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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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unter dem Druck eines solchen Schicksals schließlich zu nichts weiteren bringen,
als daß sie persönlich andern lächerlich sind, ohne es selbst zu ahnen.

Als man vor einer Reihe von Jahren bei uns zuerst deu Ausdruck
"studirtes Proletariat" oder "akademisches Proletariat" hörte, da wurde er
von einzelnen, z. V. von Bismarck in der vielleicht zu wohlwollenden Voraus¬
setzung gebraucht, als ob man die Sache, die damit bezeichnet werden sollte,
in Deutschland noch nicht hätte. Man wollte damit vielmehr vor einer künf¬
tigen Gefahr warnen, wozu man die Beispiele damals noch aus Rußland
nehmen mußte. Gegenwärtig wird auch der größte Optimist zugeben, daß wir
mit selbstgezognem Material dienen können. Dem gegenüber wäre wohl einmal
zu erwägen, ob bei solcher Überfüllung der akademischen Berufe die "Zucker¬
prämie" auf der Universität überhaupt noch einen Sinn habe? Manches, wie
die auf Stiftungen, namentlich einzelner Familien beruhenden Stipendien, wird
sich nicht ohne weiteres beseitigen lassen, es hat aber anch eine andre praktische
Bedeutung. Freitische dagegen und allgemeine kleine Geldstipendien ("Sauf¬
stipendien" nennt sie hie und da der Student) sind Mittel zur Beförderung eines
Pauperismus, mit dessen Pflege dem Staat und der Allgemeinheit kein Dienst
erwiesen wird, dem Einzelnen aber auch nur selten ein wirkliches Glück geschieht.

Der Staat könnte ohne irgend einen Schaden auf den Ersatz seines höhern
Mittelstandes aus der niedern Volksschicht verzichten, und wenn er nur Mittel
fände, ihn zu verhindern, so würde auch dem Einzelnen nichts entzogen werden.
Man hat dafür immer leicht das vielgebrauchte Wort von der notwendigen
Zuführung frischen Blutes zur Hand. Aber das Blut verliert nichts durch
allmähliche Veränderung, im Gegenteil, es gewinnt nur. Was nun den nach
unsrer Auffassung nicht wünschenswerten unmittelbaren Zufluß betrifft, so kann
zwar, so sagt man, die Erfahrung eines Einzelnen nichts beweisen (was sie
aber auch gar nicht will, weil ihr Eigentümer hinlänglich vernünftig ist, das
allein einzusehen), immerhin aber kann sie vielleicht noch auf andre gleichfalls
Vernünftige einen gewissen Eindruck machen, wenn sie gewissenhaft formulirt
wird. Der Verfasser dieser Betrachtungen ist nicht mehr jung, er hat in den
verschiedensten Gegenden Deutschlands in Städten und auf dem Lande gelebt.
Er hat eine große Menge Menschen kennen gelernt und mit vielen altern, die
zum Teil lange nicht mehr leben, Gedanken ausgetauscht über dieselbe Frage
nach dem "Zuzug von unten," so daß seine Erfahrung in diesem Punkte wohl
für die Erfahrung mehrerer Menschen gelten kann. Er hat nun auf solche Weise,
näher oder ferner, zahlreiche Menschen kennen gelernt, die geradeswegs von
unten nach oben strebten, aber unter diesen Hunderten wüßte er nur wenige
zu nennen, die sich und andre in diesem Streben glücklich gemacht haben. Das
sind einige Geistliche, von denen er das sagen zu dürfen glaubt. Damit ist
aber das Buch zu Ende.

Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, und noch ganz zuletzt wieder in


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unter dem Druck eines solchen Schicksals schließlich zu nichts weiteren bringen,
als daß sie persönlich andern lächerlich sind, ohne es selbst zu ahnen.

Als man vor einer Reihe von Jahren bei uns zuerst deu Ausdruck
„studirtes Proletariat" oder „akademisches Proletariat" hörte, da wurde er
von einzelnen, z. V. von Bismarck in der vielleicht zu wohlwollenden Voraus¬
setzung gebraucht, als ob man die Sache, die damit bezeichnet werden sollte,
in Deutschland noch nicht hätte. Man wollte damit vielmehr vor einer künf¬
tigen Gefahr warnen, wozu man die Beispiele damals noch aus Rußland
nehmen mußte. Gegenwärtig wird auch der größte Optimist zugeben, daß wir
mit selbstgezognem Material dienen können. Dem gegenüber wäre wohl einmal
zu erwägen, ob bei solcher Überfüllung der akademischen Berufe die „Zucker¬
prämie" auf der Universität überhaupt noch einen Sinn habe? Manches, wie
die auf Stiftungen, namentlich einzelner Familien beruhenden Stipendien, wird
sich nicht ohne weiteres beseitigen lassen, es hat aber anch eine andre praktische
Bedeutung. Freitische dagegen und allgemeine kleine Geldstipendien („Sauf¬
stipendien" nennt sie hie und da der Student) sind Mittel zur Beförderung eines
Pauperismus, mit dessen Pflege dem Staat und der Allgemeinheit kein Dienst
erwiesen wird, dem Einzelnen aber auch nur selten ein wirkliches Glück geschieht.

Der Staat könnte ohne irgend einen Schaden auf den Ersatz seines höhern
Mittelstandes aus der niedern Volksschicht verzichten, und wenn er nur Mittel
fände, ihn zu verhindern, so würde auch dem Einzelnen nichts entzogen werden.
Man hat dafür immer leicht das vielgebrauchte Wort von der notwendigen
Zuführung frischen Blutes zur Hand. Aber das Blut verliert nichts durch
allmähliche Veränderung, im Gegenteil, es gewinnt nur. Was nun den nach
unsrer Auffassung nicht wünschenswerten unmittelbaren Zufluß betrifft, so kann
zwar, so sagt man, die Erfahrung eines Einzelnen nichts beweisen (was sie
aber auch gar nicht will, weil ihr Eigentümer hinlänglich vernünftig ist, das
allein einzusehen), immerhin aber kann sie vielleicht noch auf andre gleichfalls
Vernünftige einen gewissen Eindruck machen, wenn sie gewissenhaft formulirt
wird. Der Verfasser dieser Betrachtungen ist nicht mehr jung, er hat in den
verschiedensten Gegenden Deutschlands in Städten und auf dem Lande gelebt.
Er hat eine große Menge Menschen kennen gelernt und mit vielen altern, die
zum Teil lange nicht mehr leben, Gedanken ausgetauscht über dieselbe Frage
nach dem „Zuzug von unten," so daß seine Erfahrung in diesem Punkte wohl
für die Erfahrung mehrerer Menschen gelten kann. Er hat nun auf solche Weise,
näher oder ferner, zahlreiche Menschen kennen gelernt, die geradeswegs von
unten nach oben strebten, aber unter diesen Hunderten wüßte er nur wenige
zu nennen, die sich und andre in diesem Streben glücklich gemacht haben. Das
sind einige Geistliche, von denen er das sagen zu dürfen glaubt. Damit ist
aber das Buch zu Ende.

Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, und noch ganz zuletzt wieder in


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[0517] Von unten nach oben unter dem Druck eines solchen Schicksals schließlich zu nichts weiteren bringen, als daß sie persönlich andern lächerlich sind, ohne es selbst zu ahnen. Als man vor einer Reihe von Jahren bei uns zuerst deu Ausdruck „studirtes Proletariat" oder „akademisches Proletariat" hörte, da wurde er von einzelnen, z. V. von Bismarck in der vielleicht zu wohlwollenden Voraus¬ setzung gebraucht, als ob man die Sache, die damit bezeichnet werden sollte, in Deutschland noch nicht hätte. Man wollte damit vielmehr vor einer künf¬ tigen Gefahr warnen, wozu man die Beispiele damals noch aus Rußland nehmen mußte. Gegenwärtig wird auch der größte Optimist zugeben, daß wir mit selbstgezognem Material dienen können. Dem gegenüber wäre wohl einmal zu erwägen, ob bei solcher Überfüllung der akademischen Berufe die „Zucker¬ prämie" auf der Universität überhaupt noch einen Sinn habe? Manches, wie die auf Stiftungen, namentlich einzelner Familien beruhenden Stipendien, wird sich nicht ohne weiteres beseitigen lassen, es hat aber anch eine andre praktische Bedeutung. Freitische dagegen und allgemeine kleine Geldstipendien („Sauf¬ stipendien" nennt sie hie und da der Student) sind Mittel zur Beförderung eines Pauperismus, mit dessen Pflege dem Staat und der Allgemeinheit kein Dienst erwiesen wird, dem Einzelnen aber auch nur selten ein wirkliches Glück geschieht. Der Staat könnte ohne irgend einen Schaden auf den Ersatz seines höhern Mittelstandes aus der niedern Volksschicht verzichten, und wenn er nur Mittel fände, ihn zu verhindern, so würde auch dem Einzelnen nichts entzogen werden. Man hat dafür immer leicht das vielgebrauchte Wort von der notwendigen Zuführung frischen Blutes zur Hand. Aber das Blut verliert nichts durch allmähliche Veränderung, im Gegenteil, es gewinnt nur. Was nun den nach unsrer Auffassung nicht wünschenswerten unmittelbaren Zufluß betrifft, so kann zwar, so sagt man, die Erfahrung eines Einzelnen nichts beweisen (was sie aber auch gar nicht will, weil ihr Eigentümer hinlänglich vernünftig ist, das allein einzusehen), immerhin aber kann sie vielleicht noch auf andre gleichfalls Vernünftige einen gewissen Eindruck machen, wenn sie gewissenhaft formulirt wird. Der Verfasser dieser Betrachtungen ist nicht mehr jung, er hat in den verschiedensten Gegenden Deutschlands in Städten und auf dem Lande gelebt. Er hat eine große Menge Menschen kennen gelernt und mit vielen altern, die zum Teil lange nicht mehr leben, Gedanken ausgetauscht über dieselbe Frage nach dem „Zuzug von unten," so daß seine Erfahrung in diesem Punkte wohl für die Erfahrung mehrerer Menschen gelten kann. Er hat nun auf solche Weise, näher oder ferner, zahlreiche Menschen kennen gelernt, die geradeswegs von unten nach oben strebten, aber unter diesen Hunderten wüßte er nur wenige zu nennen, die sich und andre in diesem Streben glücklich gemacht haben. Das sind einige Geistliche, von denen er das sagen zu dürfen glaubt. Damit ist aber das Buch zu Ende. Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, und noch ganz zuletzt wieder in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/517>, abgerufen am 16.06.2024.