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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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dessen Vergangenheit er, wie sich nachher zeigt, zum Teil erben muß, wird
reichlich mit Geld versorgt und tritt nun die Irrfahrt nach dem "Genie" an,
das der Hölle verfallen soll. Im dritten Gesang merkt er schon, daß er unter
den Studenten und litterarischen Bummlern von Berlin das geträumte Genie
nicht finden wird, entschließt sich kurz und siedelt nach Heidelberg über, ver¬
tauscht auch die Medizin des Vorgängers, in dessen Haut er durchs Leben
Wandelt, mit der Philosophie, macht als Saxoborusse die intime Bekanntschaft
des Herrn von Droste-Nirgendshausen, eines edeln Westfalen, in dem er einen
künftigen neuen Vismarck wittert, bis der Freiherr, der seinen bürgerlichen
Freund bis zur letzten Möglichkeit eingepumpt hat, nach Amerika durchbrennt.
Im vierten Gesänge sucht der dumme Teufel, alias Alexis Meier, sein Heil in
Leipzig, wo er in allen Fakultäten herumguckt und nähere Bekanntschaft mit
der "Moderne" macht, die im fünften in der Person Heinrich Kuuaths re¬
nommistisch siegreich aufgeht. Der dumme Teufel lernt, daß das unfehlbare
Mittel zur Erlösung der Menschheit darin bestehe, daß die Helden der jüngsten
Dramen und Romane meist in der Kneipe sitzen, muß aber, als sich der große
Heinrich Kunath schließlich erschießt, leider eingestehen, daß dieser höchstens
ein problematisches Talent, kein Genie gewesen sei. Bei der Vlocksbergsver-
sammlung im sechsten Gesänge wird der dumme Teufel wegen seines erfolg¬
losen Suchens gescholten und auf schmale Rationen gesetzt. Er besieht sich
darnach ein Semester lang das Münchner Kunsttreiben, promovirt endlich in
Leipzig, wird im siebenten Gesänge Redakteur eines Lokalblättchens, übernimmt
das Feuilleton der altberühmten Ter Zeitung, wird, weil er einem intriganten
Chefredakteur im Wege ist, aus der Zeitung hinaufbefördert, weiß aber nun,
daß das gesuchte "Genie" bei der "Presse" much nicht zu finden ist. Er kann
es auch im neunten Gesang als Theatersekretär bei der modernen Bühne nicht
entdecken, hat im zehnten einen wunderbaren Traum von dem schönen deutschen
^erga Parnaß, von einem Dichtertnrnier der Gegenwart, dessen Ergebnis ist:

Wird im elften als Sekretär eines Reichstagsabgeordneten in die neueste Politik
hineingeworfen, kehrt endlich am Schlußgesang mich Quappenhausen zurück und
sührt sein Schicksal als Doktor Alex Meier zu Ende, indem er die verlassene
Geliebte des Vormanns heiratet und dessen Knaben adoptirt. Wie seine Zeit
abgelaufen ist und ihn die Hölle zurückfordert, scheidet er mit der leisen Hoff¬
nung, daß der Junge, der ihm zuletzt liebgeworden ist, ein Genie sein werde,
das er freilich der heimatlichen Hölle nicht gönnt. Als der dumme Teufel
wieder unten anlangt, lacht zwar die gesamte Höllenaristvkratie ob der Zu¬
kunftsphantasien ihres Abgesandten, des Teufels Großmutter nennt ihn "ein
^ches, gutes dummes Vieh," zeigt sich aber dankbar, daß ihr der dumme Teufel


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dessen Vergangenheit er, wie sich nachher zeigt, zum Teil erben muß, wird
reichlich mit Geld versorgt und tritt nun die Irrfahrt nach dem „Genie" an,
das der Hölle verfallen soll. Im dritten Gesang merkt er schon, daß er unter
den Studenten und litterarischen Bummlern von Berlin das geträumte Genie
nicht finden wird, entschließt sich kurz und siedelt nach Heidelberg über, ver¬
tauscht auch die Medizin des Vorgängers, in dessen Haut er durchs Leben
Wandelt, mit der Philosophie, macht als Saxoborusse die intime Bekanntschaft
des Herrn von Droste-Nirgendshausen, eines edeln Westfalen, in dem er einen
künftigen neuen Vismarck wittert, bis der Freiherr, der seinen bürgerlichen
Freund bis zur letzten Möglichkeit eingepumpt hat, nach Amerika durchbrennt.
Im vierten Gesänge sucht der dumme Teufel, alias Alexis Meier, sein Heil in
Leipzig, wo er in allen Fakultäten herumguckt und nähere Bekanntschaft mit
der „Moderne" macht, die im fünften in der Person Heinrich Kuuaths re¬
nommistisch siegreich aufgeht. Der dumme Teufel lernt, daß das unfehlbare
Mittel zur Erlösung der Menschheit darin bestehe, daß die Helden der jüngsten
Dramen und Romane meist in der Kneipe sitzen, muß aber, als sich der große
Heinrich Kunath schließlich erschießt, leider eingestehen, daß dieser höchstens
ein problematisches Talent, kein Genie gewesen sei. Bei der Vlocksbergsver-
sammlung im sechsten Gesänge wird der dumme Teufel wegen seines erfolg¬
losen Suchens gescholten und auf schmale Rationen gesetzt. Er besieht sich
darnach ein Semester lang das Münchner Kunsttreiben, promovirt endlich in
Leipzig, wird im siebenten Gesänge Redakteur eines Lokalblättchens, übernimmt
das Feuilleton der altberühmten Ter Zeitung, wird, weil er einem intriganten
Chefredakteur im Wege ist, aus der Zeitung hinaufbefördert, weiß aber nun,
daß das gesuchte „Genie" bei der „Presse" much nicht zu finden ist. Er kann
es auch im neunten Gesang als Theatersekretär bei der modernen Bühne nicht
entdecken, hat im zehnten einen wunderbaren Traum von dem schönen deutschen
^erga Parnaß, von einem Dichtertnrnier der Gegenwart, dessen Ergebnis ist:

Wird im elften als Sekretär eines Reichstagsabgeordneten in die neueste Politik
hineingeworfen, kehrt endlich am Schlußgesang mich Quappenhausen zurück und
sührt sein Schicksal als Doktor Alex Meier zu Ende, indem er die verlassene
Geliebte des Vormanns heiratet und dessen Knaben adoptirt. Wie seine Zeit
abgelaufen ist und ihn die Hölle zurückfordert, scheidet er mit der leisen Hoff¬
nung, daß der Junge, der ihm zuletzt liebgeworden ist, ein Genie sein werde,
das er freilich der heimatlichen Hölle nicht gönnt. Als der dumme Teufel
wieder unten anlangt, lacht zwar die gesamte Höllenaristvkratie ob der Zu¬
kunftsphantasien ihres Abgesandten, des Teufels Großmutter nennt ihn „ein
^ches, gutes dummes Vieh," zeigt sich aber dankbar, daß ihr der dumme Teufel


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[0381] Neue deutsche Lpik dessen Vergangenheit er, wie sich nachher zeigt, zum Teil erben muß, wird reichlich mit Geld versorgt und tritt nun die Irrfahrt nach dem „Genie" an, das der Hölle verfallen soll. Im dritten Gesang merkt er schon, daß er unter den Studenten und litterarischen Bummlern von Berlin das geträumte Genie nicht finden wird, entschließt sich kurz und siedelt nach Heidelberg über, ver¬ tauscht auch die Medizin des Vorgängers, in dessen Haut er durchs Leben Wandelt, mit der Philosophie, macht als Saxoborusse die intime Bekanntschaft des Herrn von Droste-Nirgendshausen, eines edeln Westfalen, in dem er einen künftigen neuen Vismarck wittert, bis der Freiherr, der seinen bürgerlichen Freund bis zur letzten Möglichkeit eingepumpt hat, nach Amerika durchbrennt. Im vierten Gesänge sucht der dumme Teufel, alias Alexis Meier, sein Heil in Leipzig, wo er in allen Fakultäten herumguckt und nähere Bekanntschaft mit der „Moderne" macht, die im fünften in der Person Heinrich Kuuaths re¬ nommistisch siegreich aufgeht. Der dumme Teufel lernt, daß das unfehlbare Mittel zur Erlösung der Menschheit darin bestehe, daß die Helden der jüngsten Dramen und Romane meist in der Kneipe sitzen, muß aber, als sich der große Heinrich Kunath schließlich erschießt, leider eingestehen, daß dieser höchstens ein problematisches Talent, kein Genie gewesen sei. Bei der Vlocksbergsver- sammlung im sechsten Gesänge wird der dumme Teufel wegen seines erfolg¬ losen Suchens gescholten und auf schmale Rationen gesetzt. Er besieht sich darnach ein Semester lang das Münchner Kunsttreiben, promovirt endlich in Leipzig, wird im siebenten Gesänge Redakteur eines Lokalblättchens, übernimmt das Feuilleton der altberühmten Ter Zeitung, wird, weil er einem intriganten Chefredakteur im Wege ist, aus der Zeitung hinaufbefördert, weiß aber nun, daß das gesuchte „Genie" bei der „Presse" much nicht zu finden ist. Er kann es auch im neunten Gesang als Theatersekretär bei der modernen Bühne nicht entdecken, hat im zehnten einen wunderbaren Traum von dem schönen deutschen ^erga Parnaß, von einem Dichtertnrnier der Gegenwart, dessen Ergebnis ist: Wird im elften als Sekretär eines Reichstagsabgeordneten in die neueste Politik hineingeworfen, kehrt endlich am Schlußgesang mich Quappenhausen zurück und sührt sein Schicksal als Doktor Alex Meier zu Ende, indem er die verlassene Geliebte des Vormanns heiratet und dessen Knaben adoptirt. Wie seine Zeit abgelaufen ist und ihn die Hölle zurückfordert, scheidet er mit der leisen Hoff¬ nung, daß der Junge, der ihm zuletzt liebgeworden ist, ein Genie sein werde, das er freilich der heimatlichen Hölle nicht gönnt. Als der dumme Teufel wieder unten anlangt, lacht zwar die gesamte Höllenaristvkratie ob der Zu¬ kunftsphantasien ihres Abgesandten, des Teufels Großmutter nennt ihn „ein ^ches, gutes dummes Vieh," zeigt sich aber dankbar, daß ihr der dumme Teufel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/381>, abgerufen am 28.05.2024.