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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Pflicht zur Arbeit

Politiker im engen Kreise genannt werden zu einer Zeit, wo in der Öffent¬
lichkeit von diesen Dingen noch wenig die Rede war. Seine nachdenklich
sorgsame Sinnesart hatte früh die Gefahr erkannt, die in der Trennung der
Stände von einander wie in der Neigung zu Genuß und Wohlleben liegt.
Und wie er, erfüllt von dem Pflichtbewußtsein des Arbeitgebers, materielle Not
zu lindern und dem Strebsamen helfend die Hand zu reichen bereit war,
suchte er auch die Keime des Klassenhasses, die durch die geistige Entfremdung
der Stunde von einander entstehen, zu zerstören. Immer war er bemüht, das
Ehrgefühl des kleinen Mannes zu schonen, bemüht auch, fernzuhalten, was
als Vorzug der Besitzenden gilt und den untern Ständen unzugänglich ist.
Hierbei mochte er einseitig und ungerecht sein, indem er den berechtigten Fort¬
schritt nicht von den sich daran heftenden Auswüchsen zu sondern verstand.
Sah er doch selbst in dem Bildungsdrange der Jugend, wo dieser ernstlich der
Bereicherung des Lebens dienen will, nur ein verkehrtes Hochhinauswollen und
eine Schädigung der Verufspflichten. Einseitig und wohl etwas verfehlt war
auch die Erziehungsmethode, die mit unnachsichtlicher Strenge gegen das eigne
Fleisch und Blut allzu früh schon und mit zu wenig Verständnis für des
Kindes Eigenart geübt wurde. "De Jung beide nix nützliches," das war die
gefürchtete Kritik meiner Beschäftigungen, und mit dem "Nützlichen" war nicht
gemeint, daß ich die Schulbank drücken sollte, sondern Handreichungen bei der
Feldarbeit, die in der Ferienzeit und in den Freistunden verlangt wurden, und
denen sich der kleine Träumer gern entzog. Erst in einem spätern Alter konnte
die gute Absicht recht gewürdigt, die Bedeutung der so zähe und manchmal mit
verletzender Härte festgehaltenen Grundsätze recht verstanden werden.

Das Wort von der guten alten Zeit mit ihren bessern Zustünden, ihren
bessern, tüchtigem, zufriednem Menschen ist ja nur sehr bedingt wahr. Man
täuscht sich so leicht bei solchen Rückblicken, man idealisirt, hebt das Gute
hervor und beachtet das Ungünstige nicht. Es wird bei solcher Darstellung
wohl etwas übertrieben, und es mag manchmal komisch wirken, wenn die
Steigerung der Lebensansprüche und das Fortschreiten ihrer verweichlichenden
Wirkung förmlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gemessen wird, wenn nicht bloß
die Eltern den Kindern, sondern in einer größern Familie anch die ältern
Geschwister den jüngern vorhalten, wie sie in ihrer Kindheit so viel strammer
gehalten worden wären, so viel mehr hätten entbehren müssen; wo das noch
hinauswolle? Aber der letzte Zeitabschnitt hat doch eine so tiefgreifende Um¬
wälzung gebracht, daß auch von einer bedeutenden Änderung der Lebensweise
weiter Volkskreise die Rede sein kann. Ich wenigstens empfinde aus natür¬
licher Sympathie für die mir zunächst stehenden Kreise schmerzlich die Wirkungen
des Verlasfens früherer Bräuche jedesmal, wenn ich von den Zuständen in
meiner Heimat höre, von dem nicht ganz unverschuldeten Vermögensverlust so
mancher mir bekannten Familie, wenn ich dann diese Zustände mit denen ver-


Die Pflicht zur Arbeit

Politiker im engen Kreise genannt werden zu einer Zeit, wo in der Öffent¬
lichkeit von diesen Dingen noch wenig die Rede war. Seine nachdenklich
sorgsame Sinnesart hatte früh die Gefahr erkannt, die in der Trennung der
Stände von einander wie in der Neigung zu Genuß und Wohlleben liegt.
Und wie er, erfüllt von dem Pflichtbewußtsein des Arbeitgebers, materielle Not
zu lindern und dem Strebsamen helfend die Hand zu reichen bereit war,
suchte er auch die Keime des Klassenhasses, die durch die geistige Entfremdung
der Stunde von einander entstehen, zu zerstören. Immer war er bemüht, das
Ehrgefühl des kleinen Mannes zu schonen, bemüht auch, fernzuhalten, was
als Vorzug der Besitzenden gilt und den untern Ständen unzugänglich ist.
Hierbei mochte er einseitig und ungerecht sein, indem er den berechtigten Fort¬
schritt nicht von den sich daran heftenden Auswüchsen zu sondern verstand.
Sah er doch selbst in dem Bildungsdrange der Jugend, wo dieser ernstlich der
Bereicherung des Lebens dienen will, nur ein verkehrtes Hochhinauswollen und
eine Schädigung der Verufspflichten. Einseitig und wohl etwas verfehlt war
auch die Erziehungsmethode, die mit unnachsichtlicher Strenge gegen das eigne
Fleisch und Blut allzu früh schon und mit zu wenig Verständnis für des
Kindes Eigenart geübt wurde. „De Jung beide nix nützliches," das war die
gefürchtete Kritik meiner Beschäftigungen, und mit dem „Nützlichen" war nicht
gemeint, daß ich die Schulbank drücken sollte, sondern Handreichungen bei der
Feldarbeit, die in der Ferienzeit und in den Freistunden verlangt wurden, und
denen sich der kleine Träumer gern entzog. Erst in einem spätern Alter konnte
die gute Absicht recht gewürdigt, die Bedeutung der so zähe und manchmal mit
verletzender Härte festgehaltenen Grundsätze recht verstanden werden.

Das Wort von der guten alten Zeit mit ihren bessern Zustünden, ihren
bessern, tüchtigem, zufriednem Menschen ist ja nur sehr bedingt wahr. Man
täuscht sich so leicht bei solchen Rückblicken, man idealisirt, hebt das Gute
hervor und beachtet das Ungünstige nicht. Es wird bei solcher Darstellung
wohl etwas übertrieben, und es mag manchmal komisch wirken, wenn die
Steigerung der Lebensansprüche und das Fortschreiten ihrer verweichlichenden
Wirkung förmlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gemessen wird, wenn nicht bloß
die Eltern den Kindern, sondern in einer größern Familie anch die ältern
Geschwister den jüngern vorhalten, wie sie in ihrer Kindheit so viel strammer
gehalten worden wären, so viel mehr hätten entbehren müssen; wo das noch
hinauswolle? Aber der letzte Zeitabschnitt hat doch eine so tiefgreifende Um¬
wälzung gebracht, daß auch von einer bedeutenden Änderung der Lebensweise
weiter Volkskreise die Rede sein kann. Ich wenigstens empfinde aus natür¬
licher Sympathie für die mir zunächst stehenden Kreise schmerzlich die Wirkungen
des Verlasfens früherer Bräuche jedesmal, wenn ich von den Zuständen in
meiner Heimat höre, von dem nicht ganz unverschuldeten Vermögensverlust so
mancher mir bekannten Familie, wenn ich dann diese Zustände mit denen ver-


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[0460] Die Pflicht zur Arbeit Politiker im engen Kreise genannt werden zu einer Zeit, wo in der Öffent¬ lichkeit von diesen Dingen noch wenig die Rede war. Seine nachdenklich sorgsame Sinnesart hatte früh die Gefahr erkannt, die in der Trennung der Stände von einander wie in der Neigung zu Genuß und Wohlleben liegt. Und wie er, erfüllt von dem Pflichtbewußtsein des Arbeitgebers, materielle Not zu lindern und dem Strebsamen helfend die Hand zu reichen bereit war, suchte er auch die Keime des Klassenhasses, die durch die geistige Entfremdung der Stunde von einander entstehen, zu zerstören. Immer war er bemüht, das Ehrgefühl des kleinen Mannes zu schonen, bemüht auch, fernzuhalten, was als Vorzug der Besitzenden gilt und den untern Ständen unzugänglich ist. Hierbei mochte er einseitig und ungerecht sein, indem er den berechtigten Fort¬ schritt nicht von den sich daran heftenden Auswüchsen zu sondern verstand. Sah er doch selbst in dem Bildungsdrange der Jugend, wo dieser ernstlich der Bereicherung des Lebens dienen will, nur ein verkehrtes Hochhinauswollen und eine Schädigung der Verufspflichten. Einseitig und wohl etwas verfehlt war auch die Erziehungsmethode, die mit unnachsichtlicher Strenge gegen das eigne Fleisch und Blut allzu früh schon und mit zu wenig Verständnis für des Kindes Eigenart geübt wurde. „De Jung beide nix nützliches," das war die gefürchtete Kritik meiner Beschäftigungen, und mit dem „Nützlichen" war nicht gemeint, daß ich die Schulbank drücken sollte, sondern Handreichungen bei der Feldarbeit, die in der Ferienzeit und in den Freistunden verlangt wurden, und denen sich der kleine Träumer gern entzog. Erst in einem spätern Alter konnte die gute Absicht recht gewürdigt, die Bedeutung der so zähe und manchmal mit verletzender Härte festgehaltenen Grundsätze recht verstanden werden. Das Wort von der guten alten Zeit mit ihren bessern Zustünden, ihren bessern, tüchtigem, zufriednem Menschen ist ja nur sehr bedingt wahr. Man täuscht sich so leicht bei solchen Rückblicken, man idealisirt, hebt das Gute hervor und beachtet das Ungünstige nicht. Es wird bei solcher Darstellung wohl etwas übertrieben, und es mag manchmal komisch wirken, wenn die Steigerung der Lebensansprüche und das Fortschreiten ihrer verweichlichenden Wirkung förmlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gemessen wird, wenn nicht bloß die Eltern den Kindern, sondern in einer größern Familie anch die ältern Geschwister den jüngern vorhalten, wie sie in ihrer Kindheit so viel strammer gehalten worden wären, so viel mehr hätten entbehren müssen; wo das noch hinauswolle? Aber der letzte Zeitabschnitt hat doch eine so tiefgreifende Um¬ wälzung gebracht, daß auch von einer bedeutenden Änderung der Lebensweise weiter Volkskreise die Rede sein kann. Ich wenigstens empfinde aus natür¬ licher Sympathie für die mir zunächst stehenden Kreise schmerzlich die Wirkungen des Verlasfens früherer Bräuche jedesmal, wenn ich von den Zuständen in meiner Heimat höre, von dem nicht ganz unverschuldeten Vermögensverlust so mancher mir bekannten Familie, wenn ich dann diese Zustände mit denen ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/460>, abgerufen am 06.06.2024.