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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Dänen etwas tieferes, sinnendes, was uns zusagt, auch eine eigne Art von
Humor, den nordischen, wenn er auch bisweilen salonmüßig frisirt ist, wie bei
Andersen.

Doch wer könnte in solchen Zügen, die uns fremdes Volkstum vergegen¬
wärtigen möchten, vollständig sein! Besser versteht es der Dichter, der wahre
Erzähler, und er giebt uns eine Erzählung, in der alle Figuren echt sind.
Jeder dieser Menschen vertritt eine bestimmte Seite seines Volks, und alle
zusammen geben dann dessen ganzen Charakter naturgetreu wieder. Man wird
nicht leicht etwas so einfaches, was in seiner Naturwahrheit an eine Reise¬
beschreibung erinnert, und doch dabei so durchaus unterhaltendes, unsre Teil¬
nahme forderndes lesen können, wie die Erzählung von Henrik Scharling:
Junge Helden, übersetzt von Willatzen (Bremen, Heinsius, 1896). Das
Original ist schon älter, es ist bald nach dem letzten Schleswig-holsteinischen
Feldzuge (1864) geschrieben worden, und der Schilderung darin dient der erste
Krieg von 1848 bis 1851 als Hintergrund. Damals in jenem ersten Kriege
waren die Kräfte der Kümpfenden gleichmäßiger, der Kampf länger und wechsel¬
voller und für einen Dichter reicher an brauchbaren und interessanten Motiven.
Die Stimmung aber, die über der ganzen Erzählung liegt, das innere Ver¬
halten der dänischen Gesellschaft, ihr Urteil über den deutschen Nachbar und
Gegner, über die eigne Lage und ihre wenig hoffnungsreiche Zukunft, die Be¬
schreibung des politischen Zustandes, das alles steht unter dem Eindrucke der
spätern Zeit, in der das Buch entstanden ist, und so giebt uns der Roman
ein Bild der Gegenwart, ohne doch lehrhaft zu werden oder gar ein politischer
Tendenzroman zu sein.

Der Verfasser, ein Kopenhagener Professor und als Schriftsteller bekannt
und bewährt, weiß, wie in seinen andern Werken, so auch in diesem das ewige
Recht der Dichtung zu wahren und zu nutzen, um den Widerstreit der Kräfte
versöhnend auf der Höhe einer gereinigten Lebensanschauung ausklingen zu
lassen. Haben auch seine Landsleute in diesen Kämpfen, die er uns so zum
Greifen deutlich darstellt, ihrem Staate nicht den Erfolg verschaffen können,
für den sie kämpften, persönlich haben sie doch ihre Tapferkeit bewährt, und
ihren gesunden Sinn haben sie sich erhalten, und nun stehen sie in ihrem
Privatleben als tüchtige und interessante Menschen da, an deren Gedanken,
Enttäuschungen und Hoffnungen wir gern Anteil nehmen. Der Mensch als
Mensch bleibt doch das Wesentlichste für unser Interesse, und in dem Leben
der Einzelnen wird uns mancher schöne Zug und hie und da auch aufblühendes
Glück gezeigt, über das wir uns freuen. Kurz es ist ein echtes, schönes Werk
der Dichtung, wovon wir unsern Lesern eine Vorstellung zu geben versuchen
wollen.

Dem alten Oberst Hjälm ist alles im Leben quer gegangen. Er hat sich
aus dem Dienste, der seiner Thatenlust keine Nahrung geben konnte, verstimmt


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Dänen etwas tieferes, sinnendes, was uns zusagt, auch eine eigne Art von
Humor, den nordischen, wenn er auch bisweilen salonmüßig frisirt ist, wie bei
Andersen.

Doch wer könnte in solchen Zügen, die uns fremdes Volkstum vergegen¬
wärtigen möchten, vollständig sein! Besser versteht es der Dichter, der wahre
Erzähler, und er giebt uns eine Erzählung, in der alle Figuren echt sind.
Jeder dieser Menschen vertritt eine bestimmte Seite seines Volks, und alle
zusammen geben dann dessen ganzen Charakter naturgetreu wieder. Man wird
nicht leicht etwas so einfaches, was in seiner Naturwahrheit an eine Reise¬
beschreibung erinnert, und doch dabei so durchaus unterhaltendes, unsre Teil¬
nahme forderndes lesen können, wie die Erzählung von Henrik Scharling:
Junge Helden, übersetzt von Willatzen (Bremen, Heinsius, 1896). Das
Original ist schon älter, es ist bald nach dem letzten Schleswig-holsteinischen
Feldzuge (1864) geschrieben worden, und der Schilderung darin dient der erste
Krieg von 1848 bis 1851 als Hintergrund. Damals in jenem ersten Kriege
waren die Kräfte der Kümpfenden gleichmäßiger, der Kampf länger und wechsel¬
voller und für einen Dichter reicher an brauchbaren und interessanten Motiven.
Die Stimmung aber, die über der ganzen Erzählung liegt, das innere Ver¬
halten der dänischen Gesellschaft, ihr Urteil über den deutschen Nachbar und
Gegner, über die eigne Lage und ihre wenig hoffnungsreiche Zukunft, die Be¬
schreibung des politischen Zustandes, das alles steht unter dem Eindrucke der
spätern Zeit, in der das Buch entstanden ist, und so giebt uns der Roman
ein Bild der Gegenwart, ohne doch lehrhaft zu werden oder gar ein politischer
Tendenzroman zu sein.

Der Verfasser, ein Kopenhagener Professor und als Schriftsteller bekannt
und bewährt, weiß, wie in seinen andern Werken, so auch in diesem das ewige
Recht der Dichtung zu wahren und zu nutzen, um den Widerstreit der Kräfte
versöhnend auf der Höhe einer gereinigten Lebensanschauung ausklingen zu
lassen. Haben auch seine Landsleute in diesen Kämpfen, die er uns so zum
Greifen deutlich darstellt, ihrem Staate nicht den Erfolg verschaffen können,
für den sie kämpften, persönlich haben sie doch ihre Tapferkeit bewährt, und
ihren gesunden Sinn haben sie sich erhalten, und nun stehen sie in ihrem
Privatleben als tüchtige und interessante Menschen da, an deren Gedanken,
Enttäuschungen und Hoffnungen wir gern Anteil nehmen. Der Mensch als
Mensch bleibt doch das Wesentlichste für unser Interesse, und in dem Leben
der Einzelnen wird uns mancher schöne Zug und hie und da auch aufblühendes
Glück gezeigt, über das wir uns freuen. Kurz es ist ein echtes, schönes Werk
der Dichtung, wovon wir unsern Lesern eine Vorstellung zu geben versuchen
wollen.

Dem alten Oberst Hjälm ist alles im Leben quer gegangen. Er hat sich
aus dem Dienste, der seiner Thatenlust keine Nahrung geben konnte, verstimmt


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[0522] Line Lharakternovelle Dänen etwas tieferes, sinnendes, was uns zusagt, auch eine eigne Art von Humor, den nordischen, wenn er auch bisweilen salonmüßig frisirt ist, wie bei Andersen. Doch wer könnte in solchen Zügen, die uns fremdes Volkstum vergegen¬ wärtigen möchten, vollständig sein! Besser versteht es der Dichter, der wahre Erzähler, und er giebt uns eine Erzählung, in der alle Figuren echt sind. Jeder dieser Menschen vertritt eine bestimmte Seite seines Volks, und alle zusammen geben dann dessen ganzen Charakter naturgetreu wieder. Man wird nicht leicht etwas so einfaches, was in seiner Naturwahrheit an eine Reise¬ beschreibung erinnert, und doch dabei so durchaus unterhaltendes, unsre Teil¬ nahme forderndes lesen können, wie die Erzählung von Henrik Scharling: Junge Helden, übersetzt von Willatzen (Bremen, Heinsius, 1896). Das Original ist schon älter, es ist bald nach dem letzten Schleswig-holsteinischen Feldzuge (1864) geschrieben worden, und der Schilderung darin dient der erste Krieg von 1848 bis 1851 als Hintergrund. Damals in jenem ersten Kriege waren die Kräfte der Kümpfenden gleichmäßiger, der Kampf länger und wechsel¬ voller und für einen Dichter reicher an brauchbaren und interessanten Motiven. Die Stimmung aber, die über der ganzen Erzählung liegt, das innere Ver¬ halten der dänischen Gesellschaft, ihr Urteil über den deutschen Nachbar und Gegner, über die eigne Lage und ihre wenig hoffnungsreiche Zukunft, die Be¬ schreibung des politischen Zustandes, das alles steht unter dem Eindrucke der spätern Zeit, in der das Buch entstanden ist, und so giebt uns der Roman ein Bild der Gegenwart, ohne doch lehrhaft zu werden oder gar ein politischer Tendenzroman zu sein. Der Verfasser, ein Kopenhagener Professor und als Schriftsteller bekannt und bewährt, weiß, wie in seinen andern Werken, so auch in diesem das ewige Recht der Dichtung zu wahren und zu nutzen, um den Widerstreit der Kräfte versöhnend auf der Höhe einer gereinigten Lebensanschauung ausklingen zu lassen. Haben auch seine Landsleute in diesen Kämpfen, die er uns so zum Greifen deutlich darstellt, ihrem Staate nicht den Erfolg verschaffen können, für den sie kämpften, persönlich haben sie doch ihre Tapferkeit bewährt, und ihren gesunden Sinn haben sie sich erhalten, und nun stehen sie in ihrem Privatleben als tüchtige und interessante Menschen da, an deren Gedanken, Enttäuschungen und Hoffnungen wir gern Anteil nehmen. Der Mensch als Mensch bleibt doch das Wesentlichste für unser Interesse, und in dem Leben der Einzelnen wird uns mancher schöne Zug und hie und da auch aufblühendes Glück gezeigt, über das wir uns freuen. Kurz es ist ein echtes, schönes Werk der Dichtung, wovon wir unsern Lesern eine Vorstellung zu geben versuchen wollen. Dem alten Oberst Hjälm ist alles im Leben quer gegangen. Er hat sich aus dem Dienste, der seiner Thatenlust keine Nahrung geben konnte, verstimmt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/522>, abgerufen am 16.06.2024.