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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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wenn wir aus unsrer Litteraturgeschichte gelernt zu haben meinen, daß eine
edle, geistige Frucht nur auf bereits veredelten Stamme wächst. Und den¬
selben Eindruck werden unsre Leser gewinnen, wenn sie auf andre Gebiete
geistigen Thuns ihre Gedanken richten wollen.

Wir möchten noch das Gegenteil dieses geistigen Adels, die vielen Dis¬
harmonien, die das Emporstreben leicht mit sich bringt, an einigen kurzen
Zügen aus dem Leben weiter verfolgen. Alles soll zu einander passen. Das
ist eine ideale Forderung. Wie leicht wird doch auch das in äußerlichen Dingen
gestörte Ebenmaß von jedermann empfunden! Ich kannte einst einen klugen,
wohlhabenden und angesehenen niederdeutschen Bauern, der gelegentlich mit
Herren und Grafen zu Tische saß, und dessen Wort überall mit Achtung gehört
wurde. Er war der Erste in seinem Stande. Als er schon über die Mitte
seiner Jahre hinaus war, ritt ihn der Hochmutsteufel, und ein Zug nach falscher
Vornehmheit zwängte ihm anstatt seines gewohnten Platt ein ungeschicktes Hoch¬
deutsch an, in dem er sich zeitlebens nicht zurechtfand. Von nun an spielte
dieser kluge und in seiner Art hochstehende Mann die Rolle eines Tölpels.
Einer seiner Gönner hatte diese Veränderung und ihre Folge schon früh voraus¬
gesagt. Ich selbst habe sie wenigstens durch eigne Wahrnehmung noch be¬
stätigen können und möchte nun diese kleine Geschichte noch mit einer andern
zusammenstellen, die für ein andres Gebiet dieselbe Nutzanwendung ergiebt.
Ein in seiner Art ganz ausgezeichneter junger Volksschullehrer war an der
Vorschule eines Gymnasiums angestellt. Jeder schützte ihn, und Höhergestellte
verkehrten gern mit ihm und auf gleichem Fuße. Man hatte den Eindruck,
einem Muster seiner Gattung, einer sozusagen vollkommnen Existenz gegenüber
zu stehen. Da nun seine Schule in einer Universitätsstadt lag, so wurde es
ihm möglich, ohne seine Stellung aufzugeben, noch Vorlesungen zu hören, ein
Examen zu machen, und schließlich wurde er als studirter und promovirter
Gymnasiallehrer nach einem andern Orte versetzt. Jeder freute sich dessen,
alle wünschten ihm Glück. Einer aber meinte im Stillen: ob der Doktor .L
eine so ausgezeichnete Stelle einnehmen wird, wie der Volksschullehrer T, das
ist noch sehr die Frage. Dieser Mann hat das klügste Wort von allen ge¬
sprochen.

In den seltensten Fällen wird mau dem Einzelnen persönlich etwas gutes
anthun, den man doch zu fördern meint, wenn man ihn zu schnell von den
natürlichen Bedingungen seines bisherigen Lebens losmacht. Denn das giebt
die vielen "verschrobnen" Menschen, das will sagen: die da äußerlich uicht
hingehören, wohin sie sich mit Vorliebe stellen, wie niemand das köstlicher
geschildert hat, als Goethe in seiner Parabel vom Meister einer ländlichen
Schule -- das giebt serner die vielen verkannten Genies, z.B. die wahren
Opfer der akademischen Preisaufgabe, die, weil sie eine solche "gelöst" haben,
sich nur noch zu etwas Höheren tauglich, und berufen glauben, und die es


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wenn wir aus unsrer Litteraturgeschichte gelernt zu haben meinen, daß eine
edle, geistige Frucht nur auf bereits veredelten Stamme wächst. Und den¬
selben Eindruck werden unsre Leser gewinnen, wenn sie auf andre Gebiete
geistigen Thuns ihre Gedanken richten wollen.

Wir möchten noch das Gegenteil dieses geistigen Adels, die vielen Dis¬
harmonien, die das Emporstreben leicht mit sich bringt, an einigen kurzen
Zügen aus dem Leben weiter verfolgen. Alles soll zu einander passen. Das
ist eine ideale Forderung. Wie leicht wird doch auch das in äußerlichen Dingen
gestörte Ebenmaß von jedermann empfunden! Ich kannte einst einen klugen,
wohlhabenden und angesehenen niederdeutschen Bauern, der gelegentlich mit
Herren und Grafen zu Tische saß, und dessen Wort überall mit Achtung gehört
wurde. Er war der Erste in seinem Stande. Als er schon über die Mitte
seiner Jahre hinaus war, ritt ihn der Hochmutsteufel, und ein Zug nach falscher
Vornehmheit zwängte ihm anstatt seines gewohnten Platt ein ungeschicktes Hoch¬
deutsch an, in dem er sich zeitlebens nicht zurechtfand. Von nun an spielte
dieser kluge und in seiner Art hochstehende Mann die Rolle eines Tölpels.
Einer seiner Gönner hatte diese Veränderung und ihre Folge schon früh voraus¬
gesagt. Ich selbst habe sie wenigstens durch eigne Wahrnehmung noch be¬
stätigen können und möchte nun diese kleine Geschichte noch mit einer andern
zusammenstellen, die für ein andres Gebiet dieselbe Nutzanwendung ergiebt.
Ein in seiner Art ganz ausgezeichneter junger Volksschullehrer war an der
Vorschule eines Gymnasiums angestellt. Jeder schützte ihn, und Höhergestellte
verkehrten gern mit ihm und auf gleichem Fuße. Man hatte den Eindruck,
einem Muster seiner Gattung, einer sozusagen vollkommnen Existenz gegenüber
zu stehen. Da nun seine Schule in einer Universitätsstadt lag, so wurde es
ihm möglich, ohne seine Stellung aufzugeben, noch Vorlesungen zu hören, ein
Examen zu machen, und schließlich wurde er als studirter und promovirter
Gymnasiallehrer nach einem andern Orte versetzt. Jeder freute sich dessen,
alle wünschten ihm Glück. Einer aber meinte im Stillen: ob der Doktor .L
eine so ausgezeichnete Stelle einnehmen wird, wie der Volksschullehrer T, das
ist noch sehr die Frage. Dieser Mann hat das klügste Wort von allen ge¬
sprochen.

In den seltensten Fällen wird mau dem Einzelnen persönlich etwas gutes
anthun, den man doch zu fördern meint, wenn man ihn zu schnell von den
natürlichen Bedingungen seines bisherigen Lebens losmacht. Denn das giebt
die vielen „verschrobnen" Menschen, das will sagen: die da äußerlich uicht
hingehören, wohin sie sich mit Vorliebe stellen, wie niemand das köstlicher
geschildert hat, als Goethe in seiner Parabel vom Meister einer ländlichen
Schule — das giebt serner die vielen verkannten Genies, z.B. die wahren
Opfer der akademischen Preisaufgabe, die, weil sie eine solche „gelöst" haben,
sich nur noch zu etwas Höheren tauglich, und berufen glauben, und die es


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[0516] Von unten nach oben wenn wir aus unsrer Litteraturgeschichte gelernt zu haben meinen, daß eine edle, geistige Frucht nur auf bereits veredelten Stamme wächst. Und den¬ selben Eindruck werden unsre Leser gewinnen, wenn sie auf andre Gebiete geistigen Thuns ihre Gedanken richten wollen. Wir möchten noch das Gegenteil dieses geistigen Adels, die vielen Dis¬ harmonien, die das Emporstreben leicht mit sich bringt, an einigen kurzen Zügen aus dem Leben weiter verfolgen. Alles soll zu einander passen. Das ist eine ideale Forderung. Wie leicht wird doch auch das in äußerlichen Dingen gestörte Ebenmaß von jedermann empfunden! Ich kannte einst einen klugen, wohlhabenden und angesehenen niederdeutschen Bauern, der gelegentlich mit Herren und Grafen zu Tische saß, und dessen Wort überall mit Achtung gehört wurde. Er war der Erste in seinem Stande. Als er schon über die Mitte seiner Jahre hinaus war, ritt ihn der Hochmutsteufel, und ein Zug nach falscher Vornehmheit zwängte ihm anstatt seines gewohnten Platt ein ungeschicktes Hoch¬ deutsch an, in dem er sich zeitlebens nicht zurechtfand. Von nun an spielte dieser kluge und in seiner Art hochstehende Mann die Rolle eines Tölpels. Einer seiner Gönner hatte diese Veränderung und ihre Folge schon früh voraus¬ gesagt. Ich selbst habe sie wenigstens durch eigne Wahrnehmung noch be¬ stätigen können und möchte nun diese kleine Geschichte noch mit einer andern zusammenstellen, die für ein andres Gebiet dieselbe Nutzanwendung ergiebt. Ein in seiner Art ganz ausgezeichneter junger Volksschullehrer war an der Vorschule eines Gymnasiums angestellt. Jeder schützte ihn, und Höhergestellte verkehrten gern mit ihm und auf gleichem Fuße. Man hatte den Eindruck, einem Muster seiner Gattung, einer sozusagen vollkommnen Existenz gegenüber zu stehen. Da nun seine Schule in einer Universitätsstadt lag, so wurde es ihm möglich, ohne seine Stellung aufzugeben, noch Vorlesungen zu hören, ein Examen zu machen, und schließlich wurde er als studirter und promovirter Gymnasiallehrer nach einem andern Orte versetzt. Jeder freute sich dessen, alle wünschten ihm Glück. Einer aber meinte im Stillen: ob der Doktor .L eine so ausgezeichnete Stelle einnehmen wird, wie der Volksschullehrer T, das ist noch sehr die Frage. Dieser Mann hat das klügste Wort von allen ge¬ sprochen. In den seltensten Fällen wird mau dem Einzelnen persönlich etwas gutes anthun, den man doch zu fördern meint, wenn man ihn zu schnell von den natürlichen Bedingungen seines bisherigen Lebens losmacht. Denn das giebt die vielen „verschrobnen" Menschen, das will sagen: die da äußerlich uicht hingehören, wohin sie sich mit Vorliebe stellen, wie niemand das köstlicher geschildert hat, als Goethe in seiner Parabel vom Meister einer ländlichen Schule — das giebt serner die vielen verkannten Genies, z.B. die wahren Opfer der akademischen Preisaufgabe, die, weil sie eine solche „gelöst" haben, sich nur noch zu etwas Höheren tauglich, und berufen glauben, und die es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/516>, abgerufen am 16.06.2024.