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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Noch einmal das deutsche Reich und die Rurie

Gesellschaft keineswegs allgemeine Billigung fanden, nicht nur zuzustimmen,
sondern auch aus eigner Weisheit einiges zu ihrer Bestätigung beizutragen.
Das heißt, es war doch eigentlich nicht meine Weisheit; ich hatte sie mir nur
angeeignet aus den Unterhaltungen mit einem ältern Freunde, den ich seit
meiner Jugend kannte, dem ich von Zeit zu Zeit immer wieder begegnet bin,
und dem ich vielleicht das meiste verdanke von dem, womit ich mich nicht
streng berufsmäßig zu beschäftigen gehabt habe.

Mein Freund F. war zuletzt preußischer Laudrat und ist vor kurzem in
hohem Alter gestorben. Preußische Landräte können ja nun bekanntlich sehr
verschieden sein. Dieser war vom Leben viel herumgeworfen worden, hatte
auch als Beamter eine wechselvolle Laufbahn hinter sich und sah sich am
liebsten als einen späten Schüler Justus Mösers an, aus dessen osnabrückischer
Heimat er auch stammte. Vorübergehend war er auch einmal Referent für
Volksschulsachen in einem der ehemaligen hannöverschen Kultusministerien ge¬
wesen. Mit diesem meinem alten, unvergeßlichen Freunde F., meinem Lehr¬
meister auf manchem Gebiete unsrer vielgestaltigen Welt, hatte ich nun im
Herbst 1872 verschiedne Unterhaltungen über den damals schon in Aussicht
stehenden Kulturkampf. Bismarck hatte im Mai vorher das berühmte Wort
von dem Gange nach Canossa gesprochen.

Wir sind leicht geneigt, bei Vorgängen, die wir erlebt und mit besondern!
Interesse verfolgt haben, durch nachträgliche Zusätze aus unsrer spätern Er¬
fahrung unsre Erinnerungen unbewußt zu falschen. Ich weiß mich davon in
diesem Falle frei, denn ich habe meine Eindrücke treu bewahrt und könnte ein¬
zelnes wörtlich wiedergeben. Er vertrat also, um es kurz zu sagen, ruhig, ja
mit eiuer seinem Wesen eignen und im Vergleich zu der damaligen Stimmung
der meisten auffällig kühlen Sachlichkeit die Ansicht, daß der Staat den Kampf
nicht aufnehmen dürfe, weil er ihn verlieren müsse. Ich glaubte das ebenso
wenig wie die meisten andern zu jeuer Zeit. Mai, stand uoch unter dem
frischen Eindruck eines neuen, starken Nationalgefühls, und man vergaß dar¬
über sich zu fragen, ob dieses zunächst auf dem Politischen ruhende Bewußt¬
sein auch imstande sein werde, der Kurie gegenüber die beiden durch ihren
Glauben getrennten Teile des deutschen Volkes zusammenzuhalten. Man schätzte
die Macht Preußens mit Recht sehr hoch, und man nahm mit demselben Recht
an, daß diese Macht durch die Reichseinheit noch vergrößert worden sei. Aber
man bedachte nicht, daß das Reich nach seiner Verfassung in kirchlichen An¬
gelegenheiten gar nicht einheitlich vorgehen konnte, daß dem Papst gegenüber
also für Preußen mit der neuen politischen Ordnung nichts gewonnen war.
Vermutlich hat sich mein Freund über diese Dinge schon damals ebenso klar
und bestimmt ausgesprochen, wie heute jeder darüber denkt, wenigstens darüber
denken kann. Ganz bestimmt erinnere ich mich der Unterhaltung eines Tages,
wo ich ihn fragte, wie er sich den Verlauf dächte. "Die Sache wird ähnlich


Noch einmal das deutsche Reich und die Rurie

Gesellschaft keineswegs allgemeine Billigung fanden, nicht nur zuzustimmen,
sondern auch aus eigner Weisheit einiges zu ihrer Bestätigung beizutragen.
Das heißt, es war doch eigentlich nicht meine Weisheit; ich hatte sie mir nur
angeeignet aus den Unterhaltungen mit einem ältern Freunde, den ich seit
meiner Jugend kannte, dem ich von Zeit zu Zeit immer wieder begegnet bin,
und dem ich vielleicht das meiste verdanke von dem, womit ich mich nicht
streng berufsmäßig zu beschäftigen gehabt habe.

Mein Freund F. war zuletzt preußischer Laudrat und ist vor kurzem in
hohem Alter gestorben. Preußische Landräte können ja nun bekanntlich sehr
verschieden sein. Dieser war vom Leben viel herumgeworfen worden, hatte
auch als Beamter eine wechselvolle Laufbahn hinter sich und sah sich am
liebsten als einen späten Schüler Justus Mösers an, aus dessen osnabrückischer
Heimat er auch stammte. Vorübergehend war er auch einmal Referent für
Volksschulsachen in einem der ehemaligen hannöverschen Kultusministerien ge¬
wesen. Mit diesem meinem alten, unvergeßlichen Freunde F., meinem Lehr¬
meister auf manchem Gebiete unsrer vielgestaltigen Welt, hatte ich nun im
Herbst 1872 verschiedne Unterhaltungen über den damals schon in Aussicht
stehenden Kulturkampf. Bismarck hatte im Mai vorher das berühmte Wort
von dem Gange nach Canossa gesprochen.

Wir sind leicht geneigt, bei Vorgängen, die wir erlebt und mit besondern!
Interesse verfolgt haben, durch nachträgliche Zusätze aus unsrer spätern Er¬
fahrung unsre Erinnerungen unbewußt zu falschen. Ich weiß mich davon in
diesem Falle frei, denn ich habe meine Eindrücke treu bewahrt und könnte ein¬
zelnes wörtlich wiedergeben. Er vertrat also, um es kurz zu sagen, ruhig, ja
mit eiuer seinem Wesen eignen und im Vergleich zu der damaligen Stimmung
der meisten auffällig kühlen Sachlichkeit die Ansicht, daß der Staat den Kampf
nicht aufnehmen dürfe, weil er ihn verlieren müsse. Ich glaubte das ebenso
wenig wie die meisten andern zu jeuer Zeit. Mai, stand uoch unter dem
frischen Eindruck eines neuen, starken Nationalgefühls, und man vergaß dar¬
über sich zu fragen, ob dieses zunächst auf dem Politischen ruhende Bewußt¬
sein auch imstande sein werde, der Kurie gegenüber die beiden durch ihren
Glauben getrennten Teile des deutschen Volkes zusammenzuhalten. Man schätzte
die Macht Preußens mit Recht sehr hoch, und man nahm mit demselben Recht
an, daß diese Macht durch die Reichseinheit noch vergrößert worden sei. Aber
man bedachte nicht, daß das Reich nach seiner Verfassung in kirchlichen An¬
gelegenheiten gar nicht einheitlich vorgehen konnte, daß dem Papst gegenüber
also für Preußen mit der neuen politischen Ordnung nichts gewonnen war.
Vermutlich hat sich mein Freund über diese Dinge schon damals ebenso klar
und bestimmt ausgesprochen, wie heute jeder darüber denkt, wenigstens darüber
denken kann. Ganz bestimmt erinnere ich mich der Unterhaltung eines Tages,
wo ich ihn fragte, wie er sich den Verlauf dächte. „Die Sache wird ähnlich


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[0539] Noch einmal das deutsche Reich und die Rurie Gesellschaft keineswegs allgemeine Billigung fanden, nicht nur zuzustimmen, sondern auch aus eigner Weisheit einiges zu ihrer Bestätigung beizutragen. Das heißt, es war doch eigentlich nicht meine Weisheit; ich hatte sie mir nur angeeignet aus den Unterhaltungen mit einem ältern Freunde, den ich seit meiner Jugend kannte, dem ich von Zeit zu Zeit immer wieder begegnet bin, und dem ich vielleicht das meiste verdanke von dem, womit ich mich nicht streng berufsmäßig zu beschäftigen gehabt habe. Mein Freund F. war zuletzt preußischer Laudrat und ist vor kurzem in hohem Alter gestorben. Preußische Landräte können ja nun bekanntlich sehr verschieden sein. Dieser war vom Leben viel herumgeworfen worden, hatte auch als Beamter eine wechselvolle Laufbahn hinter sich und sah sich am liebsten als einen späten Schüler Justus Mösers an, aus dessen osnabrückischer Heimat er auch stammte. Vorübergehend war er auch einmal Referent für Volksschulsachen in einem der ehemaligen hannöverschen Kultusministerien ge¬ wesen. Mit diesem meinem alten, unvergeßlichen Freunde F., meinem Lehr¬ meister auf manchem Gebiete unsrer vielgestaltigen Welt, hatte ich nun im Herbst 1872 verschiedne Unterhaltungen über den damals schon in Aussicht stehenden Kulturkampf. Bismarck hatte im Mai vorher das berühmte Wort von dem Gange nach Canossa gesprochen. Wir sind leicht geneigt, bei Vorgängen, die wir erlebt und mit besondern! Interesse verfolgt haben, durch nachträgliche Zusätze aus unsrer spätern Er¬ fahrung unsre Erinnerungen unbewußt zu falschen. Ich weiß mich davon in diesem Falle frei, denn ich habe meine Eindrücke treu bewahrt und könnte ein¬ zelnes wörtlich wiedergeben. Er vertrat also, um es kurz zu sagen, ruhig, ja mit eiuer seinem Wesen eignen und im Vergleich zu der damaligen Stimmung der meisten auffällig kühlen Sachlichkeit die Ansicht, daß der Staat den Kampf nicht aufnehmen dürfe, weil er ihn verlieren müsse. Ich glaubte das ebenso wenig wie die meisten andern zu jeuer Zeit. Mai, stand uoch unter dem frischen Eindruck eines neuen, starken Nationalgefühls, und man vergaß dar¬ über sich zu fragen, ob dieses zunächst auf dem Politischen ruhende Bewußt¬ sein auch imstande sein werde, der Kurie gegenüber die beiden durch ihren Glauben getrennten Teile des deutschen Volkes zusammenzuhalten. Man schätzte die Macht Preußens mit Recht sehr hoch, und man nahm mit demselben Recht an, daß diese Macht durch die Reichseinheit noch vergrößert worden sei. Aber man bedachte nicht, daß das Reich nach seiner Verfassung in kirchlichen An¬ gelegenheiten gar nicht einheitlich vorgehen konnte, daß dem Papst gegenüber also für Preußen mit der neuen politischen Ordnung nichts gewonnen war. Vermutlich hat sich mein Freund über diese Dinge schon damals ebenso klar und bestimmt ausgesprochen, wie heute jeder darüber denkt, wenigstens darüber denken kann. Ganz bestimmt erinnere ich mich der Unterhaltung eines Tages, wo ich ihn fragte, wie er sich den Verlauf dächte. „Die Sache wird ähnlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/539>, abgerufen am 16.06.2024.