Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen

des Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern folgendermaßen: "Nach sechzehn¬
jähriger Geltungsdauer dieses Gesetzes (vom 11. März 1879) erneuern sich die
niemals ganz verstummten Klagen über unzureichende Vorbildung der Ver¬
waltungsbeamten mit solcher Dringlichkeit, daß sich die Staatsregierung wiederum
in die Notwendigkeit gestellt sieht, eine Reform der bestehenden Vorschriften
ins Auge zu fassen. Heute wie damals zeigt sich bei vielen Beamten die Er¬
scheinung, daß sie zwar allerlei wissen, aber nicht imstande sind, in den innern
Zusammenhang des Wissens einzudringen. Sie kennen eine Menge gesetzlicher
Bestimmungen, aber es fehlt ihnen die Fähigkeit, deren Zweck und Bedeutung
M erfassen und sie auf die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Lebens
anzuwenden. Wenn man also den Baum an den Früchten erkennen soll, so
wird man einräumen müssen, daß sich die besondre Vorbildung der Ver¬
waltungsbeamten nicht bewährt hat. Erwägt man aber weiter, daß gerade
das, was bei diesen vielfach vermißt wird, anerkanntermaßen durch die juristische
Ausbildung besonders gefördert wird, nämlich Klarheit der Auffassung. Schärfe
des Urteils und die Fähigkeit, sich auf den verschiednen Gebieten des öffent¬
lichen Rechts ohne Mühe zurecht zu finden, so wird man zu der Überzeugung
gedrängt, daß das Heilmittel für die bezeichneten Ubelstünde in der Einrich¬
tung einer gemeinsamen Vorbildung für Juristen und Verwaltungsbeamte zu
suchen ist."

Es ist in hohem Grade erfreulich. daß hier von augenscheinlich sachkun-
kundiger Seite einmal gegenüber der bis zum Überdruß gehörten, zum guten
Teil gedankenlos nachgesvrochnen Klage über den sogenannten ..Assessorismus"
und gegenüber der sich breit machenden Mißachtung der Rechtswissenschaft
überhaupt der unersetzliche Wert der rechtswissenschaftlichen Vorbildung für
den Justiz- wie sür den Verwaltungsdienst aufs nachdrücklichste betont wird.
Nicht daß man ..Assessoren," d. h. juristisch vorgebildete Leute, zur Verwal¬
tung verwendet, ist zu beklagen, sondern daß man ungenügend juristisch vor¬
gebildete "Assessoren" verwendet, ganz abgesehen davon, daß unpraktische,
dumme Menschen eben unpraktisch und dumm bleiben, mögen sie das Assessor¬
examen oder die Baumeisterprüfung bestanden haben. Mit Fug und Recht
legt der Verfasser auf die ..formale Schulung des Geistes, wie sie durch das
Studium der Jurisprudenz und die Bekanntschaft mit der juristischen Praxis
gewonnen wird," einen so hohen Wert, daß er sie auch "als die Grundlage
und den Angelpunkt der Verwaltungsvorbildung" ansieht. "Gerade jetzt -- so
fährt er treffend aus -- wo auf ökonomischem, sozialem und politischem
Gebiet, eine früher nicht geahnte Rührigkeit entfaltet wird, wo die Öffentlich¬
keit in alle Bahnen des Wirkens eindringt und die Gesetzgebung viel ver¬
wickelter geworden ist, bedarf die ganze Thätigkeit der höhern Verwaltungs¬
behörden mehr als früher einer juristischen Grundlage. Alle bedeutenden
Verwaltungsfragen gewinnen jetzt eine juristische Seite, und diese scharf zu be-


Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen

des Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern folgendermaßen: „Nach sechzehn¬
jähriger Geltungsdauer dieses Gesetzes (vom 11. März 1879) erneuern sich die
niemals ganz verstummten Klagen über unzureichende Vorbildung der Ver¬
waltungsbeamten mit solcher Dringlichkeit, daß sich die Staatsregierung wiederum
in die Notwendigkeit gestellt sieht, eine Reform der bestehenden Vorschriften
ins Auge zu fassen. Heute wie damals zeigt sich bei vielen Beamten die Er¬
scheinung, daß sie zwar allerlei wissen, aber nicht imstande sind, in den innern
Zusammenhang des Wissens einzudringen. Sie kennen eine Menge gesetzlicher
Bestimmungen, aber es fehlt ihnen die Fähigkeit, deren Zweck und Bedeutung
M erfassen und sie auf die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Lebens
anzuwenden. Wenn man also den Baum an den Früchten erkennen soll, so
wird man einräumen müssen, daß sich die besondre Vorbildung der Ver¬
waltungsbeamten nicht bewährt hat. Erwägt man aber weiter, daß gerade
das, was bei diesen vielfach vermißt wird, anerkanntermaßen durch die juristische
Ausbildung besonders gefördert wird, nämlich Klarheit der Auffassung. Schärfe
des Urteils und die Fähigkeit, sich auf den verschiednen Gebieten des öffent¬
lichen Rechts ohne Mühe zurecht zu finden, so wird man zu der Überzeugung
gedrängt, daß das Heilmittel für die bezeichneten Ubelstünde in der Einrich¬
tung einer gemeinsamen Vorbildung für Juristen und Verwaltungsbeamte zu
suchen ist."

Es ist in hohem Grade erfreulich. daß hier von augenscheinlich sachkun-
kundiger Seite einmal gegenüber der bis zum Überdruß gehörten, zum guten
Teil gedankenlos nachgesvrochnen Klage über den sogenannten ..Assessorismus"
und gegenüber der sich breit machenden Mißachtung der Rechtswissenschaft
überhaupt der unersetzliche Wert der rechtswissenschaftlichen Vorbildung für
den Justiz- wie sür den Verwaltungsdienst aufs nachdrücklichste betont wird.
Nicht daß man ..Assessoren," d. h. juristisch vorgebildete Leute, zur Verwal¬
tung verwendet, ist zu beklagen, sondern daß man ungenügend juristisch vor¬
gebildete „Assessoren" verwendet, ganz abgesehen davon, daß unpraktische,
dumme Menschen eben unpraktisch und dumm bleiben, mögen sie das Assessor¬
examen oder die Baumeisterprüfung bestanden haben. Mit Fug und Recht
legt der Verfasser auf die ..formale Schulung des Geistes, wie sie durch das
Studium der Jurisprudenz und die Bekanntschaft mit der juristischen Praxis
gewonnen wird," einen so hohen Wert, daß er sie auch „als die Grundlage
und den Angelpunkt der Verwaltungsvorbildung" ansieht. „Gerade jetzt — so
fährt er treffend aus — wo auf ökonomischem, sozialem und politischem
Gebiet, eine früher nicht geahnte Rührigkeit entfaltet wird, wo die Öffentlich¬
keit in alle Bahnen des Wirkens eindringt und die Gesetzgebung viel ver¬
wickelter geworden ist, bedarf die ganze Thätigkeit der höhern Verwaltungs¬
behörden mehr als früher einer juristischen Grundlage. Alle bedeutenden
Verwaltungsfragen gewinnen jetzt eine juristische Seite, und diese scharf zu be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222603"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_875" prev="#ID_874"> des Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern folgendermaßen: &#x201E;Nach sechzehn¬<lb/>
jähriger Geltungsdauer dieses Gesetzes (vom 11. März 1879) erneuern sich die<lb/>
niemals ganz verstummten Klagen über unzureichende Vorbildung der Ver¬<lb/>
waltungsbeamten mit solcher Dringlichkeit, daß sich die Staatsregierung wiederum<lb/>
in die Notwendigkeit gestellt sieht, eine Reform der bestehenden Vorschriften<lb/>
ins Auge zu fassen. Heute wie damals zeigt sich bei vielen Beamten die Er¬<lb/>
scheinung, daß sie zwar allerlei wissen, aber nicht imstande sind, in den innern<lb/>
Zusammenhang des Wissens einzudringen. Sie kennen eine Menge gesetzlicher<lb/>
Bestimmungen, aber es fehlt ihnen die Fähigkeit, deren Zweck und Bedeutung<lb/>
M erfassen und sie auf die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Lebens<lb/>
anzuwenden. Wenn man also den Baum an den Früchten erkennen soll, so<lb/>
wird man einräumen müssen, daß sich die besondre Vorbildung der Ver¬<lb/>
waltungsbeamten nicht bewährt hat. Erwägt man aber weiter, daß gerade<lb/>
das, was bei diesen vielfach vermißt wird, anerkanntermaßen durch die juristische<lb/>
Ausbildung besonders gefördert wird, nämlich Klarheit der Auffassung. Schärfe<lb/>
des Urteils und die Fähigkeit, sich auf den verschiednen Gebieten des öffent¬<lb/>
lichen Rechts ohne Mühe zurecht zu finden, so wird man zu der Überzeugung<lb/>
gedrängt, daß das Heilmittel für die bezeichneten Ubelstünde in der Einrich¬<lb/>
tung einer gemeinsamen Vorbildung für Juristen und Verwaltungsbeamte zu<lb/>
suchen ist."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_876" next="#ID_877"> Es ist in hohem Grade erfreulich. daß hier von augenscheinlich sachkun-<lb/>
kundiger Seite einmal gegenüber der bis zum Überdruß gehörten, zum guten<lb/>
Teil gedankenlos nachgesvrochnen Klage über den sogenannten ..Assessorismus"<lb/>
und gegenüber der sich breit machenden Mißachtung der Rechtswissenschaft<lb/>
überhaupt der unersetzliche Wert der rechtswissenschaftlichen Vorbildung für<lb/>
den Justiz- wie sür den Verwaltungsdienst aufs nachdrücklichste betont wird.<lb/>
Nicht daß man ..Assessoren," d. h. juristisch vorgebildete Leute, zur Verwal¬<lb/>
tung verwendet, ist zu beklagen, sondern daß man ungenügend juristisch vor¬<lb/>
gebildete &#x201E;Assessoren" verwendet, ganz abgesehen davon, daß unpraktische,<lb/>
dumme Menschen eben unpraktisch und dumm bleiben, mögen sie das Assessor¬<lb/>
examen oder die Baumeisterprüfung bestanden haben. Mit Fug und Recht<lb/>
legt der Verfasser auf die ..formale Schulung des Geistes, wie sie durch das<lb/>
Studium der Jurisprudenz und die Bekanntschaft mit der juristischen Praxis<lb/>
gewonnen wird," einen so hohen Wert, daß er sie auch &#x201E;als die Grundlage<lb/>
und den Angelpunkt der Verwaltungsvorbildung" ansieht. &#x201E;Gerade jetzt &#x2014; so<lb/>
fährt er treffend aus &#x2014; wo auf ökonomischem, sozialem und politischem<lb/>
Gebiet, eine früher nicht geahnte Rührigkeit entfaltet wird, wo die Öffentlich¬<lb/>
keit in alle Bahnen des Wirkens eindringt und die Gesetzgebung viel ver¬<lb/>
wickelter geworden ist, bedarf die ganze Thätigkeit der höhern Verwaltungs¬<lb/>
behörden mehr als früher einer juristischen Grundlage. Alle bedeutenden<lb/>
Verwaltungsfragen gewinnen jetzt eine juristische Seite, und diese scharf zu be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen des Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern folgendermaßen: „Nach sechzehn¬ jähriger Geltungsdauer dieses Gesetzes (vom 11. März 1879) erneuern sich die niemals ganz verstummten Klagen über unzureichende Vorbildung der Ver¬ waltungsbeamten mit solcher Dringlichkeit, daß sich die Staatsregierung wiederum in die Notwendigkeit gestellt sieht, eine Reform der bestehenden Vorschriften ins Auge zu fassen. Heute wie damals zeigt sich bei vielen Beamten die Er¬ scheinung, daß sie zwar allerlei wissen, aber nicht imstande sind, in den innern Zusammenhang des Wissens einzudringen. Sie kennen eine Menge gesetzlicher Bestimmungen, aber es fehlt ihnen die Fähigkeit, deren Zweck und Bedeutung M erfassen und sie auf die vielgestaltigen Verhältnisse des praktischen Lebens anzuwenden. Wenn man also den Baum an den Früchten erkennen soll, so wird man einräumen müssen, daß sich die besondre Vorbildung der Ver¬ waltungsbeamten nicht bewährt hat. Erwägt man aber weiter, daß gerade das, was bei diesen vielfach vermißt wird, anerkanntermaßen durch die juristische Ausbildung besonders gefördert wird, nämlich Klarheit der Auffassung. Schärfe des Urteils und die Fähigkeit, sich auf den verschiednen Gebieten des öffent¬ lichen Rechts ohne Mühe zurecht zu finden, so wird man zu der Überzeugung gedrängt, daß das Heilmittel für die bezeichneten Ubelstünde in der Einrich¬ tung einer gemeinsamen Vorbildung für Juristen und Verwaltungsbeamte zu suchen ist." Es ist in hohem Grade erfreulich. daß hier von augenscheinlich sachkun- kundiger Seite einmal gegenüber der bis zum Überdruß gehörten, zum guten Teil gedankenlos nachgesvrochnen Klage über den sogenannten ..Assessorismus" und gegenüber der sich breit machenden Mißachtung der Rechtswissenschaft überhaupt der unersetzliche Wert der rechtswissenschaftlichen Vorbildung für den Justiz- wie sür den Verwaltungsdienst aufs nachdrücklichste betont wird. Nicht daß man ..Assessoren," d. h. juristisch vorgebildete Leute, zur Verwal¬ tung verwendet, ist zu beklagen, sondern daß man ungenügend juristisch vor¬ gebildete „Assessoren" verwendet, ganz abgesehen davon, daß unpraktische, dumme Menschen eben unpraktisch und dumm bleiben, mögen sie das Assessor¬ examen oder die Baumeisterprüfung bestanden haben. Mit Fug und Recht legt der Verfasser auf die ..formale Schulung des Geistes, wie sie durch das Studium der Jurisprudenz und die Bekanntschaft mit der juristischen Praxis gewonnen wird," einen so hohen Wert, daß er sie auch „als die Grundlage und den Angelpunkt der Verwaltungsvorbildung" ansieht. „Gerade jetzt — so fährt er treffend aus — wo auf ökonomischem, sozialem und politischem Gebiet, eine früher nicht geahnte Rührigkeit entfaltet wird, wo die Öffentlich¬ keit in alle Bahnen des Wirkens eindringt und die Gesetzgebung viel ver¬ wickelter geworden ist, bedarf die ganze Thätigkeit der höhern Verwaltungs¬ behörden mehr als früher einer juristischen Grundlage. Alle bedeutenden Verwaltungsfragen gewinnen jetzt eine juristische Seite, und diese scharf zu be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/299>, abgerufen am 17.06.2024.