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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Vorbildung unsrer Uolonialbeamten

die europäische Besiedlung werden Pflanzen und Tiere nicht entfernt in dem
Maße ausgerottet oder umgebildet wie die Volker; die geologischen Verhältnisse
können auch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten noch mit demselben Erfolge
studirt werden wie heutzutage, und auch das Klima wird sich nicht allzu rasch
ändern. Nur die Stämme der Eingebornen sterben dahin oder verlieren un¬
wiederbringlich die eigentümliche Kultur, die sie sich im Laufe der Jahrtausende
erworben haben.

Es soll damit nicht gesagt sein, daß bisher von den Kvlonialbeamten
nichts für die Völkerkunde geschehen wäre. Man darf es als eine der schönsten
Bethätigungen selbständigen deutschen Forscherdrangs bezeichnen, daß schon jetzt
durch ihre Vermittlung ein reiches ethnologisches Material zugänglich gemacht
worden ist. Aber wie ganz anders wären die Ergebnisse, wenn ein Plan in
die Sache käme, und jeder Hinausziehende sich von vornherein über die Auf¬
gaben klar wäre, die ihn erwarten und vielleicht von ihm allein gelöst werden
können!

Natürlich wird es nicht an nüchternen Gemütern fehlen, denen diese For¬
derungen der Wissenschaft nebensächlich und gleichgiltig erscheinen, die es allen¬
falls verstehen, daß man dem Kolonialbeamten einige hansbcickne praktische
Kenntnisse angiebt, die aber für die übrigen Wünsche nur ein ironisches Achsel¬
zucken haben. Nun, gerade die Vorgänge der letzten Zeit lehren uns, wie un¬
geheuer praktisch völkerkundliches Verständnis für den Beamten ist, der über
Naturvölker zu urteilen und zu richten hat! Nur auf eine Seite der Völker¬
kunde mag hier hingewiesen sein. Dem Durchschnittsjuristen ist es in der
Regel so gut wie unbekannt, daß es eine ethnologische Jurisprudenz giebt, die
sich als eigner Wissenszweig bereits zu herrlicher Blüte entfaltet hat; es gehört
im allgemeinen immer noch zum guten Ton, diese ganze Entwicklung zu igno-
riren oder vornehm über sie abzusprechen. Ju Europa mag das noch eine
ganze Weile durchführbar sein, der Jurist aber, der über Naturvölker zu Gericht
sitzen soll, handelt einfach unverantwortlich, wenn er sich nicht mit den Hilfs¬
mitteln vertraut macht, die ihm die völkerkundliche Forschung bietet. Mit
Plumper Hand greift er in Verhältnisse ein, die ihm fremd und unverständlich
sind, unterwirft seinem ungeschickten Urteil die Ergebnisse einer uralten, in
ihrer Art eigentümlichen und ehrwürdigen Entwicklung, verletzt Gefühle, für
deren Dasein und Daseinsberechtigung er keinen Sinn hat, und erstaunt dann,
wenn Krieg und Empörung die Folge seiner anscheinend so "gerechten" Ver¬
waltung sind. Er kann der tüchtigste, vom besten Willen beseelte Mensch sein
und wird doch unter Umstünden unsägliches Unheil stiften.

Die Rechtspflege wird natürlich nicht allein von einer ethnologischen Vor¬
bildung der Beamten Vorteil ziehen; auch im übrigen wird diese Bildung das
Verhalten gegenüber den Eingebornen beeinflussen. Wer schon einigermaßen
mit dem Wesen der Naturvölker vertraut ist, bleibt vor jenem bedenklichen


Die Vorbildung unsrer Uolonialbeamten

die europäische Besiedlung werden Pflanzen und Tiere nicht entfernt in dem
Maße ausgerottet oder umgebildet wie die Volker; die geologischen Verhältnisse
können auch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten noch mit demselben Erfolge
studirt werden wie heutzutage, und auch das Klima wird sich nicht allzu rasch
ändern. Nur die Stämme der Eingebornen sterben dahin oder verlieren un¬
wiederbringlich die eigentümliche Kultur, die sie sich im Laufe der Jahrtausende
erworben haben.

Es soll damit nicht gesagt sein, daß bisher von den Kvlonialbeamten
nichts für die Völkerkunde geschehen wäre. Man darf es als eine der schönsten
Bethätigungen selbständigen deutschen Forscherdrangs bezeichnen, daß schon jetzt
durch ihre Vermittlung ein reiches ethnologisches Material zugänglich gemacht
worden ist. Aber wie ganz anders wären die Ergebnisse, wenn ein Plan in
die Sache käme, und jeder Hinausziehende sich von vornherein über die Auf¬
gaben klar wäre, die ihn erwarten und vielleicht von ihm allein gelöst werden
können!

Natürlich wird es nicht an nüchternen Gemütern fehlen, denen diese For¬
derungen der Wissenschaft nebensächlich und gleichgiltig erscheinen, die es allen¬
falls verstehen, daß man dem Kolonialbeamten einige hansbcickne praktische
Kenntnisse angiebt, die aber für die übrigen Wünsche nur ein ironisches Achsel¬
zucken haben. Nun, gerade die Vorgänge der letzten Zeit lehren uns, wie un¬
geheuer praktisch völkerkundliches Verständnis für den Beamten ist, der über
Naturvölker zu urteilen und zu richten hat! Nur auf eine Seite der Völker¬
kunde mag hier hingewiesen sein. Dem Durchschnittsjuristen ist es in der
Regel so gut wie unbekannt, daß es eine ethnologische Jurisprudenz giebt, die
sich als eigner Wissenszweig bereits zu herrlicher Blüte entfaltet hat; es gehört
im allgemeinen immer noch zum guten Ton, diese ganze Entwicklung zu igno-
riren oder vornehm über sie abzusprechen. Ju Europa mag das noch eine
ganze Weile durchführbar sein, der Jurist aber, der über Naturvölker zu Gericht
sitzen soll, handelt einfach unverantwortlich, wenn er sich nicht mit den Hilfs¬
mitteln vertraut macht, die ihm die völkerkundliche Forschung bietet. Mit
Plumper Hand greift er in Verhältnisse ein, die ihm fremd und unverständlich
sind, unterwirft seinem ungeschickten Urteil die Ergebnisse einer uralten, in
ihrer Art eigentümlichen und ehrwürdigen Entwicklung, verletzt Gefühle, für
deren Dasein und Daseinsberechtigung er keinen Sinn hat, und erstaunt dann,
wenn Krieg und Empörung die Folge seiner anscheinend so „gerechten" Ver¬
waltung sind. Er kann der tüchtigste, vom besten Willen beseelte Mensch sein
und wird doch unter Umstünden unsägliches Unheil stiften.

Die Rechtspflege wird natürlich nicht allein von einer ethnologischen Vor¬
bildung der Beamten Vorteil ziehen; auch im übrigen wird diese Bildung das
Verhalten gegenüber den Eingebornen beeinflussen. Wer schon einigermaßen
mit dem Wesen der Naturvölker vertraut ist, bleibt vor jenem bedenklichen


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[0403] Die Vorbildung unsrer Uolonialbeamten die europäische Besiedlung werden Pflanzen und Tiere nicht entfernt in dem Maße ausgerottet oder umgebildet wie die Volker; die geologischen Verhältnisse können auch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten noch mit demselben Erfolge studirt werden wie heutzutage, und auch das Klima wird sich nicht allzu rasch ändern. Nur die Stämme der Eingebornen sterben dahin oder verlieren un¬ wiederbringlich die eigentümliche Kultur, die sie sich im Laufe der Jahrtausende erworben haben. Es soll damit nicht gesagt sein, daß bisher von den Kvlonialbeamten nichts für die Völkerkunde geschehen wäre. Man darf es als eine der schönsten Bethätigungen selbständigen deutschen Forscherdrangs bezeichnen, daß schon jetzt durch ihre Vermittlung ein reiches ethnologisches Material zugänglich gemacht worden ist. Aber wie ganz anders wären die Ergebnisse, wenn ein Plan in die Sache käme, und jeder Hinausziehende sich von vornherein über die Auf¬ gaben klar wäre, die ihn erwarten und vielleicht von ihm allein gelöst werden können! Natürlich wird es nicht an nüchternen Gemütern fehlen, denen diese For¬ derungen der Wissenschaft nebensächlich und gleichgiltig erscheinen, die es allen¬ falls verstehen, daß man dem Kolonialbeamten einige hansbcickne praktische Kenntnisse angiebt, die aber für die übrigen Wünsche nur ein ironisches Achsel¬ zucken haben. Nun, gerade die Vorgänge der letzten Zeit lehren uns, wie un¬ geheuer praktisch völkerkundliches Verständnis für den Beamten ist, der über Naturvölker zu urteilen und zu richten hat! Nur auf eine Seite der Völker¬ kunde mag hier hingewiesen sein. Dem Durchschnittsjuristen ist es in der Regel so gut wie unbekannt, daß es eine ethnologische Jurisprudenz giebt, die sich als eigner Wissenszweig bereits zu herrlicher Blüte entfaltet hat; es gehört im allgemeinen immer noch zum guten Ton, diese ganze Entwicklung zu igno- riren oder vornehm über sie abzusprechen. Ju Europa mag das noch eine ganze Weile durchführbar sein, der Jurist aber, der über Naturvölker zu Gericht sitzen soll, handelt einfach unverantwortlich, wenn er sich nicht mit den Hilfs¬ mitteln vertraut macht, die ihm die völkerkundliche Forschung bietet. Mit Plumper Hand greift er in Verhältnisse ein, die ihm fremd und unverständlich sind, unterwirft seinem ungeschickten Urteil die Ergebnisse einer uralten, in ihrer Art eigentümlichen und ehrwürdigen Entwicklung, verletzt Gefühle, für deren Dasein und Daseinsberechtigung er keinen Sinn hat, und erstaunt dann, wenn Krieg und Empörung die Folge seiner anscheinend so „gerechten" Ver¬ waltung sind. Er kann der tüchtigste, vom besten Willen beseelte Mensch sein und wird doch unter Umstünden unsägliches Unheil stiften. Die Rechtspflege wird natürlich nicht allein von einer ethnologischen Vor¬ bildung der Beamten Vorteil ziehen; auch im übrigen wird diese Bildung das Verhalten gegenüber den Eingebornen beeinflussen. Wer schon einigermaßen mit dem Wesen der Naturvölker vertraut ist, bleibt vor jenem bedenklichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/403>, abgerufen am 17.06.2024.