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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Noch einmal das deutsche Reich und die Aurie

Wenn sie dieses Gebiet berühren, für uns Evangelische so wertvoll, während
sogar ein so gründlich aus Büchern unterrichteter Mann wie Heinrich v. Elater
in seinem Werke über die mittelalterliche Weltanschauung hinsichtlich der doch
noch immer im Leben zu beobachtenden katholischen Kirche mit seinen Ansichten
vielfach fehlgegangen ist. Diese schematische Auffassung, sagt einmal Lorentz,
sei schuld, daß der protestantische Liberalismus die katholische Kirche vergeblich
bekämpft habe. Die liberalen evangelischen Theologen fanden, indem sie sich selbst
so viel höher vorkamen, das "Gespenst" der mittelalterlichen Weltanschauung
"für seine Zeit" gar nicht so übel und behandelten es darum besser, als sie
mit ihren eignen orthodoxen Kollegen umzugehen pflegten. In diesen Kreisen
war es ja seit den Tagen des Vatikanischen Konzils, man möchte sagen, förmlich
Modesache, mit dem Stiftspropst von Döllinger zu kokettiren, als ob sich der
mit einemmale zu den protestantischen Theologen gerechnet hätte. Ob der hohe
Herr seinen neuen Freunden diese Ehre gedankt oder sie nicht vielmehr im
stillen freundlich zurückgewiesen hat, wie so mancher Altkatholik es laut gethan
hat, den man auf protestantischer Seite dazumal ohne weiteres freudig um¬
schlingen wollte -- das ist nicht überliefert. Aber unerbittlich hat mit seiner
nicht zu bestechenden Treue noch viel später Treitschke in seiner Deutschen
Geschichte darauf aufmerksam gemacht, wie Döllinger sich einst gegen Evan¬
gelische, wie Harleß und Thiersch, Verhalten hat in den vierziger Jahren, wo
seine "mannichfachen Häutungen noch niemand ahnen konnte."

Die Täuschung über die Macht und das Wesen der Kurie unter den
Evangelischen ist alt und hat schon früh bei uns Kreise erfaßt und einzelne
amtlich hochstehende oder geistig bedeutende Männer beherrscht, bei denen uns
das als Wahrnehmung heute wunderbar berührt. Als man nach den Befreiungs¬
kriegen in Deutschland an eine katholische Nationalkirche dachte, war mau über
die reaktionären Gesinnungen eines Pius VII. ganz im unklaren. Und gleich
nach dessen Tode übernahm der Freiherr von Bunsen in Rom die diploma¬
tischen Geschäfte selbständig und trieb zum Schaden Preußens Kirchenpolitik,
wie ein Nachtwandler, und galt dabei doch bei seinen Zeitgenossen für einen
Staatsmann und einen Diplomaten, während er doch alles andre eher ge¬
wesen ist als das. Und sogar Ranke schrieb in seiner Geschichte der Päpste
(Vorrede von 1834): "Die Zeiten, wo wir etwas fürchten könnten, sind vor¬
über; wir fühlen uns allzugut gesichert." Wie gut -- das sah er erst später
ein. bei einer neuen Auflage im Jahre 1874, wo er die Worte wieder las, und
sie ihm eben so seltsam vorkamen, wie uns allen jetzt!

Ja, die Kurie ist klug. Weitling und vornehm steht sie da. Trotz aller
Niederlagen der einzelnen Päpste steht sie aufrecht wie vordem und führt alle
Evangelischen hinters Licht, die sich zu ihrem eignen Schaden für klüger halten.
Äußerlich hat ja wohl fast jeden einmal die glänzende Erscheinung berückt,
wenn er sie am Orte ihres uralten Sitzes sich vor seinen Augen aufthun sah.


Noch einmal das deutsche Reich und die Aurie

Wenn sie dieses Gebiet berühren, für uns Evangelische so wertvoll, während
sogar ein so gründlich aus Büchern unterrichteter Mann wie Heinrich v. Elater
in seinem Werke über die mittelalterliche Weltanschauung hinsichtlich der doch
noch immer im Leben zu beobachtenden katholischen Kirche mit seinen Ansichten
vielfach fehlgegangen ist. Diese schematische Auffassung, sagt einmal Lorentz,
sei schuld, daß der protestantische Liberalismus die katholische Kirche vergeblich
bekämpft habe. Die liberalen evangelischen Theologen fanden, indem sie sich selbst
so viel höher vorkamen, das „Gespenst" der mittelalterlichen Weltanschauung
„für seine Zeit" gar nicht so übel und behandelten es darum besser, als sie
mit ihren eignen orthodoxen Kollegen umzugehen pflegten. In diesen Kreisen
war es ja seit den Tagen des Vatikanischen Konzils, man möchte sagen, förmlich
Modesache, mit dem Stiftspropst von Döllinger zu kokettiren, als ob sich der
mit einemmale zu den protestantischen Theologen gerechnet hätte. Ob der hohe
Herr seinen neuen Freunden diese Ehre gedankt oder sie nicht vielmehr im
stillen freundlich zurückgewiesen hat, wie so mancher Altkatholik es laut gethan
hat, den man auf protestantischer Seite dazumal ohne weiteres freudig um¬
schlingen wollte — das ist nicht überliefert. Aber unerbittlich hat mit seiner
nicht zu bestechenden Treue noch viel später Treitschke in seiner Deutschen
Geschichte darauf aufmerksam gemacht, wie Döllinger sich einst gegen Evan¬
gelische, wie Harleß und Thiersch, Verhalten hat in den vierziger Jahren, wo
seine „mannichfachen Häutungen noch niemand ahnen konnte."

Die Täuschung über die Macht und das Wesen der Kurie unter den
Evangelischen ist alt und hat schon früh bei uns Kreise erfaßt und einzelne
amtlich hochstehende oder geistig bedeutende Männer beherrscht, bei denen uns
das als Wahrnehmung heute wunderbar berührt. Als man nach den Befreiungs¬
kriegen in Deutschland an eine katholische Nationalkirche dachte, war mau über
die reaktionären Gesinnungen eines Pius VII. ganz im unklaren. Und gleich
nach dessen Tode übernahm der Freiherr von Bunsen in Rom die diploma¬
tischen Geschäfte selbständig und trieb zum Schaden Preußens Kirchenpolitik,
wie ein Nachtwandler, und galt dabei doch bei seinen Zeitgenossen für einen
Staatsmann und einen Diplomaten, während er doch alles andre eher ge¬
wesen ist als das. Und sogar Ranke schrieb in seiner Geschichte der Päpste
(Vorrede von 1834): „Die Zeiten, wo wir etwas fürchten könnten, sind vor¬
über; wir fühlen uns allzugut gesichert." Wie gut — das sah er erst später
ein. bei einer neuen Auflage im Jahre 1874, wo er die Worte wieder las, und
sie ihm eben so seltsam vorkamen, wie uns allen jetzt!

Ja, die Kurie ist klug. Weitling und vornehm steht sie da. Trotz aller
Niederlagen der einzelnen Päpste steht sie aufrecht wie vordem und führt alle
Evangelischen hinters Licht, die sich zu ihrem eignen Schaden für klüger halten.
Äußerlich hat ja wohl fast jeden einmal die glänzende Erscheinung berückt,
wenn er sie am Orte ihres uralten Sitzes sich vor seinen Augen aufthun sah.


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[0541] Noch einmal das deutsche Reich und die Aurie Wenn sie dieses Gebiet berühren, für uns Evangelische so wertvoll, während sogar ein so gründlich aus Büchern unterrichteter Mann wie Heinrich v. Elater in seinem Werke über die mittelalterliche Weltanschauung hinsichtlich der doch noch immer im Leben zu beobachtenden katholischen Kirche mit seinen Ansichten vielfach fehlgegangen ist. Diese schematische Auffassung, sagt einmal Lorentz, sei schuld, daß der protestantische Liberalismus die katholische Kirche vergeblich bekämpft habe. Die liberalen evangelischen Theologen fanden, indem sie sich selbst so viel höher vorkamen, das „Gespenst" der mittelalterlichen Weltanschauung „für seine Zeit" gar nicht so übel und behandelten es darum besser, als sie mit ihren eignen orthodoxen Kollegen umzugehen pflegten. In diesen Kreisen war es ja seit den Tagen des Vatikanischen Konzils, man möchte sagen, förmlich Modesache, mit dem Stiftspropst von Döllinger zu kokettiren, als ob sich der mit einemmale zu den protestantischen Theologen gerechnet hätte. Ob der hohe Herr seinen neuen Freunden diese Ehre gedankt oder sie nicht vielmehr im stillen freundlich zurückgewiesen hat, wie so mancher Altkatholik es laut gethan hat, den man auf protestantischer Seite dazumal ohne weiteres freudig um¬ schlingen wollte — das ist nicht überliefert. Aber unerbittlich hat mit seiner nicht zu bestechenden Treue noch viel später Treitschke in seiner Deutschen Geschichte darauf aufmerksam gemacht, wie Döllinger sich einst gegen Evan¬ gelische, wie Harleß und Thiersch, Verhalten hat in den vierziger Jahren, wo seine „mannichfachen Häutungen noch niemand ahnen konnte." Die Täuschung über die Macht und das Wesen der Kurie unter den Evangelischen ist alt und hat schon früh bei uns Kreise erfaßt und einzelne amtlich hochstehende oder geistig bedeutende Männer beherrscht, bei denen uns das als Wahrnehmung heute wunderbar berührt. Als man nach den Befreiungs¬ kriegen in Deutschland an eine katholische Nationalkirche dachte, war mau über die reaktionären Gesinnungen eines Pius VII. ganz im unklaren. Und gleich nach dessen Tode übernahm der Freiherr von Bunsen in Rom die diploma¬ tischen Geschäfte selbständig und trieb zum Schaden Preußens Kirchenpolitik, wie ein Nachtwandler, und galt dabei doch bei seinen Zeitgenossen für einen Staatsmann und einen Diplomaten, während er doch alles andre eher ge¬ wesen ist als das. Und sogar Ranke schrieb in seiner Geschichte der Päpste (Vorrede von 1834): „Die Zeiten, wo wir etwas fürchten könnten, sind vor¬ über; wir fühlen uns allzugut gesichert." Wie gut — das sah er erst später ein. bei einer neuen Auflage im Jahre 1874, wo er die Worte wieder las, und sie ihm eben so seltsam vorkamen, wie uns allen jetzt! Ja, die Kurie ist klug. Weitling und vornehm steht sie da. Trotz aller Niederlagen der einzelnen Päpste steht sie aufrecht wie vordem und führt alle Evangelischen hinters Licht, die sich zu ihrem eignen Schaden für klüger halten. Äußerlich hat ja wohl fast jeden einmal die glänzende Erscheinung berückt, wenn er sie am Orte ihres uralten Sitzes sich vor seinen Augen aufthun sah.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/541>, abgerufen am 16.06.2024.