Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Lharakternovelle

Jdstedt noch von seiner Jugend her in der Erinnerung sind, der sollte sich
den Genuß nicht entgehen lassen, von einem hochgebildeten Gewährsmann der
Gegenseite sich diese Vorgänge erzählen zu lassen und mitzufühlen, wie das
dort aus die Menschen gewirkt hat, was wir in unsern Büchern natürlich so
ganz anders lesen.

Für den Verfasser sind die großen Ereignisse gleichwohl nur die Ein¬
fassung zu dem weitern Leben seiner beiden Helden. Palle Löwe hat die
komische Rolle. Der Held des Mundes und der Feder deckt immer den Rück¬
zug, ehe es verlangt wird, fällt dann einer Studentenfreischar in die Hände
und wird kriegsgefangen, was zwar in grauer Vorzeit für eine Schande würde
angesehen worden sein, nach den Regeln der modernen Kriegskunst aber dem
Tapfersten begegnen kann, und gründet zuletzt in Kopenhagen eine eigne liberale
Zeitung, in der alles, was der Krieg an Hoffnungen nicht erfüllt hat, in der
Form von Tadel und Verbesserungsvorschlag theoretisch weitergeführt wird.
Allzu ernsthafte Journalisten könnten sich vielleicht eins oder das andre hinter
die Ohren schreiben.

Der Träger der ernsthaft fortschreitenden Haupthandlung ist Affe. Er
wird auf den einzelnen Schlachtfeldern Leutnant, Kapitän, Major, zuletzt
Generalmajor. Klingt das nicht romanhaft? Aber wer es in dem Buche
liest, wird vielmehr Affe Hjälm für eine historische Person halten. Es wird
mit jeder neuen Schlacht schöner und spannender. Aus dem liebenswürdigen
Weichtier wächst der echte nordische Recke hervor, der sein Vaterland groß
gemacht haben würde, wenn -- er gekonnt hätte. Der König ist gut. Frederik VII.
wird sehr sympathisch geschildert. Für den sterben, ist nicht schwer, meint
Affe, dem als jungem Leutnant bei der Revue in Jütland der König das eigne
Danebrogkreuz anheftet. Aber die Verhältnisse! Die Kraft reicht nicht aus
gegen das doch thörichterweise unterschätzte Preußen, und das ewige Ne-
nommiren verschlimmert die Sache. Was könnte aus dem Vaterlande werden,
wenn es lauter solche Männer hätte wie Affe!

Aber die Erzählung kehrt zum Privatleben zurück und arbeitet mit kleinern
Zügen weiter. Der alte Oberst Hjälm wird eines Tages plötzlich aufs Schloß
zur Tafel befohlen, wo man ihn schon lange nicht mehr gesehen hat. Die
Hofkavaliere scheinen ihn nicht mehr zu kennen und erwidern seinen Gruß steif
und höflich. Der König redet ihn über Tisch an und will mit ihm ein Glas
auf das Wohl des Sohnes trinken. Der Oberst greift bestürzt nach dem
Glase und wirft es um. Der König macht einen Scherz und lacht, die Ka¬
valiere lachen pflichtschuldigst mit, der Oberst aber ist purpurrot vor Verlegen¬
heit. Aber der König verweist den Herren das Lachen, erinnert an das Blut
der Feinde, das der junge Hjälm hat fließen machen, so wie der Rotwein
aus dem Glase des Vaters über das Tischtuch geflossen ist. erzählt Geschichten
von dem jungen Helden und führt sein Glas an die Lippen, und alle Gäste


Line Lharakternovelle

Jdstedt noch von seiner Jugend her in der Erinnerung sind, der sollte sich
den Genuß nicht entgehen lassen, von einem hochgebildeten Gewährsmann der
Gegenseite sich diese Vorgänge erzählen zu lassen und mitzufühlen, wie das
dort aus die Menschen gewirkt hat, was wir in unsern Büchern natürlich so
ganz anders lesen.

Für den Verfasser sind die großen Ereignisse gleichwohl nur die Ein¬
fassung zu dem weitern Leben seiner beiden Helden. Palle Löwe hat die
komische Rolle. Der Held des Mundes und der Feder deckt immer den Rück¬
zug, ehe es verlangt wird, fällt dann einer Studentenfreischar in die Hände
und wird kriegsgefangen, was zwar in grauer Vorzeit für eine Schande würde
angesehen worden sein, nach den Regeln der modernen Kriegskunst aber dem
Tapfersten begegnen kann, und gründet zuletzt in Kopenhagen eine eigne liberale
Zeitung, in der alles, was der Krieg an Hoffnungen nicht erfüllt hat, in der
Form von Tadel und Verbesserungsvorschlag theoretisch weitergeführt wird.
Allzu ernsthafte Journalisten könnten sich vielleicht eins oder das andre hinter
die Ohren schreiben.

Der Träger der ernsthaft fortschreitenden Haupthandlung ist Affe. Er
wird auf den einzelnen Schlachtfeldern Leutnant, Kapitän, Major, zuletzt
Generalmajor. Klingt das nicht romanhaft? Aber wer es in dem Buche
liest, wird vielmehr Affe Hjälm für eine historische Person halten. Es wird
mit jeder neuen Schlacht schöner und spannender. Aus dem liebenswürdigen
Weichtier wächst der echte nordische Recke hervor, der sein Vaterland groß
gemacht haben würde, wenn — er gekonnt hätte. Der König ist gut. Frederik VII.
wird sehr sympathisch geschildert. Für den sterben, ist nicht schwer, meint
Affe, dem als jungem Leutnant bei der Revue in Jütland der König das eigne
Danebrogkreuz anheftet. Aber die Verhältnisse! Die Kraft reicht nicht aus
gegen das doch thörichterweise unterschätzte Preußen, und das ewige Ne-
nommiren verschlimmert die Sache. Was könnte aus dem Vaterlande werden,
wenn es lauter solche Männer hätte wie Affe!

Aber die Erzählung kehrt zum Privatleben zurück und arbeitet mit kleinern
Zügen weiter. Der alte Oberst Hjälm wird eines Tages plötzlich aufs Schloß
zur Tafel befohlen, wo man ihn schon lange nicht mehr gesehen hat. Die
Hofkavaliere scheinen ihn nicht mehr zu kennen und erwidern seinen Gruß steif
und höflich. Der König redet ihn über Tisch an und will mit ihm ein Glas
auf das Wohl des Sohnes trinken. Der Oberst greift bestürzt nach dem
Glase und wirft es um. Der König macht einen Scherz und lacht, die Ka¬
valiere lachen pflichtschuldigst mit, der Oberst aber ist purpurrot vor Verlegen¬
heit. Aber der König verweist den Herren das Lachen, erinnert an das Blut
der Feinde, das der junge Hjälm hat fließen machen, so wie der Rotwein
aus dem Glase des Vaters über das Tischtuch geflossen ist. erzählt Geschichten
von dem jungen Helden und führt sein Glas an die Lippen, und alle Gäste


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222828"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Lharakternovelle</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1501" prev="#ID_1500"> Jdstedt noch von seiner Jugend her in der Erinnerung sind, der sollte sich<lb/>
den Genuß nicht entgehen lassen, von einem hochgebildeten Gewährsmann der<lb/>
Gegenseite sich diese Vorgänge erzählen zu lassen und mitzufühlen, wie das<lb/>
dort aus die Menschen gewirkt hat, was wir in unsern Büchern natürlich so<lb/>
ganz anders lesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1502"> Für den Verfasser sind die großen Ereignisse gleichwohl nur die Ein¬<lb/>
fassung zu dem weitern Leben seiner beiden Helden. Palle Löwe hat die<lb/>
komische Rolle. Der Held des Mundes und der Feder deckt immer den Rück¬<lb/>
zug, ehe es verlangt wird, fällt dann einer Studentenfreischar in die Hände<lb/>
und wird kriegsgefangen, was zwar in grauer Vorzeit für eine Schande würde<lb/>
angesehen worden sein, nach den Regeln der modernen Kriegskunst aber dem<lb/>
Tapfersten begegnen kann, und gründet zuletzt in Kopenhagen eine eigne liberale<lb/>
Zeitung, in der alles, was der Krieg an Hoffnungen nicht erfüllt hat, in der<lb/>
Form von Tadel und Verbesserungsvorschlag theoretisch weitergeführt wird.<lb/>
Allzu ernsthafte Journalisten könnten sich vielleicht eins oder das andre hinter<lb/>
die Ohren schreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1503"> Der Träger der ernsthaft fortschreitenden Haupthandlung ist Affe. Er<lb/>
wird auf den einzelnen Schlachtfeldern Leutnant, Kapitän, Major, zuletzt<lb/>
Generalmajor. Klingt das nicht romanhaft? Aber wer es in dem Buche<lb/>
liest, wird vielmehr Affe Hjälm für eine historische Person halten. Es wird<lb/>
mit jeder neuen Schlacht schöner und spannender. Aus dem liebenswürdigen<lb/>
Weichtier wächst der echte nordische Recke hervor, der sein Vaterland groß<lb/>
gemacht haben würde, wenn &#x2014; er gekonnt hätte. Der König ist gut. Frederik VII.<lb/>
wird sehr sympathisch geschildert. Für den sterben, ist nicht schwer, meint<lb/>
Affe, dem als jungem Leutnant bei der Revue in Jütland der König das eigne<lb/>
Danebrogkreuz anheftet. Aber die Verhältnisse! Die Kraft reicht nicht aus<lb/>
gegen das doch thörichterweise unterschätzte Preußen, und das ewige Ne-<lb/>
nommiren verschlimmert die Sache. Was könnte aus dem Vaterlande werden,<lb/>
wenn es lauter solche Männer hätte wie Affe!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1504" next="#ID_1505"> Aber die Erzählung kehrt zum Privatleben zurück und arbeitet mit kleinern<lb/>
Zügen weiter. Der alte Oberst Hjälm wird eines Tages plötzlich aufs Schloß<lb/>
zur Tafel befohlen, wo man ihn schon lange nicht mehr gesehen hat. Die<lb/>
Hofkavaliere scheinen ihn nicht mehr zu kennen und erwidern seinen Gruß steif<lb/>
und höflich. Der König redet ihn über Tisch an und will mit ihm ein Glas<lb/>
auf das Wohl des Sohnes trinken. Der Oberst greift bestürzt nach dem<lb/>
Glase und wirft es um. Der König macht einen Scherz und lacht, die Ka¬<lb/>
valiere lachen pflichtschuldigst mit, der Oberst aber ist purpurrot vor Verlegen¬<lb/>
heit. Aber der König verweist den Herren das Lachen, erinnert an das Blut<lb/>
der Feinde, das der junge Hjälm hat fließen machen, so wie der Rotwein<lb/>
aus dem Glase des Vaters über das Tischtuch geflossen ist. erzählt Geschichten<lb/>
von dem jungen Helden und führt sein Glas an die Lippen, und alle Gäste</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Line Lharakternovelle Jdstedt noch von seiner Jugend her in der Erinnerung sind, der sollte sich den Genuß nicht entgehen lassen, von einem hochgebildeten Gewährsmann der Gegenseite sich diese Vorgänge erzählen zu lassen und mitzufühlen, wie das dort aus die Menschen gewirkt hat, was wir in unsern Büchern natürlich so ganz anders lesen. Für den Verfasser sind die großen Ereignisse gleichwohl nur die Ein¬ fassung zu dem weitern Leben seiner beiden Helden. Palle Löwe hat die komische Rolle. Der Held des Mundes und der Feder deckt immer den Rück¬ zug, ehe es verlangt wird, fällt dann einer Studentenfreischar in die Hände und wird kriegsgefangen, was zwar in grauer Vorzeit für eine Schande würde angesehen worden sein, nach den Regeln der modernen Kriegskunst aber dem Tapfersten begegnen kann, und gründet zuletzt in Kopenhagen eine eigne liberale Zeitung, in der alles, was der Krieg an Hoffnungen nicht erfüllt hat, in der Form von Tadel und Verbesserungsvorschlag theoretisch weitergeführt wird. Allzu ernsthafte Journalisten könnten sich vielleicht eins oder das andre hinter die Ohren schreiben. Der Träger der ernsthaft fortschreitenden Haupthandlung ist Affe. Er wird auf den einzelnen Schlachtfeldern Leutnant, Kapitän, Major, zuletzt Generalmajor. Klingt das nicht romanhaft? Aber wer es in dem Buche liest, wird vielmehr Affe Hjälm für eine historische Person halten. Es wird mit jeder neuen Schlacht schöner und spannender. Aus dem liebenswürdigen Weichtier wächst der echte nordische Recke hervor, der sein Vaterland groß gemacht haben würde, wenn — er gekonnt hätte. Der König ist gut. Frederik VII. wird sehr sympathisch geschildert. Für den sterben, ist nicht schwer, meint Affe, dem als jungem Leutnant bei der Revue in Jütland der König das eigne Danebrogkreuz anheftet. Aber die Verhältnisse! Die Kraft reicht nicht aus gegen das doch thörichterweise unterschätzte Preußen, und das ewige Ne- nommiren verschlimmert die Sache. Was könnte aus dem Vaterlande werden, wenn es lauter solche Männer hätte wie Affe! Aber die Erzählung kehrt zum Privatleben zurück und arbeitet mit kleinern Zügen weiter. Der alte Oberst Hjälm wird eines Tages plötzlich aufs Schloß zur Tafel befohlen, wo man ihn schon lange nicht mehr gesehen hat. Die Hofkavaliere scheinen ihn nicht mehr zu kennen und erwidern seinen Gruß steif und höflich. Der König redet ihn über Tisch an und will mit ihm ein Glas auf das Wohl des Sohnes trinken. Der Oberst greift bestürzt nach dem Glase und wirft es um. Der König macht einen Scherz und lacht, die Ka¬ valiere lachen pflichtschuldigst mit, der Oberst aber ist purpurrot vor Verlegen¬ heit. Aber der König verweist den Herren das Lachen, erinnert an das Blut der Feinde, das der junge Hjälm hat fließen machen, so wie der Rotwein aus dem Glase des Vaters über das Tischtuch geflossen ist. erzählt Geschichten von dem jungen Helden und führt sein Glas an die Lippen, und alle Gäste

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/524>, abgerufen am 16.06.2024.