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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Line Lharakternovelle

eins der Vorstellung, die ich mir von einer Charakternovelle mache. Sie soll
nicht nur in dem betreffenden Lande spielen, sondern auch den Charakter des
Volks offenbaren, im ganzen und im einzelnen, in Personen und Zügen und
in der Art der Schilderung. Sie kann oder sollte doch vernünftigerweise nur
von einem Angehörigen, jedenfalls von einem genauen Kenner des Volks ge¬
schrieben werden, sonst giebt es Schnickschnack, der das Heften nicht wert ist,
geschweige denn den Goldschnitt.

Daß es so mit meiner Vorstellung von der Charakternovelle ungefähr
seine Richtigkeit hat, könnte ich aus der Litteraturgeschichte nachzuweisen unter¬
nehmen. Aber ich glaube kaum, daß meine Leser standhaft genug sein würden,
mir die Ausführung eines solchen Vorhabens aufrichtig zu danken. Oder ich
könnte selbst eine solche Novelle schreiben. Das müßte aber eine deutsche sein.
Dazu kommt es vielleicht ein andermal. Einstweilen mag statt dessen das,
was ich eine wirkliche Charakternovelle nenne, an einem bereits geschriebnen
Buche gezeigt werden, und finden meine Leser vielleicht dabei diese ganze Frage
ziemlich überflüssig, worüber ich mit ihnen nicht weiter rechten werde, so werden
sie hoffentlich durch das Beispiel dazu, die Novelle selbst, sich einigermaßen
für den Aufwand an Zeit und Aufmerksamkeit, den diese lange Vorbemerkung
forderte, entschädigt fühlen.

Mit Dänemark standen wir Deutschen in den Tagen der Klopstock, Voß,
Stolberg ausgezeichnet, nicht nur durch solche litterarische Anknüpfungen,
sondern überhaupt gesellschaftlich und wirtschaftlich. Die Beziehungen zwischen
unsern nördlichen Landstrichen und Dünemark waren sehr lebhaft. Das hat
der napoleonische Krieg und die Schleswig-holsteinische Frage geändert, und sie
mußten es ändern. Nun sind die Dänen auf die wenigen lachenden Eilande
und auf das magere, ernste Jütlcnid beschränkt. Sie können nicht mehr hoffen,
einen größern Staat zu bilden, und fühlen doch mehr Kraft in sich, als zu
dein kleinen nötig ist. Mit der skandinavischen Union will es auch nichts
werden, und so befindet sich denn der entschieden tüchtigste und intelligenteste
Teil der Skandinavier in einer Lage und in einer Stimmung, für die wir
Deutschen alle Teilnahme haben, trotz unsrer ganz verschiednen politischen
Richtung, und so wenig uns auch ein freundlicher Sinn auf der andern Seite
solche Gesinnung leicht macht. Wir lernen die Dänen kennen, wenn wir in
die Bäder von Schleswig oder nach Kopenhagen gehen. Sie sind uns niemals
ganz fremd geworden. Wir haben den Eindruck, daß sie tüchtig sind und
wirtschaftlich strebsam. Aber überall sind ihnen ihre Verhältnisse zu klein,
und das Streben hat kein rechtes Ziel zum Ausgreifen. Darum sind die
Menschen dort ernst, auch wohl trübe, etwas pessimistisch. Aber sie sind nicht
oberflächlich, oder doch nur einige von ihnen haben etwas davon, was äußer¬
lich an französische Kultur erinnert, und mit dieser befreundet man sich gern,
weil man politisch auf Frankreich angewiesen zu sein meint. Sonst haben die


Grenzboten II 1896 65
Line Lharakternovelle

eins der Vorstellung, die ich mir von einer Charakternovelle mache. Sie soll
nicht nur in dem betreffenden Lande spielen, sondern auch den Charakter des
Volks offenbaren, im ganzen und im einzelnen, in Personen und Zügen und
in der Art der Schilderung. Sie kann oder sollte doch vernünftigerweise nur
von einem Angehörigen, jedenfalls von einem genauen Kenner des Volks ge¬
schrieben werden, sonst giebt es Schnickschnack, der das Heften nicht wert ist,
geschweige denn den Goldschnitt.

Daß es so mit meiner Vorstellung von der Charakternovelle ungefähr
seine Richtigkeit hat, könnte ich aus der Litteraturgeschichte nachzuweisen unter¬
nehmen. Aber ich glaube kaum, daß meine Leser standhaft genug sein würden,
mir die Ausführung eines solchen Vorhabens aufrichtig zu danken. Oder ich
könnte selbst eine solche Novelle schreiben. Das müßte aber eine deutsche sein.
Dazu kommt es vielleicht ein andermal. Einstweilen mag statt dessen das,
was ich eine wirkliche Charakternovelle nenne, an einem bereits geschriebnen
Buche gezeigt werden, und finden meine Leser vielleicht dabei diese ganze Frage
ziemlich überflüssig, worüber ich mit ihnen nicht weiter rechten werde, so werden
sie hoffentlich durch das Beispiel dazu, die Novelle selbst, sich einigermaßen
für den Aufwand an Zeit und Aufmerksamkeit, den diese lange Vorbemerkung
forderte, entschädigt fühlen.

Mit Dänemark standen wir Deutschen in den Tagen der Klopstock, Voß,
Stolberg ausgezeichnet, nicht nur durch solche litterarische Anknüpfungen,
sondern überhaupt gesellschaftlich und wirtschaftlich. Die Beziehungen zwischen
unsern nördlichen Landstrichen und Dünemark waren sehr lebhaft. Das hat
der napoleonische Krieg und die Schleswig-holsteinische Frage geändert, und sie
mußten es ändern. Nun sind die Dänen auf die wenigen lachenden Eilande
und auf das magere, ernste Jütlcnid beschränkt. Sie können nicht mehr hoffen,
einen größern Staat zu bilden, und fühlen doch mehr Kraft in sich, als zu
dein kleinen nötig ist. Mit der skandinavischen Union will es auch nichts
werden, und so befindet sich denn der entschieden tüchtigste und intelligenteste
Teil der Skandinavier in einer Lage und in einer Stimmung, für die wir
Deutschen alle Teilnahme haben, trotz unsrer ganz verschiednen politischen
Richtung, und so wenig uns auch ein freundlicher Sinn auf der andern Seite
solche Gesinnung leicht macht. Wir lernen die Dänen kennen, wenn wir in
die Bäder von Schleswig oder nach Kopenhagen gehen. Sie sind uns niemals
ganz fremd geworden. Wir haben den Eindruck, daß sie tüchtig sind und
wirtschaftlich strebsam. Aber überall sind ihnen ihre Verhältnisse zu klein,
und das Streben hat kein rechtes Ziel zum Ausgreifen. Darum sind die
Menschen dort ernst, auch wohl trübe, etwas pessimistisch. Aber sie sind nicht
oberflächlich, oder doch nur einige von ihnen haben etwas davon, was äußer¬
lich an französische Kultur erinnert, und mit dieser befreundet man sich gern,
weil man politisch auf Frankreich angewiesen zu sein meint. Sonst haben die


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[0521] Line Lharakternovelle eins der Vorstellung, die ich mir von einer Charakternovelle mache. Sie soll nicht nur in dem betreffenden Lande spielen, sondern auch den Charakter des Volks offenbaren, im ganzen und im einzelnen, in Personen und Zügen und in der Art der Schilderung. Sie kann oder sollte doch vernünftigerweise nur von einem Angehörigen, jedenfalls von einem genauen Kenner des Volks ge¬ schrieben werden, sonst giebt es Schnickschnack, der das Heften nicht wert ist, geschweige denn den Goldschnitt. Daß es so mit meiner Vorstellung von der Charakternovelle ungefähr seine Richtigkeit hat, könnte ich aus der Litteraturgeschichte nachzuweisen unter¬ nehmen. Aber ich glaube kaum, daß meine Leser standhaft genug sein würden, mir die Ausführung eines solchen Vorhabens aufrichtig zu danken. Oder ich könnte selbst eine solche Novelle schreiben. Das müßte aber eine deutsche sein. Dazu kommt es vielleicht ein andermal. Einstweilen mag statt dessen das, was ich eine wirkliche Charakternovelle nenne, an einem bereits geschriebnen Buche gezeigt werden, und finden meine Leser vielleicht dabei diese ganze Frage ziemlich überflüssig, worüber ich mit ihnen nicht weiter rechten werde, so werden sie hoffentlich durch das Beispiel dazu, die Novelle selbst, sich einigermaßen für den Aufwand an Zeit und Aufmerksamkeit, den diese lange Vorbemerkung forderte, entschädigt fühlen. Mit Dänemark standen wir Deutschen in den Tagen der Klopstock, Voß, Stolberg ausgezeichnet, nicht nur durch solche litterarische Anknüpfungen, sondern überhaupt gesellschaftlich und wirtschaftlich. Die Beziehungen zwischen unsern nördlichen Landstrichen und Dünemark waren sehr lebhaft. Das hat der napoleonische Krieg und die Schleswig-holsteinische Frage geändert, und sie mußten es ändern. Nun sind die Dänen auf die wenigen lachenden Eilande und auf das magere, ernste Jütlcnid beschränkt. Sie können nicht mehr hoffen, einen größern Staat zu bilden, und fühlen doch mehr Kraft in sich, als zu dein kleinen nötig ist. Mit der skandinavischen Union will es auch nichts werden, und so befindet sich denn der entschieden tüchtigste und intelligenteste Teil der Skandinavier in einer Lage und in einer Stimmung, für die wir Deutschen alle Teilnahme haben, trotz unsrer ganz verschiednen politischen Richtung, und so wenig uns auch ein freundlicher Sinn auf der andern Seite solche Gesinnung leicht macht. Wir lernen die Dänen kennen, wenn wir in die Bäder von Schleswig oder nach Kopenhagen gehen. Sie sind uns niemals ganz fremd geworden. Wir haben den Eindruck, daß sie tüchtig sind und wirtschaftlich strebsam. Aber überall sind ihnen ihre Verhältnisse zu klein, und das Streben hat kein rechtes Ziel zum Ausgreifen. Darum sind die Menschen dort ernst, auch wohl trübe, etwas pessimistisch. Aber sie sind nicht oberflächlich, oder doch nur einige von ihnen haben etwas davon, was äußer¬ lich an französische Kultur erinnert, und mit dieser befreundet man sich gern, weil man politisch auf Frankreich angewiesen zu sein meint. Sonst haben die Grenzboten II 1896 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/521>, abgerufen am 16.06.2024.