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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

Referat auszuarbeiten, das alles wesentliche enthielte; dies wäre in der ersten
Stunde nach Aufruf des Leidenden von einem oder mehreren frei vorzutragen,
dann von der Gesamtheit zu kritisiren. Dadurch würde zugleich die Fähigkeit,
frei zu sprechen, die heute für den akademisch Gebildeten in jeder Stellung
notwendig ist, gefordert werden. Von Zeit zu Zeit wären sämtliche Referate
einzusammeln und abwechselnd mit besonders noch zu stellenden kleinern schrift¬
lichen Aufgaben zu Hause von dem Leitenden zu verbessern. Dies würde es
ihm erleichtern, sich ein Urteil über die Leistungen der Teilnehmer zu bilden.
Damit ihm die Arbeit nicht zu viel würde, könnte er die Korrektur für ge¬
wöhnlich durch die Teilnehmer selbst besorgen lassen, doch so, daß er einzelne
nachprüfte. Einmal im Semester müßte er aber die Korrektur selbst ganz
übernehmen. Während so die erste Stunde der Wiederholung des vorigen
gewidmet wäre, würde dann in der zweiten das neue Pensum zu besprechen
sein. Der Stoff könnte etwa so behandelt werden, daß ein oder mehrere
bedeutende wissenschaftliche Werke, die das im Laufe des Semesters zu Er¬
örternde zusammenfassend darstellen, zu Grunde gelegt würden und jeder Teil¬
nehmer zu den einzelnen Sitzungen einen bestimmten Abschnitt zu Hause durch-
zustudiren hätte; das würde sich mehr empfehlen, als daß es jedem überlassen
bliebe, wie er sich für das in einer Sitzung zu behandelnde Kapitel vorbereiten
will. Jedenfalls würde hier die Erfahrung bald deu richtigen Weg weisen.

Zum Schluß könnte vielleicht in einem siebenten und nötigenfalls achten
Semester in einem halb- oder ganzjährigen Kolloquium das ganze Gebiet der
Fachwissenschaft noch einmal zusammenfassend durchgesprochen werden, vielleicht
unter bestimmten höhern Gesichtspunkten, oder wie es sonst dem Leitenden
am zweckdienlichsten erscheint.

So würde z. B. das Examen in Geschichte etwa dann für abgelegt gelten
können, wenn der Examinand die Zeugnisse über erfolgreiche Teilnahme an
folgenden Kolloquien beibrachte: 1. orientalische Geschichte; 2. griechische Ge¬
schichte; 3. Geschichte des Hellenismus; 4. römische Geschichte bis zum Jahre 31;
5. römische Kaiserzeit; 6. Mittelalter; 7. Übergangszeit; 8. Zeit der Refor¬
mation und Gegenreformation; 9. Zeitalter des Absolutismus; 10. Revolu¬
tionszeitalter; 11. neueste Zeit; 12. preußische Geschichte. Vorausgesetzt ist
dabei, daß innerhalb des Nahmens eines jeden dieser Kolloquien die betreffenden
Hilfswissenschaften, wie Quellenkunde, Verfasfuugs- und Kulturgeschichte usw.
entsprechend mitbehandelt worden sind. Ferner müßte durch Zeugnis über
erfolgreiche Teilnahme an Seminarien nachgewiesen werden, daß der Examinand
auf je einem Gebiete der alten wie der mittlern und der neuern Geschichte
quellenkritische Studien getrieben, alle für Forschung und Quellenkritik charak¬
teristischen Zeiten kennen gelernt und sich mit den entsprechenden Hilfswissen¬
schaften (Schrift- und Archivweseu usw.) genügend bekannt gemacht hat.

Was im einzelnen zu fordern wäre, müßten für jedes Fach besonders


Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

Referat auszuarbeiten, das alles wesentliche enthielte; dies wäre in der ersten
Stunde nach Aufruf des Leidenden von einem oder mehreren frei vorzutragen,
dann von der Gesamtheit zu kritisiren. Dadurch würde zugleich die Fähigkeit,
frei zu sprechen, die heute für den akademisch Gebildeten in jeder Stellung
notwendig ist, gefordert werden. Von Zeit zu Zeit wären sämtliche Referate
einzusammeln und abwechselnd mit besonders noch zu stellenden kleinern schrift¬
lichen Aufgaben zu Hause von dem Leitenden zu verbessern. Dies würde es
ihm erleichtern, sich ein Urteil über die Leistungen der Teilnehmer zu bilden.
Damit ihm die Arbeit nicht zu viel würde, könnte er die Korrektur für ge¬
wöhnlich durch die Teilnehmer selbst besorgen lassen, doch so, daß er einzelne
nachprüfte. Einmal im Semester müßte er aber die Korrektur selbst ganz
übernehmen. Während so die erste Stunde der Wiederholung des vorigen
gewidmet wäre, würde dann in der zweiten das neue Pensum zu besprechen
sein. Der Stoff könnte etwa so behandelt werden, daß ein oder mehrere
bedeutende wissenschaftliche Werke, die das im Laufe des Semesters zu Er¬
örternde zusammenfassend darstellen, zu Grunde gelegt würden und jeder Teil¬
nehmer zu den einzelnen Sitzungen einen bestimmten Abschnitt zu Hause durch-
zustudiren hätte; das würde sich mehr empfehlen, als daß es jedem überlassen
bliebe, wie er sich für das in einer Sitzung zu behandelnde Kapitel vorbereiten
will. Jedenfalls würde hier die Erfahrung bald deu richtigen Weg weisen.

Zum Schluß könnte vielleicht in einem siebenten und nötigenfalls achten
Semester in einem halb- oder ganzjährigen Kolloquium das ganze Gebiet der
Fachwissenschaft noch einmal zusammenfassend durchgesprochen werden, vielleicht
unter bestimmten höhern Gesichtspunkten, oder wie es sonst dem Leitenden
am zweckdienlichsten erscheint.

So würde z. B. das Examen in Geschichte etwa dann für abgelegt gelten
können, wenn der Examinand die Zeugnisse über erfolgreiche Teilnahme an
folgenden Kolloquien beibrachte: 1. orientalische Geschichte; 2. griechische Ge¬
schichte; 3. Geschichte des Hellenismus; 4. römische Geschichte bis zum Jahre 31;
5. römische Kaiserzeit; 6. Mittelalter; 7. Übergangszeit; 8. Zeit der Refor¬
mation und Gegenreformation; 9. Zeitalter des Absolutismus; 10. Revolu¬
tionszeitalter; 11. neueste Zeit; 12. preußische Geschichte. Vorausgesetzt ist
dabei, daß innerhalb des Nahmens eines jeden dieser Kolloquien die betreffenden
Hilfswissenschaften, wie Quellenkunde, Verfasfuugs- und Kulturgeschichte usw.
entsprechend mitbehandelt worden sind. Ferner müßte durch Zeugnis über
erfolgreiche Teilnahme an Seminarien nachgewiesen werden, daß der Examinand
auf je einem Gebiete der alten wie der mittlern und der neuern Geschichte
quellenkritische Studien getrieben, alle für Forschung und Quellenkritik charak¬
teristischen Zeiten kennen gelernt und sich mit den entsprechenden Hilfswissen¬
schaften (Schrift- und Archivweseu usw.) genügend bekannt gemacht hat.

Was im einzelnen zu fordern wäre, müßten für jedes Fach besonders


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[0468] Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten Referat auszuarbeiten, das alles wesentliche enthielte; dies wäre in der ersten Stunde nach Aufruf des Leidenden von einem oder mehreren frei vorzutragen, dann von der Gesamtheit zu kritisiren. Dadurch würde zugleich die Fähigkeit, frei zu sprechen, die heute für den akademisch Gebildeten in jeder Stellung notwendig ist, gefordert werden. Von Zeit zu Zeit wären sämtliche Referate einzusammeln und abwechselnd mit besonders noch zu stellenden kleinern schrift¬ lichen Aufgaben zu Hause von dem Leitenden zu verbessern. Dies würde es ihm erleichtern, sich ein Urteil über die Leistungen der Teilnehmer zu bilden. Damit ihm die Arbeit nicht zu viel würde, könnte er die Korrektur für ge¬ wöhnlich durch die Teilnehmer selbst besorgen lassen, doch so, daß er einzelne nachprüfte. Einmal im Semester müßte er aber die Korrektur selbst ganz übernehmen. Während so die erste Stunde der Wiederholung des vorigen gewidmet wäre, würde dann in der zweiten das neue Pensum zu besprechen sein. Der Stoff könnte etwa so behandelt werden, daß ein oder mehrere bedeutende wissenschaftliche Werke, die das im Laufe des Semesters zu Er¬ örternde zusammenfassend darstellen, zu Grunde gelegt würden und jeder Teil¬ nehmer zu den einzelnen Sitzungen einen bestimmten Abschnitt zu Hause durch- zustudiren hätte; das würde sich mehr empfehlen, als daß es jedem überlassen bliebe, wie er sich für das in einer Sitzung zu behandelnde Kapitel vorbereiten will. Jedenfalls würde hier die Erfahrung bald deu richtigen Weg weisen. Zum Schluß könnte vielleicht in einem siebenten und nötigenfalls achten Semester in einem halb- oder ganzjährigen Kolloquium das ganze Gebiet der Fachwissenschaft noch einmal zusammenfassend durchgesprochen werden, vielleicht unter bestimmten höhern Gesichtspunkten, oder wie es sonst dem Leitenden am zweckdienlichsten erscheint. So würde z. B. das Examen in Geschichte etwa dann für abgelegt gelten können, wenn der Examinand die Zeugnisse über erfolgreiche Teilnahme an folgenden Kolloquien beibrachte: 1. orientalische Geschichte; 2. griechische Ge¬ schichte; 3. Geschichte des Hellenismus; 4. römische Geschichte bis zum Jahre 31; 5. römische Kaiserzeit; 6. Mittelalter; 7. Übergangszeit; 8. Zeit der Refor¬ mation und Gegenreformation; 9. Zeitalter des Absolutismus; 10. Revolu¬ tionszeitalter; 11. neueste Zeit; 12. preußische Geschichte. Vorausgesetzt ist dabei, daß innerhalb des Nahmens eines jeden dieser Kolloquien die betreffenden Hilfswissenschaften, wie Quellenkunde, Verfasfuugs- und Kulturgeschichte usw. entsprechend mitbehandelt worden sind. Ferner müßte durch Zeugnis über erfolgreiche Teilnahme an Seminarien nachgewiesen werden, daß der Examinand auf je einem Gebiete der alten wie der mittlern und der neuern Geschichte quellenkritische Studien getrieben, alle für Forschung und Quellenkritik charak¬ teristischen Zeiten kennen gelernt und sich mit den entsprechenden Hilfswissen¬ schaften (Schrift- und Archivweseu usw.) genügend bekannt gemacht hat. Was im einzelnen zu fordern wäre, müßten für jedes Fach besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/468>, abgerufen am 16.06.2024.