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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

und Warnungen, mögen sie auch noch so berechtigt sein und von noch so an¬
gesehener Stelle kommen, werden wenig ausrichten, solange man nicht daran¬
geht, die letzten Ursachen aufzusuchen und zu beseitigen. Diese liegen aber
natürlich auf vielen Gebieten. Eine bedeutende Rolle, eine größere, als man
anzunehmen pflegt, spielen dabei die Mängel des Prüfungswesens. Daß solche
Mängel vorhanden sind, wird allgemein anerkannt, aber wirksame Mittel und
Wege zur Abhilfe sind noch zu suchen.

Die nachfolgenden Vorschlüge möchten einen Beitrag zur Lösung dieser
Frage liefern. Sie sind nur aus der Beobachtung der Zustüude, uicht durch
Theoretisiren entstanden, haben sich dein Verfasser während seiner nun schon
eine Reihe von Jahren zurückliegenden Studienzeit aufgedrängt, scheinen ihm
aber, soweit er die Entwicklung der Hochschulen verfolgen und weitere Er¬
fahrungen hat sammeln können, auch heute noch nicht veraltet. Zur Be¬
leuchtung der Thatsachen zunächst ein Beispiel.

Vier Abiturienten eines Gymnasiums -- nennen wir sie A, B, C und D ^
beziehen die Hochschule. A berechtigt durch hervorragende Anlagen und ernstes
wissenschaftliches Streben, das er mit frischer Jugendlust und regster Teil¬
nahme an gesundem Studentenleben vortrefflich zu vereinigen weiß, zu den
besten Hoffnungen. Er muß, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, zweifellos
seine Studien durch ein vorzügliches Examen abschließen. Auch von B ist
gutes zu erwarten. Ausreichend begabt und sehr strebsam, studirt er eifrig
in seiner Wissenschaft. Freilich leitet ihn mehr seine Neigung, als daß er
streng systematisch arbeitete. Hie und da verliert er sich auch wohl zu sehr
ins Einzelne. Jedenfalls macht er sich, soweit das einem Studenten möglich
ist, überall in seiner Wissenschaft heimisch. Durch die Rücksicht aufs Examen
läßt er sich bei seinen Studien sehr wenig bestimmen; er ist der Meinung,
daß ein fleißiger Student auch gut durchs Examen kommen müsse. C hat sich
auf der Schule ebenso wenig durch Begabung wie durch Fleiß ausgezeichnet,
hat nur mit Mühe seine Abitnrientenprüfung bestanden und genießt nun mit
vollen Zügen das, was er als akademische Freiheit betrachtet, bis er sich
endlich zur Arbeit aufrafft und ein paar Semester lang aufs Examen los-
büsfelt. Ähnlich wie er, verbringt D seine Studienzeit; er hofft um so sichrer,
durch eifriges Einpauker in den letzten Semestern das Versäumte nachzuholen,
als ihm nicht nur seine guten Anlagen zu statten kommen müssen, sondern
ihm auch die Art und Weise seiner Vorbereitung ein gutes Bestehen verbürgt.
Er hat sich nämlich rechtzeitig und gründlich über alle Examenverhältnisse,
über die Examinatoren, ihre Eigenheiten, ihre Lieblingsfragen usw. unterrichtet,
und mit Hilfe alles dessen, was dann dem Eingeweihten zu Gebote steht, be¬
treibt er sein "Studium."

Ziemlich zu gleicher Zeit, Ende des Wintersemesters, unterziehen sich alle
der Prüfung; nur B hat gegen seine Erwartung den ersten Termin im Sommer-


Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

und Warnungen, mögen sie auch noch so berechtigt sein und von noch so an¬
gesehener Stelle kommen, werden wenig ausrichten, solange man nicht daran¬
geht, die letzten Ursachen aufzusuchen und zu beseitigen. Diese liegen aber
natürlich auf vielen Gebieten. Eine bedeutende Rolle, eine größere, als man
anzunehmen pflegt, spielen dabei die Mängel des Prüfungswesens. Daß solche
Mängel vorhanden sind, wird allgemein anerkannt, aber wirksame Mittel und
Wege zur Abhilfe sind noch zu suchen.

Die nachfolgenden Vorschlüge möchten einen Beitrag zur Lösung dieser
Frage liefern. Sie sind nur aus der Beobachtung der Zustüude, uicht durch
Theoretisiren entstanden, haben sich dein Verfasser während seiner nun schon
eine Reihe von Jahren zurückliegenden Studienzeit aufgedrängt, scheinen ihm
aber, soweit er die Entwicklung der Hochschulen verfolgen und weitere Er¬
fahrungen hat sammeln können, auch heute noch nicht veraltet. Zur Be¬
leuchtung der Thatsachen zunächst ein Beispiel.

Vier Abiturienten eines Gymnasiums — nennen wir sie A, B, C und D ^
beziehen die Hochschule. A berechtigt durch hervorragende Anlagen und ernstes
wissenschaftliches Streben, das er mit frischer Jugendlust und regster Teil¬
nahme an gesundem Studentenleben vortrefflich zu vereinigen weiß, zu den
besten Hoffnungen. Er muß, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, zweifellos
seine Studien durch ein vorzügliches Examen abschließen. Auch von B ist
gutes zu erwarten. Ausreichend begabt und sehr strebsam, studirt er eifrig
in seiner Wissenschaft. Freilich leitet ihn mehr seine Neigung, als daß er
streng systematisch arbeitete. Hie und da verliert er sich auch wohl zu sehr
ins Einzelne. Jedenfalls macht er sich, soweit das einem Studenten möglich
ist, überall in seiner Wissenschaft heimisch. Durch die Rücksicht aufs Examen
läßt er sich bei seinen Studien sehr wenig bestimmen; er ist der Meinung,
daß ein fleißiger Student auch gut durchs Examen kommen müsse. C hat sich
auf der Schule ebenso wenig durch Begabung wie durch Fleiß ausgezeichnet,
hat nur mit Mühe seine Abitnrientenprüfung bestanden und genießt nun mit
vollen Zügen das, was er als akademische Freiheit betrachtet, bis er sich
endlich zur Arbeit aufrafft und ein paar Semester lang aufs Examen los-
büsfelt. Ähnlich wie er, verbringt D seine Studienzeit; er hofft um so sichrer,
durch eifriges Einpauker in den letzten Semestern das Versäumte nachzuholen,
als ihm nicht nur seine guten Anlagen zu statten kommen müssen, sondern
ihm auch die Art und Weise seiner Vorbereitung ein gutes Bestehen verbürgt.
Er hat sich nämlich rechtzeitig und gründlich über alle Examenverhältnisse,
über die Examinatoren, ihre Eigenheiten, ihre Lieblingsfragen usw. unterrichtet,
und mit Hilfe alles dessen, was dann dem Eingeweihten zu Gebote steht, be¬
treibt er sein „Studium."

Ziemlich zu gleicher Zeit, Ende des Wintersemesters, unterziehen sich alle
der Prüfung; nur B hat gegen seine Erwartung den ersten Termin im Sommer-


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[0463] Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten und Warnungen, mögen sie auch noch so berechtigt sein und von noch so an¬ gesehener Stelle kommen, werden wenig ausrichten, solange man nicht daran¬ geht, die letzten Ursachen aufzusuchen und zu beseitigen. Diese liegen aber natürlich auf vielen Gebieten. Eine bedeutende Rolle, eine größere, als man anzunehmen pflegt, spielen dabei die Mängel des Prüfungswesens. Daß solche Mängel vorhanden sind, wird allgemein anerkannt, aber wirksame Mittel und Wege zur Abhilfe sind noch zu suchen. Die nachfolgenden Vorschlüge möchten einen Beitrag zur Lösung dieser Frage liefern. Sie sind nur aus der Beobachtung der Zustüude, uicht durch Theoretisiren entstanden, haben sich dein Verfasser während seiner nun schon eine Reihe von Jahren zurückliegenden Studienzeit aufgedrängt, scheinen ihm aber, soweit er die Entwicklung der Hochschulen verfolgen und weitere Er¬ fahrungen hat sammeln können, auch heute noch nicht veraltet. Zur Be¬ leuchtung der Thatsachen zunächst ein Beispiel. Vier Abiturienten eines Gymnasiums — nennen wir sie A, B, C und D ^ beziehen die Hochschule. A berechtigt durch hervorragende Anlagen und ernstes wissenschaftliches Streben, das er mit frischer Jugendlust und regster Teil¬ nahme an gesundem Studentenleben vortrefflich zu vereinigen weiß, zu den besten Hoffnungen. Er muß, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, zweifellos seine Studien durch ein vorzügliches Examen abschließen. Auch von B ist gutes zu erwarten. Ausreichend begabt und sehr strebsam, studirt er eifrig in seiner Wissenschaft. Freilich leitet ihn mehr seine Neigung, als daß er streng systematisch arbeitete. Hie und da verliert er sich auch wohl zu sehr ins Einzelne. Jedenfalls macht er sich, soweit das einem Studenten möglich ist, überall in seiner Wissenschaft heimisch. Durch die Rücksicht aufs Examen läßt er sich bei seinen Studien sehr wenig bestimmen; er ist der Meinung, daß ein fleißiger Student auch gut durchs Examen kommen müsse. C hat sich auf der Schule ebenso wenig durch Begabung wie durch Fleiß ausgezeichnet, hat nur mit Mühe seine Abitnrientenprüfung bestanden und genießt nun mit vollen Zügen das, was er als akademische Freiheit betrachtet, bis er sich endlich zur Arbeit aufrafft und ein paar Semester lang aufs Examen los- büsfelt. Ähnlich wie er, verbringt D seine Studienzeit; er hofft um so sichrer, durch eifriges Einpauker in den letzten Semestern das Versäumte nachzuholen, als ihm nicht nur seine guten Anlagen zu statten kommen müssen, sondern ihm auch die Art und Weise seiner Vorbereitung ein gutes Bestehen verbürgt. Er hat sich nämlich rechtzeitig und gründlich über alle Examenverhältnisse, über die Examinatoren, ihre Eigenheiten, ihre Lieblingsfragen usw. unterrichtet, und mit Hilfe alles dessen, was dann dem Eingeweihten zu Gebote steht, be¬ treibt er sein „Studium." Ziemlich zu gleicher Zeit, Ende des Wintersemesters, unterziehen sich alle der Prüfung; nur B hat gegen seine Erwartung den ersten Termin im Sommer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/463>, abgerufen am 13.05.2024.