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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Kottbus

Der Wortführer dieses Fabricius, das sich durch die vom Frieden ausge¬
schlossenen und deren Anhang verstärkte, gab in der vorletzten Versammlung
seiner Verwunderung Ausdruck, indem er beinahe ein geflügeltes Wort kopirend
ausrief, hier liege ein diplomatischer Kniff vor, er sehe ihn zwar nicht, doch
müsse einer vorliegen. Und nun gab er deu Streikführern allerlei bittre Pillen
zu verschlucken und nannte sie, den Zeitungen nach, Europens übertünchte
Höflichkeit verachtend, schmähliche, elende Verräter. Er, den die letzte Ver¬
sammlung der Streitenden zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatte, beschuldigte
die sozialdemokratische Partei, den Streik elend verpfuscht zu haben, weil sie
Geld für ihre politischen Zwecke brauche. Jetzt hieße es mit einemmale, Unter¬
stützungen würden nicht mehr einlaufen, und vor wenigen Tagen hätte man
noch gesagt, die Arbeiterschaft von ganz Deutschland, ja der ganzen Welt
stünde hinter ihnen. Darauf kam die unerwartete Erklärung, daß die sozial-
demokratische Partei mit diesem Streik gar nichts zu thun gehabt hätte. Wäre
diese Erklärung doch früher gekommen, sie hätte erleuchtend gewirkt! Denn
es ist zweifellos, daß die Arbeiter fest daran geglaubt haben, daß der mächtige
Einfluß der ganzen sozialdemokratischen Partei hinter ihnen stehe, und es giebt
Leute in Kottbus, die noch heute glauben, daß es der Fall gewesen sei. Die
Führer im Streik waren jedenfalls sozialdemokratische Agitatoren oder Redak¬
teure sozialistischer Blätter. Thatsächlich aber hat sich die offizielle sozial-
demokratische Parteileitung in diesem Streik keine Blöße gegeben. Einmal
sollte Bebel in Kottbus reden, aber heiser geworden, mußte er noch in der
letzten Stunde abtelegraphiren, was nicht überall für harmlos gehalten wurde.
Der Abgeordnete von Elm kam nach Kottbus offenbar im Auftrage der Partei,
und er redete zum Frieden und mahnte zur Versöhnung, ja er mutete sogar
den Streitenden, denen die Fabrikanten keinen Frieden gewähren wollten, zu,
sich um der Gesamtheit willen in ihr Schicksal zu finden. Man ist ihm nicht
gefolgt, und die sozialdemokratische Partei kann deshalb die Schuld dieses
Streiks von sich abschieben.

Die Führer des Streiks, die so lange zum Sturm geblasen hatten und
in den letzten Tagen so schnell die Friedenspfeife erklingen ließen, sagen zur
Rechtfertigung ihrer Schwenkung, es werde jetzt etwas geboten, was zwar
nicht allen Wünschen genüge, aber immerhin anzunehmen sei. Es sei der
Friede zweier gleichen Armeen, durch dessen Abschluß zwar nicht alles erreicht,
aber auch nichts verloren worden sei. Komme der Friede jetzt zustande, dann
werde die Organisation erstarken und somit eine weitere Errungenschaft aus
diesem Kampfe zu verzeichnen sein. Werde dagegen weitergestreikt, dann müsse
die Organisationsfrage in Verfall kommen, die Fabrikanten hätten gesiegt und
würden dann ihre Bedingungen aufheben. Die Vorführung der beiden Armeen
hat die Stimmung ein wenig gehoben und der Hinweis auf die Erstarkung
der Organisation tröstete darüber, daß so wenig erreicht worden war.


Der Tuchmacherstreik in Kottbus

Der Wortführer dieses Fabricius, das sich durch die vom Frieden ausge¬
schlossenen und deren Anhang verstärkte, gab in der vorletzten Versammlung
seiner Verwunderung Ausdruck, indem er beinahe ein geflügeltes Wort kopirend
ausrief, hier liege ein diplomatischer Kniff vor, er sehe ihn zwar nicht, doch
müsse einer vorliegen. Und nun gab er deu Streikführern allerlei bittre Pillen
zu verschlucken und nannte sie, den Zeitungen nach, Europens übertünchte
Höflichkeit verachtend, schmähliche, elende Verräter. Er, den die letzte Ver¬
sammlung der Streitenden zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatte, beschuldigte
die sozialdemokratische Partei, den Streik elend verpfuscht zu haben, weil sie
Geld für ihre politischen Zwecke brauche. Jetzt hieße es mit einemmale, Unter¬
stützungen würden nicht mehr einlaufen, und vor wenigen Tagen hätte man
noch gesagt, die Arbeiterschaft von ganz Deutschland, ja der ganzen Welt
stünde hinter ihnen. Darauf kam die unerwartete Erklärung, daß die sozial-
demokratische Partei mit diesem Streik gar nichts zu thun gehabt hätte. Wäre
diese Erklärung doch früher gekommen, sie hätte erleuchtend gewirkt! Denn
es ist zweifellos, daß die Arbeiter fest daran geglaubt haben, daß der mächtige
Einfluß der ganzen sozialdemokratischen Partei hinter ihnen stehe, und es giebt
Leute in Kottbus, die noch heute glauben, daß es der Fall gewesen sei. Die
Führer im Streik waren jedenfalls sozialdemokratische Agitatoren oder Redak¬
teure sozialistischer Blätter. Thatsächlich aber hat sich die offizielle sozial-
demokratische Parteileitung in diesem Streik keine Blöße gegeben. Einmal
sollte Bebel in Kottbus reden, aber heiser geworden, mußte er noch in der
letzten Stunde abtelegraphiren, was nicht überall für harmlos gehalten wurde.
Der Abgeordnete von Elm kam nach Kottbus offenbar im Auftrage der Partei,
und er redete zum Frieden und mahnte zur Versöhnung, ja er mutete sogar
den Streitenden, denen die Fabrikanten keinen Frieden gewähren wollten, zu,
sich um der Gesamtheit willen in ihr Schicksal zu finden. Man ist ihm nicht
gefolgt, und die sozialdemokratische Partei kann deshalb die Schuld dieses
Streiks von sich abschieben.

Die Führer des Streiks, die so lange zum Sturm geblasen hatten und
in den letzten Tagen so schnell die Friedenspfeife erklingen ließen, sagen zur
Rechtfertigung ihrer Schwenkung, es werde jetzt etwas geboten, was zwar
nicht allen Wünschen genüge, aber immerhin anzunehmen sei. Es sei der
Friede zweier gleichen Armeen, durch dessen Abschluß zwar nicht alles erreicht,
aber auch nichts verloren worden sei. Komme der Friede jetzt zustande, dann
werde die Organisation erstarken und somit eine weitere Errungenschaft aus
diesem Kampfe zu verzeichnen sein. Werde dagegen weitergestreikt, dann müsse
die Organisationsfrage in Verfall kommen, die Fabrikanten hätten gesiegt und
würden dann ihre Bedingungen aufheben. Die Vorführung der beiden Armeen
hat die Stimmung ein wenig gehoben und der Hinweis auf die Erstarkung
der Organisation tröstete darüber, daß so wenig erreicht worden war.


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[0267] Der Tuchmacherstreik in Kottbus Der Wortführer dieses Fabricius, das sich durch die vom Frieden ausge¬ schlossenen und deren Anhang verstärkte, gab in der vorletzten Versammlung seiner Verwunderung Ausdruck, indem er beinahe ein geflügeltes Wort kopirend ausrief, hier liege ein diplomatischer Kniff vor, er sehe ihn zwar nicht, doch müsse einer vorliegen. Und nun gab er deu Streikführern allerlei bittre Pillen zu verschlucken und nannte sie, den Zeitungen nach, Europens übertünchte Höflichkeit verachtend, schmähliche, elende Verräter. Er, den die letzte Ver¬ sammlung der Streitenden zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatte, beschuldigte die sozialdemokratische Partei, den Streik elend verpfuscht zu haben, weil sie Geld für ihre politischen Zwecke brauche. Jetzt hieße es mit einemmale, Unter¬ stützungen würden nicht mehr einlaufen, und vor wenigen Tagen hätte man noch gesagt, die Arbeiterschaft von ganz Deutschland, ja der ganzen Welt stünde hinter ihnen. Darauf kam die unerwartete Erklärung, daß die sozial- demokratische Partei mit diesem Streik gar nichts zu thun gehabt hätte. Wäre diese Erklärung doch früher gekommen, sie hätte erleuchtend gewirkt! Denn es ist zweifellos, daß die Arbeiter fest daran geglaubt haben, daß der mächtige Einfluß der ganzen sozialdemokratischen Partei hinter ihnen stehe, und es giebt Leute in Kottbus, die noch heute glauben, daß es der Fall gewesen sei. Die Führer im Streik waren jedenfalls sozialdemokratische Agitatoren oder Redak¬ teure sozialistischer Blätter. Thatsächlich aber hat sich die offizielle sozial- demokratische Parteileitung in diesem Streik keine Blöße gegeben. Einmal sollte Bebel in Kottbus reden, aber heiser geworden, mußte er noch in der letzten Stunde abtelegraphiren, was nicht überall für harmlos gehalten wurde. Der Abgeordnete von Elm kam nach Kottbus offenbar im Auftrage der Partei, und er redete zum Frieden und mahnte zur Versöhnung, ja er mutete sogar den Streitenden, denen die Fabrikanten keinen Frieden gewähren wollten, zu, sich um der Gesamtheit willen in ihr Schicksal zu finden. Man ist ihm nicht gefolgt, und die sozialdemokratische Partei kann deshalb die Schuld dieses Streiks von sich abschieben. Die Führer des Streiks, die so lange zum Sturm geblasen hatten und in den letzten Tagen so schnell die Friedenspfeife erklingen ließen, sagen zur Rechtfertigung ihrer Schwenkung, es werde jetzt etwas geboten, was zwar nicht allen Wünschen genüge, aber immerhin anzunehmen sei. Es sei der Friede zweier gleichen Armeen, durch dessen Abschluß zwar nicht alles erreicht, aber auch nichts verloren worden sei. Komme der Friede jetzt zustande, dann werde die Organisation erstarken und somit eine weitere Errungenschaft aus diesem Kampfe zu verzeichnen sein. Werde dagegen weitergestreikt, dann müsse die Organisationsfrage in Verfall kommen, die Fabrikanten hätten gesiegt und würden dann ihre Bedingungen aufheben. Die Vorführung der beiden Armeen hat die Stimmung ein wenig gehoben und der Hinweis auf die Erstarkung der Organisation tröstete darüber, daß so wenig erreicht worden war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/267>, abgerufen am 17.06.2024.