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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

auszuarbeitende Examenbestimmungen festsetzen. Im Anschluß daran würden
u. a. für das höhere Schulfach die Anforderungen am besten dahin geändert
werden, daß die sogenannten Nebenfächer aufgegeben würden; wenn man sich
dazu nicht entschließen könnte, müßten wenigstens für sie besondre Examina-
torien eingerichtet werden, die in einem Semester ein weit größeres Gebiet
als die der Hauptfächer behandelten.

Was die Zahl der Teilnehmer an diesen neuen Übungen angeht, so könnte
sie natürlich nur beschränkt sein und dürfte etwa zwanzig nicht übersteigen,
sonst würde es dem Leiter nicht möglich werden, die Einzelnen genauer kennen
zu lernen. Die Abhaltung der Kolloquien müßte jüngern akademischen Lehrern,
die ja davon selbst noch Gewinn für ihre Weiterbildung haben würden, zur
Pflicht gemacht, ältern freigestellt werden.

Bei dieser Einrichtung bliebe nur die Notwendigkeit, sich über seine Kennt¬
nisse auszuweisen; dagegen schwante die ungünstige Einwirkung, die das am
Ende der Studienzeit drohende Examen unleugbar bei vielen auf den ganzen
Gang des Studiums ausübt. Die Prüfung würde mit dem Studium selbst
abgelegt werden. Die Freiheit des Studirens und die Lust daran würde
viel mehr zu ihrem Rechte kommen als bisher. Neben der Aneignung dessen,
was die Exameubestimmungen als das mindeste Maß fordern müssen, würde
auch die Vertiefung des Wissens nach eigner Neigung leichter möglich sein.
Diesem freien Studium und zugleich der Vorbereitung für die Kolloquien
würden dann neben der häuslichen Arbeit die Kollegien dienen. Diese würden
nach wie vor unentbehrlich bleiben, ja erhöhte Bedeutung gewinnen; den Nach¬
teilen, die sie bisher leicht mit sich brachten, würde entgegengewirkt und da¬
durch eher ermöglicht werden, daß sie auch wirklich deu Gewinn brächten, den
sie bringen können und sollen. Das im Kolleg gehörte würde im Kolloquium
in gemeinschaftlicher Thätigkeit und unter bestimmten Gesichtspunkten ver¬
arbeitet und fruchtbar gemacht werden. Dadurch würde der Nachteil, den die
beim Anhören der Vorlesung geübte einseitig rezeptive Thätigkeit so leicht mit
sich bringt, vermieden werden. Der bloßen Stoffanfnahme träte die nun in
den Kolloquien zu ihrem Rechte kommende Selbstthätigkeit ergänzend zur Seite.
So würde am besten der Gefahr des bloßen Nachsprechens, des M-ars in
verog. MÄMtri begegnet werden. Kritik und eignes Denken, bisher ja auch
gewiß von einzelnen allein und im Gespräch mit andern geübt, würden so am
einfachsten in geordnete Bahnen gelenkt werden, und durch gegenseitige, von
einem Sachkundigen geleitete Aussprache, die dem Einzelnen und dem Zufall
nicht zu viel überläßt, würde gesundes wissenschaftliches Denken und Streben
gefördert werden. Nun erst würde zu erkennen sein, wie weit der Student
das durch Privatstudien und Kolleg aufgenommne auch wirklich in sich ver¬
arbeitet und zu seinem geistigen Eigentum gemacht hat.

Und wie der Gefahr einer einseitig rezeptiven Thätigkeit, würde anch der


Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

auszuarbeitende Examenbestimmungen festsetzen. Im Anschluß daran würden
u. a. für das höhere Schulfach die Anforderungen am besten dahin geändert
werden, daß die sogenannten Nebenfächer aufgegeben würden; wenn man sich
dazu nicht entschließen könnte, müßten wenigstens für sie besondre Examina-
torien eingerichtet werden, die in einem Semester ein weit größeres Gebiet
als die der Hauptfächer behandelten.

Was die Zahl der Teilnehmer an diesen neuen Übungen angeht, so könnte
sie natürlich nur beschränkt sein und dürfte etwa zwanzig nicht übersteigen,
sonst würde es dem Leiter nicht möglich werden, die Einzelnen genauer kennen
zu lernen. Die Abhaltung der Kolloquien müßte jüngern akademischen Lehrern,
die ja davon selbst noch Gewinn für ihre Weiterbildung haben würden, zur
Pflicht gemacht, ältern freigestellt werden.

Bei dieser Einrichtung bliebe nur die Notwendigkeit, sich über seine Kennt¬
nisse auszuweisen; dagegen schwante die ungünstige Einwirkung, die das am
Ende der Studienzeit drohende Examen unleugbar bei vielen auf den ganzen
Gang des Studiums ausübt. Die Prüfung würde mit dem Studium selbst
abgelegt werden. Die Freiheit des Studirens und die Lust daran würde
viel mehr zu ihrem Rechte kommen als bisher. Neben der Aneignung dessen,
was die Exameubestimmungen als das mindeste Maß fordern müssen, würde
auch die Vertiefung des Wissens nach eigner Neigung leichter möglich sein.
Diesem freien Studium und zugleich der Vorbereitung für die Kolloquien
würden dann neben der häuslichen Arbeit die Kollegien dienen. Diese würden
nach wie vor unentbehrlich bleiben, ja erhöhte Bedeutung gewinnen; den Nach¬
teilen, die sie bisher leicht mit sich brachten, würde entgegengewirkt und da¬
durch eher ermöglicht werden, daß sie auch wirklich deu Gewinn brächten, den
sie bringen können und sollen. Das im Kolleg gehörte würde im Kolloquium
in gemeinschaftlicher Thätigkeit und unter bestimmten Gesichtspunkten ver¬
arbeitet und fruchtbar gemacht werden. Dadurch würde der Nachteil, den die
beim Anhören der Vorlesung geübte einseitig rezeptive Thätigkeit so leicht mit
sich bringt, vermieden werden. Der bloßen Stoffanfnahme träte die nun in
den Kolloquien zu ihrem Rechte kommende Selbstthätigkeit ergänzend zur Seite.
So würde am besten der Gefahr des bloßen Nachsprechens, des M-ars in
verog. MÄMtri begegnet werden. Kritik und eignes Denken, bisher ja auch
gewiß von einzelnen allein und im Gespräch mit andern geübt, würden so am
einfachsten in geordnete Bahnen gelenkt werden, und durch gegenseitige, von
einem Sachkundigen geleitete Aussprache, die dem Einzelnen und dem Zufall
nicht zu viel überläßt, würde gesundes wissenschaftliches Denken und Streben
gefördert werden. Nun erst würde zu erkennen sein, wie weit der Student
das durch Privatstudien und Kolleg aufgenommne auch wirklich in sich ver¬
arbeitet und zu seinem geistigen Eigentum gemacht hat.

Und wie der Gefahr einer einseitig rezeptiven Thätigkeit, würde anch der


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[0469] Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten auszuarbeitende Examenbestimmungen festsetzen. Im Anschluß daran würden u. a. für das höhere Schulfach die Anforderungen am besten dahin geändert werden, daß die sogenannten Nebenfächer aufgegeben würden; wenn man sich dazu nicht entschließen könnte, müßten wenigstens für sie besondre Examina- torien eingerichtet werden, die in einem Semester ein weit größeres Gebiet als die der Hauptfächer behandelten. Was die Zahl der Teilnehmer an diesen neuen Übungen angeht, so könnte sie natürlich nur beschränkt sein und dürfte etwa zwanzig nicht übersteigen, sonst würde es dem Leiter nicht möglich werden, die Einzelnen genauer kennen zu lernen. Die Abhaltung der Kolloquien müßte jüngern akademischen Lehrern, die ja davon selbst noch Gewinn für ihre Weiterbildung haben würden, zur Pflicht gemacht, ältern freigestellt werden. Bei dieser Einrichtung bliebe nur die Notwendigkeit, sich über seine Kennt¬ nisse auszuweisen; dagegen schwante die ungünstige Einwirkung, die das am Ende der Studienzeit drohende Examen unleugbar bei vielen auf den ganzen Gang des Studiums ausübt. Die Prüfung würde mit dem Studium selbst abgelegt werden. Die Freiheit des Studirens und die Lust daran würde viel mehr zu ihrem Rechte kommen als bisher. Neben der Aneignung dessen, was die Exameubestimmungen als das mindeste Maß fordern müssen, würde auch die Vertiefung des Wissens nach eigner Neigung leichter möglich sein. Diesem freien Studium und zugleich der Vorbereitung für die Kolloquien würden dann neben der häuslichen Arbeit die Kollegien dienen. Diese würden nach wie vor unentbehrlich bleiben, ja erhöhte Bedeutung gewinnen; den Nach¬ teilen, die sie bisher leicht mit sich brachten, würde entgegengewirkt und da¬ durch eher ermöglicht werden, daß sie auch wirklich deu Gewinn brächten, den sie bringen können und sollen. Das im Kolleg gehörte würde im Kolloquium in gemeinschaftlicher Thätigkeit und unter bestimmten Gesichtspunkten ver¬ arbeitet und fruchtbar gemacht werden. Dadurch würde der Nachteil, den die beim Anhören der Vorlesung geübte einseitig rezeptive Thätigkeit so leicht mit sich bringt, vermieden werden. Der bloßen Stoffanfnahme träte die nun in den Kolloquien zu ihrem Rechte kommende Selbstthätigkeit ergänzend zur Seite. So würde am besten der Gefahr des bloßen Nachsprechens, des M-ars in verog. MÄMtri begegnet werden. Kritik und eignes Denken, bisher ja auch gewiß von einzelnen allein und im Gespräch mit andern geübt, würden so am einfachsten in geordnete Bahnen gelenkt werden, und durch gegenseitige, von einem Sachkundigen geleitete Aussprache, die dem Einzelnen und dem Zufall nicht zu viel überläßt, würde gesundes wissenschaftliches Denken und Streben gefördert werden. Nun erst würde zu erkennen sein, wie weit der Student das durch Privatstudien und Kolleg aufgenommne auch wirklich in sich ver¬ arbeitet und zu seinem geistigen Eigentum gemacht hat. Und wie der Gefahr einer einseitig rezeptiven Thätigkeit, würde anch der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/469>, abgerufen am 23.05.2024.