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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue deutsche Lvik

Friedrich Nietzsches Werke geschickt hat, und knüpft ihre neuen Hoffnungen an
ein tapferes Häuflein von Schülern Nietzsches. Der Dichter aber schließt, nach¬
dem er oft genng anstatt des dummen Teufels selbst das Wort genommen hat:

Mit diesem Abschluß werden natürlich die nicht einverstanden sein, die in
der Gegenwart Genies zu Dutzenden sehen -- alle Tage ein andres --, und
die gegen die Anschauung des Dichters, daß wir Deutschen unter der Ägide
Luthers, Goethes, Bismarcks weiterschaffen und gesunden könnten, auch ohne
daß das weltumwälzende Genie geboren wird, wie gegen ein Sakrilegium auf¬
schreien. Und doch quillt gerade aus dieser Anschauung der gesunde Geist
dieses humoristischen Gedichts, dessen zustimmende, von poetischer Freude an
den Erscheinungen erfüllte Empfindung uns ebenso anzieht wie die humoristische
und satirische Schilderung des Fratzenhaften, Unechten, Komödiantischen der
Gegenwart. Der Humor des Dichters wird ja zuweilen zum erbarmungslosen,
ingrimmigen Spott, doch immer nur da, wo die aumaßliche Herausforderung
auf der Gegenseite zu stark ist; am freiesten und schönsten wirkt das Gedicht,
wo sich in der Charakteristik des dummen Teufels selbst und in der Erzählung
seiner Abenteuer die Phantasie und das männliche Gefühl des Dichters in
frischer Zuversicht über die kleinen und kläglichen Tagcswirren erheben, dnrch
die sein "dummer Teufel" hindurch muß. Die Behandlung dieser Wirren
selbst ist vorzüglich, der Dichter spielt mit ihnen und stellt sie doch deutlich
dar, daß wir Zustände und Menschen zum Greifen vor uns haben. Bartels
hat in seiner poetischen Art etwas nordisches, herbes, er sagt selbst: "Die frohe
Kunst ist nicht meine Kunst," aber als echt norddeutscher Natur fehlt es ihm
nicht an scheu verborgner und doch golden hervorleuchtender Weichheit des
Gemüts und einer tiefen, keuschen Sehnsucht nach dem echten Schönen. Das
ganze Gedicht spiegelt das Ringen eines männlichen Geistes, der, der revolutio¬
nären Kraftphrase und der lottrigen Gemeinheit gleich satt, sich auf die Quellen
alles echten Lebens besonnen hat und nun andre zu ihnen führt, dabei aber
nicht vergißt, daß ein guter Spaß die wahre Würze solcher Wanderung bleibt.
Der litterarische Teil der Satire steht allerdings in einem gewissen Mißver¬
hältnis zu der Schilderung andrer Lebensgebiete und Lebensmächte. Aber
schließlich spiegeln sich doch alle in der Litteratur, und insofern gleicht sich
das Mißverhältnis, das offenbar aus des Dichters Erlebnissen stammt, wieder


Neue deutsche Lvik

Friedrich Nietzsches Werke geschickt hat, und knüpft ihre neuen Hoffnungen an
ein tapferes Häuflein von Schülern Nietzsches. Der Dichter aber schließt, nach¬
dem er oft genng anstatt des dummen Teufels selbst das Wort genommen hat:

Mit diesem Abschluß werden natürlich die nicht einverstanden sein, die in
der Gegenwart Genies zu Dutzenden sehen — alle Tage ein andres —, und
die gegen die Anschauung des Dichters, daß wir Deutschen unter der Ägide
Luthers, Goethes, Bismarcks weiterschaffen und gesunden könnten, auch ohne
daß das weltumwälzende Genie geboren wird, wie gegen ein Sakrilegium auf¬
schreien. Und doch quillt gerade aus dieser Anschauung der gesunde Geist
dieses humoristischen Gedichts, dessen zustimmende, von poetischer Freude an
den Erscheinungen erfüllte Empfindung uns ebenso anzieht wie die humoristische
und satirische Schilderung des Fratzenhaften, Unechten, Komödiantischen der
Gegenwart. Der Humor des Dichters wird ja zuweilen zum erbarmungslosen,
ingrimmigen Spott, doch immer nur da, wo die aumaßliche Herausforderung
auf der Gegenseite zu stark ist; am freiesten und schönsten wirkt das Gedicht,
wo sich in der Charakteristik des dummen Teufels selbst und in der Erzählung
seiner Abenteuer die Phantasie und das männliche Gefühl des Dichters in
frischer Zuversicht über die kleinen und kläglichen Tagcswirren erheben, dnrch
die sein „dummer Teufel" hindurch muß. Die Behandlung dieser Wirren
selbst ist vorzüglich, der Dichter spielt mit ihnen und stellt sie doch deutlich
dar, daß wir Zustände und Menschen zum Greifen vor uns haben. Bartels
hat in seiner poetischen Art etwas nordisches, herbes, er sagt selbst: „Die frohe
Kunst ist nicht meine Kunst," aber als echt norddeutscher Natur fehlt es ihm
nicht an scheu verborgner und doch golden hervorleuchtender Weichheit des
Gemüts und einer tiefen, keuschen Sehnsucht nach dem echten Schönen. Das
ganze Gedicht spiegelt das Ringen eines männlichen Geistes, der, der revolutio¬
nären Kraftphrase und der lottrigen Gemeinheit gleich satt, sich auf die Quellen
alles echten Lebens besonnen hat und nun andre zu ihnen führt, dabei aber
nicht vergißt, daß ein guter Spaß die wahre Würze solcher Wanderung bleibt.
Der litterarische Teil der Satire steht allerdings in einem gewissen Mißver¬
hältnis zu der Schilderung andrer Lebensgebiete und Lebensmächte. Aber
schließlich spiegeln sich doch alle in der Litteratur, und insofern gleicht sich
das Mißverhältnis, das offenbar aus des Dichters Erlebnissen stammt, wieder


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[0382] Neue deutsche Lvik Friedrich Nietzsches Werke geschickt hat, und knüpft ihre neuen Hoffnungen an ein tapferes Häuflein von Schülern Nietzsches. Der Dichter aber schließt, nach¬ dem er oft genng anstatt des dummen Teufels selbst das Wort genommen hat: Mit diesem Abschluß werden natürlich die nicht einverstanden sein, die in der Gegenwart Genies zu Dutzenden sehen — alle Tage ein andres —, und die gegen die Anschauung des Dichters, daß wir Deutschen unter der Ägide Luthers, Goethes, Bismarcks weiterschaffen und gesunden könnten, auch ohne daß das weltumwälzende Genie geboren wird, wie gegen ein Sakrilegium auf¬ schreien. Und doch quillt gerade aus dieser Anschauung der gesunde Geist dieses humoristischen Gedichts, dessen zustimmende, von poetischer Freude an den Erscheinungen erfüllte Empfindung uns ebenso anzieht wie die humoristische und satirische Schilderung des Fratzenhaften, Unechten, Komödiantischen der Gegenwart. Der Humor des Dichters wird ja zuweilen zum erbarmungslosen, ingrimmigen Spott, doch immer nur da, wo die aumaßliche Herausforderung auf der Gegenseite zu stark ist; am freiesten und schönsten wirkt das Gedicht, wo sich in der Charakteristik des dummen Teufels selbst und in der Erzählung seiner Abenteuer die Phantasie und das männliche Gefühl des Dichters in frischer Zuversicht über die kleinen und kläglichen Tagcswirren erheben, dnrch die sein „dummer Teufel" hindurch muß. Die Behandlung dieser Wirren selbst ist vorzüglich, der Dichter spielt mit ihnen und stellt sie doch deutlich dar, daß wir Zustände und Menschen zum Greifen vor uns haben. Bartels hat in seiner poetischen Art etwas nordisches, herbes, er sagt selbst: „Die frohe Kunst ist nicht meine Kunst," aber als echt norddeutscher Natur fehlt es ihm nicht an scheu verborgner und doch golden hervorleuchtender Weichheit des Gemüts und einer tiefen, keuschen Sehnsucht nach dem echten Schönen. Das ganze Gedicht spiegelt das Ringen eines männlichen Geistes, der, der revolutio¬ nären Kraftphrase und der lottrigen Gemeinheit gleich satt, sich auf die Quellen alles echten Lebens besonnen hat und nun andre zu ihnen führt, dabei aber nicht vergißt, daß ein guter Spaß die wahre Würze solcher Wanderung bleibt. Der litterarische Teil der Satire steht allerdings in einem gewissen Mißver¬ hältnis zu der Schilderung andrer Lebensgebiete und Lebensmächte. Aber schließlich spiegeln sich doch alle in der Litteratur, und insofern gleicht sich das Mißverhältnis, das offenbar aus des Dichters Erlebnissen stammt, wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/382>, abgerufen am 13.05.2024.