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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Line Lharakternovelle

zurückgezogen, versteht seine sanfte, zartfühlende Gattin nicht und ärgert sich
über seinen einzigen Sohn, den spätgebornen mit den riesigen Gliedmaßen und
dem trägen, verschlafnen, träumenden Geiste, in dem er nicht hoffen kann, sein
eignes zerstörtes Leben noch einmal besser wieder aufzubauen. Affe, der Blöde
oder der Dumme geheißen, kommt in die Schule und streitet mit seinem kleinen
Hausgenossen Palle, dem Sohne des reichen Grossisten Löwe, um den letzten
Platz in der Klasse,, die Hegemonie von unter, während der alte Oberst brummt
und zankt und den Sohn täglich mehr sich entfremdet, die Mutter den unge-
leckten Liebling pflegt und beseufzt und nur die alte Tante, ein köstlich ge¬
schildertes Menschenkind, an dem jungen Recken niemals verzweifelt. Tante
Malene vertritt das Recht des Sohnes gegenüber dem Vater und ist in all
dem Familienjammer fest überzeugt, daß sie allein doch schließlich Recht be¬
halten wird. Einstweilen freilich sieht es noch nicht darnach aus. Denn Affe
bringt es mit seinen beinahe zwanzig Jahren nur bis zum Apothekerlehrling,
nicht als ob er dazu taugte oder besondre Lust verspürt hätte, sondern einfach
weil er es zu allem andern eben nicht bringt. Sein Schulfreund Palle Löwe
ist schon ein vollendeter Weltmann, er geht in Gesellschaften, tanzt, hält Vor¬
träge im Studentenverein und schreibt Leitartikel für "Skandinaviens Morgen¬
röte," sucht anch als schneidiger Mentor seinen ungefügen Freund auf diese
Höhe mit emporzuheben. Aber der Erfolg ist vor der Hand nur der, daß
sich dieser von ihm in die glänzendsten Gesellschaften Kopenhagens schleppen
läßt, einmal wegen nächtlichen Unfugs eingesteckt wird und zum noch größern
Entsetzen seines Vaters/ der ihn nun am liebsten zum Hause hinausgeworfen
hätte, um ein schönes Mädchen anhält, das leider schon verlobt ist. Nun sind
auch Tante Malenes Hoffnungen auf Null gesunken.

Doch nur auf kurze Zeit. Denn gerade jetzt ist König Christian gestorben,
und Fredcrik VII. kommt auf den Thron. Der Krieg in den Herzogtümern
bricht aus. Heimlich geht der lange Affe eines Morgens früh aus seines
Vaters Hause, mit einigen Geldscheinen von Tante Malene versorgt, und meldet
sich als Freiwilliger für den Krieg. An Bord des Schiffes, das nach Schleswig
geht, trifft er zu seiner Verwunderung seinen Freund, den Politiker Palle. in
elegantester Phantasieuniform im Begriff, den gleichen, gefahrvollen Weg zu
betreten. Wir begleiten nun diese beiden jungen Helden auf ihren sehr ver-
schiednen Schicksalswegen über zwei Jahre lang. Wir werden auf alle Schlacht¬
felder der Jahre 1848 und 1349 geführt und sehen die Handlung vor unsern
Augen sich entwickeln in lauter Einzelbildern, gestellt von kleinen Gruppen mit
bestimmten, lebendigen Zügen, wie sie unser Auge fassen kann. Einzelne der
Heerführer, die sich damals auszeichneten, treten ganz in unsre Nähe. Man
fühlt, der Verfasser schildert hier aus genauester Kenntnis. Wer auch sonst
nicht viel auf Schlachtbeschreibungen giebt, der wird doch diesen kleinen Kunst¬
werken mit Interesse folgen. Wem aber die Namen Eckernförde, Friedericia,


Line Lharakternovelle

zurückgezogen, versteht seine sanfte, zartfühlende Gattin nicht und ärgert sich
über seinen einzigen Sohn, den spätgebornen mit den riesigen Gliedmaßen und
dem trägen, verschlafnen, träumenden Geiste, in dem er nicht hoffen kann, sein
eignes zerstörtes Leben noch einmal besser wieder aufzubauen. Affe, der Blöde
oder der Dumme geheißen, kommt in die Schule und streitet mit seinem kleinen
Hausgenossen Palle, dem Sohne des reichen Grossisten Löwe, um den letzten
Platz in der Klasse,, die Hegemonie von unter, während der alte Oberst brummt
und zankt und den Sohn täglich mehr sich entfremdet, die Mutter den unge-
leckten Liebling pflegt und beseufzt und nur die alte Tante, ein köstlich ge¬
schildertes Menschenkind, an dem jungen Recken niemals verzweifelt. Tante
Malene vertritt das Recht des Sohnes gegenüber dem Vater und ist in all
dem Familienjammer fest überzeugt, daß sie allein doch schließlich Recht be¬
halten wird. Einstweilen freilich sieht es noch nicht darnach aus. Denn Affe
bringt es mit seinen beinahe zwanzig Jahren nur bis zum Apothekerlehrling,
nicht als ob er dazu taugte oder besondre Lust verspürt hätte, sondern einfach
weil er es zu allem andern eben nicht bringt. Sein Schulfreund Palle Löwe
ist schon ein vollendeter Weltmann, er geht in Gesellschaften, tanzt, hält Vor¬
träge im Studentenverein und schreibt Leitartikel für „Skandinaviens Morgen¬
röte," sucht anch als schneidiger Mentor seinen ungefügen Freund auf diese
Höhe mit emporzuheben. Aber der Erfolg ist vor der Hand nur der, daß
sich dieser von ihm in die glänzendsten Gesellschaften Kopenhagens schleppen
läßt, einmal wegen nächtlichen Unfugs eingesteckt wird und zum noch größern
Entsetzen seines Vaters/ der ihn nun am liebsten zum Hause hinausgeworfen
hätte, um ein schönes Mädchen anhält, das leider schon verlobt ist. Nun sind
auch Tante Malenes Hoffnungen auf Null gesunken.

Doch nur auf kurze Zeit. Denn gerade jetzt ist König Christian gestorben,
und Fredcrik VII. kommt auf den Thron. Der Krieg in den Herzogtümern
bricht aus. Heimlich geht der lange Affe eines Morgens früh aus seines
Vaters Hause, mit einigen Geldscheinen von Tante Malene versorgt, und meldet
sich als Freiwilliger für den Krieg. An Bord des Schiffes, das nach Schleswig
geht, trifft er zu seiner Verwunderung seinen Freund, den Politiker Palle. in
elegantester Phantasieuniform im Begriff, den gleichen, gefahrvollen Weg zu
betreten. Wir begleiten nun diese beiden jungen Helden auf ihren sehr ver-
schiednen Schicksalswegen über zwei Jahre lang. Wir werden auf alle Schlacht¬
felder der Jahre 1848 und 1349 geführt und sehen die Handlung vor unsern
Augen sich entwickeln in lauter Einzelbildern, gestellt von kleinen Gruppen mit
bestimmten, lebendigen Zügen, wie sie unser Auge fassen kann. Einzelne der
Heerführer, die sich damals auszeichneten, treten ganz in unsre Nähe. Man
fühlt, der Verfasser schildert hier aus genauester Kenntnis. Wer auch sonst
nicht viel auf Schlachtbeschreibungen giebt, der wird doch diesen kleinen Kunst¬
werken mit Interesse folgen. Wem aber die Namen Eckernförde, Friedericia,


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[0523] Line Lharakternovelle zurückgezogen, versteht seine sanfte, zartfühlende Gattin nicht und ärgert sich über seinen einzigen Sohn, den spätgebornen mit den riesigen Gliedmaßen und dem trägen, verschlafnen, träumenden Geiste, in dem er nicht hoffen kann, sein eignes zerstörtes Leben noch einmal besser wieder aufzubauen. Affe, der Blöde oder der Dumme geheißen, kommt in die Schule und streitet mit seinem kleinen Hausgenossen Palle, dem Sohne des reichen Grossisten Löwe, um den letzten Platz in der Klasse,, die Hegemonie von unter, während der alte Oberst brummt und zankt und den Sohn täglich mehr sich entfremdet, die Mutter den unge- leckten Liebling pflegt und beseufzt und nur die alte Tante, ein köstlich ge¬ schildertes Menschenkind, an dem jungen Recken niemals verzweifelt. Tante Malene vertritt das Recht des Sohnes gegenüber dem Vater und ist in all dem Familienjammer fest überzeugt, daß sie allein doch schließlich Recht be¬ halten wird. Einstweilen freilich sieht es noch nicht darnach aus. Denn Affe bringt es mit seinen beinahe zwanzig Jahren nur bis zum Apothekerlehrling, nicht als ob er dazu taugte oder besondre Lust verspürt hätte, sondern einfach weil er es zu allem andern eben nicht bringt. Sein Schulfreund Palle Löwe ist schon ein vollendeter Weltmann, er geht in Gesellschaften, tanzt, hält Vor¬ träge im Studentenverein und schreibt Leitartikel für „Skandinaviens Morgen¬ röte," sucht anch als schneidiger Mentor seinen ungefügen Freund auf diese Höhe mit emporzuheben. Aber der Erfolg ist vor der Hand nur der, daß sich dieser von ihm in die glänzendsten Gesellschaften Kopenhagens schleppen läßt, einmal wegen nächtlichen Unfugs eingesteckt wird und zum noch größern Entsetzen seines Vaters/ der ihn nun am liebsten zum Hause hinausgeworfen hätte, um ein schönes Mädchen anhält, das leider schon verlobt ist. Nun sind auch Tante Malenes Hoffnungen auf Null gesunken. Doch nur auf kurze Zeit. Denn gerade jetzt ist König Christian gestorben, und Fredcrik VII. kommt auf den Thron. Der Krieg in den Herzogtümern bricht aus. Heimlich geht der lange Affe eines Morgens früh aus seines Vaters Hause, mit einigen Geldscheinen von Tante Malene versorgt, und meldet sich als Freiwilliger für den Krieg. An Bord des Schiffes, das nach Schleswig geht, trifft er zu seiner Verwunderung seinen Freund, den Politiker Palle. in elegantester Phantasieuniform im Begriff, den gleichen, gefahrvollen Weg zu betreten. Wir begleiten nun diese beiden jungen Helden auf ihren sehr ver- schiednen Schicksalswegen über zwei Jahre lang. Wir werden auf alle Schlacht¬ felder der Jahre 1848 und 1349 geführt und sehen die Handlung vor unsern Augen sich entwickeln in lauter Einzelbildern, gestellt von kleinen Gruppen mit bestimmten, lebendigen Zügen, wie sie unser Auge fassen kann. Einzelne der Heerführer, die sich damals auszeichneten, treten ganz in unsre Nähe. Man fühlt, der Verfasser schildert hier aus genauester Kenntnis. Wer auch sonst nicht viel auf Schlachtbeschreibungen giebt, der wird doch diesen kleinen Kunst¬ werken mit Interesse folgen. Wem aber die Namen Eckernförde, Friedericia,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/523>, abgerufen am 16.06.2024.