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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Politische Pastoren

Der Stöcker betreffende Satz kann hier ganz wegbleiben. Soweit es uns
angeht, lautete das Telegramm wie folgt: "Politische Pastoren sind ein Un¬
ding. Wer Christ ist, der ist auch "sozial," christlich-sozial ist Unsinn und
führt zur Selbstüberhebung und Unduldsamkeit, beides dem Christentum schnur¬
stracks zuwiderlaufend. Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer
Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiele
lassen, dieweil sie das gar nichts angeht." Wahrhaftig, hierin steckt Gold
genug, soviel Gold, daß man die Kritik nicht zu hindern braucht, die Schlacken
herauszuholen; der Wert wird dadurch nicht gemindert!

Und nun zur Sache. Unter gar keinen Umständen kann man denen Recht
geben, die es mit Herrn von Stumm unternehmen wollen, durch Hereinziehen
einer kaiserlichen Privatäußerung den Pastoren an der Saar den Mund zu
verbieten, wenn sie das Unternehmertum der Gegend, das verhältnismäßig sehr
schnell zu fürstlichem Reichtum emporgekommen ist, scharf und unablässig
zu der christlichen Demut mahnen, die nicht in äußerlicher Kniebeugung
vor dem Altar, sondern vor allem dadurch zu beweisen ist, daß der Reiche
auch in dem Armen immer, in jedem Lebens- und Geschäftsverhältuis, die
gleichberechtigte, sittlich vollwertige Persönlichkeit und Freiheit anerkennt, daß
der Reichgewordne sich freimacht von den verhängnisvollen Anschauungen und
Gepflogenheiten des Protzentums, die auch an der Saar nicht nur Arbeiter
und politische Pastoren, sondern alle wahrhaft gebildeten, feinfühligen Menschen
in unangenehmster Weise zu berühren geeignet und auch an sich zweck¬
mäßigen und der geringern Einsicht der Arbeitermassen gegenüber mit einem
an sich gerechtfertigten äußern Zwange verbundnen sogenannten Wohlfahrts¬
einrichtungen den Charakter der Christlichkeit zu rauben und damit die ver¬
söhnende Wirkung oft in das Gegenteil zu verkehren imstande sind. Gegen
diesen Geist des Protzentums anzukämpfen, wo er sich zeigt, ist nicht nur das
Recht, sondern es ist die heiligste Pflicht der Geistlichkeit auch an der Saar,
und daran wird sie auf die Dauer, das ist zu hoffen, kein Mensch der Erde
hindern können. Für den, der die Verhältnisse an der Saar und ihr Werden
seit einem Menschenalter wirklich kennt, kann das gar keine Frage sein. Es
soll auch hier nur beiläufig berührt werden.

Gewiß, wer "Christ" ist, der ist auch "sozial," und "christlich-sozial" kann
insofern ein "Unsinn" genannt werden. Aber es hatte denn doch sehr viel
Sinn, die Christen wieder zu der Erkenntnis zu bringen, daß sie auch "sozial"
sein müßten, denn der christlichen Gesellschaft, selbst der streng Archen- und
bekeuntnistreuen, war diese Erkenntnis im Laufe der letzten Menschenalter in
ganz erschreckendem Maße verloren gegangen und ist ihr auch heute noch lange
nicht wieder erschlösse".

Aber auch der Politik gegenüber geht es nicht an, die Geistlichkeit so
ohne weiteres mundtot zu machen. Das hieße ja das "praktische Christentum"


Politische Pastoren

Der Stöcker betreffende Satz kann hier ganz wegbleiben. Soweit es uns
angeht, lautete das Telegramm wie folgt: „Politische Pastoren sind ein Un¬
ding. Wer Christ ist, der ist auch »sozial,« christlich-sozial ist Unsinn und
führt zur Selbstüberhebung und Unduldsamkeit, beides dem Christentum schnur¬
stracks zuwiderlaufend. Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer
Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiele
lassen, dieweil sie das gar nichts angeht." Wahrhaftig, hierin steckt Gold
genug, soviel Gold, daß man die Kritik nicht zu hindern braucht, die Schlacken
herauszuholen; der Wert wird dadurch nicht gemindert!

Und nun zur Sache. Unter gar keinen Umständen kann man denen Recht
geben, die es mit Herrn von Stumm unternehmen wollen, durch Hereinziehen
einer kaiserlichen Privatäußerung den Pastoren an der Saar den Mund zu
verbieten, wenn sie das Unternehmertum der Gegend, das verhältnismäßig sehr
schnell zu fürstlichem Reichtum emporgekommen ist, scharf und unablässig
zu der christlichen Demut mahnen, die nicht in äußerlicher Kniebeugung
vor dem Altar, sondern vor allem dadurch zu beweisen ist, daß der Reiche
auch in dem Armen immer, in jedem Lebens- und Geschäftsverhältuis, die
gleichberechtigte, sittlich vollwertige Persönlichkeit und Freiheit anerkennt, daß
der Reichgewordne sich freimacht von den verhängnisvollen Anschauungen und
Gepflogenheiten des Protzentums, die auch an der Saar nicht nur Arbeiter
und politische Pastoren, sondern alle wahrhaft gebildeten, feinfühligen Menschen
in unangenehmster Weise zu berühren geeignet und auch an sich zweck¬
mäßigen und der geringern Einsicht der Arbeitermassen gegenüber mit einem
an sich gerechtfertigten äußern Zwange verbundnen sogenannten Wohlfahrts¬
einrichtungen den Charakter der Christlichkeit zu rauben und damit die ver¬
söhnende Wirkung oft in das Gegenteil zu verkehren imstande sind. Gegen
diesen Geist des Protzentums anzukämpfen, wo er sich zeigt, ist nicht nur das
Recht, sondern es ist die heiligste Pflicht der Geistlichkeit auch an der Saar,
und daran wird sie auf die Dauer, das ist zu hoffen, kein Mensch der Erde
hindern können. Für den, der die Verhältnisse an der Saar und ihr Werden
seit einem Menschenalter wirklich kennt, kann das gar keine Frage sein. Es
soll auch hier nur beiläufig berührt werden.

Gewiß, wer „Christ" ist, der ist auch „sozial," und „christlich-sozial" kann
insofern ein „Unsinn" genannt werden. Aber es hatte denn doch sehr viel
Sinn, die Christen wieder zu der Erkenntnis zu bringen, daß sie auch „sozial"
sein müßten, denn der christlichen Gesellschaft, selbst der streng Archen- und
bekeuntnistreuen, war diese Erkenntnis im Laufe der letzten Menschenalter in
ganz erschreckendem Maße verloren gegangen und ist ihr auch heute noch lange
nicht wieder erschlösse».

Aber auch der Politik gegenüber geht es nicht an, die Geistlichkeit so
ohne weiteres mundtot zu machen. Das hieße ja das „praktische Christentum"


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[0384] Politische Pastoren Der Stöcker betreffende Satz kann hier ganz wegbleiben. Soweit es uns angeht, lautete das Telegramm wie folgt: „Politische Pastoren sind ein Un¬ ding. Wer Christ ist, der ist auch »sozial,« christlich-sozial ist Unsinn und führt zur Selbstüberhebung und Unduldsamkeit, beides dem Christentum schnur¬ stracks zuwiderlaufend. Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiele lassen, dieweil sie das gar nichts angeht." Wahrhaftig, hierin steckt Gold genug, soviel Gold, daß man die Kritik nicht zu hindern braucht, die Schlacken herauszuholen; der Wert wird dadurch nicht gemindert! Und nun zur Sache. Unter gar keinen Umständen kann man denen Recht geben, die es mit Herrn von Stumm unternehmen wollen, durch Hereinziehen einer kaiserlichen Privatäußerung den Pastoren an der Saar den Mund zu verbieten, wenn sie das Unternehmertum der Gegend, das verhältnismäßig sehr schnell zu fürstlichem Reichtum emporgekommen ist, scharf und unablässig zu der christlichen Demut mahnen, die nicht in äußerlicher Kniebeugung vor dem Altar, sondern vor allem dadurch zu beweisen ist, daß der Reiche auch in dem Armen immer, in jedem Lebens- und Geschäftsverhältuis, die gleichberechtigte, sittlich vollwertige Persönlichkeit und Freiheit anerkennt, daß der Reichgewordne sich freimacht von den verhängnisvollen Anschauungen und Gepflogenheiten des Protzentums, die auch an der Saar nicht nur Arbeiter und politische Pastoren, sondern alle wahrhaft gebildeten, feinfühligen Menschen in unangenehmster Weise zu berühren geeignet und auch an sich zweck¬ mäßigen und der geringern Einsicht der Arbeitermassen gegenüber mit einem an sich gerechtfertigten äußern Zwange verbundnen sogenannten Wohlfahrts¬ einrichtungen den Charakter der Christlichkeit zu rauben und damit die ver¬ söhnende Wirkung oft in das Gegenteil zu verkehren imstande sind. Gegen diesen Geist des Protzentums anzukämpfen, wo er sich zeigt, ist nicht nur das Recht, sondern es ist die heiligste Pflicht der Geistlichkeit auch an der Saar, und daran wird sie auf die Dauer, das ist zu hoffen, kein Mensch der Erde hindern können. Für den, der die Verhältnisse an der Saar und ihr Werden seit einem Menschenalter wirklich kennt, kann das gar keine Frage sein. Es soll auch hier nur beiläufig berührt werden. Gewiß, wer „Christ" ist, der ist auch „sozial," und „christlich-sozial" kann insofern ein „Unsinn" genannt werden. Aber es hatte denn doch sehr viel Sinn, die Christen wieder zu der Erkenntnis zu bringen, daß sie auch „sozial" sein müßten, denn der christlichen Gesellschaft, selbst der streng Archen- und bekeuntnistreuen, war diese Erkenntnis im Laufe der letzten Menschenalter in ganz erschreckendem Maße verloren gegangen und ist ihr auch heute noch lange nicht wieder erschlösse». Aber auch der Politik gegenüber geht es nicht an, die Geistlichkeit so ohne weiteres mundtot zu machen. Das hieße ja das „praktische Christentum"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/384>, abgerufen am 12.05.2024.