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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Pflicht zur Arbeit

gleiche, deren ich mich selbst noch erinnere, oder die noch weiter zurückliegen.
Was Wunder dann, wenn in der Hast und Unruhe des modernen Erwerbslebens
dieser schwächliche, sederkritzelnde Abkömmling eines kräftigen Vauerngeschlechts,
einer Beschäftigung obliegend, die seine Vorfahren verachtet hätten, öfter mit
Wehmut an die Zeit denkt, von der ihm im Elternhause vorgeplaudert wurde,
wo ein zufriedner und behäbiger Bauernstand auf den ererbten Sitzen wohnte,
wo den Großeltern die eignen Kinder als Knechte und Mügde dienten. Was
anders als Arbeit und Einfachheit war es, was diesen Wohlstand verbürgte,
diese Zufriedenheit bewirkte! So war denn auch das Bewußtsein von der Be¬
deutung der Arbeit mit den Familienüberlieferuugen tief verflochten. Spielte doch
sogar in den märchenhaften Erzählungen von der Körperkraft und wilden, derben
Heftigkeit eines Ahnen eine Kur von Arbeitsscheu eine Rolle, die unter heutigen
Verhältnissen den alten Herrn unfehlbar mit den Gesetzen in Konflikt gebracht
hätte. So steht auch vor meiner Erinnerung die ehrwürdige Gestalt des
Vaters da als eines Predigers im engen Familienkreise, unaufhörlich und bis
zu ermüdender Einförmigkeit seine Mahnungen wiederholend, unablässig an¬
kämpfend gegen das Eindringen neuer Anschauungen und Gewohnheiten in die
eigne Familie, wenn auch dieser Kampf nicht ganz erfolgreich war und sein konnte.
In meinem Gedächtnis haften die kernigen und manchmal etwas derben, die ori¬
ginellen und drolligen Aussprüche, die immer den einen Grundton hatten von
der Verderblichkeit des Luxus, der Vornehmthuerei, des Müßiggangs.

Es kann mir nicht einfallen, den Maßstab enger bäuerlicher Verhältnisse
an das ganze reiche Gebiet der heutigen wirtschaftlichen und Erwerbsthätigkeit
anlegen zu wollen. Wohl aber glaube ich mir dank diesen Eindrücken meiner
Jugendzeit Verständnis für eine Wahrheit bewahrt zu haben, die vielfach zu
wenig beachtet wird. Der sozialpolitische Übereifer findet zum Teil seine Ver¬
treter in solchen Kreisen der bessern Gesellschaft, die nach ihrer Erziehung
und Denkart dem Arbeiterstande fernstehen, die aber die Lage des Arbeiter¬
standes nach den eignen Anschauungen beurteilen und daraufhin in die sozia¬
listischen Klagen einstimmen und der sozialistischen Vorstellung zuneigen, daß
das Los dessen, der körperliche Arbeit verrichtet oder eine dienende Stellung
einnimmt, traurig und menschenunwürdig sei. Und damit verbindet sich dann
die Vorstellung, daß sich irgendwie Schätze müßten flüssig machen lassen, womit
man alle müsse beglücken können, die sich in Not befinden. Ich glaube, daß der
dem Arbeiterstand einen schlechten Dienst erweist, der so trügerische Hoffnungen
nährt. Es ist nicht möglich, den ganzen Arbeiterstand auf die Stufe der
Wohlhabenden emporzuheben. Darum, anstatt den Arbeiter lüstern zu machen
nach dem, was er nicht erlangen kann, sollte man den umgekehrten Weg ein¬
schlagen. Die obern Stände sollten verzichten ans so manches, was als Vorzug
gilt und den Neid erregt, was aber in Wahrheit das Leben nicht glücklicher
macht, vielmehr Wohl selbst von denen, die so genau beachten, was sich schickt


Die Pflicht zur Arbeit

gleiche, deren ich mich selbst noch erinnere, oder die noch weiter zurückliegen.
Was Wunder dann, wenn in der Hast und Unruhe des modernen Erwerbslebens
dieser schwächliche, sederkritzelnde Abkömmling eines kräftigen Vauerngeschlechts,
einer Beschäftigung obliegend, die seine Vorfahren verachtet hätten, öfter mit
Wehmut an die Zeit denkt, von der ihm im Elternhause vorgeplaudert wurde,
wo ein zufriedner und behäbiger Bauernstand auf den ererbten Sitzen wohnte,
wo den Großeltern die eignen Kinder als Knechte und Mügde dienten. Was
anders als Arbeit und Einfachheit war es, was diesen Wohlstand verbürgte,
diese Zufriedenheit bewirkte! So war denn auch das Bewußtsein von der Be¬
deutung der Arbeit mit den Familienüberlieferuugen tief verflochten. Spielte doch
sogar in den märchenhaften Erzählungen von der Körperkraft und wilden, derben
Heftigkeit eines Ahnen eine Kur von Arbeitsscheu eine Rolle, die unter heutigen
Verhältnissen den alten Herrn unfehlbar mit den Gesetzen in Konflikt gebracht
hätte. So steht auch vor meiner Erinnerung die ehrwürdige Gestalt des
Vaters da als eines Predigers im engen Familienkreise, unaufhörlich und bis
zu ermüdender Einförmigkeit seine Mahnungen wiederholend, unablässig an¬
kämpfend gegen das Eindringen neuer Anschauungen und Gewohnheiten in die
eigne Familie, wenn auch dieser Kampf nicht ganz erfolgreich war und sein konnte.
In meinem Gedächtnis haften die kernigen und manchmal etwas derben, die ori¬
ginellen und drolligen Aussprüche, die immer den einen Grundton hatten von
der Verderblichkeit des Luxus, der Vornehmthuerei, des Müßiggangs.

Es kann mir nicht einfallen, den Maßstab enger bäuerlicher Verhältnisse
an das ganze reiche Gebiet der heutigen wirtschaftlichen und Erwerbsthätigkeit
anlegen zu wollen. Wohl aber glaube ich mir dank diesen Eindrücken meiner
Jugendzeit Verständnis für eine Wahrheit bewahrt zu haben, die vielfach zu
wenig beachtet wird. Der sozialpolitische Übereifer findet zum Teil seine Ver¬
treter in solchen Kreisen der bessern Gesellschaft, die nach ihrer Erziehung
und Denkart dem Arbeiterstande fernstehen, die aber die Lage des Arbeiter¬
standes nach den eignen Anschauungen beurteilen und daraufhin in die sozia¬
listischen Klagen einstimmen und der sozialistischen Vorstellung zuneigen, daß
das Los dessen, der körperliche Arbeit verrichtet oder eine dienende Stellung
einnimmt, traurig und menschenunwürdig sei. Und damit verbindet sich dann
die Vorstellung, daß sich irgendwie Schätze müßten flüssig machen lassen, womit
man alle müsse beglücken können, die sich in Not befinden. Ich glaube, daß der
dem Arbeiterstand einen schlechten Dienst erweist, der so trügerische Hoffnungen
nährt. Es ist nicht möglich, den ganzen Arbeiterstand auf die Stufe der
Wohlhabenden emporzuheben. Darum, anstatt den Arbeiter lüstern zu machen
nach dem, was er nicht erlangen kann, sollte man den umgekehrten Weg ein¬
schlagen. Die obern Stände sollten verzichten ans so manches, was als Vorzug
gilt und den Neid erregt, was aber in Wahrheit das Leben nicht glücklicher
macht, vielmehr Wohl selbst von denen, die so genau beachten, was sich schickt


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[0461] Die Pflicht zur Arbeit gleiche, deren ich mich selbst noch erinnere, oder die noch weiter zurückliegen. Was Wunder dann, wenn in der Hast und Unruhe des modernen Erwerbslebens dieser schwächliche, sederkritzelnde Abkömmling eines kräftigen Vauerngeschlechts, einer Beschäftigung obliegend, die seine Vorfahren verachtet hätten, öfter mit Wehmut an die Zeit denkt, von der ihm im Elternhause vorgeplaudert wurde, wo ein zufriedner und behäbiger Bauernstand auf den ererbten Sitzen wohnte, wo den Großeltern die eignen Kinder als Knechte und Mügde dienten. Was anders als Arbeit und Einfachheit war es, was diesen Wohlstand verbürgte, diese Zufriedenheit bewirkte! So war denn auch das Bewußtsein von der Be¬ deutung der Arbeit mit den Familienüberlieferuugen tief verflochten. Spielte doch sogar in den märchenhaften Erzählungen von der Körperkraft und wilden, derben Heftigkeit eines Ahnen eine Kur von Arbeitsscheu eine Rolle, die unter heutigen Verhältnissen den alten Herrn unfehlbar mit den Gesetzen in Konflikt gebracht hätte. So steht auch vor meiner Erinnerung die ehrwürdige Gestalt des Vaters da als eines Predigers im engen Familienkreise, unaufhörlich und bis zu ermüdender Einförmigkeit seine Mahnungen wiederholend, unablässig an¬ kämpfend gegen das Eindringen neuer Anschauungen und Gewohnheiten in die eigne Familie, wenn auch dieser Kampf nicht ganz erfolgreich war und sein konnte. In meinem Gedächtnis haften die kernigen und manchmal etwas derben, die ori¬ ginellen und drolligen Aussprüche, die immer den einen Grundton hatten von der Verderblichkeit des Luxus, der Vornehmthuerei, des Müßiggangs. Es kann mir nicht einfallen, den Maßstab enger bäuerlicher Verhältnisse an das ganze reiche Gebiet der heutigen wirtschaftlichen und Erwerbsthätigkeit anlegen zu wollen. Wohl aber glaube ich mir dank diesen Eindrücken meiner Jugendzeit Verständnis für eine Wahrheit bewahrt zu haben, die vielfach zu wenig beachtet wird. Der sozialpolitische Übereifer findet zum Teil seine Ver¬ treter in solchen Kreisen der bessern Gesellschaft, die nach ihrer Erziehung und Denkart dem Arbeiterstande fernstehen, die aber die Lage des Arbeiter¬ standes nach den eignen Anschauungen beurteilen und daraufhin in die sozia¬ listischen Klagen einstimmen und der sozialistischen Vorstellung zuneigen, daß das Los dessen, der körperliche Arbeit verrichtet oder eine dienende Stellung einnimmt, traurig und menschenunwürdig sei. Und damit verbindet sich dann die Vorstellung, daß sich irgendwie Schätze müßten flüssig machen lassen, womit man alle müsse beglücken können, die sich in Not befinden. Ich glaube, daß der dem Arbeiterstand einen schlechten Dienst erweist, der so trügerische Hoffnungen nährt. Es ist nicht möglich, den ganzen Arbeiterstand auf die Stufe der Wohlhabenden emporzuheben. Darum, anstatt den Arbeiter lüstern zu machen nach dem, was er nicht erlangen kann, sollte man den umgekehrten Weg ein¬ schlagen. Die obern Stände sollten verzichten ans so manches, was als Vorzug gilt und den Neid erregt, was aber in Wahrheit das Leben nicht glücklicher macht, vielmehr Wohl selbst von denen, die so genau beachten, was sich schickt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/461>, abgerufen am 12.05.2024.