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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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rcichischen Agrartages, die kürzlich veröffentlicht worden sind (Wien, Wilhelm
Frick), sprach sich Freiherr v. Gudenus, ohne ernstern Widerspruch zu finden,
darüber folgendermaßen aus: "Die berufsgenossenschaftliche Organisation spukt
seit Jahren, und ich frage, was man damit meint. Wir haben ja den Nachbar-
Verband in den uralten Gemeindeansiedlungen, der immer bestanden hat; jetzt
suchen wir auf einmal eine berufsgenossenschaftliche Organisation. Wir haben
eine politische Gemeinde geschaffen, die schlecht ist, und wir haben das wirt¬
schaftliche Element in unserm Gemeindegesetze ganz totgeschlagen. Das Ge¬
meindegut wird im Gesetze nicht als das betrachtet, was zur Förderung der
Wirtschaft der einzelnen Grundbesitzer dienen soll, sondern als kapitalistische
Einnahmequelle. Ebenso ist die Frage der Stierhaltung ausdrücklich im Ge¬
meindegesetz nicht als Gemeindeangelegenheit erklärt, der Steuerzwang ist auf¬
gehoben, kurz, wir haben im Gemeindegesetz jede wirtschaftliche Zusammen¬
gehörigkeit künstlich zu Grunde gerichtet, und heute ruft man nach Berufs¬
genossenschaften. Geben Sie der Gemeinde den Wirkungskreis, der ihr gehört,
aber nicht den politischen, den sie nicht versteht, und den sie nur mit Sub¬
vention von Reich und Land kümmerlich ausübt. Dann brauchen wir keine
Berufsgenossenschaften. Die Sachen werden viel einfacher gehen. Es wird
der Betreffende, wenn er in schlechte Verhältnisse kommt, die Unterstützung
wie in alten Zeiten vom Gemeindeverbande finden. Ich kann mich daher nur
gegen die obligatorische Versicherung aussprechen, da ich überzeugt bin, daß
bei der bäuerlichen Bevölkerung meine Ansicht nur bestärkt werden und eine
Opposition gegen jeden Zwang gewaltig auftreten würde, so wie sie gegen
das Heimstättengesetz aufgetreten ist, weil die obligatorische Aufstellung der
Hauptgrund war, daß es nicht zur Entwicklung kam." Der österreichische
Freiherr mag damit vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen haben, in
der Hauptsache hat der Mann Recht, auch für Deutschland.

Ja, auch für Deutschland! Was uns hier in neuester Zeit wieder im
agrarischen Rettungswesen vorgesetzt worden ist, wenigstens von der preußisch-
berlinischeu Schule, ist denn doch arg. Herr Professor Gering (Berlin) hat
gestattet, daß sein am 6. Februar dieses Jahres im deutschen Landwirtschaftsrat
vorgetragner Bericht über die Schuldenerleichterung und Schuldenentlastung des
ländlichen Grundbesitzes veröffentlicht worden ist. Es wäre das nicht zu be¬
greifen, wenn man nicht annehmen müßte, daß bei diesen Herren Nothelfern
allgemach die "Bauernrettung" zur fixen Idee zu werden droht. Das Thema,
das Gering zu behandeln hatte, bezog sich keineswegs nur auf die Bauern,
und da er hauptsächlich vom Osten sprach, hätte man vor allem Vorschläge
zur Rettung der Herren Rittergutsbesitzer erwarten sollen, die ja östlich von
der Elbe am lautesten schreien und auch am elendesten daran sind. Aber diese
Herren sind für die Experimente der neupreußischen Bauernretter doch etwas
zu widerhaarige Objekte. Wagt man schon nicht, ihnen ernsthaft in ihre Wirt-


Grcnzbotcn II 1396 W

rcichischen Agrartages, die kürzlich veröffentlicht worden sind (Wien, Wilhelm
Frick), sprach sich Freiherr v. Gudenus, ohne ernstern Widerspruch zu finden,
darüber folgendermaßen aus: „Die berufsgenossenschaftliche Organisation spukt
seit Jahren, und ich frage, was man damit meint. Wir haben ja den Nachbar-
Verband in den uralten Gemeindeansiedlungen, der immer bestanden hat; jetzt
suchen wir auf einmal eine berufsgenossenschaftliche Organisation. Wir haben
eine politische Gemeinde geschaffen, die schlecht ist, und wir haben das wirt¬
schaftliche Element in unserm Gemeindegesetze ganz totgeschlagen. Das Ge¬
meindegut wird im Gesetze nicht als das betrachtet, was zur Förderung der
Wirtschaft der einzelnen Grundbesitzer dienen soll, sondern als kapitalistische
Einnahmequelle. Ebenso ist die Frage der Stierhaltung ausdrücklich im Ge¬
meindegesetz nicht als Gemeindeangelegenheit erklärt, der Steuerzwang ist auf¬
gehoben, kurz, wir haben im Gemeindegesetz jede wirtschaftliche Zusammen¬
gehörigkeit künstlich zu Grunde gerichtet, und heute ruft man nach Berufs¬
genossenschaften. Geben Sie der Gemeinde den Wirkungskreis, der ihr gehört,
aber nicht den politischen, den sie nicht versteht, und den sie nur mit Sub¬
vention von Reich und Land kümmerlich ausübt. Dann brauchen wir keine
Berufsgenossenschaften. Die Sachen werden viel einfacher gehen. Es wird
der Betreffende, wenn er in schlechte Verhältnisse kommt, die Unterstützung
wie in alten Zeiten vom Gemeindeverbande finden. Ich kann mich daher nur
gegen die obligatorische Versicherung aussprechen, da ich überzeugt bin, daß
bei der bäuerlichen Bevölkerung meine Ansicht nur bestärkt werden und eine
Opposition gegen jeden Zwang gewaltig auftreten würde, so wie sie gegen
das Heimstättengesetz aufgetreten ist, weil die obligatorische Aufstellung der
Hauptgrund war, daß es nicht zur Entwicklung kam." Der österreichische
Freiherr mag damit vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen haben, in
der Hauptsache hat der Mann Recht, auch für Deutschland.

Ja, auch für Deutschland! Was uns hier in neuester Zeit wieder im
agrarischen Rettungswesen vorgesetzt worden ist, wenigstens von der preußisch-
berlinischeu Schule, ist denn doch arg. Herr Professor Gering (Berlin) hat
gestattet, daß sein am 6. Februar dieses Jahres im deutschen Landwirtschaftsrat
vorgetragner Bericht über die Schuldenerleichterung und Schuldenentlastung des
ländlichen Grundbesitzes veröffentlicht worden ist. Es wäre das nicht zu be¬
greifen, wenn man nicht annehmen müßte, daß bei diesen Herren Nothelfern
allgemach die „Bauernrettung" zur fixen Idee zu werden droht. Das Thema,
das Gering zu behandeln hatte, bezog sich keineswegs nur auf die Bauern,
und da er hauptsächlich vom Osten sprach, hätte man vor allem Vorschläge
zur Rettung der Herren Rittergutsbesitzer erwarten sollen, die ja östlich von
der Elbe am lautesten schreien und auch am elendesten daran sind. Aber diese
Herren sind für die Experimente der neupreußischen Bauernretter doch etwas
zu widerhaarige Objekte. Wagt man schon nicht, ihnen ernsthaft in ihre Wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/545>, abgerufen am 06.06.2024.