiter
(bessere Behandlung, eine anderthalbstündige Mittagpause, Abschaffung der
Nacht- und Sonntagsarbeit) wurden nicht eben fein zurückgewiesen. Ein
Fabrikant behauptete, gar nichts davon zu wissen, daß in seiner Fabrik des


Der Tuchmacherstreik in Uottbus

Bürgerschaft mit geteilten Empfindungen aufgenommen. Da man die Arbeiter¬
schaft noch nicht in geschlossener Phalanx hatte aufmarschieren sehen, so be¬
klagten es viele, daß durch die Drohung, die so vielen Unschuldigen galt, eine
unnötige Schärfe in den Streit gebracht worden wäre. Der Oberbürgermeister
der Stadt, der die Bürgerschaft vor schwerem Schaden bewahren wollte, suchte
zu vermitteln und bemühte sich, das aufgeregte Meer wieder zu beruhigen,
und die damaligen Vertrauensmänner der Arbeiterschaft betrachteten wohl auch
die Gewitterwolke, die sich so finster über ihnen allen zusammengezogen hatte,
mit banger Scheu. Alles drängte zum Frieden. Die Fabrikanten zeigten sich
entgegenkommend, und damit ein voller, durch keine trübe Erinnerung gestörter
Friede geschlossen werden könnte, gaben sie ihre Absicht auf, den fünf Rädels¬
führern der Bewegung die Wiederaufnahme zu versagen. Eine große Arbeiter¬
versammlung in der städtischen Turnhalle nahm die letzten Berichte der Ver¬
trauensleute entgegen, die das Lob der Fabrikanten wiederholt verkündigten,
und beschloß dann, die Arbeit zu den alten Bedingungen aufzunehmen. Alle
atmeten erleichtert auf, und in der ganzen Stadt, in der man der Entwicklung
der Dinge mit Sorge gefolgt war, begrüßte man die Beilegung des Streits
mit freudiger Teilnahme. So war denn wieder Ruhe in den Fabriken.

Aber bald ahnte man, daß der Friede nur ein Waffenstillstand sein sollte,
und im November 1895 wußte man es mit Bestimmtheit, daß der Frühling
des Jahres 1896 die Erneuerung des Streits bringen würde. Inzwischen
scheint sich nämlich in der Organisation der Arbeiter eine Wandlung vollzogen
zu haben. Wahrend sie vorher dem großen Gewerkschaftskartell angehört hatten,
schlössen sich jetzt viele einer neugebildeten Organisation an, dem Verband der
Textilarbeiter, der natürlich dieselben Ziele verfolgte, nur anscheinend mit größerer
Schärfe und mit weniger Bedenklichkeit. Der bisherige Arbeitervertretcr, der
seine ganze Kraft für den Frieden eingesetzt hatte, trat still beiseite, und er
ist auch während des gegenwärtigen Streiks, an dem er sich nicht beteiligt
haben soll, als ein stiller Mann zu Grabe getragen worden. Die neue Leitung
aber arbeitete mit frischer Kraft und traute sich die Fähigkeit zu, das Heer
der Arbeiter zum Sieg und zum Erfolg zu führen.

Am 1. Januar erhielten die Fabrikanten von dem Vorsitzenden des Textil¬
arbeiterbundes ein Rundschreiben, worin die Forderungen aufgezeichnet waren,
die die Arbeiter an ihre Brotherren zu richten beschlossen hatten. Die Kom¬
mission lehnte es ab, mit dem Unterzeichner des Rundschreibens, der kein Ar¬
beiter, sondern ein Schenkwirt war, zu unterhandeln. Im Februar begann
nun die Streitbewegung. Man ging zunächst gegen einige Betriebe vor, die
dem Ring der Fabrikanten nicht angehörten. Die Forderungen der Arbeiter
(bessere Behandlung, eine anderthalbstündige Mittagpause, Abschaffung der
Nacht- und Sonntagsarbeit) wurden nicht eben fein zurückgewiesen. Ein
Fabrikant behauptete, gar nichts davon zu wissen, daß in seiner Fabrik des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222560"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Tuchmacherstreik in Uottbus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_759" prev="#ID_758"> Bürgerschaft mit geteilten Empfindungen aufgenommen. Da man die Arbeiter¬<lb/>
schaft noch nicht in geschlossener Phalanx hatte aufmarschieren sehen, so be¬<lb/>
klagten es viele, daß durch die Drohung, die so vielen Unschuldigen galt, eine<lb/>
unnötige Schärfe in den Streit gebracht worden wäre. Der Oberbürgermeister<lb/>
der Stadt, der die Bürgerschaft vor schwerem Schaden bewahren wollte, suchte<lb/>
zu vermitteln und bemühte sich, das aufgeregte Meer wieder zu beruhigen,<lb/>
und die damaligen Vertrauensmänner der Arbeiterschaft betrachteten wohl auch<lb/>
die Gewitterwolke, die sich so finster über ihnen allen zusammengezogen hatte,<lb/>
mit banger Scheu. Alles drängte zum Frieden. Die Fabrikanten zeigten sich<lb/>
entgegenkommend, und damit ein voller, durch keine trübe Erinnerung gestörter<lb/>
Friede geschlossen werden könnte, gaben sie ihre Absicht auf, den fünf Rädels¬<lb/>
führern der Bewegung die Wiederaufnahme zu versagen. Eine große Arbeiter¬<lb/>
versammlung in der städtischen Turnhalle nahm die letzten Berichte der Ver¬<lb/>
trauensleute entgegen, die das Lob der Fabrikanten wiederholt verkündigten,<lb/>
und beschloß dann, die Arbeit zu den alten Bedingungen aufzunehmen. Alle<lb/>
atmeten erleichtert auf, und in der ganzen Stadt, in der man der Entwicklung<lb/>
der Dinge mit Sorge gefolgt war, begrüßte man die Beilegung des Streits<lb/>
mit freudiger Teilnahme.  So war denn wieder Ruhe in den Fabriken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_760"> Aber bald ahnte man, daß der Friede nur ein Waffenstillstand sein sollte,<lb/>
und im November 1895 wußte man es mit Bestimmtheit, daß der Frühling<lb/>
des Jahres 1896 die Erneuerung des Streits bringen würde. Inzwischen<lb/>
scheint sich nämlich in der Organisation der Arbeiter eine Wandlung vollzogen<lb/>
zu haben. Wahrend sie vorher dem großen Gewerkschaftskartell angehört hatten,<lb/>
schlössen sich jetzt viele einer neugebildeten Organisation an, dem Verband der<lb/>
Textilarbeiter, der natürlich dieselben Ziele verfolgte, nur anscheinend mit größerer<lb/>
Schärfe und mit weniger Bedenklichkeit. Der bisherige Arbeitervertretcr, der<lb/>
seine ganze Kraft für den Frieden eingesetzt hatte, trat still beiseite, und er<lb/>
ist auch während des gegenwärtigen Streiks, an dem er sich nicht beteiligt<lb/>
haben soll, als ein stiller Mann zu Grabe getragen worden. Die neue Leitung<lb/>
aber arbeitete mit frischer Kraft und traute sich die Fähigkeit zu, das Heer<lb/>
der Arbeiter zum Sieg und zum Erfolg zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761" next="#ID_762"> Am 1. Januar erhielten die Fabrikanten von dem Vorsitzenden des Textil¬<lb/>
arbeiterbundes ein Rundschreiben, worin die Forderungen aufgezeichnet waren,<lb/>
die die Arbeiter an ihre Brotherren zu richten beschlossen hatten. Die Kom¬<lb/>
mission lehnte es ab, mit dem Unterzeichner des Rundschreibens, der kein Ar¬<lb/>
beiter, sondern ein Schenkwirt war, zu unterhandeln. Im Februar begann<lb/>
nun die Streitbewegung. Man ging zunächst gegen einige Betriebe vor, die<lb/>
dem Ring der Fabrikanten nicht angehörten. Die Forderungen der Arbeiter<lb/>
(bessere Behandlung, eine anderthalbstündige Mittagpause, Abschaffung der<lb/>
Nacht- und Sonntagsarbeit) wurden nicht eben fein zurückgewiesen. Ein<lb/>
Fabrikant behauptete, gar nichts davon zu wissen, daß in seiner Fabrik des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] Der Tuchmacherstreik in Uottbus Bürgerschaft mit geteilten Empfindungen aufgenommen. Da man die Arbeiter¬ schaft noch nicht in geschlossener Phalanx hatte aufmarschieren sehen, so be¬ klagten es viele, daß durch die Drohung, die so vielen Unschuldigen galt, eine unnötige Schärfe in den Streit gebracht worden wäre. Der Oberbürgermeister der Stadt, der die Bürgerschaft vor schwerem Schaden bewahren wollte, suchte zu vermitteln und bemühte sich, das aufgeregte Meer wieder zu beruhigen, und die damaligen Vertrauensmänner der Arbeiterschaft betrachteten wohl auch die Gewitterwolke, die sich so finster über ihnen allen zusammengezogen hatte, mit banger Scheu. Alles drängte zum Frieden. Die Fabrikanten zeigten sich entgegenkommend, und damit ein voller, durch keine trübe Erinnerung gestörter Friede geschlossen werden könnte, gaben sie ihre Absicht auf, den fünf Rädels¬ führern der Bewegung die Wiederaufnahme zu versagen. Eine große Arbeiter¬ versammlung in der städtischen Turnhalle nahm die letzten Berichte der Ver¬ trauensleute entgegen, die das Lob der Fabrikanten wiederholt verkündigten, und beschloß dann, die Arbeit zu den alten Bedingungen aufzunehmen. Alle atmeten erleichtert auf, und in der ganzen Stadt, in der man der Entwicklung der Dinge mit Sorge gefolgt war, begrüßte man die Beilegung des Streits mit freudiger Teilnahme. So war denn wieder Ruhe in den Fabriken. Aber bald ahnte man, daß der Friede nur ein Waffenstillstand sein sollte, und im November 1895 wußte man es mit Bestimmtheit, daß der Frühling des Jahres 1896 die Erneuerung des Streits bringen würde. Inzwischen scheint sich nämlich in der Organisation der Arbeiter eine Wandlung vollzogen zu haben. Wahrend sie vorher dem großen Gewerkschaftskartell angehört hatten, schlössen sich jetzt viele einer neugebildeten Organisation an, dem Verband der Textilarbeiter, der natürlich dieselben Ziele verfolgte, nur anscheinend mit größerer Schärfe und mit weniger Bedenklichkeit. Der bisherige Arbeitervertretcr, der seine ganze Kraft für den Frieden eingesetzt hatte, trat still beiseite, und er ist auch während des gegenwärtigen Streiks, an dem er sich nicht beteiligt haben soll, als ein stiller Mann zu Grabe getragen worden. Die neue Leitung aber arbeitete mit frischer Kraft und traute sich die Fähigkeit zu, das Heer der Arbeiter zum Sieg und zum Erfolg zu führen. Am 1. Januar erhielten die Fabrikanten von dem Vorsitzenden des Textil¬ arbeiterbundes ein Rundschreiben, worin die Forderungen aufgezeichnet waren, die die Arbeiter an ihre Brotherren zu richten beschlossen hatten. Die Kom¬ mission lehnte es ab, mit dem Unterzeichner des Rundschreibens, der kein Ar¬ beiter, sondern ein Schenkwirt war, zu unterhandeln. Im Februar begann nun die Streitbewegung. Man ging zunächst gegen einige Betriebe vor, die dem Ring der Fabrikanten nicht angehörten. Die Forderungen der Arbeiter (bessere Behandlung, eine anderthalbstündige Mittagpause, Abschaffung der Nacht- und Sonntagsarbeit) wurden nicht eben fein zurückgewiesen. Ein Fabrikant behauptete, gar nichts davon zu wissen, daß in seiner Fabrik des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/258>, abgerufen am 17.06.2024.