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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

unwesentliche" Dingen als gar zu lückenhaft erweist und von wissenschaftlichem
Sinne bei ihm kaum etwas zu spüren ist.

Am besten besteht D. Vortrefflich beantwortet er alle ihm vorgelegten
Fragen, weiß auch wissenschaftliche "Probleme" geschickt zu erörtern, auf alle
Fragen einzugehen und sie nach allen Seiten hin zu beleuchten, so wie es von
dem Prüfenden selbst im Kolleg und in Büchern geschehen ist, oder wie es in
Schriften, die von dem Examinator besonders empfohlen zu werden Pflegen,
zu lesen ist. Philosophie hat er zwar nur nach einem Kompendium getrieben,
außerdem das von seinem Examinator verfaßte Buch über einen bekannten
Philosophen durchgearbeitet. Aber das Gelernte, vor allem auch gewisse Wen¬
dungen weiß er so geschickt anzubringen, daß es nachher in seinem Zeugnis
heißt, er habe sich augenscheinlich mit philosophischen Studien viel und ein¬
gehend beschäftigt und es zu einer sehr anerkennungswerten Schulung im philo¬
sophischen Denken gebracht. Er erhält über seine Kenntnisse wie über seine
wissenschaftliche Befähigung ein vorzügliches Zeugnis.

Diese Beispiele, die nur als Haupttypen gewählt sind, lassen sich mit
allerhand Schattirungen ins Unendliche vermehren. Aber man wird nicht
leugnen können, daß sie aus dem Leben gegriffen sind, und nicht behaupten
können, daß sie ein Bild vortrefflicher Exameneinrichtungen gäben. Sie ent¬
halten die Kritik der bestehenden Zustünde in sich selbst.

Ein Examen, einen Befähigungsnachweis kann der Staat für seine Be¬
amten und kann im Grunde auch das sogenannte praktische Leben nicht ent¬
behren. Aber läßt sich denn wirklich keine bessere Form finden, als die gegen¬
wärtig bestehende?

Natürlich können nicht die Examinatoren für die geschilderten Verhältnisse
verantwortlich gemacht werden. Gewiß haben auch sie ihre menschlichen Mängel,
und der eine ist mehr befähigt, sachgemäß, verständig und geschickt zu prüfen
als der andre. Die Wurzel des Übels liegt in der Form des Examens,
in den ganzen akademischen Prüfungseinrichtungen, da ja der Examinand von
dem Examinator darnach beurteilt werden soll, wie er diesem in dem Zu¬
sammensein von etwa einer Stunde erscheint. Aus dieser kurzen Unterhaltung
soll die ganze Leistungsfähigkeit des Examinanden, das Ergebnis seiner jahre¬
langen Studien festgestellt werden. Und dabei hängt vielleicht seine ganze
Zukunft davon ab, wie er aus dem Kreuzfeuer der Fragen hervorgeht, die
stundenlang von den sich ablösenden Examinatoren an ihn gerichtet werden.
So angreifend das für ihn sein mag, er hat die innere Erregung ebenso zu
überwinden wie die Abspannung, die sich vielleicht infolge des unausgesetzten
Arbeitens während der letzten Wochen bei ihm eingestellt hat. Wird da auch
der geschickteste Examinator immer ein zutreffendes Bild seines Wissens ge¬
winnen können? Jedenfalls wird es ihm ein willkommnes Hilfsmittel zur Ver¬
vollständigung seines Urteils sein, wenn ihm der Examinand nach seinen


Grenzboten II 1896 58
Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

unwesentliche» Dingen als gar zu lückenhaft erweist und von wissenschaftlichem
Sinne bei ihm kaum etwas zu spüren ist.

Am besten besteht D. Vortrefflich beantwortet er alle ihm vorgelegten
Fragen, weiß auch wissenschaftliche „Probleme" geschickt zu erörtern, auf alle
Fragen einzugehen und sie nach allen Seiten hin zu beleuchten, so wie es von
dem Prüfenden selbst im Kolleg und in Büchern geschehen ist, oder wie es in
Schriften, die von dem Examinator besonders empfohlen zu werden Pflegen,
zu lesen ist. Philosophie hat er zwar nur nach einem Kompendium getrieben,
außerdem das von seinem Examinator verfaßte Buch über einen bekannten
Philosophen durchgearbeitet. Aber das Gelernte, vor allem auch gewisse Wen¬
dungen weiß er so geschickt anzubringen, daß es nachher in seinem Zeugnis
heißt, er habe sich augenscheinlich mit philosophischen Studien viel und ein¬
gehend beschäftigt und es zu einer sehr anerkennungswerten Schulung im philo¬
sophischen Denken gebracht. Er erhält über seine Kenntnisse wie über seine
wissenschaftliche Befähigung ein vorzügliches Zeugnis.

Diese Beispiele, die nur als Haupttypen gewählt sind, lassen sich mit
allerhand Schattirungen ins Unendliche vermehren. Aber man wird nicht
leugnen können, daß sie aus dem Leben gegriffen sind, und nicht behaupten
können, daß sie ein Bild vortrefflicher Exameneinrichtungen gäben. Sie ent¬
halten die Kritik der bestehenden Zustünde in sich selbst.

Ein Examen, einen Befähigungsnachweis kann der Staat für seine Be¬
amten und kann im Grunde auch das sogenannte praktische Leben nicht ent¬
behren. Aber läßt sich denn wirklich keine bessere Form finden, als die gegen¬
wärtig bestehende?

Natürlich können nicht die Examinatoren für die geschilderten Verhältnisse
verantwortlich gemacht werden. Gewiß haben auch sie ihre menschlichen Mängel,
und der eine ist mehr befähigt, sachgemäß, verständig und geschickt zu prüfen
als der andre. Die Wurzel des Übels liegt in der Form des Examens,
in den ganzen akademischen Prüfungseinrichtungen, da ja der Examinand von
dem Examinator darnach beurteilt werden soll, wie er diesem in dem Zu¬
sammensein von etwa einer Stunde erscheint. Aus dieser kurzen Unterhaltung
soll die ganze Leistungsfähigkeit des Examinanden, das Ergebnis seiner jahre¬
langen Studien festgestellt werden. Und dabei hängt vielleicht seine ganze
Zukunft davon ab, wie er aus dem Kreuzfeuer der Fragen hervorgeht, die
stundenlang von den sich ablösenden Examinatoren an ihn gerichtet werden.
So angreifend das für ihn sein mag, er hat die innere Erregung ebenso zu
überwinden wie die Abspannung, die sich vielleicht infolge des unausgesetzten
Arbeitens während der letzten Wochen bei ihm eingestellt hat. Wird da auch
der geschickteste Examinator immer ein zutreffendes Bild seines Wissens ge¬
winnen können? Jedenfalls wird es ihm ein willkommnes Hilfsmittel zur Ver¬
vollständigung seines Urteils sein, wenn ihm der Examinand nach seinen


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/465>, abgerufen am 16.06.2024.