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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten

Der Dieb geht natürlich frei aus, weil eine Menge Gesinde! seine Unschuld
beschwört. Von derartigen sentimentalen Beamten sind die deutschen Kolonien
bisher noch einigermaßen verschont geblieben, aber sie werden schon auch noch
kommen, wenn nicht endlich an eine planmäßige Vorbildung gedacht wird.

Es versteht sich wohl von selbst, daß in einer Kolonialschule das Studium
der Völkerkunde in erster Reihe stehen müßte: allgemeine Völkerkunde, Rechts¬
kunde der Naturvölker und allgemeine Soziologie, ferner Ethnographie der
deutschen Kolonien Hütten als unerläßliche Lehrfächer zu gelten. Daneben
müßte es jedem frei stehen, unter den verschiednen zur Auswahl stehenden
Wissenschaften auch die Völkerkunde als besondres Fach zu wählen und sich
mit den Methoden anthropologischer und ethnologischer Forschung, dem An¬
legen von Sammlungen, dem Anfertigen wissenschaftlich brauchbarer Photo¬
graphien und Abgüsse vertraut zu machen. Auf diese Weise könnten alle, die
für ethnologische Fragen Interesse haben, aufs beste vorbereitet die Heimat
verlassen und der Wissenschaft große Dienste leisten.

Beiläufig mag darauf hingewiesen sein, daß die Hilfe eines Völker-
knndigen auch bei maucher Leistung der höhern Diplomatie sehr ratsam ge¬
wesen wäre. Jeden Ethnologen muß ein Grausen erfassen, wenn er die wunder¬
baren schnurgeraden Grenzlinien betrachtet, die jetzt die Karte Afrikas durch¬
schneiden, gleichviel, ob z. B. die Hauptstadt eines Gebiets in die eine
Interessensphäre, der größte Teil des dazu gehörigen Landes in die andre fällt,
oder ob ein engverbundnes Volk willkürlich halb der einen, halb der andern
wetteifernden Macht zugeteilt wird. Diese Unbesonnenheiten bilden ein ganzes
Brutnest zukünftiger Verwicklungen, und sie wären sicher vermieden worden,
wenn man nicht nur mit Bleistift und Lineal, sondern vor allem mit den Hilfs¬
mitteln der Völkerkunde gearbeitet hätte.

Ob diese Anregungen so bald etwas fruchten werden, wer weiß es? Zeit
wäre es, sich ernstlich mit solchen Fragen zu befassen, ehe neue und immer neue
Widerwärtigkeiten dazu zwingen. Durch Befehle und Verordnungen rottet man
die bestehenden Übeln Verhältnisse nicht aus, sondern nur durch vernünftige Er¬
ziehung, für die es wahrhaftig weder an Kräften noch an Mitteln fehlt. Deutsch¬
lands Überlegenheit über die andern Kulturvölker liegt in der Macht seiner
Wissenschaft und seiner gründlichen Bildung; warum verschmäht man es, diese
Überlegenheit gerade da geltend zu machen, wo sie von den größten und
wohlthätigsten Folgen sein könnte?




Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten

Der Dieb geht natürlich frei aus, weil eine Menge Gesinde! seine Unschuld
beschwört. Von derartigen sentimentalen Beamten sind die deutschen Kolonien
bisher noch einigermaßen verschont geblieben, aber sie werden schon auch noch
kommen, wenn nicht endlich an eine planmäßige Vorbildung gedacht wird.

Es versteht sich wohl von selbst, daß in einer Kolonialschule das Studium
der Völkerkunde in erster Reihe stehen müßte: allgemeine Völkerkunde, Rechts¬
kunde der Naturvölker und allgemeine Soziologie, ferner Ethnographie der
deutschen Kolonien Hütten als unerläßliche Lehrfächer zu gelten. Daneben
müßte es jedem frei stehen, unter den verschiednen zur Auswahl stehenden
Wissenschaften auch die Völkerkunde als besondres Fach zu wählen und sich
mit den Methoden anthropologischer und ethnologischer Forschung, dem An¬
legen von Sammlungen, dem Anfertigen wissenschaftlich brauchbarer Photo¬
graphien und Abgüsse vertraut zu machen. Auf diese Weise könnten alle, die
für ethnologische Fragen Interesse haben, aufs beste vorbereitet die Heimat
verlassen und der Wissenschaft große Dienste leisten.

Beiläufig mag darauf hingewiesen sein, daß die Hilfe eines Völker-
knndigen auch bei maucher Leistung der höhern Diplomatie sehr ratsam ge¬
wesen wäre. Jeden Ethnologen muß ein Grausen erfassen, wenn er die wunder¬
baren schnurgeraden Grenzlinien betrachtet, die jetzt die Karte Afrikas durch¬
schneiden, gleichviel, ob z. B. die Hauptstadt eines Gebiets in die eine
Interessensphäre, der größte Teil des dazu gehörigen Landes in die andre fällt,
oder ob ein engverbundnes Volk willkürlich halb der einen, halb der andern
wetteifernden Macht zugeteilt wird. Diese Unbesonnenheiten bilden ein ganzes
Brutnest zukünftiger Verwicklungen, und sie wären sicher vermieden worden,
wenn man nicht nur mit Bleistift und Lineal, sondern vor allem mit den Hilfs¬
mitteln der Völkerkunde gearbeitet hätte.

Ob diese Anregungen so bald etwas fruchten werden, wer weiß es? Zeit
wäre es, sich ernstlich mit solchen Fragen zu befassen, ehe neue und immer neue
Widerwärtigkeiten dazu zwingen. Durch Befehle und Verordnungen rottet man
die bestehenden Übeln Verhältnisse nicht aus, sondern nur durch vernünftige Er¬
ziehung, für die es wahrhaftig weder an Kräften noch an Mitteln fehlt. Deutsch¬
lands Überlegenheit über die andern Kulturvölker liegt in der Macht seiner
Wissenschaft und seiner gründlichen Bildung; warum verschmäht man es, diese
Überlegenheit gerade da geltend zu machen, wo sie von den größten und
wohlthätigsten Folgen sein könnte?




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[0405] Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten Der Dieb geht natürlich frei aus, weil eine Menge Gesinde! seine Unschuld beschwört. Von derartigen sentimentalen Beamten sind die deutschen Kolonien bisher noch einigermaßen verschont geblieben, aber sie werden schon auch noch kommen, wenn nicht endlich an eine planmäßige Vorbildung gedacht wird. Es versteht sich wohl von selbst, daß in einer Kolonialschule das Studium der Völkerkunde in erster Reihe stehen müßte: allgemeine Völkerkunde, Rechts¬ kunde der Naturvölker und allgemeine Soziologie, ferner Ethnographie der deutschen Kolonien Hütten als unerläßliche Lehrfächer zu gelten. Daneben müßte es jedem frei stehen, unter den verschiednen zur Auswahl stehenden Wissenschaften auch die Völkerkunde als besondres Fach zu wählen und sich mit den Methoden anthropologischer und ethnologischer Forschung, dem An¬ legen von Sammlungen, dem Anfertigen wissenschaftlich brauchbarer Photo¬ graphien und Abgüsse vertraut zu machen. Auf diese Weise könnten alle, die für ethnologische Fragen Interesse haben, aufs beste vorbereitet die Heimat verlassen und der Wissenschaft große Dienste leisten. Beiläufig mag darauf hingewiesen sein, daß die Hilfe eines Völker- knndigen auch bei maucher Leistung der höhern Diplomatie sehr ratsam ge¬ wesen wäre. Jeden Ethnologen muß ein Grausen erfassen, wenn er die wunder¬ baren schnurgeraden Grenzlinien betrachtet, die jetzt die Karte Afrikas durch¬ schneiden, gleichviel, ob z. B. die Hauptstadt eines Gebiets in die eine Interessensphäre, der größte Teil des dazu gehörigen Landes in die andre fällt, oder ob ein engverbundnes Volk willkürlich halb der einen, halb der andern wetteifernden Macht zugeteilt wird. Diese Unbesonnenheiten bilden ein ganzes Brutnest zukünftiger Verwicklungen, und sie wären sicher vermieden worden, wenn man nicht nur mit Bleistift und Lineal, sondern vor allem mit den Hilfs¬ mitteln der Völkerkunde gearbeitet hätte. Ob diese Anregungen so bald etwas fruchten werden, wer weiß es? Zeit wäre es, sich ernstlich mit solchen Fragen zu befassen, ehe neue und immer neue Widerwärtigkeiten dazu zwingen. Durch Befehle und Verordnungen rottet man die bestehenden Übeln Verhältnisse nicht aus, sondern nur durch vernünftige Er¬ ziehung, für die es wahrhaftig weder an Kräften noch an Mitteln fehlt. Deutsch¬ lands Überlegenheit über die andern Kulturvölker liegt in der Macht seiner Wissenschaft und seiner gründlichen Bildung; warum verschmäht man es, diese Überlegenheit gerade da geltend zu machen, wo sie von den größten und wohlthätigsten Folgen sein könnte?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/405>, abgerufen am 12.05.2024.