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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen

urteilen, fühlt sich der Verwaltungsbeamte nicht imstande, bei dessen Vorbil¬
dung die Jurisprudenz nur die Rolle des Aschenbrödels gespielt hat. Nur
ein juristisch geschulter Kopf vermag die schwierigen Probleme, die der immer
heftiger werdende Interessenkampf aufwirft, in ihrer grundsätzlichen Bedeutung
zu erfassen und auf ihre Verträglichkeit mit der allgemeinen Rechtsordnung
hin zu untersuchen. Nichts lehrt besser als die juristische Wissenschaft, die
Erscheinungen und Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens in ihren rechtlichen
Beziehungen zu verstehen. Diese Kunst ist es, die dem Wirken des Verwal¬
tungsbeamten erst die nötige Sicherheit, seiner praktischen Befähigung erst
ihren Wert giebt, denn sie zeigt ihm die Schranken, die seinem Handeln durch
die Gesetze oder durch entgegenstehende Rechte gesetzt sind; ohne sie tappt er
bei seinen Maßregeln im Dunkeln und gleicht einem steuerlosen Schisse, das
jeden Augenblick auf Untiefen und Klippen geraten kann."

Das find in der That goldne Worte, für die im deutschen Volke wieder
das volle Verständnis zu erwecken -- denn seit einem Menschenalter etwa hat
dieses Verständnis bedenklich abgenommen -- die Pflicht aller ist, die dazu
beitragen können. Nur wenn das gelingt, wird das deutsche Beamtentum
die ihm gebührende Stellung und Einwirkung wieder gewinnen, nur dann
wird es befähigt fein, den Fels von Erz zu bilden, an dem sich die hoch¬
gehenden Wogen des Jnteressenkampfs unsrer kritischen Tage brechen und in
gesunde Bahnen einlenken.

Aber wie man dem Verfasser darin zustimmen muß, so muß man ihm
auch Recht geben in Bezug auf die Forderungen, die er für die zweckmäßige
Ausgestaltung der gemeinsamen Vorbildung für den Justiz- und deu Ver¬
waltungsdienst aufstellt.

Vor allen Dingen verlangt er Schutz gegen das "Versimpeln" der besten
Jahre des Lebens und das "ruchlose Verlottern der Semester," wie es vor
allen andern den Studenten der Jurisprudenz vorgeworfen werde. Um diesem
Unwesen wirksam zuleide zu gehen, müsse namentlich die erste Prüfung so
eingerichtet werden, daß alles sogenannte Einpauker vergebens werde. Am
besten, meint der Verfasser, würde die Einführung einer Zwischenprüfung nach
der ersten Hälfte des auf vier Jahre bemessenen Universitütsstudiums geeignet
sein, das nie wieder gut zu machende "Verbummeln" der ersten Studienjahre
zu verhindern. Nachdem der Staat einmal erkannt habe, daß die unzuläng¬
liche Befähigung eines großen Teils der höhern Beamten auf den Mangel
einer gründlichen theoretischen Vorbildung zurückzuführen sei, habe er auch die
Pflicht, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln diesem Mangel abzuhelfen.
Wenn er aber das Übel nicht an der Wurzel anfasse und vor allen Dingen
nicht ein planmäßiges Studium auf der Universität erzwinge, so werde im
wesentlichen alles beim alten bleiben, möge man sonst reformiren, so viel man
wolle. Mit Recht fordert der Verfasser ferner, daß das Studium und die


Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen

urteilen, fühlt sich der Verwaltungsbeamte nicht imstande, bei dessen Vorbil¬
dung die Jurisprudenz nur die Rolle des Aschenbrödels gespielt hat. Nur
ein juristisch geschulter Kopf vermag die schwierigen Probleme, die der immer
heftiger werdende Interessenkampf aufwirft, in ihrer grundsätzlichen Bedeutung
zu erfassen und auf ihre Verträglichkeit mit der allgemeinen Rechtsordnung
hin zu untersuchen. Nichts lehrt besser als die juristische Wissenschaft, die
Erscheinungen und Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens in ihren rechtlichen
Beziehungen zu verstehen. Diese Kunst ist es, die dem Wirken des Verwal¬
tungsbeamten erst die nötige Sicherheit, seiner praktischen Befähigung erst
ihren Wert giebt, denn sie zeigt ihm die Schranken, die seinem Handeln durch
die Gesetze oder durch entgegenstehende Rechte gesetzt sind; ohne sie tappt er
bei seinen Maßregeln im Dunkeln und gleicht einem steuerlosen Schisse, das
jeden Augenblick auf Untiefen und Klippen geraten kann."

Das find in der That goldne Worte, für die im deutschen Volke wieder
das volle Verständnis zu erwecken — denn seit einem Menschenalter etwa hat
dieses Verständnis bedenklich abgenommen — die Pflicht aller ist, die dazu
beitragen können. Nur wenn das gelingt, wird das deutsche Beamtentum
die ihm gebührende Stellung und Einwirkung wieder gewinnen, nur dann
wird es befähigt fein, den Fels von Erz zu bilden, an dem sich die hoch¬
gehenden Wogen des Jnteressenkampfs unsrer kritischen Tage brechen und in
gesunde Bahnen einlenken.

Aber wie man dem Verfasser darin zustimmen muß, so muß man ihm
auch Recht geben in Bezug auf die Forderungen, die er für die zweckmäßige
Ausgestaltung der gemeinsamen Vorbildung für den Justiz- und deu Ver¬
waltungsdienst aufstellt.

Vor allen Dingen verlangt er Schutz gegen das „Versimpeln" der besten
Jahre des Lebens und das „ruchlose Verlottern der Semester," wie es vor
allen andern den Studenten der Jurisprudenz vorgeworfen werde. Um diesem
Unwesen wirksam zuleide zu gehen, müsse namentlich die erste Prüfung so
eingerichtet werden, daß alles sogenannte Einpauker vergebens werde. Am
besten, meint der Verfasser, würde die Einführung einer Zwischenprüfung nach
der ersten Hälfte des auf vier Jahre bemessenen Universitütsstudiums geeignet
sein, das nie wieder gut zu machende „Verbummeln" der ersten Studienjahre
zu verhindern. Nachdem der Staat einmal erkannt habe, daß die unzuläng¬
liche Befähigung eines großen Teils der höhern Beamten auf den Mangel
einer gründlichen theoretischen Vorbildung zurückzuführen sei, habe er auch die
Pflicht, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln diesem Mangel abzuhelfen.
Wenn er aber das Übel nicht an der Wurzel anfasse und vor allen Dingen
nicht ein planmäßiges Studium auf der Universität erzwinge, so werde im
wesentlichen alles beim alten bleiben, möge man sonst reformiren, so viel man
wolle. Mit Recht fordert der Verfasser ferner, daß das Studium und die


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[0300] Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen urteilen, fühlt sich der Verwaltungsbeamte nicht imstande, bei dessen Vorbil¬ dung die Jurisprudenz nur die Rolle des Aschenbrödels gespielt hat. Nur ein juristisch geschulter Kopf vermag die schwierigen Probleme, die der immer heftiger werdende Interessenkampf aufwirft, in ihrer grundsätzlichen Bedeutung zu erfassen und auf ihre Verträglichkeit mit der allgemeinen Rechtsordnung hin zu untersuchen. Nichts lehrt besser als die juristische Wissenschaft, die Erscheinungen und Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens in ihren rechtlichen Beziehungen zu verstehen. Diese Kunst ist es, die dem Wirken des Verwal¬ tungsbeamten erst die nötige Sicherheit, seiner praktischen Befähigung erst ihren Wert giebt, denn sie zeigt ihm die Schranken, die seinem Handeln durch die Gesetze oder durch entgegenstehende Rechte gesetzt sind; ohne sie tappt er bei seinen Maßregeln im Dunkeln und gleicht einem steuerlosen Schisse, das jeden Augenblick auf Untiefen und Klippen geraten kann." Das find in der That goldne Worte, für die im deutschen Volke wieder das volle Verständnis zu erwecken — denn seit einem Menschenalter etwa hat dieses Verständnis bedenklich abgenommen — die Pflicht aller ist, die dazu beitragen können. Nur wenn das gelingt, wird das deutsche Beamtentum die ihm gebührende Stellung und Einwirkung wieder gewinnen, nur dann wird es befähigt fein, den Fels von Erz zu bilden, an dem sich die hoch¬ gehenden Wogen des Jnteressenkampfs unsrer kritischen Tage brechen und in gesunde Bahnen einlenken. Aber wie man dem Verfasser darin zustimmen muß, so muß man ihm auch Recht geben in Bezug auf die Forderungen, die er für die zweckmäßige Ausgestaltung der gemeinsamen Vorbildung für den Justiz- und deu Ver¬ waltungsdienst aufstellt. Vor allen Dingen verlangt er Schutz gegen das „Versimpeln" der besten Jahre des Lebens und das „ruchlose Verlottern der Semester," wie es vor allen andern den Studenten der Jurisprudenz vorgeworfen werde. Um diesem Unwesen wirksam zuleide zu gehen, müsse namentlich die erste Prüfung so eingerichtet werden, daß alles sogenannte Einpauker vergebens werde. Am besten, meint der Verfasser, würde die Einführung einer Zwischenprüfung nach der ersten Hälfte des auf vier Jahre bemessenen Universitütsstudiums geeignet sein, das nie wieder gut zu machende „Verbummeln" der ersten Studienjahre zu verhindern. Nachdem der Staat einmal erkannt habe, daß die unzuläng¬ liche Befähigung eines großen Teils der höhern Beamten auf den Mangel einer gründlichen theoretischen Vorbildung zurückzuführen sei, habe er auch die Pflicht, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln diesem Mangel abzuhelfen. Wenn er aber das Übel nicht an der Wurzel anfasse und vor allen Dingen nicht ein planmäßiges Studium auf der Universität erzwinge, so werde im wesentlichen alles beim alten bleiben, möge man sonst reformiren, so viel man wolle. Mit Recht fordert der Verfasser ferner, daß das Studium und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/300>, abgerufen am 17.06.2024.