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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in llottbus

brot erhielten, oder die doch nur noch mitgeschleppt und ihren Leistungen ent¬
sprechend niedrig bezahlt wurden. Daß auch diesen Alten und Schwachen der
Arbeitsplatz hinfort gesperrt werden wird, ist leider zu befürchten, weil sich
die Fabrikanten scheuen werden, Löhne zu zahlen, um deretwillen ihnen
von Leuten, die die Sachlage nicht kennen, ein Vorwurf gemacht werden könnte.
Endlich herrschte in Kottbus ein lebendiger Wohlthätigkeitssinn; die Fabrikanten
haben Arme und Notleidende gern unterstützt, es klopfte so leicht niemand ver¬
geblich bei ihnen an. Ihren Arbeitern besonders haben sie zum Weihnachtsfest
und auch an andern Festen reiche Geschenke zukommen lassen. Es ist zu be¬
fürchten, daß auch dieser Wohlthätigkeitssinn durch die Erfahrungen des Streiks
eine schlimme Wunde erhalten hat. Doch wir wollen nicht zu schwarz sehen.
Die Zeit wird vieles wieder heilen, und dann wird der Blick wieder Heller
und das Herz wieder wärmer werdeu. Es wäre schlimm, wenn sich die
Menschen, die auf einem Stück Erde zusammenleben, Hinsort kalt und fremd
gegenüberstehen wollten, als gehörten sie verschiednen Welten an.

Am 19. April hat der Streik sein Ende gefunden, etwa 1700 Personen
haben für Wiederaufnahme der Arbeit gestimmt, allerdings auch 900 noch da¬
gegen. Daß es so kommen würde, war nach den letzten Versammlungen voraus¬
zusehen, da nun auch die bisher so kampfesfrohen und siegesbewußte" Führer
das Verlangen nach Frieden in ihren Reden durchklingen ließen. Obgleich die
Mühlhäuser Weber ihre eignen, mindestens nicht schlechter begründeten Wünsche
bereitwillig zurückgestellt hatten, um den Kottbuser Genossen nicht ihre künst¬
lichen Kreise zu zertreten, war die Goldquelle am Versiegen, Hilfe war von
keiner Seite mehr zu erwarten, und die große Masse der Streitenden ließ sich
nicht länger zusammenhalten. Man mußte Luft geben, wenn man die Or¬
ganisation nicht auseinandersprengen wollte. Nur so läßt sich der Wechsel in
der Stimmung der Führer verstehen, die jetzt auch einen Frieden für ehren¬
voll und annehmbar hielten, den sie vermutlich wenige Tage zuvor noch von
sich gewiesen, vor Wochen aber als ein schimpfliches Abkommen angesehen
haben würden.

Irren ist menschlich, und seine Irrtümer zu verbessern ist immer ehrenvoll
und gut, aber daß man auf Irrwegen gewandelt sei, das wird schwerlich ein¬
gestanden werden. Nun blieb nichts andres übrig, als die durch den Streik
erlangten kleinen Vorteile nach Möglichkeit herauszuputzen, um die Niederlage
vor der Menge zu verbergen. Aber wie das so zu geschehen pflegt, da war
der Führung plötzlich ein Fähnlein der Zielbewußtesten erstanden, das ihr nun
selbst zuletzt mit frischem Kampfesmut zuleide ging. Dieses Fähnlein, das sich in
die Gedankengänge der vergangnen Tage wacker hineingefunden hatte, vermochte
sich nicht so schnell umzudenken, ihm wollte es nicht verständlich werden, wes¬
halb mit einemmale der Himmel bis ans einige unbedeutende Wölkchen so blau
erscheinen sollte, da es ihn doch noch ebenso fand wie vor Tagen und Wochen.


Der Tuchmacherstreik in llottbus

brot erhielten, oder die doch nur noch mitgeschleppt und ihren Leistungen ent¬
sprechend niedrig bezahlt wurden. Daß auch diesen Alten und Schwachen der
Arbeitsplatz hinfort gesperrt werden wird, ist leider zu befürchten, weil sich
die Fabrikanten scheuen werden, Löhne zu zahlen, um deretwillen ihnen
von Leuten, die die Sachlage nicht kennen, ein Vorwurf gemacht werden könnte.
Endlich herrschte in Kottbus ein lebendiger Wohlthätigkeitssinn; die Fabrikanten
haben Arme und Notleidende gern unterstützt, es klopfte so leicht niemand ver¬
geblich bei ihnen an. Ihren Arbeitern besonders haben sie zum Weihnachtsfest
und auch an andern Festen reiche Geschenke zukommen lassen. Es ist zu be¬
fürchten, daß auch dieser Wohlthätigkeitssinn durch die Erfahrungen des Streiks
eine schlimme Wunde erhalten hat. Doch wir wollen nicht zu schwarz sehen.
Die Zeit wird vieles wieder heilen, und dann wird der Blick wieder Heller
und das Herz wieder wärmer werdeu. Es wäre schlimm, wenn sich die
Menschen, die auf einem Stück Erde zusammenleben, Hinsort kalt und fremd
gegenüberstehen wollten, als gehörten sie verschiednen Welten an.

Am 19. April hat der Streik sein Ende gefunden, etwa 1700 Personen
haben für Wiederaufnahme der Arbeit gestimmt, allerdings auch 900 noch da¬
gegen. Daß es so kommen würde, war nach den letzten Versammlungen voraus¬
zusehen, da nun auch die bisher so kampfesfrohen und siegesbewußte» Führer
das Verlangen nach Frieden in ihren Reden durchklingen ließen. Obgleich die
Mühlhäuser Weber ihre eignen, mindestens nicht schlechter begründeten Wünsche
bereitwillig zurückgestellt hatten, um den Kottbuser Genossen nicht ihre künst¬
lichen Kreise zu zertreten, war die Goldquelle am Versiegen, Hilfe war von
keiner Seite mehr zu erwarten, und die große Masse der Streitenden ließ sich
nicht länger zusammenhalten. Man mußte Luft geben, wenn man die Or¬
ganisation nicht auseinandersprengen wollte. Nur so läßt sich der Wechsel in
der Stimmung der Führer verstehen, die jetzt auch einen Frieden für ehren¬
voll und annehmbar hielten, den sie vermutlich wenige Tage zuvor noch von
sich gewiesen, vor Wochen aber als ein schimpfliches Abkommen angesehen
haben würden.

Irren ist menschlich, und seine Irrtümer zu verbessern ist immer ehrenvoll
und gut, aber daß man auf Irrwegen gewandelt sei, das wird schwerlich ein¬
gestanden werden. Nun blieb nichts andres übrig, als die durch den Streik
erlangten kleinen Vorteile nach Möglichkeit herauszuputzen, um die Niederlage
vor der Menge zu verbergen. Aber wie das so zu geschehen pflegt, da war
der Führung plötzlich ein Fähnlein der Zielbewußtesten erstanden, das ihr nun
selbst zuletzt mit frischem Kampfesmut zuleide ging. Dieses Fähnlein, das sich in
die Gedankengänge der vergangnen Tage wacker hineingefunden hatte, vermochte
sich nicht so schnell umzudenken, ihm wollte es nicht verständlich werden, wes¬
halb mit einemmale der Himmel bis ans einige unbedeutende Wölkchen so blau
erscheinen sollte, da es ihn doch noch ebenso fand wie vor Tagen und Wochen.


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[0266] Der Tuchmacherstreik in llottbus brot erhielten, oder die doch nur noch mitgeschleppt und ihren Leistungen ent¬ sprechend niedrig bezahlt wurden. Daß auch diesen Alten und Schwachen der Arbeitsplatz hinfort gesperrt werden wird, ist leider zu befürchten, weil sich die Fabrikanten scheuen werden, Löhne zu zahlen, um deretwillen ihnen von Leuten, die die Sachlage nicht kennen, ein Vorwurf gemacht werden könnte. Endlich herrschte in Kottbus ein lebendiger Wohlthätigkeitssinn; die Fabrikanten haben Arme und Notleidende gern unterstützt, es klopfte so leicht niemand ver¬ geblich bei ihnen an. Ihren Arbeitern besonders haben sie zum Weihnachtsfest und auch an andern Festen reiche Geschenke zukommen lassen. Es ist zu be¬ fürchten, daß auch dieser Wohlthätigkeitssinn durch die Erfahrungen des Streiks eine schlimme Wunde erhalten hat. Doch wir wollen nicht zu schwarz sehen. Die Zeit wird vieles wieder heilen, und dann wird der Blick wieder Heller und das Herz wieder wärmer werdeu. Es wäre schlimm, wenn sich die Menschen, die auf einem Stück Erde zusammenleben, Hinsort kalt und fremd gegenüberstehen wollten, als gehörten sie verschiednen Welten an. Am 19. April hat der Streik sein Ende gefunden, etwa 1700 Personen haben für Wiederaufnahme der Arbeit gestimmt, allerdings auch 900 noch da¬ gegen. Daß es so kommen würde, war nach den letzten Versammlungen voraus¬ zusehen, da nun auch die bisher so kampfesfrohen und siegesbewußte» Führer das Verlangen nach Frieden in ihren Reden durchklingen ließen. Obgleich die Mühlhäuser Weber ihre eignen, mindestens nicht schlechter begründeten Wünsche bereitwillig zurückgestellt hatten, um den Kottbuser Genossen nicht ihre künst¬ lichen Kreise zu zertreten, war die Goldquelle am Versiegen, Hilfe war von keiner Seite mehr zu erwarten, und die große Masse der Streitenden ließ sich nicht länger zusammenhalten. Man mußte Luft geben, wenn man die Or¬ ganisation nicht auseinandersprengen wollte. Nur so läßt sich der Wechsel in der Stimmung der Führer verstehen, die jetzt auch einen Frieden für ehren¬ voll und annehmbar hielten, den sie vermutlich wenige Tage zuvor noch von sich gewiesen, vor Wochen aber als ein schimpfliches Abkommen angesehen haben würden. Irren ist menschlich, und seine Irrtümer zu verbessern ist immer ehrenvoll und gut, aber daß man auf Irrwegen gewandelt sei, das wird schwerlich ein¬ gestanden werden. Nun blieb nichts andres übrig, als die durch den Streik erlangten kleinen Vorteile nach Möglichkeit herauszuputzen, um die Niederlage vor der Menge zu verbergen. Aber wie das so zu geschehen pflegt, da war der Führung plötzlich ein Fähnlein der Zielbewußtesten erstanden, das ihr nun selbst zuletzt mit frischem Kampfesmut zuleide ging. Dieses Fähnlein, das sich in die Gedankengänge der vergangnen Tage wacker hineingefunden hatte, vermochte sich nicht so schnell umzudenken, ihm wollte es nicht verständlich werden, wes¬ halb mit einemmale der Himmel bis ans einige unbedeutende Wölkchen so blau erscheinen sollte, da es ihn doch noch ebenso fand wie vor Tagen und Wochen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/266>, abgerufen am 17.06.2024.